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Der Gutachtenstil

Der Gutachtenstil

(Fast) das gesamte Jurastudium bis zum 1. Staatsexamen bewegt sich im Rahmen des Gutachtenstils, ohne jedoch explizit auf diese Methode einzugehen. Viele Studierende haben daher nur eine vage Vorstellung davon, was der Gutachtenstil genau ist, obwohl er in Klausuren, Hausarbeiten und im Examen eine zentrale Rolle spielt. Gleichzeitig wird kaum systematisches Wissen darüber vermittelt, noch gibt es ausreichend Möglichkeiten, ihn gezielt zu trainieren. Genau hier setzt diese Plattform an – sie vermittelt nicht nur die theoretischen Grundlagen, sondern bietet auch praktische Übungen, um den Gutachtenstil systematisch zu verbessern.

Wer sich intensiver mit dem Schreiben beschäftigt, wird anfangs langsamer – das ist völlig normal. Langfristig führt das bewusste Reflektieren jedoch dazu, schneller und präziser zu schreiben. Ähnlich wie beim Autofahren: Zunächst muss jede Handlung überlegt werden, bis die Abläufe automatisiert sind. Wer den Gutachtenstil durchdacht einsetzt, schreibt unter Zeitdruck klarere und überzeugendere Gutachten.

Nimm dir die Zeit, diese Methode intensiv kennenzulernen, um deinen juristischen Werkzeugkasten für die Examensvorbereitung optimal zu bestücken.

1. Die Funktion

Der Gutachtenstil ist die zentrale Methode, um juristische Fragen strukturiert und logisch zu beantworten. Im Examen und in der Praxis ist er unverzichtbar, um juristisch fundierte und nachvollziehbare Lösungen zu formulieren. (Fast) das gesamte Jurastudium bis zum 1. Staatsexamen bewegt sich im Rahmen des Gutachtenstils, ohne jedoch explizit auf diese Methode einzugehen. Viele Studierende haben daher nur eine vage Vorstellung davon, was der Gutachtenstil genau ist, obwohl er eine zentrale Rolle spielt. Nimm dir daher die Zeit, diese Methode intensiv kennenzulernen, um deinen juristischen Werkzeugkasten für die Examensvorbereitung optimal zu bestücken.

a. Was ist der Gutachtenstil?

Der Gutachtenstil ist eine juristische Arbeitsmethode, mit der du systematisch und nachvollziehbar rechtliche Fragestellungen bearbeitest. Statt ein Urteil einfach vorzugeben, zeigst du Schritt für Schritt, wie du zum Ergebnis kommst. Der Gutachtenstil folgt hierbei einem festen Schema, das aus vier Schritten besteht: Obersatz, Definition, Subsumtion und Ergebnis. Durch diese Struktur gewährleistest du, dass deine Gedankengänge klar, logisch und für Dritte (insbesondere für Korrektor:innen) durchschaubar bleiben.

  • Beispiel 1: Fraglich ist, ob die Täter:in sich wegen Diebstahls gemäß § 242 StGB strafbar gemacht hat.
  • Beispiel 2: Fraglich ist, ob X gegen Y einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB hat.

b. Warum schreibe ich ein Gutachten?

Juristisches Denken bedeutet, systematisch eine Fragestellung zu analysieren, alle relevanten Aspekte zu prüfen und zu einem fundierten Ergebnis zu gelangen. Der Gutachtenstil zwingt dich dazu, Schritt für Schritt zu argumentieren, statt vorschnell ein Urteil zu fällen.

Der Gutachtenstil ist damit das zentrale Handwerkszeug in der juristischen Ausbildung. Mit ihm kannst du Rechtsfragen strukturiert, schrittweise und logisch prüfen. So erkennst du Denkfehler leichter, kannst Argumentationslücken schließen und überzeugst Korrektor:innen sowie Praktiker:innen von der Qualität deiner Ausführungen. Ohne den Gutachtenstil fehlt dir das methodische Gerüst, um komplizierte Fälle sauber zu lösen. Zudem ist er in Klausuren und im Examen unerlässlich, da dort Nachvollziehbarkeit und methodische Klarheit entscheidend sind.

 

Ein Beispiel: Ist ein Fahrrad eine Sache?
Die Antwort ergibt sich nicht aus dem Bauchgefühl, sondern durch eine präzise Prüfung nach der juristischen Methode. Indem du die Definitionen, Tatbestandsmerkmale und Argumentationsstrukturen anwendest, kommst du zu einer rechtssicheren Lösung.

🔵 Wichtiger Merksatz: Gutachtenschreiben ist eine Art, juristisch zu denken. Mit einem sorgfältig formulierten Gutachten zeigst du, dass du die juristische Methodik beherrschst.

 

c. Wie funktioniert der Gutachtenstil?

Der Gutachtenstil beginnt immer mit der Fragestellung, die du als Obersatz in einen Aussagesatz verwandelst. Anschließend suchst du passende Rechtsnormen, deren Rechtsfolgen deiner Fragestellung entsprechen. Nachdem du die einschlägigen Normen gefunden hast, definierst du deren Tatbestandsmerkmale, um diese dann im Rahmen der Subsumtion mit dem konkreten Sachverhalt abzugleichen. Erfüllst du alle Tatbestandsvoraussetzungen, tritt die Rechtsfolge ein. Falls nicht, musst du entweder andere Normen prüfen oder zum Ergebnis kommen, dass kein Anspruch bzw. keine Straftat vorliegt.

Beispiel 1 (Kaufvertrag, § 433 BGB):

    • Obersatz: „Fraglich ist, ob ein Anspruch der Verkäufer:in auf Kaufpreiszahlung gemäß § 433 Abs. 2 BGB besteht.“

    • Definition: „Ein Kaufvertrag erfordert zwei korrespondierende Willenserklärungen, Angebot und Annahme.“

    • Subsumtion: „Die Verkäufer:in bot der Käufer:in einen Laptop für 800 € an, die Käufer:in nahm das Angebot an.“

    • Ergebnis: „Damit besteht ein Anspruch auf Kaufpreiszahlung gemäß § 433 Abs. 2 BGB.“


Beispiel 2 (Schadensersatz, § 823 Abs. 1 BGB):

    • Obersatz: Frage in Aussagesatz verwandeln
      Fraglich ist, ob X gegen Y einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 1 BGB hat.
    • Definition: Tatbestände aus Normen ableiten
      § 823 Abs. 1 BGB verlangt die Verletzung eines Rechtsguts (z.B. Eigentum) durch vorsätzliches oder fahrlässiges, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten.
    • Subsumtion: Sachverhalt unter Tatbestandsmerkmale prüfen
      Y hat das Eigentum von X (dessen Auto) vorsätzlich beschädigt.
    • Ergebnis: Feststellung, ob Voraussetzungen erfüllt sind
      X hat somit gegen Y einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB.

d. Welche Denkschritte beinhaltet der Gutachtenstil?

Die Denkschritte sind immer gleich:

1. Identifiziere die Rechtsfrage: Was ist gefragt? Stelle zunächst die konkrete Rechtsfrage, um die es geht.

2. Suche passende Normen: Welche Rechtsnormen passen zur gesuchten Rechtsfolge? Finde die Norm(en), deren Rechtsfolge deiner Fragestellung entspricht. 

3. Prüfe Tatbestandsmerkmale (Definition und Subsumtion): Prüfe, ob der Sachverhalt alle Tatbestandsmerkmale erfüllt. Hier definiert und subsumierst du.

4. Ziehe Verweis- und Hilfsnormen heran, falls Begriffe unklar sind: Berücksichtige Verweis- und Hilfsnormen, um unklare Begriffe aufzulösen.

 

e. Welcher Stil ist angemessen?

Der Gutachtenstil erfordert eine klare, präzise und sachliche Sprache. Ziel ist es, eine juristische Fragestellung strukturiert und nachvollziehbar zu beantworten, ohne dabei persönliche Meinungen oder unnötige Ausschmückungen einfließen zu lassen. Ein Gutachten muss neutral bleiben und den Leser logisch zur richtigen Lösung führen.

Die Argumentation folgt einer klaren Struktur, bei der jeder Gedankenschritt nachvollziehbar auf dem vorherigen aufbaut. Sprunghafte Gedanken oder voreilige Schlussfolgerungen sollten vermieden werden, da sie die Nachvollziehbarkeit der juristischen Argumentation erschweren. Zudem ist es wichtig, auf umgangssprachliche Formulierungen zu verzichten. Statt zu schreiben, dass eine Aussage „offensichtlich falsch“ sei, sollte etwa formuliert werden, dass sie „der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung widerspricht“.

🔵 Merke: Ein gut formuliertes Gutachten ist logisch aufgebaut und leicht verständlich. Wer die juristische Methodik beherrscht, schreibt klar, analytisch und strukturiert – genau diese Fähigkeit wird auch im Examen geprüft.

 

f. Welche Funktionen hat ein Gutachten?

Ein juristisches Gutachten dient nicht nur dazu, eine Rechtsfrage zu beantworten, sondern erfüllt mehrere wichtige Funktionen. Es sorgt für eine strukturierte und nachvollziehbare Argumentation, die eine fundierte Lösung herbeiführt. Dabei geht es nicht darum, einfach ein Ergebnis zu präsentieren, sondern den Weg dorthin schlüssig darzulegen.

Eine zentrale Funktion des Gutachtens ist die Gedankenführung. Wer juristisch arbeitet, muss sich an klaren Prüfungsschritten orientieren. Der Gutachtenstil zwingt dazu, eine Rechtsfrage zunächst offen zu prüfen, indem Definitionen hergeleitet, Tatbestandsmerkmale systematisch abgearbeitet und anschließend in die Subsumtion überführt werden. Dadurch wird vermieden, voreilige oder unbegründete Schlussfolgerungen zu ziehen.

Gleichzeitig dient das Gutachten der Kommunikation juristischer Argumente. Es muss für andere Jurist:innen – sei es in der Klausur, in der Hausarbeit oder später in der Praxis – verständlich und logisch nachvollziehbar sein. Ein sauberes Gutachten zeigt nicht nur, dass die Lösung richtig ist, sondern auch, warum sie richtig ist.

🔵 Merke: Ein juristisches Gutachten ist mehr als nur eine Antwort auf eine Rechtsfrage. Es zeigt, dass du rechtliche Probleme strukturiert analysieren kannst und zwingt dich, systematisch zu argumentieren – eine Fähigkeit, die im Examen und in der Praxis unerlässlich ist.

 

g. Warum verwende ich im Gutachten kein Passiv?

Ein Gutachten soll präzise, klar und gut verständlich sein. Die Verwendung des Passivs erschwert dies, da es Sätze unnötig kompliziert und unpersönlich macht. Aktive Formulierungen sind direkter, verständlicher und führen den Leser besser durch die Argumentation.

Wenn beispielsweise geschrieben wird: „Es wird geprüft, ob eine Sache vorliegt“, bleibt unklar, wer die Prüfung vornimmt. Stattdessen sollte es heißen: „Zu prüfen ist, ob eine Sache vorliegt“ oder „Es stellt sich die Frage, ob eine Sache vorliegt“.

Besonders in der Subsumtion, also bei der Anwendung eines abstrakten Tatbestands auf einen konkreten Sachverhalt, ist es wichtig, aktiv zu formulieren. Anstatt „Es könnte davon ausgegangen werden, dass…“ ist „Daher ist anzunehmen, dass…“ die bessere Wahl.

🔵 Merke: Aktive Formulierungen machen dein Gutachten klarer, verständlicher und überzeugender. Wer unnötiges Passiv vermeidet, argumentiert präziser und sorgt für eine bessere Lesbarkeit – ein entscheidender Vorteil in der Klausur.

2. Der Aufbau

Im zweiten Teil geht es darum, wie ein juristisches Gutachten richtig aufgebaut wird und welche typischen Fehler dabei auftreten können. Neben der Grundstruktur aus Obersatz, Definition, Subsumtion und Ergebnis werden zentrale Herausforderungen erläutert, die viele Studierende betreffen. Dazu gehört die Frage, wann der Gutachtenstil, Urteilsstil oder ein Mischstil angewendet werden sollte. Auch die präzise Formulierung von Definitionen, eine saubere Subsumtion und eine widerspruchsfreie Argumentation sind entscheidend für ein überzeugendes Gutachten.

 

a. Wie ist ein juristisches Gutachten aufgebaut?

Ein juristisches Gutachten folgt einer festen Struktur, die eine systematische und nachvollziehbare Prüfung ermöglicht. Die vier grundlegenden Schritte sind: Obersatz, Definition, Subsumtion und Ergebnis. Diese Struktur hilft dir, eine Rechtsfrage präzise zu analysieren und logisch zu beantworten. Diese Methode bildet das Fundament der juristischen Argumentation und beschreibt den logischen Aufbau eines Gutachtens: Eine allgemeine Regel (Obersatz) wird auf einen konkreten Fall (Subsumtion) angewendet, um eine Schlussfolgerung (Ergebnis) zu ziehen. Die vier Schritte müssen logisch miteinander verknüpft werden, um eine vollständige Prüfung zu gewährleisten.

Ein Beispiel:

„Fraglich ist, ob das Fahrrad eine Sache im Sinne des § 90 BGB ist (Obersatz). Eine Sache ist gemäß § 90 BGB ein körperlicher Gegenstand (Definition). Das Fahrrad nimmt Raum ein und ist damit körperlich (Subsumtion). Folglich handelt es sich um eine Sache im Sinne des § 90 BGB (Ergebnis).“

🔵 Merke: Die Struktur eines Gutachtens sorgt für eine klare und nachvollziehbare Argumentation. Wer Obersatz, Definition, Subsumtion und Ergebnis sicher beherrscht, legt den Grundstein für ein überzeugendes juristisches Schreiben.

 

b. Wie baue ich aus den einzelnen Schritten ein Gutachten?

Der Schlüssel zu einem gut strukturierten Gutachten liegt nicht nur in der Anwendung der vier Schritte, sondern auch in ihrer klaren Verknüpfung. Ein Gutachten soll den Leser schrittweise zur richtigen Lösung führen. Jede Prüfung beginnt mit dem Obersatz, der die zu untersuchende Rechtsfrage formuliert. Die darauf folgende Definition legt die abstrakten Voraussetzungen der Norm dar. In der Subsumtion wird geprüft, ob die im Sachverhalt beschriebenen Umstände diese Voraussetzungen erfüllen. Schließlich wird im Ergebnis eine eindeutige Antwort formuliert.

Ein Beispiel: Soll geprüft werden, ob eine gestohlene Jacke eine Sache im Sinne des § 242 StGB ist, könnte das Gutachten wie folgt aufgebaut sein:

“Fraglich ist, ob die Jacke eine Sache im Sinne des § 242 StGB ist (Obersatz). Eine Sache ist nach § 90 BGB ein körperlicher Gegenstand (Definition). Eine Jacke nimmt Raum ein, ist materiell vorhanden und damit körperlich (Subsumtion). Somit handelt es sich um eine Sache im Sinne des § 90 BGB (Ergebnis).”

Neben der bloßen Anwendung der vier Schritte ist es wichtig, den logischen Zusammenhang zwischen den Elementen zu verdeutlichen. Eine häufige Fehlerquelle ist es, Definitionen und Subsumtionen isoliert zu betrachten, anstatt sie sinnvoll zu verbinden. Ein schlechter Stil wäre es, einfach zu schreiben: „Eine Jacke ist ein körperlicher Gegenstand. Eine Sache ist ein körperlicher Gegenstand. Also ist eine Jacke eine Sache.“ Hier fehlt die argumentative Verknüpfung, die eine systematische Prüfung ausmacht.

Darüber hinaus ist es entscheidend, dass ein Gutachten sich stringent am Prüfungsaufbau orientiert. Gerade in komplexeren Fällen reicht es nicht aus, die vier Schritte mechanisch anzuwenden – es müssen auch Mehrstufigkeit, Tatbestandsvoraussetzungen und mögliche Gegenargumente berücksichtigt werden. Je komplexer die Fragestellung, desto wichtiger wird eine detaillierte und saubere Subsumtion.

🔵 Merke: Ein überzeugendes Gutachten besteht nicht nur aus der richtigen Anwendung der vier Schritte, sondern auch aus einer klaren Verknüpfung zwischen ihnen. Wer Obersatz, Definition, Subsumtion und Ergebnis sicher beherrscht und verständlich miteinander verbindet, formuliert juristische Argumentationen präzise, logisch und nachvollziehbar.

c. Wie sollte es nicht sein?

Ein typischer Fehler ist die falsche oder ungenaue Definition eines Tatbestandsmerkmals. Wird beispielsweise die Definition des Begriffs „Sache“ im Sinne des § 90 BGB unvollständig oder zu weit gefasst, führt dies zu einer fehlerhaften Subsumtion. Eine falsche Definition kann dazu führen, dass der Sachverhalt unzutreffend geprüft wird.

Ein weiteres Problem ist die ungenaue oder fehlerhafte Subsumtion. Wenn die Anwendung des Tatbestands auf den konkreten Fall nicht klar und logisch erfolgt, bleibt das Ergebnis nicht nachvollziehbar. Beispielsweise könnte eine fehlerhafte Subsumtion lauten: „Eine Sache ist ein körperlicher Gegenstand. Ein Fahrrad ist ein körperlicher Gegenstand. Also ist ein Fahrrad eine Sache.“ Hier fehlt die argumentative Verbindung, warum das Fahrrad unter die Definition fällt.

Auch logische Widersprüche innerhalb des Gutachtens können den syllogistischen Schluss entkräften. Wird beispielsweise zunächst argumentiert, dass ein bestimmtes Merkmal erfüllt ist, später aber das Gegenteil behauptet, entsteht eine unklare oder widersprüchliche Prüfung.

Schließlich kann auch ein fehlender oder unklar formulierter Obersatz das Gutachten unstrukturiert wirken lassen. Wird die zentrale Rechtsfrage nicht sauber formuliert, fehlt der Prüfung eine klare Richtung, und der Leser kann der Argumentation nur schwer folgen.

🔵 Merke: Ein sauberer syllogistischer Schluss erfordert eine präzise Definition, eine klare Subsumtion und eine stringente Argumentation. Fehlerhafte Definitionen, ungenaue Subsumtionen oder logische Widersprüche führen dazu, dass die Prüfung nicht überzeugend ist und das Ergebnis nicht nachvollziehbar bleibt.

 

d. Darf ich die Reihenfolge der vier Schritte unterbrechen?

Grundsätzlich sollte die Reihenfolge der vier Schritte – Obersatz, Definition, Subsumtion und Ergebnis – konsequent eingehalten werden. Sie dient dazu, eine logische und nachvollziehbare Argumentation aufzubauen. Eine Abweichung von dieser Struktur kann dazu führen, dass die Prüfung unübersichtlich wird und der Leser der Argumentation nicht mehr klar folgen kann.

In bestimmten Ausnahmefällen kann es jedoch sinnvoll sein, die Reihenfolge leicht anzupassen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Definition für sich allein nicht verständlich wäre und eine direkte Verknüpfung mit dem Sachverhalt benötigt. In solchen Fällen kann es helfen, zunächst eine kurze Subsumtion einzufügen, um den Kontext zu verdeutlichen, bevor die Definition ausführlich erläutert wird.

Trotz solcher Ausnahmen sollte die Grundstruktur der vier Schritte nicht grundlos aufgebrochen werden. Wer die Reihenfolge verändert, ohne dass es für das Verständnis der Prüfung notwendig ist, riskiert eine unklare Argumentation. Besonders in Klausuren sollte darauf geachtet werden, dass der Gutachtenstil stringent beibehalten wird, um einen klaren Prüfungsaufbau zu gewährleisten.

T könnte sich wegen eines Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er im Supermarkt des O einen Rasierapparat in seinen Rucksack steckte. (Obersatz)

Dazu müsste er eine fremde, bewegliche Sache weggenommen haben. (Weiterführender Obersatz zur Tatbestandsprüfung)

🔵 Merke: Die vier Schritte des Gutachtenstils sorgen für eine logische Struktur. Eine Unterbrechung der Reihenfolge ist nur in Ausnahmefällen sinnvoll, wenn dies die Verständlichkeit der Prüfung verbessert. In Klausuren sollte die klassische Reihenfolge jedoch konsequent eingehalten werden.

e. Was bringen mir die vier Schritte?

