Der stille Stillstand
Die juristische Ausbildung steht seit Jahren in der Kritik – nicht nur unter Studierenden, sondern auch innerhalb der Fachöffentlichkeit. Umso bemerkenswerter ist es, wie still es in diesem Jahr um die Frühjahrstagung der Justizministerkonferenz (JuMiKo) blieb. Noch 2023 hatte ein gemeinsames Statement der Landesjustizminister:innen zum Reformbedarf im Jurastudium für erhebliche Aufmerksamkeit gesorgt – allerdings weniger durch Reformfreude, als durch die Verneinung jeglichen strukturellen Handlungsbedarfs. Die empörten Reaktionen von Fachschaften, Studierenden und Ausbildungsinitiativen ließen nicht lange auf sich warten. Doch 2024? Kein Wort zur Ausbildung, kein Bekenntnis zur Erneuerung – nur technokratische Fortschritte, keine bildungspolitische Vision.
Zwischen digitaler Justiz und analogem Denken
Die diesjährige Frühjahrstagung bot auf den ersten Blick positive Signale: Eine einheitliche digitale Verfahrensakte sowie eine überarbeitete Strafprozessordnung sind zweifelsohne notwendige Schritte auf dem Weg zur Modernisierung der Justiz. Doch diese Maßnahmen entfalten ihre Wirkung nur dann, wenn auch die Menschen, die mit diesen Instrumenten arbeiten sollen, entsprechend ausgebildet und vorbereitet sind. Und genau hier liegt der wunde Punkt: Die juristische Ausbildung bleibt konzeptionell im vorigen Jahrhundert stehen.
Der wiederholte Verzicht auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den strukturellen Schwächen des Jurastudiums sendet ein fatales Signal – vor allem an die künftige Generation von Juristinnen und Juristen. Es entsteht der Eindruck, als wolle man sich den Herausforderungen der Zeit nicht stellen: dem akuten Nachwuchsmangel, der hohen psychischen Belastung im Studium, der sozialen Selektion durch Noten- und Durchfallquoten sowie der übermäßigen Orientierung an einer Examensnote, die über Karrieren entscheidet.
Die Realität: Nachwuchsmangel und Überforderung
Bereits jetzt ist die Justiz in vielen Bundesländern personell unterbesetzt. Verfahren stauen sich, das Recht auf eine zügige Entscheidung wird zur Illusion. Doch anstatt entschlossen gegenzusteuern, verharrt die Politik im Status quo. Dabei müsste jedem klar sein: Eine technologische Modernisierung kann den Rechtsstaat nur dann stärken, wenn sie mit einer personellen und strukturellen Erneuerung einhergeht.
Die Ausbildung zum Volljuristen ist in ihrer Komplexität weltweit einzigartig – und das zu Recht. Wer später als Richter:in, Staatsanwält:in oder Anwält:in Recht spricht oder Interessen durchsetzt, trägt eine enorme Verantwortung. Doch Anspruch und Realität klaffen auseinander. Vielerorts fehlt es an didaktischer Qualität in der Lehre, an Rückmeldestrukturen, psychologischer Begleitung und fairen Prüfungsbedingungen. Studierende fühlen sich allein gelassen – und nicht selten zermürbt.
Reformansätze: Zwischen Symbolik und Stillstand
Ein Bachelor of Laws als Exit-Option für Studienabbrechende? In einzelnen Bundesländern Realität, bundesweit aber uneinheitlich und inhaltlich oft nicht anerkannt. Eine anonyme Zweitkorrektur zur Eindämmung subjektiver Bewertungsrisiken? In einigen Bundesländern umgesetzt, bundesweit aber keine Selbstverständlichkeit. Dabei wären genau solche Maßnahmen ein erster Schritt, um Vertrauen in das System zurückzugewinnen und die Ausbildungsrealität gerechter zu gestalten.
Es wäre an der Zeit, dass die Justizminister:innen diese Vorschläge nicht länger ignorieren, sondern aktiv aufgreifen. Denn es braucht mehr als Digitalisierung, um den Rechtsstaat zu sichern – es braucht eine Vision für eine Ausbildung, die nicht abschreckt, sondern befähigt.
Fazit: Wer Zukunft will, muss Ausbildung mitdenken
Die juristische Ausbildung ist das Fundament unserer rechtsstaatlichen Ordnung. Wer ernsthaft eine moderne, funktionsfähige Justiz anstrebt, darf nicht bei Verfahrensdigitalisierung und KI-Debatten stehenbleiben. Es braucht eine Ausbildungsreform, die Studierende fördert, statt sie zu verschleißen. Eine Reform, die Chancengleichheit schafft, Leistungsbereitschaft anerkennt und Strukturen hinterfragt, die nicht mehr zeitgemäß sind.
Die Justizministerkonferenz darf sich nicht weiter ihrer Verantwortung entziehen. Wer heute den Nachwuchs vergisst, gefährdet morgen die Qualität und Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats. Die Zeit für bloße Symbolpolitik ist vorbei – was jetzt zählt, sind mutige Entscheidungen. Für eine Ausbildung, die Zukunft hat.