(Fast) das gesamte Jurastudium bis zum 1. Staatsexamen bewegt sich im Rahmen des Gutachtenstils, ohne jedoch explizit auf diese Methode einzugehen. Viele Studierende haben daher nur eine vage Vorstellung davon, was der Gutachtenstil genau ist, obwohl er in Klausuren, Hausarbeiten und im Examen eine zentrale Rolle spielt. Nimm dir daher die Zeit, diese Methode intensiv kennenzulernen, um deinen juristischen Werkzeugkasten für die Examensvorbereitung optimal zu bestücken.
Fakt:
- Gutachtenstil begleitet dein gesamtes Jurastudium bis zum Examen
- Dennoch wird er selten systematisch erklärt
- Intensives Verständnis ist für Klausuren und Examenserfolg unerlässlich
Was ist der Gutachtenstil?
Der Gutachtenstil ist eine juristische Arbeitsmethode, mit der du systematisch und nachvollziehbar rechtliche Fragestellungen bearbeitest. Statt ein Urteil einfach vorzugeben, zeigst du Schritt für Schritt, wie du zum Ergebnis kommst. Der Gutachtenstil folgt hierbei einem festen Schema, das aus vier Schritten besteht: Obersatz, Definition, Subsumtion und Ergebnis. Durch diese Struktur gewährleistest du, dass deine Gedankengänge klar, logisch und für Dritte (insbesondere für Korrektor:innen) durchschaubar bleiben.
- Beispiel 1: Fraglich ist, ob die Täter:in sich wegen Diebstahls gemäß § 242 StGB strafbar gemacht hat.
- Beispiel 2: Fraglich ist, ob X gegen Y einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB hat.
Wie funktioniert der Gutachtenstil?
Der Gutachtenstil beginnt immer mit der Fragestellung, die du als Obersatz in einen Aussagesatz verwandelst. Anschließend suchst du passende Rechtsnormen, deren Rechtsfolgen deiner Fragestellung entsprechen. Nachdem du die einschlägigen Normen gefunden hast, definierst du deren Tatbestandsmerkmale, um diese dann im Rahmen der Subsumtion mit dem konkreten Sachverhalt abzugleichen. Erfüllst du alle Tatbestandsvoraussetzungen, tritt die Rechtsfolge ein. Falls nicht, musst du entweder andere Normen prüfen oder zum Ergebnis kommen, dass kein Anspruch bzw. keine Straftat vorliegt.
Beispiel 1 (Kaufvertrag, § 433 BGB):
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Obersatz: „Fraglich ist, ob ein Anspruch der Verkäufer:in auf Kaufpreiszahlung gemäß § 433 Abs. 2 BGB besteht.“
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Definition: „Ein Kaufvertrag erfordert zwei korrespondierende Willenserklärungen, Angebot und Annahme.“
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Subsumtion: „Die Verkäufer:in bot der Käufer:in einen Laptop für 800 € an, die Käufer:in nahm das Angebot an.“
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Ergebnis: „Damit besteht ein Anspruch auf Kaufpreiszahlung gemäß § 433 Abs. 2 BGB.“
Beispiel 2 (Schadensersatz, § 823 Abs. 1 BGB):
- Obersatz: „Fraglich ist, ob X gegen Y einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 1 BGB hat.“
- Definition: „§ 823 Abs. 1 BGB verlangt die Verletzung eines Rechtsguts (z.B. Eigentum) durch vorsätzliches oder fahrlässiges, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten.“
- Subsumtion: „Y hat das Eigentum von X (dessen Auto) vorsätzlich beschädigt.
- “Ergebnis: „X hat somit gegen Y einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB.“
Merke:
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Obersatz: Frage in Aussagesatz verwandeln
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Definition: Tatbestände aus Normen ableiten
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Subsumtion: Sachverhalt unter Tatbestandsmerkmale prüfen
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Ergebnis: Feststellung, ob Voraussetzungen erfüllt sind
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Beispiele: Kaufpreiszahlung (§ 433 BGB), Schadensersatz (§ 823 Abs. 1 BGB)
Verweisnormen
In der Fallbearbeitung stößt du immer wieder auf Verweisnormen, die direkt oder indirekt auf andere Vorschriften verweisen. Diese musst du im Rahmen deiner Prüfung mitberücksichtigen.
Direkter Verweis:
§ 254 Abs. 2 S. 2 BGB verweist direkt auf § 278 BGB. Bedeutet: Prüfst du Mitverschulden nach § 254 BGB, musst du auch die Grundsätze zu Erfüllungsgehilfen aus § 278 BGB miteinbeziehen.
Impliziter Verweis:
§ 823 Abs. 1 BGB spricht von der Verletzung des Eigentums. Um zu wissen, wer Eigentümer:in ist, musst du ins Sachenrecht schauen, insbesondere in § 903 BGB oder die Definition der Sache in § 90 BGB. So „verweist“ § 823 Abs. 1 BGB implizit auf das Sachenrecht, ohne es ausdrücklich zu nennen.