Die vier Schritte des Gutachtenstils – Obersatz, Definition, Subsumtion und Ergebnis – sind mehr als nur eine formale Struktur. Sie helfen dir, juristische Fragestellungen systematisch zu analysieren und rechtlich überzeugend zu argumentieren. Wer diese Methode beherrscht, profitiert in Klausuren, Hausarbeiten und später auch in der Praxis.

Der Obersatz sorgt für Klarheit, indem er die zentrale Rechtsfrage formuliert. So weiß der Leser sofort, welches Problem geprüft wird. Die Definition stellt sicher, dass eine rechtliche Grundlage geschaffen wird, bevor eine Bewertung des Sachverhalts erfolgt. Die Subsumtion ist der Kern der Prüfung: Hier wird der konkrete Fall mit der abstrakten Definition verknüpft, sodass deutlich wird, ob die Voraussetzungen erfüllt sind. Schließlich bringt das Ergebnis eine eindeutige Antwort und fasst die Prüfung kurz und präzise zusammen.

Wer diese Struktur konsequent anwendet, vermeidet unklare Formulierungen, unvollständige Prüfungen und vorschnelle Schlussfolgerungen. Besonders in der Examensvorbereitung sind die vier Schritte unverzichtbar, da sie nicht nur die Qualität der Argumentation verbessern, sondern auch für mehr Sicherheit im Schreiben sorgen.

🔵 Merke: Die vier Schritte des Gutachtenstils sind nicht nur eine Technik, sondern ein Werkzeug, das deine juristische Argumentation präziser und strukturierter macht. Wer sie konsequent anwendet, schreibt verständlicher, logischer und rechtlich fundierter.

3. Der Obersatz

Der Obersatz ist der erste Schritt eines jeden Gutachtens. Er stellt die zentrale Rechtsfrage auf und gibt dem Leser eine klare Orientierung für die weitere Prüfung. Ein gut formulierter Obersatz legt fest, welche Norm oder welches Tatbestandsmerkmal untersucht wird und bildet die Grundlage für eine nachvollziehbare Argumentation.

a. Welche Arten von Obersätzen gibt es?

Ein Obersatz kann sich entweder auf die gesamte Norm oder auf ein einzelnes Tatbestandsmerkmal beziehen.

1. Der Norm-Obersatz:

Hier wird geprüft, ob ein bestimmter Sachverhalt unter eine Norm fällt. Beispiel:„Fraglich ist, ob T sich wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat, indem er die Luft aus den Fahrradreifen abgelassen hat.“

2. Der Tatbestandsmerkmal-Obersatz:

Dieser fragt gezielt, ob ein bestimmtes Merkmal einer Norm erfüllt ist. Beispiel:„Das Fahrrad müsste eine Sache sein.“

Wenn mehrere Tatbestandsmerkmale geprüft werden müssen, können auch mehrere Obersätze erforderlich sein, um die Prüfung klar zu strukturieren.


b. Welche Informationen gehören in den Obersatz?

Ein guter Obersatz bezieht sich direkt auf den Sachverhalt und benennt klar das zu prüfende Problem. Manchmal reicht es, die handelnde Person zu nennen, in anderen Fällen muss bereits das Tatbestandsmerkmal, die Norm oder ein rechtliches Problem in den Obersatz aufgenommen werden.

Fehlende oder ungenaue Obersätze führen oft dazu, dass eine Prüfung unsystematisch oder unverständlich wird. Ein Beispiel für einen schwachen Obersatz wäre:

„Der Antrag ist begründet, wenn die Norm erfüllt ist.“

Besser wäre:

„Der Antrag der Landesregierung ist begründet, wenn der Grundrechtskatalog des Art. 56 Abs. 1 BLVÄ bindend oder materiell verfassungswidrig ist.“

🔵 Merke: Ein guter Obersatz bezieht sich klar auf den Sachverhalt und macht deutlich, worauf die Prüfung hinausläuft. Eine präzise Formulierung hilft, die Argumentation von Anfang an nachvollziehbar und logisch zu gestalten.

c. Wie kann ich den Obersatz formulieren?

Sowohl Möglichkeitswörter als auch der Konjunktiv II können für die Formulierung eines Obersatzes genutzt werden. Beide drücken eine gewisse Ungewissheit aus und eröffnen damit eine offene juristische Prüfung. Allerdings sollten sie nicht gleichzeitig verwendet werden, da dies zu einer unnötigen Dopplung führt.

Ein falscher Obersatz wäre:

„Fraglich ist, ob A möglicherweise einen Anspruch gegen B haben könnte.“

Hier wurde sowohl das Möglichkeitswort „möglicherweise“ als auch der Konjunktiv II „könnte“ genutzt. Dies ist überflüssig, da beide Wörter bereits auf eine Unsicherheit hinweisen. Stattdessen sollte eine der beiden Varianten gewählt werden:

    • Mit Möglichkeitswort: „Fraglich ist, ob A möglicherweise einen Anspruch gegen B hat.“
    • Mit Konjunktiv II: „A könnte einen Anspruch gegen B haben.“

🔵 Merke: Entweder Möglichkeitswort oder Konjunktiv II – nicht beides gleichzeitig. Eine klare und präzise Formulierung verbessert die Verständlichkeit und Struktur deines Gutachtens.

 

d. Formulierungsvorschläge

Im Gutachtenstil spielen Obersätze eine zentrale Rolle, da sie maßgeblich den Verlauf einer Klausur bestimmen. Ein gut formulierter Obersatz sorgt für eine klare und strukturierte Prüfung, indem er stets von der Rechtsfolge ausgeht und anschließend den Tatbestand wiedergibt. In diesem Sinne stellt der Obersatz eine Hypothese auf, die als Aussagesatz formuliert ist, und definiert die Voraussetzungen, unter denen diese Hypothese zutrifft.

Die Bedeutung des Obersatzes liegt darin, dass er eine präzise und systematische Herangehensweise an die Falllösung ermöglicht. Durch ihn wird der Prüfungsaufbau logisch vorgegeben, wodurch sich der Bearbeiter schrittweise in den Fall hinein vertieft und problematische Fragen identifizieren kann. In der Praxis folgt auf jeden Obersatz entweder ein Verweis auf eine andere Norm oder ein Rechtsbegriff, der zunächst ausgelegt werden muss. Anschließend erfolgt die Definition, darauf die Subsumtion und schließlich das Ergebnis.

Ein falsch formulierter Obersatz führt hingegen dazu, dass der Korrektor anmerkt, die Arbeit solle „näher am Gesetz“ erfolgen oder dass der „Gutachtenstil“ nicht ausreichend beachtet wurde. Solche Hinweise helfen allerdings nur wenig, wenn Studierende das Schema aus Obersatz, Definition und Subsumtion zwar formal anwenden, aber nicht verstehen, warum ihr Obersatz fehlerhaft war. Daher ist es entscheidend, sich mit den verschiedenen Arten von Obersätzen und ihren korrekten Formulierungen auseinanderzusetzen.

 

aa. Der Obersatz im Konjunktiv

In zivilrechtlichen Klausuren wird häufig eine Satzkonstruktion im Konjunktiv verwendet. Der Vorteil dieser Form liegt darin, dass sie eine umfassende Prüfung mit vielen Tatbestandsmerkmalen strukturiert darstellt. Insbesondere bei umfangreichen Prüfungsabschnitten, wie am Anfang einer Anspruchsprüfung, bietet sich dieser Obersatz an.

Eine typische Formulierung eines Konjunktivobersatzes lautet: „A könnte … [Rechtsfolge]. Dies ist der Fall, wenn … [Tatbestand].“

Ein Beispiel verdeutlicht diese Konstruktion: „A könnte gegen B einen Anspruch gemäß § 433 Abs. 2 BGB auf Kaufpreiszahlung haben. Dies ist der Fall, wenn beide einen Kaufvertrag geschlossen haben und der Anspruch nicht wieder erloschen ist und keine Einreden bestehen.“

Dieser Satzaufbau eignet sich besonders als klassischer Einstieg in eine Klausur, die Ansprüche prüft. Die Konstruktion stellt sicher, dass alle relevanten Fragen – wer, will was, von wem, woraus? – bereits im ersten Satz erfasst werden, ohne den Obersatz mit Bedingungen zu überladen. Die konkreten Voraussetzungen für das Bestehen eines Anspruchs werden erst im nachfolgenden Satz genannt, wodurch eine klare Trennung zwischen Rechtsfolge und Tatbestand erfolgt.

Auch bei der Prüfung von Erlöschensgründen, wie etwa der Anfechtung, ist ein Konjunktivobersatz sinnvoll. Da die Anfechtung aus mehreren zu prüfenden Tatbestandsmerkmalen besteht, ist es ratsam, die Rechtsfolge und den Tatbestand in zwei getrennten Sätzen darzustellen. Dies führt zu einer klaren und übersichtlichen Argumentation.

Der Konjunktivobersatz ist daher besonders geeignet für den Einstieg in eine Zivilrechtsklausur, eine Strafrechtsklausur, die Prüfung von Einwendungen und Einreden sowie für umfangreiche Prüfungen mit mehreren Tatbestandsmerkmalen.

 

bb. Häufige Fehler bei Konjunktivobersätzen

Ein verbreiteter Fehler bei der Formulierung von Konjunktivobersätzen ist die gleichzeitige Verwendung von „könnte“ und „wenn“ in demselben Satz. Ein falscher Obersatz könnte lauten: „A könnte gegen B einen Anspruch gemäß § 433 Abs. 2 BGB auf Kaufpreiszahlung haben, wenn beide einen Kaufvertrag geschlossen haben und der Anspruch nicht wieder erloschen ist und keine Einreden bestehen.“

Das Problem hierbei ist, dass die Formulierung nicht die Frage beantwortet, ob A tatsächlich einen Anspruch hat, sondern lediglich eine Möglichkeit aufzeigt. Dadurch wird die Prüfung verwässert. Die korrekte Formulierung muss daher lauten: „A könnte einen Anspruch haben … Dies ist der Fall, wenn …“

Durch diese Struktur wird die Rechtsfolge zunächst in den Raum gestellt und anschließend durch die Tatbestandsvoraussetzungen überprüft.

Ein weiterer Fehler zeigt sich häufig bei der Anfechtung. Statt „A könnte den Vertrag angefochten haben“ zu schreiben, muss der Bearbeiter von der Rechtsfolge ausgehend argumentieren. Die Anfechtung führt zur Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts, weshalb der Obersatz nicht auf die Anfechtung selbst, sondern auf das Erlöschen des Anspruchs oder eine rechtshemmende Einwendung abzielen muss.

Eine richtige Formulierung wäre daher: „Es könnte sein, dass der Anspruch gemäß § 142 Abs. 1 BGB erloschen ist. Dies ist der Fall, wenn ein Anfechtungsgrund und eine Anfechtungserklärung innerhalb der Anfechtungsfrist gegeben sind.“

 

cc. Beispiele für spezifische Prüfungsobjekte

Besonders häufig treten falsche Formulierungen auch bei der Aufrechnung oder beim Rücktritt auf. Unzulässige Formulierungen wie „A könnte aufgerechnet haben“ oder „A könnte zurückgetreten sein“ sind problematisch, weil sie nicht von der Rechtsfolge ausgehen. Die Aufrechnung und der Rücktritt führen jeweils zum Erlöschen eines Anspruchs, weshalb der Obersatz auch dies widerspiegeln muss.

Ein korrekter Obersatz zur Aufrechnung könnte lauten: „Der Anspruch des B könnte durch Aufrechnung des A gemäß § 389 BGB erloschen sein.“

Beim Rücktritt gibt es zwei denkbare Szenarien. Wenn es um einen Anspruch auf Rückgewähr geht, ist die richtige Formulierung: „A könnte gegen B einen Anspruch gemäß § 346 Abs. 1 BGB auf Rückgewähr des Kfz haben. Dies ist der Fall, wenn sich eine Vertragspartei vertraglich den Rücktritt vorbehalten hat oder ihr ein gesetzliches Rücktrittsrecht zusteht und der Rücktritt erklärt wurde (§ 349 BGB).“

Handelt es sich hingegen um die Möglichkeit, dass ein Vertrag durch Rücktritt erlischt, kann man ausnahmsweise ohne direkte Rechtsnorm formulieren: „Es könnte sein, dass der Anspruch durch einen Rücktritt des A erloschen ist.“


dd. Der Obersatz im Strafrecht

Auch im Strafrecht ist es üblich, mit einem Konjunktivobersatz zu arbeiten. Ein korrekter Obersatz sollte dabei stets die Tatbestandshandlung benennen.

Ein Beispiel für einen strafrechtlichen Konjunktivobersatz lautet: „T könnte sich gemäß § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er O seinen Schraubenzieher entwendete.“

Diese Form der Formulierung stellt sicher, dass zunächst der Täter und der Straftatbestand genannt werden und anschließend die konkrete Tat geschildert wird.


ee. Obersätze mit „wenn“

Neben den Konjunktivobersätzen gibt es auch die Möglichkeit, Obersätze mit „wenn“ zu formulieren. Diese orientieren sich am Aufbau der geprüften Rechtsnorm und nutzen die in vielen Gesetzen formulierte Wenn-dann-Struktur.

Ein solcher Obersatz könnte lauten: „[Rechtsfolge] ist gegeben, wenn … [Tatbestand].“

Diese Konstruktion ist insbesondere im öffentlichen Recht von Bedeutung. Beispielsweise bei einer Klausur zur Einschränkung von Abgeordnetenrechten könnte der Obersatz folgendermaßen lauten: „Der Antrag ist begründet, wenn A in ihren Rechten verletzt ist. Die Abgeordnete A ist in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG verletzt, wenn sie eine verfassungsrechtliche Position hat, die ihr das Recht im Plenum zu reden gibt (I.), sie durch den Entzug der Redemöglichkeit in ihren verfassungsmäßigen Abgeordnetenrechten beeinträchtigt wurde (II.) und diese Beeinträchtigung verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden kann (III.).“

Diese Struktur eignet sich besonders gut, um den Prüfungsaufbau klar darzustellen, kann jedoch bei umfangreichen Konstruktionen etwas langatmig wirken.


Merke:

Ein präziser Obersatz ist essenziell für eine strukturierte und überzeugende Klausur. Während Konjunktivobersätze insbesondere bei Anspruchsprüfungen und umfangreichen Prüfungsabschnitten vorteilhaft sind, ermöglichen „wenn“-Obersätze eine enge Anlehnung an die gesetzliche Wenn-dann-Struktur. Unabhängig von der gewählten Form ist es entscheidend, die Rechtsfolge stets an den Anfang des Obersatzes zu stellen und den Tatbestand in einem zweiten Schritt zu erläutern. Fehlerhafte Formulierungen, die diesen Grundsatz missachten, können dazu führen, dass die gesamte Klausur an Struktur verliert und vom Korrektor abgewertet wird.

4. Die Definition

Die Definition ist der zentrale Maßstab, um einen Sachverhalt juristisch zu bewerten. Sie bildet die Grundlage für die Anwendung des Gesetzes und ermöglicht es, einen abstrakten Tatbestand auf einen konkreten Fall anzuwenden. Ohne eine saubere Definition bleibt die juristische Prüfung unsystematisch und ungenau.

a. Warum definiere ich?

Eine Definition stellt sicher, dass ein Gutachten nicht auf bloßen Annahmen oder einem subjektiven „Gefühl“ basiert, sondern auf einer klaren, objektiven Methode. Sie schafft eine einheitliche Basis, auf der ein Sachverhalt geprüft werden kann. Dabei muss die Definition abstrakt bleiben – der konkrete Sachverhalt wird erst in der Subsumtion behandelt.

🔵 Merke: Definition = Sachverhalt → Die Definition ist der Maßstab, an dem ein Sachverhalt gemessen wird.

 

b. Was definiere ich?

Im Gesetz gibt es viele Begriffe, die nicht selbsterklärend sind. Diese müssen durch Definitionen konkretisiert werden, um sie auf den Sachverhalt anwenden zu können. Die Art der Definition hängt dabei von der Fragestellung ab. Wird eine gesamte Norm geprüft, kann die Definition mehrere Tatbestandsmerkmale umfassen. Wird nur ein einzelnes Merkmal analysiert, bezieht sich die Definition ausschließlich darauf.

Die Wahl der Definition hängt also vom Obersatz ab. Wenn der Obersatz nach einem Tatbestandsmerkmal fragt, muss die Definition dieses Merkmal erklären. Fragt der Obersatz dagegen nach einer gesamten Norm, kann die Definition mehrere Tatbestandsmerkmale enthalten.

🔵 Beispiel für einen Tatbestandsmerkmal-Obersatz:

    • Eine Sache ist gemäß § 90 BGB ein körperlicher Gegenstand.

🔵 Beispiel für eine Definition dazu:

    • Ein körperlicher Gegenstand ist ein Objekt, das eine räumliche Ausdehnung besitzt und unabhängig von Personen existieren kann.

Definitionen können aus verschiedenen Quellen stammen. Einerseits gibt es gesetzliche Definitionen, die direkt in den Normen enthalten sind, andererseits werden viele Definitionen durch Rechtsprechung und Literatur geprägt. In einigen Fällen müssen Jurist:innen sogar eigene Definitionen entwickeln, wenn es keine allgemein anerkannte gibt.

Gesetzliche Definitionen sollten unverändert übernommen werden, da sie vom Gesetzgeber explizit festgelegt wurden. Ein Beispiel hierfür ist die Definition des Sachenbegriffs in § 90 BGB:

🔵 Gesetzliche Definition:

    • „Sachen im Sinne des Gesetzes sind nur körperliche Gegenstände.“

Rechtsprechung und Literatur entwickeln Definitionen weiter, insbesondere wenn Gesetze vage formuliert sind oder verschiedene Auslegungen möglich sind. In diesen Fällen werden Definitionen durch Urteile oder wissenschaftliche Kommentare präzisiert.

Sind weder gesetzliche noch gefestigte Definitionen vorhanden, müssen Jurist:innen selbst eine Definition formulieren. Dabei ist es wichtig, sich an der Systematik des Rechts zu orientieren und präzise Begriffe zu wählen.

 

c. Wo findet man Definitionen?

Definitionen sind in Lehrbüchern, Kommentaren, Urteilen und Skripten zu finden. Lehrbücher und Kommentare sind besonders wertvoll, da sie eine wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema bieten. Skripte und Zusammenfassungen können zwar hilfreich sein, um einen Überblick zu gewinnen, sind aber keine wissenschaftlich anerkannten Quellen. In Hausarbeiten sollten sie daher nicht zitiert werden.

🔵 Merke: Skripte dürfen in einer Hausarbeit nicht als Quelle verwendet werden.

 

d. Welche Definition wähle ich?

Häufig existieren verschiedene Definitionen für dasselbe Tatbestandsmerkmal. Während der inhaltliche Kern identisch bleibt, können sich Definitionen in ihrer sprachlichen Komplexität unterscheiden. Für Klausuren sollte die einfachere und klarere Definition gewählt werden, da diese sich leichter subsumieren lässt und die Argumentation verständlicher macht.

🔵 Beispiel für eine komplizierte Definition: Eine Gesundheitsschädigung ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands, unabhängig von der Art der Ursache.

🔵 Bessere, einfachere Definition: Eine Gesundheitsschädigung liegt vor, wenn ein krankhafter Zustand hervorgerufen oder gesteigert wird.

In Hausarbeiten kann es sinnvoll sein, unterschiedliche Definitionen zu vergleichen und zu begründen, warum eine bestimmte Variante gewählt wurde.

 

e. Kann ich mehrere Definitionen hintereinander schreiben?

Wenn ein Sachverhalt es erfordert, können mehrere Definitionen hintereinander verwendet werden. Dies ist der Fall, wenn für die Prüfung zusätzliche Informationen notwendig sind, die nicht in der ersten Definition enthalten waren. Entscheidend ist jedoch, dass zwischen den Definitionen nicht einfach eine Aufzählung erfolgt, sondern dass die einzelnen Elemente klar voneinander abgegrenzt und logisch miteinander verknüpft werden.

🔵 Merke: Vermische nicht die Prüfung verschiedener Tatbestandsmerkmale!

 

f. Sollten Alternativen genannt werden, die im Fall keine Rolle spielen?

Manche Definitionen enthalten mehrere alternative Prüfungskriterien, die durch „oder“ verbunden sind. Das bedeutet, dass nur eine der Voraussetzungen erfüllt sein muss. Erst in der Subsumtion wird entschieden, welche Variante für den konkreten Fall relevant ist.

🔵 Beispiel für eine Definition mit „oder“: Eine Gesundheitsschädigung ist das Hervorrufen oder Steigern eines krankhaften Zustands.

In diesem Fall reicht es aus, wenn eine der beiden Bedingungen erfüllt ist. Enthält eine Definition jedoch eine „und“-Verknüpfung, müssen alle Merkmale vorliegen.

🔵 Beispiel für eine Definition mit „und“: Eine Klage hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

Hier müssen beide Voraussetzungen erfüllt sein.

 

g. Wie ausführlich muss eine Definition sein?

Eine Definition sollte nur so umfangreich sein, wie es für die Falllösung notwendig ist. Überflüssige Details oder ausufernde Erklärungen führen dazu, dass der Leser den Fokus verliert. Eine Definition muss alle wichtigen Merkmale enthalten, aber nicht unnötig kompliziert sein.

🔵 Beispiel für eine zu lange Definition: „Die äußere Kundgabe einer Meinung ist durch Art. 5 GG geschützt. Dies umfasst die positive und negative Meinungsfreiheit. Die positive Meinungsfreiheit schützt die Möglichkeit zur Äußerung und Verbreitung eigener Werturteile …“

🔵 Bessere Formulierung: „Die Meinungsfreiheit schützt die äußere Kundgabe von Werturteilen.“

 

h. Soll ich eine Definition mehrmals schreiben?

Wenn ein Tatbestandsmerkmal im Gutachten mehrmals geprüft wird, muss die Definition nicht immer wiederholt werden. Ein einmaliger Verweis auf die bereits erklärte Definition ist ausreichend.

 

i. Ist der Unterschied zwischen Obersatz und Definition immer klar?

Manchmal ist die Abgrenzung zwischen Obersatz und Definition nicht eindeutig, insbesondere wenn sich der Obersatz bereits auf inhaltliche Sachverhalte bezieht. Eine klare Trennung sorgt für eine präzisere Argumentation.

🔵 Beispiel für eine Definition: „Heimtückisch handelt, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt.“

🔵 Beispiel für einen Obersatz: „T hat heimtückisch gehandelt, wenn er die Arg- und Wehrlosigkeit des O ausgenutzt hat.“

🔵 Merke: Eine Definition ist abstrakt, ein Obersatz stellt die konkrete Frage für den Fall.

5. Die Subsumtion

Die Subsumtion ist der entscheidende Schritt im Gutachtenstil. Sie verbindet den abstrakten Maßstab der Definition mit dem konkreten Sachverhalt. Ohne eine saubere Subsumtion bleibt das Gutachten unvollständig, da es nicht ausreicht, lediglich die Definition zu nennen und anschließend ein Ergebnis zu präsentieren. Vielmehr muss Schritt für Schritt geprüft werden, ob die Merkmale der Definition im konkreten Fall erfüllt sind. Die Subsumtion kann mit einem Puzzle verglichen werden: Die abstrakten Begriffe aus der Definition müssen an der richtigen Stelle mit den Gegebenheiten des Sachverhalts zusammengefügt werden. Dadurch wird nachvollziehbar gemacht, warum ein bestimmtes Merkmal erfüllt oder nicht erfüllt ist.

 

a. Was ist Subsumieren?

Subsumieren bedeutet, das Wissen aus der Definition auf den Fall anzuwenden. Dabei müssen die einzelnen Begriffe der Definition inhaltlich mit den Elementen des Sachverhalts verglichen werden. Es geht darum, eine logische Brücke zwischen Theorie und Praxis zu schlagen.

Ein Beispiel verdeutlicht dies:

T schlägt O ins Gesicht, was zu einer blutenden Wunde führt. Ist das eine körperliche Misshandlung?

Analyse anhand eines Puzzles:

Sachverhalts-Puzzleteil: Schlag ins Gesicht

Abstraktes Puzzleteil: Üble, unangemessene Behandlung

Sachverhalts-Puzzleteil: Blutende Wunde

Abstraktes Puzzleteil: Nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens

➡️ Die Begriffe aus der Definition wurden also direkt mit dem Sachverhalt verbunden. So ergibt sich eine nachvollziehbare Prüfung.

🔵 Merke: Die Subsumtion muss Schritt für Schritt zeigen, dass die abstrakten Definitionselemente im konkreten Fall erfüllt sind.

 

b. Wie subsumiere ich „sauber“?

Eine saubere Subsumtion bedeutet, dass die Begriffe aus der Definition exakt verwendet werden, ohne sie abzuwandeln oder durch andere Begriffe zu ersetzen. Die Definition ist der Maßstab der Prüfung und darf daher nicht eigenmächtig verändert oder umformuliert werden.

Ein häufiger Fehler ist es, in der Subsumtion neue abstrakte Begriffe einzuführen, die in der Definition nicht enthalten waren. Dies führt zu einer fehlerhaften Prüfung, da dann nicht mehr eindeutig nachgewiesen werden kann, ob der Sachverhalt die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt.

Daher ist es wichtig, die Informationen aus dem Sachverhalt so zu sortieren, dass sie exakt zu den abstrakten Begriffen der Definition passen. Manchmal können die Formulierungen aus dem Sachverhalt sogar wortwörtlich übernommen werden, um eine möglichst präzise Subsumtion zu gewährleisten.


🔵 Beispiel für eine saubere Subsumtion:

Definition: Eine Gesundheitsschädigung ist jede nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens.

Subsumtion: Durch den Schlag ins Gesicht erlitt O eine blutende Wunde, die eine nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung seines körperlichen Wohlbefindens darstellt.


🔵 Fehlende saubere Subsumtion (falsch):

❌ Veränderung der Definition: „Durch den Schlag erlitt O eine Beeinträchtigung seines physischen Wohlergehens.“

➡️ Problem: Der Begriff „physisches Wohlergehen“ stammt nicht aus der Definition und darf daher nicht verwendet werden.

❌ Einführen neuer Maßstäbe: „T schlug O ins Gesicht. Dies könnte eine Gesundheitsgefährdung sein.“

➡️ Problem: Die Definition fordert eine Gesundheitsschädigung, nicht eine „Gesundheitsgefährdung“. Der Begriff wurde eigenmächtig ersetzt.


🔵 Merke: Verwende in der Subsumtion ausschließlich die Begriffe aus der Definition und keine neuen abstrakten Begriffe. Eine „saubere“ Subsumtion hält sich exakt an den Wortlaut der Definition.

 

c. Wie lang ist eine Subsumtion?

Die Länge einer Subsumtion richtet sich nach dem Verhältnis zwischen Definition und Sachverhalt. In der Subsumtion wird die Definition auf den Fall angewendet, sodass die Prüfung nicht einfach nur aus einer Behauptung bestehen darf. Eine zu kurze Subsumtion kann dazu führen, dass die Argumentation nicht ausreichend belegt wird, während eine zu lange Subsumtion zu unnötigen Wiederholungen oder umständlichen Formulierungen führt.

🔵 Merke: Eine Subsumtion sollte so ausführlich sein, dass der Leser nachvollziehen kann, warum die Definition auf den Sachverhalt zutrifft. Es gibt keine feste Regel, ob die Subsumtion länger oder kürzer als die Definition sein muss – entscheidend ist die logische Nachvollziehbarkeit der Prüfung.

 

d. Wie subsumiere ich eine Definition, die Alternativen enthält?

Manche Definitionen enthalten Alternativen, die mit „oder“ verknüpft sind. In solchen Fällen muss entschieden werden, welche Alternative für den Fall relevant ist.

Beispiel:

Sachverhalt: T schlägt O ins Gesicht, was zu einer blutenden Wunde führt. Hat T die Gesundheit des O geschädigt?

Definition: Eine Gesundheitsschädigung ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines krankhaften Zustands.

➡️ Subsumtion: Durch den Schlag hat T eine blutende Wunde verursacht, also einen krankhaften Zustand hervorgerufen.

🔵 Merke: Enthält eine Definition Alternativen, muss in der Subsumtion entschieden werden, welche davon auf den Fall zutrifft.

 

e. Welche Definition subsumiere ich zuerst?

Wenn eine Prüfung mehrere Definitionen erfordert, ist es sinnvoll, die logisch spätere Definition zuletzt zu subsumieren. Meistens wird also erst die zweite Definition subsumiert.

Beispiel:

1. Definition 1: Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams.

2. Definition 2: Gewahrsam ist die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene Sachherrschaft über eine Sache.


➡️ Subsumtion:

Der Eigentümer des Elektroladens hatte Sachherrschaft über den Rasierer.

T nahm den Rasierer in die Tasche, wodurch er neuen Gewahrsam begründete.

Somit lag eine Wegnahme vor.


🔵 Merke: Wenn mehrere Definitionen geprüft werden müssen, wird oft zuerst die zweite subsumiert, da diese die Grundlage für die erste bildet.

 

f. Wie argumentiere ich in der Subsumtion?

Manchmal passen die Begriffe aus der Definition nicht exakt auf den Sachverhalt. In solchen Fällen reicht es nicht aus, den abstrakten Maßstab einfach nur zu wiederholen und mechanisch auf den Fall anzuwenden. Stattdessen muss argumentiert werden, warum die Voraussetzungen der Definition im konkreten Fall erfüllt oder nicht erfüllt sind.

Das Argumentieren in der Subsumtion ist anspruchsvoll, wird aber in Prüfungen honoriert. Es zeigt, dass die juristische Prüfung nicht nur eine starre Anwendung von Definitionen ist, sondern dass die Abgrenzung in Grenzfällen nachvollziehbar begründet werden muss. Dabei geht es darum, das abstrakte Puzzleteil (die Definition) so genau zu analysieren, dass es sich entweder mit dem Sachverhalt verbinden lässt oder eben nicht.


Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte Trierer Weinversteigerung:

A nimmt an einer Auktion teil. Während der Versteigerung winkt er seinem Freund B zu. Der Auktionator wertet dieses Winken als Gebot und erteilt A den Zuschlag für eine Flasche Wein im Wert von 2000 €. Fraglich ist, ob das Winken tatsächlich ein rechtsverbindliches Angebot im Sinne des § 145 BGB darstellt.

Nach der objektiven Erklärungstheorie kommt es darauf an, wie das Verhalten des Erklärenden aus Sicht eines objektiven Empfängers zu verstehen ist. Betrachtet man die Situation rein äußerlich, könnte das Winken als Gebot gewertet werden, da bei Auktionen häufig durch Handzeichen Gebote abgegeben werden.

Allerdings gibt es auch Argumente dagegen. So könnte man einwenden, dass A keine Karte hochgehalten hat, wie es in der konkreten Auktion üblich gewesen wäre. Zudem hat er nur beiläufig in die Richtung seines Freundes gewunken und nicht gezielt zum Auktionator. Da die Auktion zudem nur von 35 Personen besucht wurde, könnte man bezweifeln, dass der Auktionator tatsächlich jedes einzelne Handzeichen als verbindliches Gebot interpretieren musste.

Letztlich gibt es Argumente für beide Seiten. Die Entscheidung darüber, ob das Winken als Angebot zu werten ist, hängt davon ab, welche Sichtweise überzeugender begründet wird.

➡️ Ist das Winken ein Angebot?

Nach außen hin wirkt es wie ein Angebot, weil ein Gebot per Auktion abgegeben wurde.

Andererseits könnte A auch einfach nur gewunken haben, ohne ein Gebot abzugeben.

➡️ Ergebnis: Es gibt Argumente für beide Seiten. Die Entscheidung hängt davon ab, welche Sichtweise überzeugender begründet wird.

🔵 Merke: Wenn Begriffe aus der Definition nicht exakt auf den Sachverhalt passen, muss durch Argumentation nachgewiesen werden, warum die Voraussetzungen dennoch erfüllt oder nicht erfüllt sind. Eine überzeugende Subsumtion erfordert daher nicht nur die Anwendung der Definition, sondern auch eine kritische Auseinandersetzung mit möglichen Gegenargumenten.

 

6. Das Ergebnis

Das Ergebnis bildet den letzten Schritt im Gutachtenstil und beantwortet die im Obersatz aufgeworfene Rechtsfrage. Während der Obersatz das Problem einleitet, die Definition den Maßstab festlegt und die Subsumtion die Verbindung zwischen Norm und Sachverhalt herstellt, fasst das Ergebnis das Prüfungsergebnis knapp und präzise zusammen.

Ein gut formulierter Ergebnissatz sorgt für Klarheit und Verbindlichkeit. Er gibt dem Leser eine eindeutige Antwort darauf, ob eine bestimmte Norm erfüllt ist oder nicht. Dabei muss das Ergebnis sprachlich klar formuliert und logisch nachvollziehbar sein, da es den Prüfungsabschnitt abschließt und zur nächsten Prüfungseinheit überleitet.

In diesem Kapitel wird erläutert, welche Funktion das Ergebnis im Gutachten erfüllt, wie es korrekt formuliert wird und worauf beim letzten Ergebnissatz besonders zu achten ist.

 

a. Was ist die Funktion des Ergebnisses im Gutachten?

Das Ergebnis hat im Gutachten eine klare Funktion: Es beantwortet die im Obersatz aufgeworfene Rechtsfrage mit einer eindeutigen Ja- oder Nein-Antwort. Während die Subsumtion den Gedankengang detailliert darlegt, ist das Ergebnis kurz und prägnant. Es fasst zusammen, ob das geprüfte Tatbestandsmerkmal oder die gesamte Norm erfüllt ist.

Im Gutachten gibt es kein „Vielleicht“ oder „unter Umständen“. Eine unklare oder ausweichende Formulierung im Ergebnis würde die rechtliche Bewertung verwässern. Ziel ist es, eine rechtssichere und eindeutige Schlussfolgerung zu ziehen.

Ein Beispiel für ein Ergebnis auf Normebene ist:

➡️ T hat sich wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, indem er die Luft aus den Fahrradreifen des O abgelassen hat.

Ein einfaches Beispiel für ein Ergebnis auf Tatbestandsmerkmal-Ebene ist:

➡️ Das Fahrrad ist eine Sache.

🔵 Merke: Im Ergebnis gibt es nur Ja- oder Nein-Antworten – keine Unsicherheiten oder Eventualitäten.

 

b. Wie formuliere ich das Ergebnis?

Das Ergebnis zieht eine klare Schlussfolgerung aus der vorhergehenden Prüfung. Es darf nicht nur eine abstrakte Aussage enthalten, sondern muss immer einen Bezug zum konkreten Sachverhalt haben. Das bedeutet, dass die Antwort auf die Frage aus dem Obersatz in einem vollständigen Satz formuliert werden muss.

Um eine logische Verbindung zur vorhergehenden Subsumtion herzustellen, eignen sich schlussfolgernde Wörter, wie somit, damit, mithin. Diese zeigen an, dass aus der Prüfung ein Ergebnis abgeleitet wird.

Ein häufiger Fehler ist es, das Ergebnis zu abstrakt zu formulieren, sodass unklar bleibt, in welchem konkreten Fall die Prüfung vorgenommen wurde.

Falsches Beispiel: Die Handlung ist kausal für den Erfolg.

➡️ Problem: Der Satz bleibt unbestimmt und könnte sich auf jeden beliebigen Fall beziehen.

Richtiges Beispiel: Der Schuss des T ist kausal für den Tod des O.

➡️ Warum richtig? Der Satz benennt den Sachverhalt konkret und beantwortet die Frage direkt.

🔵 Merke: Das Ergebnis muss eine präzise, sachverhaltsbezogene Schlussfolgerung enthalten – keine abstrakten Formulierungen ohne Bezug zum Fall.

 

c. Wie formuliere ich den letzten Ergebnissatz?

Der letzte Ergebnissatz fasst das gesamte Prüfungsergebnis noch einmal zusammen und beantwortet die im ersten Obersatz aufgeworfene Rechtsfrage abschließend. Er dient dazu, die Fallfrage vollständig zu beantworten und muss daher alle wesentlichen Informationen aus der Prüfung enthalten.

Die einfachste Methode, den letzten Ergebnissatz korrekt zu formulieren, besteht darin, sich am ersten Obersatz zu orientieren. Das bedeutet, dass die Struktur des Obersatzes beibehalten wird, aber nun mit einer klaren Ja- oder Nein-Antwort abgeschlossen wird.

🔵 Merke: Erster Obersatz = Letzter Ergebnissatz

Das bedeutet nicht, dass der Ergebnissatz einfach wortwörtlich aus dem Obersatz übernommen wird, sondern dass die Antwort auf die dort aufgeworfene Frage nun endgültig formuliert wird.

➡️ Beispiel:

Obersatz: Fraglich ist, ob T sich wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat, indem er die Luft aus den Fahrradreifen des O abgelassen hat.

Letzter Ergebnissatz: T hat sich wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, indem er die Luft aus den Fahrradreifen des O abgelassen hat.

Ein klarer und eindeutiger Ergebnissatz sorgt dafür, dass die Prüfung strukturiert abgeschlossen wird und keine Unklarheiten offenbleiben.

7. Typische Fehler

Ein gut strukturiertes Gutachten ist präzise, klar und nachvollziehbar. Doch viele Studierende machen typische Fehler, die die Verständlichkeit und Stringenz der Argumentation beeinträchtigen. Diese Fehler entstehen oft durch unklare Formulierungen, falsche Wortwahl oder eine zu umgangssprachliche Ausdrucksweise.

Um ein juristisches Gutachten korrekt zu formulieren, muss auf eine exakte Begriffswahl, eine saubere Satzstruktur und eine präzise Argumentation geachtet werden. In diesem Kapitel werden die häufigsten Fehler im Gutachtenstil erläutert und Tipps gegeben, wie sie vermieden werden können.

Hier erfährst du, warum es wichtig ist, Urteil und Gutachten nicht zu verwechseln, warum auf bestimmte Konjunktionen wie „weil“ und „da“ verzichtet werden sollte, warum der Begriff „Sachverhalt“ im Gutachten nicht erforderlich ist, ob Artikel vor Personennamen gesetzt werden und welche Wörter üblicherweise abgekürzt werden.

Ein präzises juristisches Schreiben vermeidet diese Fehler und verbessert die Lesbarkeit und Nachvollziehbarkeit deiner Argumentation erheblich.

 

a. Wie verwechsle ich Urteil und Gutachten nicht?

Ein typischer Fehler im juristischen Schreiben ist die Verwechslung von Gutachtenstil und Urteilsstil. Diese beiden Darstellungsformen unterscheiden sich grundlegend in ihrer Struktur und Reihenfolge der Argumentation.

Im Gutachtenstil wird die Rechtsfrage zunächst aufgeworfen und anschließend Schritt für Schritt beantwortet. Zunächst wird die relevante Norm definiert, dann wird geprüft, ob der Sachverhalt die Merkmale der Norm erfüllt, und erst am Ende folgt das Ergebnis. Diese Methode ermöglicht eine nachvollziehbare und strukturierte Prüfung.

Im Urteilsstil hingegen wird das Ergebnis direkt zu Beginn festgestellt und danach begründet. Diese Darstellungsweise findet sich insbesondere in gerichtlichen Urteilen oder behördlichen Bescheiden.

🔵 Beispiel für den Urteilsstil: T hat eine Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 1 StGB begangen, weil er mit einem Messer ein Loch in den Fahrradreifen des O gestochen hat.

➡️ Problem: Hier wird direkt das Ergebnis vorweggenommen, bevor eine juristische Prüfung stattfindet.