Merke:
- Verweisnormen: Normen, die auf andere Vorschriften verweisen
- Direkte Verweise: ausdrückliche Nennung anderer Normen
- Implizite Verweise: sachlogischer Rückgriff auf andere Rechtsbereiche
- Beispiel: § 254 BGB verweist auf § 278 BGB; § 823 Abs. 1 BGB verweist implizit auf Sachenrecht
Hilfsnormen
Hilfsnormen sind Normen, die keine eigenständige Rechtsfolge enthalten, aber zur Erklärung oder Ausfüllung anderer Normen herangezogen werden. Sie helfen dir dabei, bestimmte Begriffe oder Voraussetzungen konkret zu bestimmen.
- Beispiel 1: § 823 Abs. 1 BGB schützt das Eigentum. Was Eigentum ist, erfährst du aus den sachenrechtlichen Vorschriften. In § 90 BGB ist definiert, was als Sache gilt. Diese Norm ist eine Hilfsnorm, die den Begriff „Sache“ für die Prüfung des Eigentumsschutzes klarstellt.
- Beispiel 2: Willst du wissen, ob ein Kaufvertrag wirksam zustande gekommen ist, musst du bei den Willenserklärungen und deren Bestandteilen auf §§ 145 ff. BGB zurückgreifen, die als Hilfsnormen dienen, um die Voraussetzungen für Angebot und Annahme zu definieren, ohne selbst eine unmittelbare Rechtsfolge in Bezug auf den Kaufpreisanspruch zu haben.
Merke:
- Hilfsnormen: Normen ohne eigene Rechtsfolge, die Begriffe definieren oder Voraussetzungen klären
- Beispiel Eigentum aus § 90 BGB bei Prüfung von § 823 Abs. 1 BGB
- Beispiel Willenserklärungen (§§ 145 ff. BGB) zur Prüfung des Kaufvertrags nach § 433 BGB
Warum ist der Gutachtenstil so wichtig?
Der Gutachtenstil ist das zentrale Handwerkszeug in der juristischen Ausbildung. Mit ihm kannst du Rechtsfragen strukturiert, schrittweise und logisch prüfen. So erkennst du Denkfehler leichter, kannst Argumentationslücken schließen und überzeugst Korrektor:innen sowie Praktiker:innen von der Qualität deiner Ausführungen. Ohne den Gutachtenstil fehlt dir das methodische Gerüst, um komplizierte Fälle sauber zu lösen. Zudem ist er in Klausuren und im Examen unerlässlich, da dort Nachvollziehbarkeit und methodische Klarheit entscheidend sind.
Merke:
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Gutachtenstil als methodisches Grundgerüst juristischer Fallbearbeitung
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Erleichtert das Erkennen von Denkfehlern und Lücken
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Unverzichtbar für Klausuren und Examen
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Signalisiert methodische Klarheit und Nachvollziehbarkeit
Welche Denkschritte beinhaltet der Gutachtenstil?
Die Denkschritte sind immer gleich:
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Was ist gefragt? Stelle zunächst die konkrete Rechtsfrage, um die es geht.
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Welche Rechtsnormen passen zur gesuchten Rechtsfolge? Finde die Norm(en), deren Rechtsfolge deiner Fragestellung entspricht.
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Prüfe, ob der Sachverhalt alle Tatbestandsmerkmale erfüllt. Hier definiert und subsumierst du.
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Berücksichtige Verweis- und Hilfsnormen, um unklare Begriffe aufzulösen.
Merke:
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Identifiziere die Rechtsfrage
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Suche passende Normen
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Prüfe Tatbestandsmerkmale (Definition und Subsumtion)
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Ziehe Verweis- und Hilfsnormen heran, falls Begriffe unklar sind
Der Obersatz beim Gutachten
Der Obersatz ist gewissermaßen der „Haken“, an dem deine gesamte Argumentation hängt. Er legt fest, unter welcher Voraussetzung welche Rechtsfolge eintreten könnte. Ein gut formulierter Obersatz orientiert sich stets an der Rechtsfolge und bringt die maßgebliche Norm ins Spiel. Ist der Obersatz nicht passend, ist deine gesamte Prüfung potenziell fehleranfällig, da du von falschen Voraussetzungen ausgehst. „Näher am Gesetz“ oder „Gutachtenstil“ als Randbemerkung von Korrektor:innen deuten oft auf einen mangelhaften Obersatz hin. Ein sorgfältig formulierter Obersatz ist daher die Basis für eine erfolgreiche Fallbearbeitung.
Merke:
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Obersatz bildet die Grundlage der Prüfung
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Geht von der Rechtsfolge aus, nennt einschlägige Norm
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Ein unpassender Obersatz führt zu fehlerhafter Argumentation
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Korrektor:innen markieren oft mit „näher am Gesetz“ oder „Gutachtenstil“ bei unklaren Obersätzen
Fazit
Durch den regelmäßigen und bewussten Einsatz des Gutachtenstils gewinnst du an Sicherheit und Kompetenz im Umgang mit komplexen Rechtsfragen. Übung ist dabei der Schlüssel: Je häufiger du Fälle im Gutachtenstil löst, desto besser wirst du Definitionen, Subsumtion und Ergebnis miteinander verbinden. Halte dich auf dem Laufenden, da sich deine Skills laufend verbessern lassen. Diese Seite wird stetig aktualisiert – mit unserem Newsletter bleibst du immer auf dem neuesten Stand und kannst deine Examensvorbereitung zielgerichtet gestalten.
Merke:
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Stetige Übung im Gutachtenstil führt zu Sicherheit und Routine
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