Im Gutachtenstil wäre die Reihenfolge jedoch eine andere: Zunächst wird die Fragestellung formuliert, dann folgt die Definition der relevanten Norm, anschließend wird der Sachverhalt unter die Norm subsumiert, und erst am Ende steht das Ergebnis. Die vollständige Prüfung würde also so aussehen:

🔵 Beispiel für den Gutachtenstil: Fraglich ist, ob T sich wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat. Eine Sachbeschädigung setzt voraus, dass eine fremde Sache beschädigt oder zerstört wird. T hat mit einem Messer ein Loch in den Reifen des O gestochen. Dadurch wurde die Substanz der Sache verletzt, sodass eine Beschädigung vorliegt. Somit hat sich T wegen Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

➡️ Warum richtig? Hier wird die Prüfung schrittweise aufgebaut, bevor das Ergebnis am Ende logisch hergeleitet wird.

Der wesentliche Unterschied liegt also darin, dass im Gutachtenstil die Argumentation schrittweise aufgebaut wird, bevor das Ergebnis formuliert wird, während im Urteilsstil das Ergebnis am Anfang steht und anschließend begründet wird.

🔵 Merke: Im Gutachtenstil steht das Ergebnis am Ende der Prüfung, im Urteilsstil wird es gleich zu Beginn genannt und danach begründet.

 

b. Warum verzichte ich auf „weil“ und „da“?

Im Gutachtenstil wird nicht begründet, sondern geschlussfolgert. Das bedeutet, dass eine logische Ableitung getroffen wird, statt eine kausale Begründung zu liefern. Deshalb sind Konjunktionen wie „weil“ und „da“ im Gutachtenstil unpassend, da sie einen begründenden Charakter haben. Stattdessen werden schlussfolgernde Ausdrücke wie „somit“, „folglich“ oder „mithin“ verwendet, um die Argumentation stringent zu gestalten.

Ein weiteres Problem mit „weil“ und „da“ ist, dass sie häufig in Nebensätzen nach dem Hauptsatz stehen. Der Hauptsatz enthält dabei bereits ein Ergebnis, sodass die Reihenfolge der Gutachtentechnik durcheinandergebracht wird.

🔵 Beispiel für den Urteilsstil (falsch im Gutachtenstil): A hat B körperlich misshandelt, weil er B geschlagen hat.

➡️ Problem: Die Formulierung folgt der Logik des Urteilsstils, in dem das Ergebnis zuerst genannt und anschließend begründet wird.

🔵 Beispiel für den Gutachtenstil (richtig): A hat B geschlagen, somit hat er B körperlich misshandelt.

➡️ Warum richtig? Hier folgt die Argumentation der typischen Reihenfolge eines Gutachtens: Erst wird der Sachverhalt geprüft, dann das Ergebnis daraus abgeleitet.

Allerdings gibt es eine Ausnahme: In der Subsumtion kann „weil“ verwendet werden, wenn es sich ausschließlich auf den Sachverhalt bezieht und nicht auf eine rechtliche Ableitung.

🔵 Beispiel für eine korrekte Verwendung in der Subsumtion: A schlug B, weil dieser mit seinem Partner ein Verhältnis hatte.

➡️ Warum zulässig? Hier wird nur der Sachverhalt beschrieben, ohne eine rechtliche Schlussfolgerung zu ziehen.

🔵 Merke: Im Gutachtenstil wird geschlussfolgert, nicht begründet. Deshalb werden „weil“ und „da“ vermieden und durch somit, folglich, mithin ersetzt. Eine Ausnahme gilt, wenn sich „weil“ ausschließlich auf den Sachverhalt bezieht.

 

c. Schreibe ich Artikel vor die Personen?

Ein häufiger stilistischer Fehler in Gutachten ist die uneinheitliche Verwendung von Artikeln vor Personennamen. Beispielsweise finden sich Formulierungen wie „Fraglich ist, ob der A einen Anspruch gegen B hat“, während in anderen Sätzen der Artikel weggelassen wird („Fraglich ist, ob A einen Anspruch hat“).

Diese Uneinheitlichkeit entsteht oft, weil nicht immer klar ist, ob mit dem Namen eine Person oder eine Berufsbezeichnung gemeint ist. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte daher in Gutachten grundsätzlich auf Artikel vor den Namen von handelnden Personen verzichtet werden.

🔵 Beispiel ohne Artikel (korrekt in Gutachten): Fraglich ist, ob M einen Anspruch hat.

➡️ Warum richtig? Da M als Abkürzung für einen Namen verwendet wird, bleibt die Formulierung klar und eindeutig.

🔵 Beispiel mit Artikel (nur korrekt, wenn es sich um eine Berufsbezeichnung handelt): Fraglich ist, ob der M (nämlich der Maler) einen Anspruch hat.

➡️ Warum richtig? Wenn M für die Berufsbezeichnung Maler steht, ist die Verwendung des Artikels erforderlich, um dies klarzustellen.

In der Regel werden Buchstabenkürzel in Gutachten verwendet, um konkrete Personen zu bezeichnen. Daher ist es sinnvoll, die Artikel wegzulassen, um die Einheitlichkeit der Sprache zu gewährleisten.

 

Ausnahmen

Es gibt jedoch zwei Ausnahmen, in denen aus stilistischen oder grammatikalischen Gründen ein Artikel empfohlen wird:

1️⃣ Genitiv-Konstruktionen: Wird der Name im Genitiv verwendet, ist die Nutzung eines Artikels stilistisch sinnvoll.

🔵 Beispiel: „Bs Anspruch könnte sich aus § 433 Abs. 1 BGB ergeben.“

➡️ Alternative mit Artikel (stilistisch besser): „Ein Anspruch des B könnte sich aus § 433 Abs. 1 BGB ergeben.“


2️⃣ Zwei Personen hintereinander: Wenn zwei Personennamen direkt hintereinander stehen, kann es ohne Artikel unübersichtlich wirken. Daher ist es in diesen Fällen ratsam, den Artikel zu setzen.

🔵 Beispiel ohne Artikel (grammatikalisch korrekt, aber stilistisch unschön) :„Somit hat A B körperlich misshandelt.“

🔵 Beispiel mit Artikel (besser lesbar): „Somit hat A den B körperlich misshandelt.“


🔵 Merke: In Gutachten sollten Artikel vor Namen vermieden werden – mit Ausnahme von Genitiv-Konstruktionen und Fällen, in denen zwei Namen direkt hintereinanderstehen.

 

d. Welche Wörter darf man abkürzen?

Ein gut verständlicher Gutachtenstil zeichnet sich durch klare und vollständige Formulierungen aus. Deshalb sollten juristische Begriffe grundsätzlich nicht abgekürzt werden, es sei denn, sie stammen direkt aus Gesetzestexten. Während Gesetzbücher bestimmte Abkürzungen verwenden dürfen, sollte in eigenen juristischen Texten darauf verzichtet werden, um die Lesbarkeit und Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten.

Abkürzungen können den Text unnötig verkomplizieren, insbesondere wenn sie nicht allgemein bekannt sind oder nur innerhalb eines bestimmten Fachbereichs verwendet werden. Wer zu viele Abkürzungen benutzt, riskiert, dass Leserinnen und Leser ständig überlegen müssen, wofür die Begriffe stehen, was den Lesefluss stört.

Dennoch gibt es einige gängige Abkürzungen, die sich nicht nur in der Rechtswissenschaft, sondern auch im allgemeinen Sprachgebrauch etabliert haben. Diese können verwendet werden, da sie gut verständlich sind und die Lesbarkeit nicht beeinträchtigen. Dazu gehören etwa „d. h.“ für „das heißt“, „z. B.“ für „zum Beispiel“ oder „i. H. v.“ für „in Höhe von“.

Problematisch wird es hingegen, wenn Abkürzungen für juristische Fachbegriffe eingeführt werden, die außerhalb eines kleinen Fachkreises kaum bekannt sind. Beispielsweise sollten Begriffe wie „e. E.“ für „eigene Erwägung“ oder „v. o.“ für „vorsätzlich und ohne rechtfertigenden Grund“ vermieden werden, da sie unnötig verkürzen, was besser ausgeschrieben und verständlich formuliert werden kann.

Deshalb gilt als Faustregel: Juristische Begriffe werden in Gutachten ausgeschrieben, um die Klarheit und Verständlichkeit des Textes zu gewährleisten. Lediglich allgemein gebräuchliche Abkürzungen wie „d. h.“ oder „z. B.“ können verwendet werden.

8. Der Schwerpunkt

Ein juristisches Gutachten sollte nicht nur formal korrekt sein, sondern auch den Schwerpunkt auf die entscheidenden rechtlichen Fragen legen. Dabei geht es darum, unwichtige oder unproblematische Aspekte kurz zu halten und sich auf die wesentlichen Streitpunkte zu konzentrieren.

Das gezielte Setzen von Schwerpunkten ist besonders in Prüfungen und Hausarbeiten entscheidend, da es zeigt, dass die juristische Argumentation präzise geführt wird. Wer jedes Detail ausführlich behandelt, riskiert, sich in Nebensächlichkeiten zu verlieren, während zentrale Probleme nicht ausreichend gewürdigt werden.

In diesem Kapitel wird erklärt, warum es wichtig ist, den Gutachtenstil zu verkürzen, wann und wie sinnvoll gekürzt werden kann und welche Methoden dafür geeignet sind. Zudem wird beleuchtet, warum Überschriften eine wichtige Rolle beim Kürzen spielen und wie man trotz Reduktion eine klare und strukturierte Argumentation beibehält.

 

a. Was ist Schwerpunktsetzen im Gutachten?

Das Setzen von Schwerpunkten ist eine zentrale Fähigkeit beim Verfassen eines juristischen Gutachtens. Es sorgt dafür, dass wesentliche und problematische Aspekte ausführlich behandelt werden, während unproblematische oder bereits geklärte Punkte nur kurz dargestellt oder sogar ausgelassen werden. Ein Gutachten, das bei jedem Prüfungspunkt denselben Umfang an Text enthält, hat keinen erkennbaren Schwerpunkt. Dagegen zeigt ein Gutachten mit unterschiedlich langen Passagen, dass bewusst entschieden wurde, welche Fragen im Fokus stehen.

Ein Schwerpunkt entsteht, wenn einzelne Schritte der Gutachtenstruktur – also Obersatz, Definition, Subsumtion und Ergebnis – an bestimmten Stellen gekürzt oder weggelassen werden. Dies ist insbesondere bei unproblematischen Merkmalen sinnvoll, um die Lesbarkeit und Nachvollziehbarkeit des Gutachtens zu erhöhen.

Häufig wird empfohlen, aus Platz- oder Effizienzgründen den Urteilsstil zu verwenden. Allerdings ist dies problematisch, da der Urteilsstil eine andere Funktion hat und sich in seiner Textstruktur grundlegend vom Gutachtenstil unterscheidet. Die Vermischung beider Stile stellt einen Stilbruch dar und sollte daher vermieden werden.

In manchen Fällen kann es jedoch sinnvoll sein, eine Mischform zu verwenden, indem die Begründung vorgezogen wird, während die Gutachtenstruktur ansonsten erhalten bleibt. Dies kann die Darstellung vereinfachen, birgt jedoch die Gefahr, dass die logische Reihenfolge der Argumentation nicht mehr konsequent beibehalten wird. Insbesondere wenn eine Begründung in der Form eines kausalen Nebensatzes („Da A den B geschlagen hat, hat er B körperlich misshandelt.“) vorangestellt wird, wird nicht mehr schlussgefolgert, sondern begründet. Dadurch entsteht eine inhaltliche Unschärfe, die das Gutachten weniger präzise macht.

Daher ist es wichtig, bewusst Schwerpunkte zu setzen, ohne dabei die methodische Klarheit des Gutachtenstils aufzugeben. Ein gut strukturiertes Gutachten zeichnet sich dadurch aus, dass es ausführlich dort argumentiert, wo es nötig ist, und an anderen Stellen effizient zum Punkt kommt, ohne die rechtliche Stringenz zu verlieren.

 

b. Warum verkürze ich den Gutachtenstil?

Ein vollständiges Gutachten folgt stets dem Viererschritt: Obersatz, Definition, Subsumtion und Ergebnis. Doch nicht jede Prüfung erfordert eine ausführliche Darstellung aller Schritte. Wird jeder Punkt im gleichen Umfang geprüft, entsteht der Eindruck, dass alle Aspekte gleich wichtig sind. Tatsächlich wird jedoch erwartet, dass Schwerpunkte gesetzt werden, indem wichtige Probleme detaillierter behandelt und unproblematische Aspekte kürzer oder gar nicht erörtert werden.

Das Prinzip lässt sich mit einer Waage vergleichen: Damit ein besonders wichtiger Aspekt in der juristischen Prüfung „schwerer wiegen“ kann, muss es an anderer Stelle ein Gegengewicht geben – also eine Verkürzung oder Auslassung weniger relevanter Punkte. So entsteht ein ausgewogenes Gutachten, das sich auf die entscheidenden Rechtsfragen konzentriert.

Allerdings ist das Abkürzen des Gutachtenstils nicht immer unproblematisch. In der Literatur wird zwar empfohlen, für unproblematische Punkte eine kürzere Darstellung zu wählen, doch gibt es in der Praxis oft Unsicherheiten. Gerade in Klausuren wird von Studierenden erwartet, dass sie den Gutachtenstil nicht zu früh verlassen. Viele berichten, dass sie für eine übermäßige Verkürzung Punktabzüge erhalten haben – insbesondere in den ersten Semestern.

Sollte Ihnen das passieren, ist es wichtig, die eigene Vorgehensweise zu hinterfragen: War das Abkürzen an dieser Stelle wirklich sinnvoll? Gerade für Studienanfänger gilt die Regel: „Im Zweifel sollte man sicherheitshalber den Gutachtenstil verwenden.“ Wer sich noch unsicher fühlt, sollte den Viererschritt vollständig durchlaufen, auch wenn dies zu etwas längeren Ausführungen führt.

Mit zunehmender Erfahrung und komplexeren Fällen im Studium wird das Kürzen jedoch zu einer unverzichtbaren Fähigkeit. Statt aus Platzmangel nur die Hälfte eines Falles lösen zu können, ist es für den Prüfungserfolg entscheidend, einen Fall vollständig und dennoch effizient zu bearbeiten. Wer gezielt kürzt, wo es sinnvoll ist, behält nicht nur die Kontrolle über die Länge des Gutachtens, sondern zeigt auch, dass er in der Lage ist, zwischen relevanten und weniger relevanten Punkten zu unterscheiden.

 

c. Wann kürze ich ab?

Die Entscheidung, ob ein Prüfungspunkt im Gutachten abgekürzt werden kann oder nicht, gehört zu den schwierigsten Herausforderungen im juristischen Schreibstil. Es gibt kein festes Schema, nach dem bestimmte Tatbestandsmerkmale immer ausführlich geprüft oder immer verkürzt dargestellt werden. Vielmehr hängt die Entscheidung davon ab, ob das Merkmal im konkreten Fall problematisch ist oder nicht.

Ein Tatbestandsmerkmal, das in einem Gutachten ohne Schwierigkeiten bejaht werden kann, kann kurz dargestellt oder sogar ganz weggelassen werden. In einem anderen Fall kann genau dieses Merkmal jedoch strittig sein und eine ausführliche Prüfung erfordern. Es gibt also keine pauschale Regel, nach der das Gesetz vorgibt, welche Punkte lang oder kurz dargestellt werden müssen – vielmehr entscheidet der konkrete Sachverhalt darüber, wo eine detaillierte Prüfung notwendig ist.

Ein hilfreicher Vergleich ist das Zusammensetzen eines Puzzles: Wenn ein Tatbestandsmerkmal bereits auf den ersten Blick zum Sachverhalt passt, ist der Prüfungsaufwand gering, und eine kurze Darstellung reicht aus. Muss jedoch erst ein gedanklicher Prozess durchlaufen werden, um die Verbindung zwischen Fall und Gesetz herzustellen, sollte dies durch eine ausführlichere Argumentation sichtbar gemacht werden.

Darüber hinaus kann auch das Verhältnis zwischen juristischer Fachsprache und dem Verständnis eines juristischen Laien ein entscheidendes Kriterium für die Länge der Prüfung sein. Ist die Rechtsfrage für Laien sofort verständlich und leicht nachvollziehbar, kann eine Kürzung erfolgen. Gibt es hingegen einen Widerspruch zwischen dem allgemeinen Sprachverständnis und der juristischen Definition, ist eine ausführlichere Erklärung notwendig.

Ein Beispiel für ein unproblematisches Tatbestandsmerkmal: Die Frage, ob eine Uhr eine Sache im Sinne des § 90 BGB ist, kann in der Regel schnell beantwortet werden, da es sich um einen körperlichen Gegenstand handelt. Hier wäre eine ausführliche Prüfung überflüssig.

Ein Beispiel für ein problematisches Tatbestandsmerkmal: Die Frage, ob ein Hund eine Sache ist, erfordert eine detailliertere Auseinandersetzung. Während § 90a BGB klarstellt, dass Tiere keine Sachen sind, werden sie dennoch nach den Vorschriften über Sachen behandelt. Dies könnte eine ausführlichere Prüfung erfordern, um die rechtliche Einordnung zu erklären.

Daher gilt: Das Abkürzen eines Prüfungspunkts hängt nicht vom Gesetz, sondern vom Sachverhalt ab. Wer sorgfältig prüft, ob eine Norm unproblematisch anwendbar ist oder ob eine eingehendere Argumentation erforderlich ist, setzt Schwerpunkte sinnvoll und zeigt juristisches Verständnis.

 

d. Wie kürze ich ab?

Das Abkürzen im Gutachtenstil ist eine wichtige Technik, die dazu dient, das Gutachten präziser und effizienter zu gestalten, ohne dabei an juristischer Genauigkeit zu verlieren. Je nach Fall gibt es drei Möglichkeiten, wie eine Prüfung verkürzt werden kann: das „lange“ Abkürzen, das „kurze“ Abkürzen und das „Weglassen“ von Prüfungspunkten. Die Wahl der Methode hängt davon ab, wie eng das Tatbestandsmerkmal mit dem Sachverhalt übereinstimmt und wie viel Text für eine sinnvolle Argumentation erforderlich ist.

1. Möglichkeit: Das lange Abkürzen
Beim „langen“ Abkürzen werden der Obersatz und die Definition weggelassen, und die Prüfung beginnt direkt mit der Subsumtion. Damit die Subsumtion dennoch klar nachvollziehbar bleibt, wird die Definition innerhalb der Subsumtion wiederholt. Diese Methode hat den Vorteil, dass der Maßstab, also die Definition, weiterhin angewendet wird, jedoch nicht als eigenständiger Prüfungsschritt erscheint. Dadurch bleibt das Gutachten präzise, ohne an juristischer Tiefe zu verlieren. Diese Art des Abkürzens eignet sich besonders dann, wenn die Definition eindeutig ist und keine Auslegungsschwierigkeiten bestehen.

2. Möglichkeit: Das kurze Abkürzen:
Ein weiteres Vorgehen ist das „kurze“ Abkürzen. Diese Methode kommt zum Einsatz, wenn der Sachverhalt bereits eindeutig mit dem Tatbestandsmerkmal übereinstimmt, sodass keine ausführliche Subsumtion erforderlich ist. In solchen Fällen reicht eine knappe Prüfung, um das Ergebnis festzustellen. So kann beispielsweise bei einer Frage zur Antragsberechtigung in einer Normenkontrolle eine ausführliche Subsumtion weggelassen werden, wenn die Landesregierung als Antragsteller explizit in der Norm genannt ist. Statt den gesamten Viererschritt durchzuführen, kann hier direkt das Ergebnis formuliert werden, da die Voraussetzungen offensichtlich erfüllt sind.

3. Möglichkeit: Das Weglassen:
Die letzte Möglichkeit ist das „Weglassen“ von Prüfungspunkten. In manchen Fällen müssen bestimmte Prüfungsschritte gar nicht durchgeführt werden, weil sie für die Falllösung keine entscheidende Rolle spielen oder sich bereits aus dem Sachverhalt ergeben. Dies betrifft insbesondere Punkte, die in der Klausurlösung als bekannt vorausgesetzt werden können, wie beispielsweise die Prüfung der Geschäftsfähigkeit im Zivilrecht oder das Gebotensein bei der Notwehr. Das Weglassen von Prüfungspunkten sollte jedoch mit Bedacht erfolgen, da es nicht dazu führen darf, dass wichtige rechtliche Aspekte übersehen werden.

Die Wahl der richtigen Abkürzungsmethode erfordert ein gutes Gespür für den Fall. Während das „lange“ Abkürzen die Definition in die Subsumtion integriert, reicht beim „kurzen“ Abkürzen oft schon ein einziger Satz, um die Prüfung abzuschließen. Das „Weglassen“ von Prüfungspunkten ist nur dann sinnvoll, wenn der Punkt für die Falllösung nicht entscheidend ist. Wer diese Techniken gezielt einsetzt, kann sein Gutachten effizienter gestalten und zeigen, dass er in der Lage ist, zwischen relevanten und weniger relevanten Punkten zu unterscheiden.

 

e. Wie wähle ich die Abkürzungsmethode?

Die Wahl der richtigen Abkürzungsmethode hängt von der Art des Prüfungspunkts und den Gegebenheiten des Falls ab. Grundsätzlich ist das „lange“ Abkürzen die bevorzugte Methode, da sie weiterhin eine abstrakte Herleitung für das Ergebnis enthält. Dabei wird die Definition nicht explizit genannt, sondern innerhalb der Subsumtion wiederholt. Diese Methode stellt sicher, dass der Maßstab angewendet wird und der logische Aufbau der Prüfung erhalten bleibt.

Das „kurze“ Abkürzen hingegen eignet sich, wenn der Sachverhalt bereits eindeutig mit dem Tatbestandsmerkmal übereinstimmt und keine ausführliche Subsumtion erforderlich ist. In solchen Fällen genügt es, das Ergebnis kurz und knapp festzustellen. Diese Methode kann auch dann sinnvoll sein, wenn unter Zeitdruck am Ende einer Klausur eine schnelle, aber dennoch nachvollziehbare Prüfung erforderlich ist.

Die Wahl der Methode sollte stets mit Bedacht erfolgen. Während das „lange“ Abkürzen den logischen Aufbau des Gutachtens bewahrt, kann das „kurze“ Abkürzen in eindeutigen Fällen eine sinnvolle Zeitersparnis darstellen. Wer sich unsicher ist, sollte im Zweifel eher ausführlicher prüfen, um keine wichtigen Aspekte auszulassen.

 

f. Brauche ich beim Kürzen Überschriften?

Beim Kürzen von Gutachtenstilen besteht das Problem, dass oft der Obersatz weggelassen wird. Dies kann dazu führen, dass für den Leser zunächst nicht klar ist, was genau geprüft wird. Erst beim Lesen der Subsumtion wird deutlich, welches Tatbestandsmerkmal oder welche Norm analysiert wird.

Um dieses Problem zu vermeiden, sind Überschriften eine sinnvolle Lösung. Sie helfen dabei, die Struktur des Gutachtens übersichtlich zu gestalten und erleichtern dem Leser die Orientierung. Dabei sollten Überschriften möglichst prägnant formuliert sein. Sie enthalten in der Regel nur das zu prüfende Merkmal aus dem Gesetz und nicht den vollständigen Sachverhalt, um unnötige Länge zu vermeiden.

Beispiel für eine fehlende Überschrift: „Die Pistole des G ist ein Gegenstand, der dazu bestimmt ist, erhebliche Verletzungen bei einem Menschen hervorzurufen, mithin eine Waffe.“

Beispiel mit Überschrift: Waffe - „Die Pistole des G ist ein Gegenstand, der dazu bestimmt ist, erhebliche Verletzungen bei einem Menschen hervorzurufen, mithin eine Waffe.“

Wie das Beispiel zeigt, sorgt die Überschrift dafür, dass sofort ersichtlich ist, was geprüft wird.

Besonders wichtig sind Überschriften, wenn im Sachverhalt ähnliche Prüfungspunkte vorkommen. Beispielsweise kann ein Gutachten mehrere Angebote beinhalten. Hier reicht es aus, in der Überschrift zu verdeutlichen, auf welches Verhalten sich die Prüfung bezieht, ohne jedes Detail des Sachverhalts zu wiederholen.

🔵 Merke: Beim Kürzen eines Gutachtens ersetzen Überschriften oft den fehlenden Obersatz. Sie sorgen für Klarheit und helfen dem Leser, die Struktur des Gutachtens auf einen Blick zu erfassen.

Blogbeitrag: Gutachtenstil und Urteilsstil – die richtige Schwerpunktsetzung

9. Der Meinungsstreit

In der juristischen Argumentation gibt es oft verschiedene Ansichten darüber, wie ein Gesetz oder ein Tatbestandsmerkmal auszulegen ist. Solche Streitigkeiten werden als Meinungsstreit bezeichnet und sind fester Bestandteil juristischer Gutachten. Sie treten vor allem dann auf, wenn eine gesetzliche Regelung unklar ist oder verschiedene Auslegungsmethoden zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.

Ein Meinungsstreit kann sich auf unterschiedliche Bereiche beziehen, z. B. auf die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals, die Frage, ob ein bestimmtes Merkmal überhaupt Teil eines Tatbestands ist, oder auf das Verhältnis verschiedener Normen zueinander. In einem Gutachten müssen diese Streitpunkte korrekt dargestellt und eingeordnet werden.

Dieses Kapitel erklärt, wann und wie Meinungsstreitigkeiten in einem Gutachten behandelt werden, welche Begriffe dabei verwendet werden und wie ein Streit strukturiert aufgebaut wird. Außerdem wird erläutert, welche Meinungen dargestellt werden müssen, wie sie sprachlich korrekt formuliert werden und welche Rolle der Konjunktiv dabei spielt.

 

a. Was ist ein Meinungsstreit?

Gesetze sind darauf ausgelegt, möglichst viele Fälle abzudecken und Gesetzeslücken zu vermeiden. Um dies zu erreichen, bedienen sie sich abstrakter Formulierungen: Je allgemeiner und unbestimmter ein Begriff gehalten ist, desto mehr Sachverhalte lassen sich darunter subsumieren. Diese Abstraktheit geht jedoch oft auf Kosten der Verständlichkeit. Da juristische Begriffe mehrdeutig sein oder Gesetzestexte unvollständig erscheinen können, sind unterschiedliche Interpretationen möglich. Der Jurist Friedrich Carl von Savigny sprach in diesem Zusammenhang sogar von „mangelhaften“ Gesetzen.

Wie bei jeder Textinterpretation gibt es auch in der Rechtswissenschaft verschiedene Auffassungen darüber, wie eine Norm zu verstehen ist. Anders als bei literarischen Werken gibt es im Recht jedoch feste Regeln der Auslegung, die sicherstellen sollen, dass Gesetze möglichst objektiv und vorhersehbar angewandt werden. Dennoch führen selbst diese etablierten Auslegungsmethoden gelegentlich zu unterschiedlichen Ergebnissen. Sobald zwei oder mehr vertretbare Auffassungen zu einer Rechtsfrage existieren, spricht man von einem Meinungsstreit.

🔵 Merke: Ein Meinungsstreit entsteht, wenn eine gesetzliche Regelung unklar ist und verschiedene Auslegungsmethoden zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.

 

b. Meinungsstreit über die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals

In der juristischen Praxis ist die häufigste Streitfrage die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals. Dabei geht es darum, wie ein bestimmter Begriff in einer gesetzlichen Vorschrift zu definieren ist. Da Gesetze oft mit abstrakten Begriffen arbeiten, kann es mehrere vertretbare Definitionen geben, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.

Ein solcher Streit gehört in einem Gutachten an die Stelle der Definition, da es darum geht, den passenden Maßstab für die Subsumtion zu finden. An dieser Stelle werden verschiedene Definitionsvorschläge vorgestellt und gegeneinander abgewogen. Besonders in examensrelevanten Streitfällen kann die Wahl der Definition darüber entscheiden, ob eine rechtliche Voraussetzung erfüllt ist oder nicht.

Ein klassisches Beispiel für eine solche Streitfrage ist:

🔵 Beispiel: Was ist Kunst?
Hier kann je nach Definition ein bestimmtes Werk unter den Kunstbegriff fallen oder nicht, was beispielsweise für den Schutz durch die Kunstfreiheit von entscheidender Bedeutung sein kann.

🔵 Merke: Der Streit über ein Tatbestandsmerkmal gehört an die Stelle der Definition, da hier die entscheidende Frage geklärt wird, welchen Maßstab die Prüfung anlegen soll.

 

c. Gehört ein Merkmal zum Tatbestand?

Ein weiterer häufig auftretender Meinungsstreit betrifft die Frage, welche Merkmale zu einem Tatbestand gehören und damit geprüft werden müssen. Während sich der Streit über die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals auf dessen inhaltliche Bedeutung konzentriert, geht es hier darum, ob ein bestimmtes Merkmal überhaupt Bestandteil des Tatbestandes ist.

Solche Streitfragen treten oft bei der Tatbestandsstruktur von Straftatbeständen auf. In diesen Fällen kann strittig sein, ob ein bestimmtes Merkmal zwingend erfüllt sein muss, um den Tatbestand zu verwirklichen, oder ob die Norm auch ohne dieses Merkmal anwendbar ist. Eine klare Festlegung ist entscheidend, da sie darüber bestimmt, welche Voraussetzungen ein Gericht im konkreten Fall prüfen muss.

Ein Beispiel für eine solche Streitfrage ist:

🔵 Beispiel: Setzt der Missbrauchstatbestand bei der Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB eine Vermögensbetreuungspflicht voraus?
Hier diskutiert die Rechtswissenschaft, ob das Merkmal „Vermögensbetreuungspflicht“ zwingend für die Strafbarkeit nach § 266 StGB erforderlich ist oder ob es auch Fälle der Untreue gibt, in denen dieses Merkmal nicht notwendig ist. Je nach Auslegung kann sich daraus eine erheblich abweichende Rechtsfolge ergeben.

🔵 Merke: Bei diesem Meinungsstreit geht es nicht um die inhaltliche Bedeutung eines Tatbestandsmerkmals, sondern darum, ob es überhaupt geprüft werden muss.

 

d. Meinungsstreit über das Verhältnis von Normen

In der Rechtsanwendung kann es zu Konflikten kommen, wenn zwei Normen scheinbar auf denselben Sachverhalt anwendbar sind, aber unterschiedliche Rechtsfolgen haben. In solchen Fällen stellt sich die Frage, wie die Normen zueinander stehen – ob eine Norm die andere verdrängt oder ob sie nebeneinander angewendet werden können.

Ein Beispiel für diesen Streit ist das Verhältnis zwischen Gewährleistung und Irrtumsanfechtung im Kaufrecht. Kann ein Käufer, der eine mangelhafte Sache erwirbt, seinen Kaufvertrag wegen Eigenschaftsirrtums anfechten oder muss er sich auf die Gewährleistungsrechte beschränken?

Ein spezieller Unterfall dieser Streitfrage ist der Streit über den Prüfungsaufbau von Normen. Dieser bezieht sich darauf, in welcher Reihenfolge Normen geprüft werden sollten. Allerdings gehört dieser Streit nicht in ein Gutachten, da die Prüfungsreihenfolge eine Frage der methodischen Struktur ist und keinen Einfluss auf das eigentliche rechtliche Ergebnis hat.

🔵 Beispiele für Aufbau-Streitigkeiten:

Ist Mord eine Qualifikation des Totschlags oder ein eigenständiges Delikt?

Muss man eine Vorprüfung für den Versuch vornehmen?

Kann ein Delikt auch zweistufig geprüft werden?

In einigen Fällen kann das Verhältnis zwischen Normen jedoch relevant sein, insbesondere wenn es um sogenannte “gekreuzte Mordmerkmale” geht. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn mehrere Beteiligte an einer Tat unterschiedliche Mordmerkmale verwirklichen und sich die Frage stellt, ob diese auf alle Täter übertragbar sind.

🔵 Beispiel: Das Verhältnis von Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB) wird relevant, wenn bei einer gemeinsamen Tat jeder Beteiligte ein anderes Mordmerkmal erfüllt.

🔵 Merke: Streitigkeiten über das Verhältnis von Normen betreffen die Frage, ob und wie verschiedene Normen zueinander stehen – verdrängt eine Norm die andere oder gelten sie nebeneinander?

e. Warum schreibe ich „Meinung“ nicht?

Der Begriff „Meinung“ ist subjektiv und nicht neutral. In einem wissenschaftlichen Kontext kann er dazu führen, dass gut begründete juristische Ansichten als bloße, unbelegte Meinungen abgetan werden. Dies betrifft nicht nur einzelne Rechtsauffassungen, sondern auch etablierte Bezeichnungen wie „herrschende Meinung“ und „Mindermeinung“. Diese Begriffe suggerieren, dass eine Rechtsauffassung nur deshalb „richtig“ sei, weil sie von vielen vertreten wird – was jedoch nicht dem juristischen Prinzip der Begründungspflicht entspricht.

Für die „herrschende Meinung“ gibt es zudem keine eindeutige Definition. Wie viele Anhänger muss eine Rechtsansicht haben, damit sie als „herrschend“ gilt? Diese Unklarheit macht die Bezeichnung subjektiv und problematisch. Die „Mindermeinung“ müsste korrekterweise „Minderheitsmeinung“ heißen, um deutlich zu machen, dass sie zwar von weniger Personen vertreten wird, aber nicht automatisch weniger wert ist.

Ob eine Ansicht viele oder wenige Anhänger hat, ist für die Falllösung in Klausuren meist unerheblich. Die bloße Berufung auf die „herrschende Meinung“ kann zudem den Eindruck erwecken, dass eine Ansicht übernommen wurde, ohne sich mit den zugrunde liegenden Argumenten auseinanderzusetzen. Stattdessen sollten juristische Positionen anhand ihrer Begründungskraft bewertet werden, nicht aufgrund ihrer Verbreitung.

 

e. Wann erörtere ich einen Streit

Ein Streit in einem Gutachten muss nicht zwingend immer dargestellt werden. Es gibt jedoch hilfreiche Anhaltspunkte, um zu entscheiden, wann eine Erörterung notwendig ist. Grundsätzlich sollte ein Streit dargestellt werden, wenn unterschiedliche Ansichten zu verschiedenen Ergebnissen führen. Hingegen kann ein Streit weggelassen werden, wenn sich eine Ansicht problemlos auf den Fall anwenden lässt und alle vertretenen Ansichten zum gleichen Ergebnis kommen.

Ein typisches Beispiel für einen erforderlichen Streit ist die Frage nach dem Zeitpunkt des Versuchsbeginns bei einer Straftat. Hier können verschiedene Ansichten zu abweichenden Ergebnissen führen.


➡️ Beispiel: A will B mit einer Briefbombe töten. Wann beginnt der Versuch?

Wenn A die benötigten Utensilien im Supermarkt kauft?

Wenn A sich mit Schere und Kleber an den Schreibtisch setzt?

Wenn A den Brief in den Briefkasten steckt?

Wenn der Postbote den Brief in den Briefkasten von B steckt?

Wenn B den Brief öffnet?

 

Da der genaue Versuchsbeginn nicht eindeutig ist, ist es hier erforderlich, die verschiedenen Ansichten darzustellen.

Ein Streit ist jedoch nicht erforderlich, wenn die tatbestandliche Handlung bereits abgeschlossen ist und alle vertretenen Ansichten zu demselben Ergebnis kommen.

➡️ Beispiel: A schießt auf B, aber der Schuss verfehlt das Ziel.

Da A bereits geschossen hat und die tatbestandliche Handlung ausgeführt wurde, bedarf es keiner weiteren Streitdarstellung. Eine klare und präzise Formulierung reicht in diesem Fall aus:

✔️ „A hat geschossen, somit bereits die tatbestandliche Handlung ausgeführt, sodass er nach allen Ansichten unmittelbar angesetzt hat.“

 

f. Wann ist ein Streit Schwerpunkt des Gutachtens?

Das Setzen von Schwerpunkten im Gutachten ist eine wesentliche Fähigkeit, die das juristische Arbeiten auszeichnet. Nicht jeder Streit ist von gleicher Bedeutung, weshalb er nur dann ausführlich behandelt werden sollte, wenn er tatsächlich entscheidungsrelevant ist.

Ein Streit wird insbesondere dann zum Schwerpunkt, wenn unterschiedliche Ansichten zu verschiedenen Ergebnissen führen. Nur in solchen Fällen ist es notwendig, sich mit den Argumentationen der verschiedenen Meinungen auseinanderzusetzen und deren juristische Tragweite darzulegen.

Das argumentative Arbeiten und die methodische Auslegung von Normen gehören zu den essenziellen Fähigkeiten eines Juristen. In solchen Streitfragen zeigt sich die Fähigkeit zur juristischen Argumentation – ein Aspekt, der in der Bewertung von Gutachten oft besonders gewichtet wird.

 

g. Muss ich alle Ansichten erwähnen?

Ob alle existierenden Ansichten in einem Gutachten erwähnt werden müssen, hängt von der Art der juristischen Arbeit ab. In Hausarbeiten ist es üblich, alle relevanten Meinungen darzustellen, um eine umfassende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema zu gewährleisten. Dabei kann es sinnvoll sein, unterschiedliche Auffassungen in Gruppen zu strukturieren, wie es in Lehrbüchern beispielsweise bei den Schuldtheorien im Erlaubnistatbestandsirrtum der Fall ist.

In Klausuren hingegen wird eine knappe und praxisnahe Darstellung erwartet. Hier genügen meist eine bejahende, eine verneinende und eine vermittelnde Ansicht. Ziel ist es, den wesentlichen Streit auf das relevante Problem zu reduzieren, anstatt jede noch so kleine Meinung ausführlich zu behandeln.

Nicht mehr relevante oder durch Gesetzesänderungen überholte Ansichten müssen weder in Hausarbeiten noch in Klausuren erwähnt werden.

 

g. Wie baue ich einen Streit auf?

Um einen Streit strukturiert im Gutachten darzustellen, ist es sinnvoll, zunächst einen normalen Obersatz zu formulieren. Dieser leitet die Prüfung des strittigen Merkmals oder der umstrittenen Norm ein. Normalerweise folgt darauf eine Definition – jedoch nur, wenn diese tatsächlich umstritten ist. Ist die Definition klar, erfolgt direkt die Subsumtion. Falls die Definition jedoch strittig ist, werden verschiedene Definitionsvorschläge dargestellt, bevor Subsumtion und Ergebnis auf den konkreten Fall angewendet werden.

Ein häufiger Fehler besteht darin, Argumente bereits beim Vorstellen der Ansichten auszuführen. Das ist problematisch, weil dann entweder in der Stellungnahme Argumente fehlen oder diese doppelt genannt werden. Dies führt zu überflüssigen Wiederholungen und macht das Argumentieren unnötig langwierig.

Damit ein Meinungsstreit nicht auswendig gelernt klingt, gibt es eine neutrale Formulierung, mit der verschiedene Ansichten vorgestellt werden können. Eine gängige Methode besteht darin, die Ansichten mit Wendungen wie „Hier kann man vertreten, dass…“ oder „Weiter kann vertreten werden, dass…“ einzuleiten.

Es ist wichtig, bei der Darstellung der Ansichten keine Hierarchie zu suggerieren. Formulierungen wie „Die erste Ansicht verlangt…, die zweite Ansicht sagt…“ sind unpassend, weil sie den Eindruck vermitteln, es gebe eine feste Reihenfolge oder eine logische Rangordnung. Das ist jedoch nicht der Fall. Falls man sich am Ende einer Argumentation für eine Ansicht entscheiden muss, kann man eine abschließende Formulierung wie „Somit ist der dritten Ansicht zu folgen.“ verwenden.

 

h. Aufbau eines Meinungsstreits

Ein Meinungsstreit sollte in folgender Reihenfolge aufgebaut werden:

aa. Normaler Obersatz

➝ Einleitung der Fragestellung mit einer neutralen Formulierung wie „Fraglich ist, ob…“

bb. Vorstellung der ersten Ansicht (Definitionsvorschlag I)

➝ Einleitung mit „Hier kann man vertreten, dass…“

➝ Erläuterung der Argumente dieser Ansicht

➝ Übergang zur Subsumtion

➝ Ergebnis dieser Ansicht (z. B. „Somit wäre…“)

cc. Vorstellung der zweiten Ansicht (Definitionsvorschlag II)

➝ Einleitung mit „Weiter kann vertreten werden, dass…“

➝ Darstellung der Argumente der zweiten Ansicht

➝ Subsumtion nach dieser Ansicht

➝ Ergebnis dieser Ansicht (z. B. „Nach dieser Auffassung läge…“)

dd. Ggf. weitere Auffassungen

➝ Falls nötig, Darstellung einer dritten Ansicht

ee. Ist eine Stellungnahme erforderlich?

➝ Falls alle Ansichten zum gleichen Ergebnis führen: keine Stellungnahme notwendig

➝ Falls die Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen: Stellungnahme erforderlich

ff. Stellungnahme (nur falls notwendig)

➝ Argumente für und gegen die unterschiedlichen Ansichten

➝ Entscheidung für eine Ansicht mit Begründung

➝ Typische Formulierung: „Daher verdient die zweite Ansicht den Vorzug.“

gg. Ergebnis des Favoritenansicht

➝ Ergebnis im Indikativ (keine Konjunktiv-Formulierungen mehr)

➝ Beispiel: „Somit ist…“ oder „Folglich hat…“


Dieser strukturierte Aufbau stellt sicher, dass der Meinungsstreit klar nachvollziehbar bleibt und nicht unnötig kompliziert wird.

 

i. Welchen Konjunktiv brauche ich?

Beim Formulieren eines Meinungsstreits spielt die Wahl des richtigen Konjunktivs eine wichtige Rolle. Der Konjunktiv II wird verwendet, wenn eine Ansicht auf den konkreten Fall angewendet wird. Das bedeutet, dass man ausdrückt, wie das Ergebnis lauten würde, wenn man einer bestimmten Ansicht folgen würde. Dadurch wird deutlich gemacht, dass es sich um eine hypothetische Annahme handelt und nicht um die eigene Feststellung des Gutachters.

Beim bloßen Darstellen einer Ansicht ist die Verwendung des Konjunktiv I möglich, weil damit eine fremde Aussage wiedergegeben wird. Allerdings ist der Konjunktiv I nicht zwingend erforderlich. Oft reicht es aus, durch den Kontext klarzustellen, dass fremde Meinungen wiedergegeben werden. Dennoch kann die Verwendung des Konjunktivs I eleganter wirken.


Beispiele für die Anwendung:

Konjunktiv I – Definition einer Ansicht: „Eine Ansicht besagt, dass ein Körperglied ein Körperteil sei, der mit einem Gelenk verbunden sei.“

Konjunktiv II – Ergebnis nach einer Ansicht: „Nach dieser Ansicht wäre die Niere kein Körperglied.“

Zusammenfassend:

Konjunktiv I kann verwendet werden, um fremde Aussagen in indirekter Rede wiederzugeben.

Konjunktiv II wird eingesetzt, wenn eine Ansicht auf den Fall angewendet wird, um das hypothetische Ergebnis darzustellen.

Auf den Konjunktiv I kann verzichtet werden, wenn sich aus dem Zusammenhang ergibt, dass eine fremde Meinung wiedergegeben wird.

 

j. Wie leite ich den Streit ein?

Ein Streit muss so eingeleitet werden, dass für den Leser oder Korrektor klar wird, warum er in diesem Fall relevant ist. Dazu sollte anhand des Sachverhalts deutlich gemacht werden, warum eine Erörterung des Streits notwendig ist. Eine präzise Einführung hilft dabei, den Schwerpunkt richtig zu setzen und den Streit in einen sinnvollen Zusammenhang mit dem Fall zu bringen.

Ein Beispiel für eine unzureichende Einleitung wäre eine Darstellung ohne erkennbare Relevanz. Beispielsweise könnte die Aussage „A könnte Gewalt angewandt haben“ ohne nähere Erläuterung zu oberflächlich sein. In einer fundierten Einleitung würde hingegen erläutert, dass A das Opfer nicht berührt, sondern lediglich angeschrien hat. Daraus ergibt sich die Fragestellung, ob dies unter den Gewaltbegriff fällt. Diese zusätzliche Erklärung macht die Relevanz des Streits deutlich.

Hinter jeder konkreten Fallfrage steht eine abstrakte, wissenschaftliche Rechtsfrage. Es wird manchmal empfohlen, den Streit mit dieser abstrakten Frage einzuleiten, um ihn auf eine allgemeine wissenschaftliche Ebene zu heben. Allerdings gibt es dabei auch Nachteile. Zum einen kann eine abstrakte Rechtsfrage die Lösung des Falls nicht weiterbringen und ist damit überflüssig. Zum anderen besteht die Gefahr, dass anstelle der konkreten Fallfrage eine allgemeine Frage diskutiert wird, wodurch der eigentliche Sachverhalt nicht richtig subsumiert wird.

Ein Beispiel für eine konkrete Fallfrage wäre: „Ist die Niere des A ein Körperglied?“

Eine abstrakte Rechtsfrage könnte lauten: „Sind innere Organe (Nieren) Körperglieder?“

Es ist daher sinnvoll, den Streit direkt aus dem Sachverhalt heraus zu formulieren, um die Falllösung nicht unnötig zu verkomplizieren.

 

k. Was mache ich in der Stellungnahme?

In der Stellungnahme setzen Sie sich mit den unterschiedlichen Ansichten auseinander, die zuvor im Meinungsstreit dargestellt wurden. Sie analysieren die Argumente für und gegen jede Ansicht und bewerten deren Überzeugungskraft. Ziel ist es, eine fundierte Entscheidung zu treffen, welche Ansicht in Ihrem Gutachten vorzugswürdig ist.

Die Argumente für oder gegen eine Ansicht ergeben sich aus zwei zentralen Bereichen: den Auslegungsmethoden und den juristischen Argumentationstechniken. Während die Auslegungsmethoden dazu dienen, eine Norm anhand systematischer, teleologischer oder historischer Überlegungen zu interpretieren, bieten juristische Argumentationstechniken zusätzliche Begründungsansätze, um die Stichhaltigkeit einer Ansicht zu untermauern.

Daher wird die Stellungnahme nicht isoliert betrachtet, sondern erfordert ein Verständnis für die rechtlichen Grundlagen der Argumentation. Die nächsten Kapitel vertiefen diese Aspekte, bevor die eigentliche Stellungnahme formuliert wird.

10. Die Auslegung

Die Auslegung von Gesetzen ist eine zentrale juristische Technik, um Normen richtig zu verstehen und anzuwenden. Da Gesetze abstrakt formuliert sind, müssen sie oft interpretiert werden, um ihren genauen Bedeutungsgehalt zu bestimmen. Dabei kommen verschiedene Methoden zum Einsatz, die sich gegenseitig ergänzen oder in manchen Fällen widersprechen können.

In diesem Kapitel wird erläutert, warum das Auslegen von Normen notwendig ist, welche Auslegungsmethoden es gibt und wie sie angewendet werden. Dabei wird auf die verschiedenen Ansätze eingegangen, wie beispielsweise die Wortlaut-, systematische, historische, teleologische, verfassungskonforme und richtlinienkonforme Auslegung. Zudem wird behandelt, in welcher Reihenfolge die Methoden angewendet werden und wie sie in der Klausurbearbeitung sinnvoll eingesetzt werden können.

Das Ziel der Auslegung ist es, den Sinn und Zweck einer Norm zu ermitteln, um sie korrekt auf einen Fall anzuwenden. Dabei gilt es, eine methodisch saubere Argumentation zu führen, um die eigene Auslegung nachvollziehbar zu begründen.

 

a. Wofür brauche ich das Auslegen?

Das Auslegen von Gesetzen ist eine der grundlegenden Methoden der Rechtswissenschaft. Ähnlich wie die Naturwissenschaften Experimente durchführen, um Erkenntnisse zu gewinnen, interpretiert die Rechtswissenschaft Gesetze, um deren Bedeutung und Anwendungsbereich zu bestimmen. Dabei ersetzt das juristische Auslegen den Bunsenbrenner und das Reagenzglas durch den Wortlaut und die Systematik einer Norm.

Im Gegensatz zu Naturwissenschaften gibt es in der Rechtswissenschaft jedoch keine einzig richtige Antwort, sondern oft mehrere vertretbare Lösungen. Dies führt zu Meinungsstreitigkeiten, die im Gutachten dargestellt und argumentativ gelöst werden müssen (siehe Kapitel 10).

Die Auslegung ist vor allem dann erforderlich, wenn Rechtsbegriffe unbestimmt sind oder eine mehrdeutige Interpretation zulassen. Besonders wichtig ist sie im Rahmen der Stellungnahme, wenn unterschiedliche Auffassungen gegeneinander abgewogen werden müssen. Darüber hinaus spielt die Auslegung auch bei Willenserklärungen und Verträgen eine besondere Rolle, wofür es eigene Auslegungsmethoden gibt, die am Ende dieses Kapitels behandelt werden.

 

b. Wo lege ich aus?

Die Position der Auslegung innerhalb des Gutachtens hängt davon ab, was genau ausgelegt werden soll.

Tatbestandsmerkmale werden im Rahmen der Definition ausgelegt. Das bedeutet, dass verschiedene Auslegungsmöglichkeiten bereits bei der Definition eines Rechtsbegriffs dargestellt werden.

Verträge oder das Verhalten von Personen werden hingegen erst in der Subsumtion ausgelegt. Dabei wird geprüft, wie eine bestimmte Handlung oder Vereinbarung unter eine Norm zu fassen ist.

Wenn die Auslegungskriterien selbst relevant sind – beispielsweise wenn ein Meinungsstreit über die Bedeutung einer Norm besteht –, gehören diese ebenfalls in die Definition.

 

c. Wie lege ich aus?

Die Auslegung von Gesetzen unterscheidet sich grundlegend von der Interpretation literarischer Texte, da sie innerhalb fester rechtlicher Rahmenbedingungen erfolgt. Um Gesetze auszulegen, gibt es verschiedene Methoden, die zwar nicht abschließend festgelegt sind, aber Orientierung bieten.

Zu den klassischen Methoden, die auf Friedrich Carl von Savigny zurückgehen, gehören:

Wortlaut-Auslegung: Betrachtung der wörtlichen Bedeutung eines Gesetzestextes.

Systematische Auslegung: Einordnung der Norm im Kontext des gesamten Gesetzes.

Historische Auslegung: Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte und des ursprünglichen Anliegens des Gesetzgebers.

Teleologische Auslegung (Sinn und Zweck des Gesetzes): Ermittlung der Normzwecke, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.


Zusätzlich gibt es moderne Methoden:

Verfassungskonforme Auslegung: Gesetze werden so interpretiert, dass sie mit der Verfassung im Einklang stehen.

Richtlinienkonforme Auslegung: Die Norm wird im Einklang mit übergeordneten rechtlichen Vorgaben, wie EU-Richtlinien, interpretiert.


Beispiel: Das Schild „Hunde haben keinen Zutritt“

Angenommen, an einem Krankenhaus hängt ein Schild mit der Aufschrift „Hunde haben keinen Zutritt“. Je nach Auslegungsmethode ergeben sich unterschiedliche Interpretationen:

Wortlaut-Auslegung: Nur Hunde sind betroffen – Katzen und Kängurus dürften das Krankenhaus betreten.

Systematische Auslegung: Man betrachtet weitere Verbote im Krankenhaus und kommt zu dem Schluss, dass auch andere Tiere ausgeschlossen sein sollten.

Historische Auslegung: Man analysiert, warum das Schild ursprünglich angebracht wurde. Falls damals nur Hunde als Problem galten, könnte das für die Interpretation entscheidend sein.

Teleologische Auslegung (Sinn und Zweck des Gesetzes): Das Ziel des Schildes ist es, die Hygiene im Krankenhaus zu gewährleisten. Daher sollten alle Tiere ausgeschlossen sein, nicht nur Hunde.

Verfassungskonforme Auslegung: Falls es eine gesetzliche Regelung gibt, die z. B. besagt, dass „Kängurus Zutritt zu allen Krankenhäusern haben“, müsste das Schild entsprechend angepasst interpretiert werden.

Das Beispiel zeigt, dass je nach Methode unterschiedliche Ergebnisse erzielt werden können. Entscheidend ist, die passende Methode je nach Kontext zu wählen.

 

d. Wie lege ich nach dem Wortlaut aus?

Die Wortlautauslegung ist eine Methode, um die Bedeutung einzelner Wörter innerhalb eines Gesetzestextes zu ermitteln. Sie wird auch als grammatische oder textliche Auslegung bezeichnet. Ziel ist es, die Bedeutung eines Wortes durch den alltäglichen Sprachgebrauch oder durch eine maximale Wortbedeutung zu bestimmen.

Zunächst sollte geprüft werden, welche Bedeutung das Wort im allgemeinen Sprachgebrauch hat. Dabei kann ein Blick in Wörterbücher oder die eigene Sprachkenntnis helfen. Allerdings reicht der alltägliche Sprachgebrauch nicht immer aus, da juristische Fachbegriffe oft eine speziellere Bedeutung haben. Um Missverständnisse zu vermeiden, kann es hilfreich sein, sich auch an der maximalen Wortbedeutung zu orientieren.

Die maximale Wortbedeutung umfasst fachliche Definitionen aus anderen Disziplinen, beispielsweise aus der Medizin oder Technik. Juristische Begriffe gewinnen ihre Bedeutung oft erst durch die Anwendung weiterer Auslegungsmethoden.

Die Grenzen der Wortlautauslegung dürfen jedoch nicht überschritten werden. Ein Gesetz darf nicht über seinen Wortlaut hinaus ausgelegt werden. Die einzigen Ausnahmen bilden die Analogie (bei zu engen Wortlautauslegungen) und die teleologische Reduktion (bei zu weitgehenden Bedeutungen).


Beispiel zur Wortlautauslegung: Die Frage, ob die Niere als Körperglied gilt, kann nach drei möglichen Wortbedeutungen beantwortet werden:

1. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist ein Körperglied durch ein Gelenk mit dem Körper verbunden.

2. Nach der maximalen Wortbedeutung zählen auch äußere Körperteile ohne Gelenkverbindung dazu.

3. Je nach Disziplin (z. B. Anatomie) kann ein Körperglied auch eine innere Struktur sein.


🔵 Merke: Drei Anhaltspunkte für die Wortlautauslegung sind:

1. Der alltägliche Sprachgebrauch

2. Andere Bedeutungen des Wortes

3. Fachliche Definitionen außerhalb der Rechtswissenschaft

 

e. Wie lege ich systematisch aus?

Die systematische Auslegung betrachtet nicht nur die Bedeutung eines einzelnen Wortes, sondern den gesamten Kontext. Ein Beispiel aus dem Alltag verdeutlicht dies: Wenn jemand von „Birne Helene“ spricht, ist durch den Kontext klar, dass es sich um ein Dessert handelt und nicht um eine Birnensorte. Genau so funktioniert die systematische Auslegung im Recht. 

Um einen Begriff systematisch auszulegen, beginnt man mit den umgebenden Tatbestandsmerkmalen und arbeitet sich weiter nach oben – von der Norm, über Paragrafen bis hin zur gesamten Rechtsordnung. Der Grundgedanke dahinter ist, dass Gesetze widerspruchsfrei sein sollen. Falls ein Begriff an unterschiedlichen Stellen eines Gesetzes oder in anderen Rechtsgebieten verwendet wird, stellt sich die Frage, ob er in jedem Kontext dieselbe Bedeutung hat.


Beispiele zur systematischen Auslegung

Kontext: § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB normiert, dass eine Körperverletzung mit einem „gefährlichen Werkzeug“ besonders strafbar ist. Hier stellt sich die Frage: Ist ein Schuh ein gefährliches Werkzeug? Um dies zu beantworten, hilft die systematische Auslegung: Ein Schuh kann zwar prinzipiell als Werkzeug dienen, aber im Vergleich zu einer Waffe wird er meist nicht als gefährliches Werkzeug eingeordnet. Die Gesamtauslegung erfordert daher eine Abwägung.

Bedeutungsschwanger: Das Wort „Sache“ bedeutet im Zivilrecht eine bewegliche oder unbewegliche körperliche Sache. Im Strafrecht jedoch kann „Sache“ je nach Kontext auch Eigentum (§ 242 StGB) oder Beweismittel (§ 274 StGB) meinen.

🔵 Merke: Die Bedeutung eines Wortes hängt vom Kontext ab.

 

f. Historische Auslegung

Die historische Auslegung fragt nach dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers. Dazu gibt es zwei Wege:

1. Vorgängernormen: Falls eine frühere Regelung existiert, wird geprüft, warum eine Änderung oder Neuregelung notwendig war.

2. Gesetzesmaterialien: Protokolle und Begründungen aus dem Gesetzgebungsverfahren geben Hinweise auf den ursprünglichen Sinn und Zweck der Norm.

Falls diese Quellen keine eindeutige Antwort liefern, kombiniert man die historische Auslegung mit anderen Methoden, insbesondere der Wortlaut- und teleologischen Auslegung. In Klausuren spielt sie meist eine untergeordnete Rolle, da sie eine umfangreiche Quellenrecherche erfordert.

Beispiel: Bei der Einführung des Begriffs “Verstümmelung” in § 226 StGB wurde im Gesetzgebungsverfahren diskutiert, ob darunter auch die Entfernung innerer Organe fällt. Wer sich auf diese ursprüngliche Definition bezieht, argumentiert für eine enge Auslegung, bei der nur äußere Körperteile als Körperglieder zählen.

🔵 Merke: Die historische Auslegung fragt nach der Entstehungsgeschichte einer Norm.

 

 

g. Sinn und Zweck

Bei dieser Auslegungsmethode wird ermittelt, welches Ziel der Gesetzgeber mit der Norm oder dem Gesetz verfolgt. Die Auslegung erfolgt dann so, dass das Ergebnis diesen Zweck erfüllt und sinnvoll ist. Diese Methode wird auch als teleologische Auslegung bezeichnet.

(i) Wie lege ich nach dem Sinn und Zweck aus?

Ein Beispiel hierfür ist die schwere Körperverletzung. Der Zweck dieser Norm ist der Schutz des Opfers vor gravierenden Verletzungen. Wenn der Verlust eines inneren Organs als schwere Körperverletzung bewertet wird, könnte dies durch den Schutzzweck der Norm gerechtfertigt sein. Falls jedoch die Niere kein Körperglied ist, wäre der Zweck der Norm nicht erfüllt.

🔵 Merke: Erfüllt die Auslegung des Wortes den Sinn der Norm?

 

(ii) Wie finde ich den Sinn und Zweck?

Falls sich kein spezieller Sinn der Norm ableiten lässt, können übergeordnete Prinzipien wie Gerechtigkeit und Rechtssicherheit herangezogen werden. Diese Prinzipien sind in den verschiedenen Rechtsgebieten, Gesetzbüchern und Vorschriften konkretisiert. Jedes Rechtsgebiet verfolgt eigene Ziele, die bei der Auslegung im Gutachten verwendet werden können.

Einige typische Ziele in den verschiedenen Rechtsgebieten sind:

Zivilrecht: Privatautonomie, Schutz des Rechtsverkehrs, Schutz einzelner Personengruppen (z. B. Minderjährige, Verbraucher), ausgleichende Gerechtigkeit.

Strafrecht: Opferschutz (höhere Strafen bei erhöhter Gefährlichkeit), Spezial- und Generalprävention, Sühne-Funktion, Verantwortungsprinzip.

Öffentliches Recht: Staatsprinzipien gemäß Art. 20 I, II GG, darunter Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Bundesstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit.

Grundrechte: Sicherung des Bürgerfreiraums vor dem Staat.

Polizei- und Ordnungsrecht: Gefahrenabwehr.

Falls sich kein direkter Normzweck feststellen lässt, können diese allgemeinen Prinzipien als Orientierung dienen.

 

h. Verfassungskonforme Auslegung

Gesetze sind hierarchisch aufgebaut, wobei das Grundgesetz an oberster Stelle steht. Daher muss eine Auslegung so erfolgen, dass sie nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Falls mehrere Auslegungsmöglichkeiten bestehen, ist diejenige zu wählen, die mit dem höherrangigen Recht vereinbar ist.

Beispiel: Gemäß § 76 I Nr. 2 BVerfGG kann eine Norm durch das Bundesverfassungsgericht überprüft und für nichtig erklärt werden, falls sie gegen höherrangiges Recht verstößt. Art. 93 I GG gibt dafür die gesetzliche Grundlage. Falls sich eine Norm sowohl verfassungskonform als auch verfassungswidrig auslegen lässt, ist die verfassungskonforme Variante zu bevorzugen. Beispielsweise könnte eine Auslegung von „Furchtintensität“ als starkes Zögern Zweifel hervorrufen und somit im Widerspruch zur Verfassung stehen.

🔵 Merke: Was gegen höherrangiges Recht verstößt, ist nicht gut ausgelegt.

 

i. Richtlinienkonforme Auslegung

Die richtlinienkonforme Auslegung folgt demselben Prinzip wie die verfassungskonforme Auslegung. Ein Gesetz sollte so interpretiert werden, dass es nicht gegen EU-Richtlinien verstößt. Allerdings besteht hier kein hierarchisches Unterordnungsverhältnis wie beim Grundgesetz, sondern vielmehr ein Kooperationsverhältnis zwischen nationalem Recht und dem EU-Recht.

 

j. Reihenfolge der AuslegungIn welcher Reihenfolge lege ich aus?

Die Auslegungsmethoden sind nicht strikt vorgegeben, sondern stehen nebeneinander und ergänzen sich gegenseitig. Dennoch kann es hilfreich sein, sich an einer bestimmten Reihenfolge zu orientieren, da die Methoden aufeinander aufbauen und sich logisch in eine Struktur einfügen lassen.


1. Wortlaut als Ausgangspunkt

Die Auslegung beginnt in der Regel mit dem Wortlaut der Norm. Die sprachlichen Möglichkeiten stecken die Grenze dessen ab, was überhaupt ausgelegt werden kann. Das Wort ist die kleinste Einheit des Textes, weshalb es sinnvoll ist, hier anzusetzen. Dabei wird untersucht, welche Bedeutung das Wort im alltäglichen Sprachgebrauch hat und welche Begriffe sich im Wörterbuch oder in der Fachsprache für das jeweilige Rechtsgebiet finden.


2. Kontextuelle Betrachtung

Nachdem der Wortlaut ermittelt wurde, folgt die systematische Auslegung, bei der das Wort in den Kontext der Norm eingebettet wird. Es wird geprüft, welche Bedeutung das Wort an dieser bestimmten Stelle des Gesetzes hat und ob es möglicherweise in anderen Vorschriften mit einer abweichenden Bedeutung verwendet wird. Hierdurch lassen sich Rückschlüsse auf die gesetzliche Systematik und die beabsichtigte Verwendung des Begriffs ziehen.


3. Historische Auslegung

Als Nächstes wird die historische Entstehung der Norm betrachtet. Die Frage ist, welche Vorstellungen der Gesetzgeber bei der Schaffung der Norm hatte. Gab es frühere Versionen der Norm mit abweichenden Formulierungen? Wurden bestimmte Begriffe bewusst geändert? Welche Ziele wurden im Gesetzgebungsverfahren diskutiert? Hierbei helfen Gesetzesmaterialien, wie Protokolle parlamentarischer Debatten oder Gesetzesbegründungen.


4. Teleologische Auslegung – Sinn und Zweck

Nachdem Wortlaut, Kontext und Entstehungsgeschichte geprüft wurden, geht es um die teleologische Auslegung, also die Frage nach dem Sinn und Zweck der Norm. Was wollte der Gesetzgeber mit der Vorschrift erreichen? Dient sie dem Schutz bestimmter Rechtsgüter? Gibt es übergeordnete Prinzipien, die bei der Auslegung eine Rolle spielen, wie Gerechtigkeit oder Rechtssicherheit?


5. Verfassungskonforme Auslegung

Die hierarchische Struktur des Rechts sieht vor, dass untergeordnete Normen mit höherrangigem Recht vereinbar sein müssen. Daher folgt die verfassungskonforme Auslegung: Wenn eine Norm oder eine bestimmte Interpretation mit dem Grundgesetz kollidiert, muss eine alternative Auslegung gefunden werden, die keinen Verstoß gegen das höherrangige Recht darstellt. Falls dies nicht möglich ist, wäre die Norm nichtig.


6. Richtlinienkonforme Auslegung

Schließlich kann die richtlinienkonforme Auslegung eine Rolle spielen, insbesondere wenn das deutsche Recht an EU-Recht angepasst werden muss. Nationale Normen sollen so interpretiert werden, dass sie mit europäischen Richtlinien vereinbar sind. Dabei besteht kein direktes Unterordnungsverhältnis, sondern eher eine Verpflichtung zur Kooperation mit den europäischen Vorgaben.


🔵 Merke: Die Auslegung beginnt beim Wortlaut und entwickelt sich schrittweise weiter. Höherrangiges Recht setzt Grenzen für die Interpretation, sodass verfassungswidrige oder europarechtswidrige Auslegungen ausgeschlossen sind.

 

k. Lege ich in der Klausur nach allen Methoden aus?

In der Klausur sollten Sie gedanklich alle Auslegungsmethoden durchgehen, auch wenn nicht jede Methode bei jeder Norm zu einem relevanten Ergebnis führt. Falls eine Methode ein klares Ergebnis liefert, gehört sie in Ihr Gutachten. Methoden, die zu keiner neuen Erkenntnis führen, können Sie weglassen.

Besonders die historische Auslegung wird in der Klausur selten verwendet, da sie auf Literaturquellen basiert, die Sie während der Prüfung in der Regel nicht zur Verfügung haben. Eine Ausnahme besteht, wenn Sie die Entstehungsgeschichte der Norm zufällig bereits kennen und diese für die Falllösung relevant ist.

In der Klausur müssen Sie sich nicht strikt an eine Reihenfolge der Methoden halten. Entscheidend ist, dass Sie das stärkste Argument an den Schluss setzen, um Ihre Argumentation möglichst überzeugend zu gestalten.

🔵 Merke: Nicht jede Auslegungsmethode muss in der Klausur verwendet werden. Nutzen Sie nur die Methoden, die zu einem verwertbaren Ergebnis führen, und setzen Sie das stärkste Argument an das Ende Ihrer Argumentation.

 

l. Wie lege ich Willenserklärungen und Verträge aus?

Die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen unterscheidet sich von der Auslegung von Gesetzen. Während bei der Normauslegung der Wortlaut eine zentrale Rolle spielt, ist bei Verträgen und Willenserklärungen vor allem entscheidend, was die Parteien tatsächlich gewollt haben. Daher beginnt die Auslegung zwar mit dem Wortlaut, doch dieser ist nicht allein maßgeblich. Entscheidend sind zwei Grundsätze: Der wahre Wille des Erklärenden und das objektive Verständnis des Empfängers.

Nach § 133 BGB kommt es darauf an, was eine Person mit ihrer Erklärung tatsächlich gemeint hat. Der Wortlaut der Erklärung ist dabei nicht zwingend ausschlaggebend, sondern vielmehr der tatsächliche Wille. Das bedeutet, dass eine Person nicht allein an einer unklar formulierten Erklärung festgehalten wird, wenn erkennbar ist, dass sie etwas anderes beabsichtigt hat.

Nach § 157 BGB hingegen wird eine Erklärung so ausgelegt, wie ein objektiver Dritter sie verstehen würde. Maßgeblich ist also nicht nur die subjektive Absicht des Erklärenden, sondern auch die Erwartung des Empfängers. Verträge sind unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte auszulegen, sodass eine verständliche und nachvollziehbare Interpretation entsteht.

Ein klassisches Beispiel für diesen Konflikt ist der sogenannte Haakjöringsköd-Fall: Ein Käufer bestellt in einem Geschäft „Haakjöringsköd“, weil er glaubt, dass dies Walfleisch bedeutet. Tatsächlich bezeichnet der Begriff in der betreffenden Region jedoch Haifischfleisch. Nach § 133 BGB wäre entscheidend, dass der Käufer eigentlich Walfleisch kaufen wollte. Nach § 157 BGB hingegen zählt, dass der Begriff im Geschäftsverkehr eindeutig Haifischfleisch bedeutet. In diesem Fall kommt der Vertrag über Haifischfleisch zustande, weil der Verkäufer den Begriff in seinem allgemein üblichen Sinn verstehen durfte.

Die Auslegung von Verträgen folgt also nicht starr dem Wortlaut, sondern berücksichtigt auch den wirklichen Willen der Parteien und die allgemeine Verständlichkeit. Entscheidend ist, dass eine faire und sachgerechte Lösung gefunden wird, die sowohl den Erklärenden als auch den Empfänger schützt.


🔵 Merke: Bei der Vertragsauslegung wird nicht nur der Wortlaut betrachtet. Wichtiger ist, was die Parteien tatsächlich gemeint haben und wie ein objektiver Dritter die Erklärung verstehen würde.

11. Die Argumentation

Juristische Argumentationstechniken helfen dabei, Gesetze sinnvoll anzuwenden und Lücken in der Rechtsordnung zu schließen. Da Gesetze nicht alle möglichen Fälle vollständig regeln können, müssen Juristen methodisch argumentieren, um zu fundierten Ergebnissen zu gelangen. In diesem Kapitel werden verschiedene Argumentationstechniken vorgestellt, die in der Rechtsanwendung eine Rolle spielen, darunter der Analogieschluss, die teleologische Reduktion und der Umkehrschluss.

 

a. Wofür brauche ich juristische Argumentationstechniken?

Argumentationstechniken sind eine Ergänzung zu den Auslegungsmethoden und helfen dabei, Gesetzeslücken zu schließen oder rechtliche Regelungen sinnvoll anzuwenden. Immer dann, wenn eine Norm nicht eindeutig ist oder eine bestimmte Situation nicht ausdrücklich erfasst, können diese Techniken genutzt werden, um eine überzeugende Lösung zu finden. Besonders in der juristischen Stellungnahme spielen sie eine große Rolle, da sie dazu dienen, unterschiedliche Auffassungen zu bewerten und die eigene Argumentation zu stärken. In diesem Kapitel werden vier zentrale Techniken vorgestellt:

Analogieschluss, mit dem eine Regel auf einen vergleichbaren, aber nicht ausdrücklich geregelten Fall übertragen wird.

Umkehrschluss, bei dem aus einer Norm gefolgert wird, dass für nicht genannte Fälle die gegenteilige Regelung gilt.

Erst-Recht-Schluss, der argumentiert, dass eine Regel erst recht für einen bestimmten Fall gelten muss.

Schluss zum Absurdum (Folgebetrachtung), mit dem überprüft wird, ob eine bestimmte Auslegung zu widersprüchlichen oder ungewollten Ergebnissen führt.

Diese Techniken ermöglichen eine präzisere Anwendung des Rechts und helfen, begründete Lösungen für unklare Sachverhalte zu finden.

 

b. Analogieschluss

Ein Analogieschluss ist eine Methode der Rechtsanwendung, bei der eine bestehende gesetzliche Regelung auf einen nicht geregelten, aber vergleichbaren Sachverhalt übertragen wird. Dies geschieht, wenn das Gesetz für eine bestimmte Situation keine ausdrückliche Regelung enthält (planwidrige Regelungslücke), aber ein ähnlicher Fall bereits gesetzlich geregelt ist. Damit ein Analogieschluss zulässig ist, müssen sich beide Fälle in den wesentlichen Punkten gleichen, insbesondere in der Rechtsfolge, die durch die Norm geregelt wird.

Das Besondere am Analogieschluss ist, dass er über den Wortlaut eines Gesetzes hinausgeht und somit eine Rechtsfortbildung darstellt. Er wird nicht als reine Argumentationstechnik verstanden, sondern als eine Methode, um eine Regelungslücke systematisch zu schließen.

Ein Analogieschluss wird dann gezogen, wenn ein bestimmter Sachverhalt nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt ist, aber einem geregelten Fall so ähnlich ist, dass eine vergleichbare Rechtsfolge angemessen erscheint. Die Analogie ermöglicht es, eine Norm auch außerhalb ihres Wortlauts anzuwenden und damit eine Regelungslücke zu schließen. Sie dient damit nicht nur der juristischen Argumentation, sondern auch der Rechtsfortbildung. Voraussetzung für eine Analogie ist, dass die Fälle sich in ihren wesentlichen Eigenschaften ähneln und die gleiche Interessenlage besteht.

Ein zentrales Problem der Analogie ist die Frage, ob eine echte Regelungslücke vorliegt. Es muss sich um eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes handeln, das heißt, der Gesetzgeber hat den Fall nicht absichtlich ausgelassen. Die Analogie darf nicht genutzt werden, um eine vom Gesetzgeber gewollte Begrenzung auszuhebeln. Maßgeblich für die Anwendung einer Analogie sind insbesondere der Sinn und Zweck der Norm.

Ein Beispiel dafür ist ein Schild an einem Krankenhaus mit der Aufschrift: „Hunde haben keinen Zutritt.“ Die Wortlautauslegung würde ergeben, dass sich das Verbot nur auf Hunde bezieht. Der Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist jedoch der Schutz der Hygiene im Krankenhaus. Da auch andere Tiere wie Katzen oder Kängurus die Hygiene gefährden können, könnte man die Norm im Wege der Analogie auf sie erstrecken. Der abstrakte Rechtssatz wäre dann, dass alle Tiere keinen Zutritt haben. Der Analogieschluss würde lauten: „Das Schild wird somit analog auf Kängurus und Katzen angewendet.“

Eine Analogie ist daher nur zulässig, wenn die Lücke nicht nur eine zufällige, sondern eine planwidrige ist. Die bloße Tatsache, dass das Gesetz zu einer bestimmten Frage schweigt, rechtfertigt keinen Analogieschluss. Vielmehr muss anhand der Gesetzessystematik und des Normzwecks geprüft werden, ob der Gesetzgeber bewusst auf eine Regelung verzichtet hat oder ob eine unbeabsichtigte Lücke besteht, die durch eine Analogie geschlossen werden kann.

Ausnahme: Analogieverbot im Strafrecht

Im Strafrecht gilt das Analogieverbot, da es um die schwerwiegendsten Rechtsfolgen geht. Eine analoge Anwendung einer Norm würde dazu führen, dass jemand für etwas bestraft wird, das der Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt hat. Dies widerspricht dem Grundsatz der Rechtssicherheit und der Gewaltenteilung, da allein der Gesetzgeber darüber entscheidet, welche Taten strafbar sind. Aus diesem Grund ist eine Analogie zu Lasten des Täters unzulässig. Eine begünstigende Auslegung, also eine, die für den Täter vorteilhaft ist, ist hingegen erlaubt.

🔵 Merke: Eine Auslegung darf im Strafrecht niemals zu Lasten des Täters erfolgen.


 

c. Teleologische Reduktion

Eine teleologische Reduktion ist eine Methode der Rechtsanwendung, bei der der Wortlaut einer Norm eingeschränkt wird, weil er zu weit gefasst ist und zu einem Ergebnis führen würde, das dem Sinn und Zweck der Norm widerspricht. Dabei wird der Anwendungsbereich der Norm reduziert, indem Fälle ausgeschlossen werden, die zwar unter den Wortlaut fallen, aber nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst werden sollten.

Diese Methode kommt insbesondere dann zum Einsatz, wenn der Gesetzgeber eine Norm bewusst weit formuliert hat, um viele Fälle zu erfassen, aber sich in bestimmten Situationen eine Einschränkung aufdrängt. Die teleologische Reduktion beruht auf der Annahme, dass der Gesetzgeber in diesen Fällen eine Differenzierung vorgenommen hätte, wenn er den konkreten Sachverhalt bedacht hätte.

Beispiel: An einem Krankenhaus hängt ein Schild mit der Aufschrift:

„Lebewesen haben keinen Zutritt.“

Würde man diese Regelung wörtlich nehmen, dürften auch Menschen das Krankenhaus nicht betreten. Das wäre jedoch unsinnig, weil das Schild offenkundig dazu dient, Tiere vom Krankenhaus fernzuhalten, um die Hygiene zu gewährleisten.

Durch eine teleologische Reduktion wird der Begriff „Lebewesen“ auf „Tiere“ beschränkt, da dies dem Sinn und Zweck der Regelung entspricht. Menschen sind somit nicht vom Zutrittsverbot erfasst.

 

d. Umkehrschluss

Der Umkehrschluss bedeutet im Grunde: Was nicht von der Norm erfasst ist, ist nicht geregelt. Er bestätigt die Wortlautgrenze und stellt somit einen echten logischen Schluss dar. Im Gegensatz zur Analogie, die eine Regelungslücke durch Übertragung füllt, bleibt beim Umkehrschluss der ungeregelte Fall außerhalb des Anwendungsbereichs der Norm. Der Gedanke dahinter ist, dass das Gesetz vollständig ist und daher keine zusätzliche Regelung benötigt.

Ein klassisches Beispiel ist das Schild an einer Metzgerei mit der Aufschrift: „Hunde ohne Maulkorb haben keinen Zutritt.“ Der Umkehrschluss daraus lautet, dass Hunde mit Maulkorb erlaubt sind, da sie nicht explizit ausgeschlossen wurden.

Der Umkehrschluss kann auch in Kombination mit anderen Auslegungsmethoden verwendet werden. Ein Beispiel hierfür wäre: „Hunde mit und ohne Maulkorb sind zwar ähnlich, aber der Zweck des Verbotsschildes ist, die Gefahr durch Beißen zu vermeiden.“ Da ein Hund mit Maulkorb nicht beißen kann, wäre die Anwendung eines Umkehrschlusses in diesem Fall nicht sinnvoll, da der Sinn und Zweck der Norm etwas anderes regelt.

🔵 Merke: Der Umkehrschluss behandelt zwei ähnliche Fälle nicht gleich.

Jedoch ist zu beachten, dass der Umkehrschluss nicht bei beispielhaften Aufzählungen angewandt werden kann, sondern nur bei abschließenden Aufzählungen. Wenn in einem Gesetz eine Liste mit Beispielen genannt wird, bedeutet dies nicht zwingend, dass andere Fälle ausgeschlossen sind.

Ein Alltagsbeispiel dafür ist der Satz: „Ich bin allergisch gegen Mandeln, Kiwis und Milch.“ Ein falscher Umkehrschluss wäre zu sagen, dass die Person gegen keine anderen Lebensmittel allergisch ist. Richtig wäre: „Ich bin gegen einige Lebensmittel allergisch, besonders gegen Mandeln, Kiwis und Milch.“ Hier ist die Aufzählung beispielhaft und nicht abschließend.

Im Strafrecht sind die Regelbeispiele oft nicht abschließend. So kann es sein, dass auch besondere Fälle unter die Regel fallen, obwohl sie nicht explizit erwähnt wurden.

🔵 Merke: Ein Umkehrschluss ist nur bei abschließenden Aufzählungen möglich, nicht bei beispielhaften Listen.

 

e. Unterschied zwischen einet abschließenden und einer beispielhaften Aufzählung

Ob eine Aufzählung abschließend oder beispielhaft ist, lässt sich meist am Wortlaut erkennen. Bestimmte Formulierungen deuten darauf hin, dass eine Aufzählung nur Beispiele nennt und nicht abschließend ist. Begriffe wie „in der Regel“, „insbesondere“ oder „ist im Zweifel anzunehmen, wenn…“ lassen darauf schließen, dass weitere Fälle möglich sind.

Fehlt eine solche Formulierung und sind die aufgezählten Fälle erschöpfend und ohne Öffnungsklauseln genannt, spricht dies eher für eine abschließende Aufzählung. Eine abschließende Aufzählung bedeutet, dass nur die genannten Fälle erfasst sind und keine weiteren Fälle unter die Norm fallen.

 

e. P: Widerspruch zw. Umkehrschluss und Analogieschluss

Ein Umkehrschluss und ein Analogieschluss haben gemeinsam, dass sie zwei ähnliche Fälle vergleichen. Während der Analogieschluss darauf abzielt, eine Regelung auf einen nicht erfassten Fall auszudehnen, geht der Umkehrschluss davon aus, dass alles, was nicht ausdrücklich geregelt ist, auch nicht geregelt werden soll. Ein Umkehrschluss könnte also gegen jeden Analogieschluss stehen, indem argumentiert wird: „Wenn es im Gesetz nicht geregelt ist, bedeutet das, dass es nicht geregelt werden soll.“ Damit würde eine analoge Anwendung ausgeschlossen.

Allerdings gilt dies nur auf den ersten Blick. Eine Analogie ist nämlich nur dann zulässig, wenn eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, also wenn der Gesetzgeber eine Regelung vergessen hat. In solchen Fällen kann man nicht mit einem Umkehrschluss argumentieren, denn dieser setzt voraus, dass der Gesetzgeber bewusst entschieden hat, den Fall nicht zu regeln.

🔵 Merke: Schweigt das Gesetz, verneint es (Umkehrschluss). Es sei denn, der Gesetzgeber hat vergessen, zu sprechen (Analogieschluss).

 

f. Erst-Recht-Schluss

Der Erst-Recht-Schluss wird angewendet, wenn zwei gleiche Fallgruppen vorliegen, wobei eine Gruppe mehr oder weniger vom Gleichen umfasst. Dabei geht es um eine logische Übertragung: Wenn ein bestimmter Sachverhalt bereits unter eine gesetzliche Regelung fällt, dann muss erst recht ein weitergehender oder ein geringfügigerer Sachverhalt darunterfallen. Es handelt sich also nicht um eine Rechtsfortbildung, sondern um eine genaue Betrachtung des Wortlauts und der dahinterstehenden Logik.

Ein Erst-Recht-Schluss kann in zwei Varianten auftreten:

Schluss vom Mehr (im Gesetz) auf das Weniger (im Fall)
Beispiel: Wenn es verboten ist, zu zweit auf einem Fahrrad zu fahren, dann ist es erst recht verboten, zu dritt auf demselben Fahrrad zu fahren.

Schluss vom Weniger (im Gesetz) auf das Mehr (im Fall)
Beispiel: Wenn eine Körperverletzung strafbar ist, dann ist erst recht eine schwere Körperverletzung strafbar.

🔵 Merke: Beim Erst-Recht-Schluss kann weniger mehr sein – und andersherum.

 

g. Schluss zum Absurdum

Ein Schluss zum Absurdum wird herangezogen, wenn die Anwendung einer bestimmten Ansicht auf verschiedene Fälle zu unhaltbaren oder absurden Ergebnissen führt. Diese Technik dient als Gegenargumentation, indem sie die Konsequenzen einer bestimmten Auslegung kritisch hinterfragt. Da dieser Schluss die möglichen Folgen einer bestimmten Rechtsauffassung betrachtet, wird er auch als “Folgenbetrachtung” bezeichnet.

Diese Argumentationstechnik kommt seltener vor als andere Methoden, da sie stark vom jeweiligen Kontext abhängt. Sie ist besonders dann wirkungsvoll, wenn sich durch die Anwendung einer bestimmten Regelung absurde, widersprüchliche oder unpraktikable Konsequenzen ergeben.

Beispiel: Nach einer bestimmten Ansicht kann auch ein unbeweglicher Gegenstand als gefährliches Werkzeug im Sinne von § 244 I Nr. 1a StGB angesehen werden. Wendet man diese Logik konsequent an, könnte auch ein Berg als gefährliches Werkzeug gewertet werden. Dies wäre jedoch offensichtlich absurd, weshalb diese Sichtweise nicht haltbar ist.

🔵 Merke: Wenn eine Auslegung zu absurden oder unhaltbaren Ergebnissen führt, kann dies als Gegenargument dienen.

12. Die Stellungnahme

In einer juristischen Stellungnahme geht es darum, sich mit verschiedenen Auffassungen zu einem Rechtsproblem auseinanderzusetzen und eine überzeugende Begründung für eine bevorzugte Lösung zu liefern. Sie bildet den Abschluss einer rechtlichen Prüfung und entscheidet darüber, welche Argumentation sich durchsetzt. Dabei ist es wichtig, die verschiedenen Ansichten strukturiert zu vergleichen und nachvollziehbar zu begründen, warum eine bestimmte Auffassung vorzugswürdig ist. Die Stellungnahme kann entweder in Form eines Streitentscheids oder einer ausführlicheren Argumentation erfolgen. Entscheidend ist dabei der angemessene Stil, die richtige Anzahl und Qualität der Argumente sowie ein klarer Aufbau. Eine fundierte Stellungnahme erfordert nicht nur eine präzise Auslegung, sondern auch die Fähigkeit, Argumente überzeugend zu formulieren und den Streit durch eine klare Struktur verständlich zu machen.

 

a. Sinn und Zweck der Stellungsnahme

In der Stellungnahme verfolgen Sie zwei wesentliche Aufgaben. Zunächst argumentieren Sie für und gegen die verschiedenen Ansichten. Dabei geht es nicht nur darum, die favorisierte Meinung zu begründen, sondern auch diejenigen Argumente zu betrachten, die für andere Ansichten sprechen. Eine gute Stellungnahme zeichnet sich dadurch aus, dass sie perspektivenreich und überzeugend ist.

Im zweiten Schritt treffen Sie eine Entscheidung für die Ansicht, die Sie für die überzeugendste halten. Diese wird zur „Favoritenansicht“. Ihre Argumentation sollte darauf abzielen, warum gerade diese Ansicht vorzugswürdig ist, indem Sie die Stärken hervorheben und gleichzeitig die Schwächen der anderen Positionen aufzeigen.

Besonders wichtig ist, dass Sie das Ergebnis Ihrer Stellungnahme am Schluss nochmals betonen. Dies geschieht in der Klausur nicht nur, um eine klare Argumentation abzuschließen, sondern auch, um den Korrektor gezielt auf Ihr Fazit hinzuweisen. Während Sie in der Argumentation noch im Konjunktiv formulieren, wird das abschließende Ergebnis im Indikativ wiedergegeben, da Sie nun zu einer festen Entscheidung gelangt sind.

 

b. Stellungnahme oder Streitentscheid?

Eine Stellungnahme in einem juristischen Gutachten dient nicht dazu, eine endgültige Entscheidung über den wissenschaftlichen Streit zu treffen, sondern vielmehr dazu, die verschiedenen Argumente sorgfältig zu analysieren und eine begründete Präferenz für eine bestimmte Auffassung darzulegen. Der Begriff „Streitentscheid“ suggeriert hingegen, dass der Streit endgültig beendet wird, was in der Wissenschaft nicht möglich ist.

Stattdessen geht es in einer Stellungnahme darum, Argumente systematisch zu gewichten und die überzeugendste Lösung herauszuarbeiten. Dabei sollte die Wahl der Begriffe genau bedacht werden. Während der „Streitentscheid“ eine endgültige Lösung suggeriert, beschreibt die „Stellungnahme“ treffender den Vorgang, eine fundierte, aber nicht absolut bindende Position zu einem Rechtsproblem einzunehmen.

 

c. Welcher Schreibstil wird in der Stellungnahme verwendet?

In der Stellungnahme geht es nicht darum, den Fall abschließend zu lösen, sondern die überzeugendste wissenschaftliche Argumentation zu identifizieren. Die Argumentation dient dazu, im Anschluss den Fall weiter zu bearbeiten. Dabei ist es wichtig, dass die Stellungnahme nicht im typischen Gutachtenstil verfasst wird. Stattdessen handelt es sich um einen Exkurs innerhalb des Gutachtens, den Sie ausnahmsweise führen dürfen.

Der Stil sollte wissenschaftlich und abstrakt sein. Der konkreter Fall wird in der Stellungnahme nicht erneut geprüft, es sei denn, er dient als typisierendes Beispiel für eine ungerechte Behandlung. Die Stellungnahme sollte sich also auf die methodische und argumentativ fundierte Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ansichten konzentrieren, um die überzeugendste Lösung herauszuarbeiten.

 

d. Wie viele Argumente brauche ich?

Beim Verfassen einer Stellungnahme stehen zwei unterschiedliche Herangehensweisen zur Wahl. Die erste Perspektive orientiert sich am Gutachten und verfolgt das Ziel, den Fall so effizient wie möglich zu lösen. Diese Methode ist ökonomisch, da sie sich auf die Falllösung konzentriert und nicht zusätzlich argumentativ ausgebaut werden muss. Die zweite Perspektive hingegen ist wissenschaftlich geprägt und nimmt sich mehr Zeit, um eine tiefere argumentative Auseinandersetzung mit den Ansichten zu ermöglichen.

Die wissenschaftliche Herangehensweise bietet entscheidende Vorteile. Zum einen erlaubt sie eine vielschichtige Darstellung, die eine größere Überzeugungskraft entfalten kann. Zudem bereitet sie auf eine mögliche spätere Argumentation vor Gericht vor und zeigt, dass der Verfasser in der Lage ist, juristisch fundiert zu arbeiten.

Der Praktiker hingegen schließt die Stellungnahme schneller ab, da er sich strikt an die Funktion des Gutachtens hält. Eine allgemeingültige Regel, welcher Weg der „bessere“ ist, gibt es jedoch nicht. In den meisten Fällen empfiehlt sich ein Mittelweg, der sowohl Effizienz als auch eine überzeugende argumentative Tiefe miteinander verbindet.

 

e. Wie finde ich Argumente?

Argumente entstehen durch die Anwendung von Auslegungsmethoden und Argumentationstechniken. Die verschiedenen Definitionen einer Ansicht basieren auf diesen Methoden, und je mehr Auslegungsmethoden eine Ansicht berücksichtigt, desto fundierter und wissenschaftlicher ist sie. Daher sollte man sich in der Stellungnahme für jene Ansicht entscheiden, die auf einer breiten und methodisch gut begründeten Argumentation beruht.

🔵 Merke: Auslegung + Argumentationstechniken = Argumente

 

f. Wie baue ich die Argumentation auf?

Beim Aufbau Ihrer Argumentation sollten Sie sich zwei zentrale Fragen stellen: In welcher Reihenfolge bringen Sie Ihre Argumente vor? Und wie strukturieren Sie ein einzelnes Argument?

Zunächst entscheiden Sie, welches Argument das stärkste ist. Mit diesem beginnen Sie Ihre Argumentation und bestimmen so Ihre Favoritenansicht. Ein Beispiel für eine Favoritenansicht wäre: „Nur die dritte Ansicht berücksichtigt den Sinn und Zweck der Vorschrift, daher ist dieser Ansicht zu folgen.“

Für die Reihenfolge der anderen Argumente gibt es zwei Methoden: die Pro-und-Contra-Methode oder das Ping-Pong-System. Die Pro-und-Contra-Methode zeichnet sich dadurch aus, dass zunächst alle Argumente für eine Position und dann alle Gegenargumente präsentiert werden. Ihr Vorteil liegt in der klaren Struktur, jedoch werden die Argumente weniger miteinander in Beziehung gesetzt.

Beim Ping-Pong-System hingegen wechseln sich Pro- und Contra-Argumente ab, sodass die Argumente direkt aufeinander Bezug nehmen. Dies macht die Argumentation dynamischer und ermöglicht eine gezieltere Auseinandersetzung mit den gegnerischen Positionen. Für die Reihenfolge der Argumente können Sie sich zudem an der Reihenfolge der Auslegungsmethoden orientieren, da diese oft eine logische Struktur vorgeben.

Für den Aufbau eines einzelnen Arguments empfiehlt es sich, stilistisch nah am Gutachtenstil zu bleiben. Das bedeutet, dass Sie das Argument zunächst darstellen („Definition“) und dann eine Schlussfolgerung ziehen, für oder gegen welche Ansicht das Argument spricht („Ergebnis“). Ein Beispiel dafür wäre: „Im allgemeinen Sprachgebrauch ist ein Werkzeug beweglich, damit spricht der Wortlaut für die zweite Ansicht.“

🔵 Merke: Ping-Pong + Reihenfolge der Auslegungsmethoden = Argumentationsaufbau

 

g. Wie bringe ich die Auslegung in einer Klausur ein?

In Klausuren fehlt oft die Zeit, alle Auslegungsmethoden ausführlich darzustellen. Meist gibt man daher fremde Argumente wieder. Allerdings ist es ideal, die Argumente nicht nur zu nennen, sondern auch auf ihre zugrunde liegende Auslegungsmethode zurückzuführen. Das bedeutet, dass du Argumente nicht einfach übernimmst, sondern selbstständig analysierst und ihre Herkunft nachvollziehst. Oft fehlen in Klausuren Angaben zur „Herkunft“ eines Arguments, dabei ist gerade das für eine wissenschaftliche Arbeitsweise wichtig.

Beispiel: Der Sinn und Zweck des Vorsatzes ist es, den Täter nur für das zu bestrafen, wofür er tatsächlich verantwortlich ist. Eine Ansicht, die besagt, dass der Täter auch für etwas bestraft werden kann, für das er nicht verantwortlich ist, widerspricht diesem Grundsatz und sollte daher abgelehnt werden.

🔵 Hinweis: Wenn du fremde Argumente wiedergibst, setze in der Hausarbeit in der Stellungnahme Fußnoten mit der Quellenangabe.

 

h. Wie erarbeite ich selbst einen Streit?

In einer Klausur kann es passieren, dass dein Fall und das Gesetz an einer bestimmten Stelle „haken“, besonders bei weniger bekannten Themengebieten. Lass dich davon nicht verunsichern, sondern betrachte es als Gelegenheit, deine Fähigkeit zur juristischen Argumentation unter Beweis zu stellen. Nun ist es wichtig, im Obersatz genau festzulegen, welche Information aus dem Sachverhalt mit welchem Teil des Gesetzes zusammenpasst. Du hast nun zwei Möglichkeiten:

1️⃣ Eigenständige Lösung finden:

Du kannst den „hakenden“ Teil der Norm auslegen und auf diese Weise eine vertretbare Lösung erarbeiten. Je überzeugender du begründest, desto besser wird es in der Bewertung honoriert – selbst wenn du an dieser Stelle keinen klassischen Meinungsstreit auffindest. Trau dich also ruhig, auch eine eigene Argumentation aufzubauen. Dadurch wird deine Stellungnahme vielseitiger und überzeugender.


2️⃣ Auf bereits existierende Meinungsstreits zurückgreifen:

Alternativ kannst du auf bestehende Streitigkeiten zurückgreifen, indem du verschiedene Meinungen aus den Auslegungsmethoden ableitest. In der Regel empfiehlt es sich, drei Positionen darzustellen: eine bejahende, eine verneinende und eine vermittelnde Ansicht. Diese solltest du jedoch möglichst knapp halten, um nicht zu sehr vom eigentlichen Fall abzuschweifen. Die Stellungnahme selbst orientiert sich dann an der zuvor erarbeiteten Auslegung.

13. Der Sachverhalt

Ein guter Umgang mit dem Sachverhalt ist entscheidend für eine überzeugende Lösung in einer Klausur. Dabei stellt sich oft die Frage, was noch als zulässige Argumentation gilt und wann es sich um übertriebene Konstruktionen handelt, die nicht mehr sachgerecht sind („Quetschen“). Außerdem ist es wichtig, die Schwerpunkte im Sachverhalt richtig zu identifizieren, um effizient zu argumentieren und sich nicht in Nebensächlichkeiten zu verlieren. Schließlich muss nicht immer das komplette Prüfungsschema strikt angewendet werden – in manchen Fällen kann eine gezielte Schwerpunktsetzung sinnvoller sein.

 

a. Was ist noch erlaubt und was ist schon „Quetschen“?

Bei der Bearbeitung eines Sachverhalts ist es wichtig, ein gesundes Maß zu finden: Einerseits darf der Sachverhalt nicht „gequetscht“ werden, indem man sich Fakten hinzudenkt, die dort nicht stehen. Andererseits darf man den Sachverhalt aber lebensnah auslegen. Wenn beispielsweise im Sachverhalt steht, dass „A schlägt B“, kann davon ausgegangen werden, dass A sich dessen bewusst war und vorsätzlich gehandelt hat – auch wenn das nicht ausdrücklich erwähnt wird. In solchen Fällen kann der Bearbeiter den Sachverhalt lenken, indem er kurz erklärt, warum diese Auslegung plausibel ist. Diese lebensnahe Betrachtung sollte jedoch erst nach einer genauen Prüfung erfolgen.

Gibt es zu einer wichtigen Frage gar keine Informationen im Sachverhalt, kann man vorsichtige Annahmen treffen. So kann etwa unterstellt werden, dass im Gesetzgebungsverfahren bestimmte Grundsätze wie die Schuldhaftigkeit eines Täters oder die Geschäftsfähigkeit eines Vertragspartners beachtet wurden. Solche Annahmen dürfen aber nie willkürlich sein, sondern müssen sich aus dem allgemeinen Rechtsverständnis ergeben. Ein kleiner Hinweis darauf genügt, um das jeweilige Tatbestandsmerkmal in die Prüfung einzubeziehen.

Beispiel: Der 16-jährige F, der tablettensüchtige T oder der Bundespräsident, der nicht unterschrieben hat – all diese Angaben können wichtige Hinweise sein, die für die Prüfung eines Tatbestandsmerkmals genutzt werden können.

 

b. Wie finde ich die Schwerpunkte im Sachverhalt?

Jeder juristische Fall enthält Schwerpunkte, die erkannt und angemessen bearbeitet werden müssen. Diese Schwerpunkte lassen sich oft an bestimmten Hinweisen im Sachverhalt erkennen. Häufig sind es Stellen, an denen die Sachverhaltsbeschreibung ausführlicher ist oder die Meinungen der Beteiligten detaillierter dargestellt werden.

Um die Schwerpunkte effektiv herauszuarbeiten, kann es helfen, diese Stellen im Fall farblich zu markieren oder die zentralen Aussagen zu notieren. Eine bewährte Methode ist es, die gefundenen Schwerpunkte unter den Fall zu schreiben und sie den jeweiligen gesetzlichen Prüfungsmerkmalen zuzuordnen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass alle relevanten Aspekte bei der Bearbeitung des Falls berücksichtigt werden.

🔵 Beispiel: Die Landesregierung hält die Fünf-Prozent-Hürde für verfassungswidrig, insbesondere, weil sie die Festlegung auf genau fünf Prozent als willkürlich ansieht.

Schwerpunkt 1: Die 5-%-Regelung könnte als willkürlich gelten, was die materielle Verfassungsmäßigkeit betrifft.

→ Weitere Schwerpunkte können dann entsprechend ergänzt werden.

 

c. Muss ich stets das ganze Prüfungsschema auf den Fall anwenden?

Prüfungsschemata für einzelne Normen haben den Vorteil, dass sie helfen, keine wesentlichen Punkte zu übersehen. Sie strukturieren die Fallbearbeitung und können dazu beitragen, zusätzliche prüfungsrelevante Aspekte zu erkennen. Manchmal ergeben sich durch das Schema sogar neue Ideen, welche Punkte im Fall noch geprüft werden könnten.

Allerdings kann ein Prüfungsschema auch Aspekte umfassen, die für den konkreten Fall nicht relevant sind. In solchen Fällen ist es nicht sinnvoll, das gesamte Schema starr anzuwenden. Vielmehr sollte eine gezielte Auswahl getroffen werden, um sich auf die wirklich relevanten Prüfungspunkte zu konzentrieren.

🔵 Beispiel: Das Prüfungsschema für das Zustandekommen eines Vertrags beinhaltet üblicherweise die Prüfung der Abgabe und des Zugangs von Willenserklärungen. Falls im Sachverhalt jedoch keine Hinweise darauf zu finden sind und dies nicht entscheidungserheblich ist, wird dieser Punkt in einer gut strukturierten Falllösung häufig weggelassen.

💡 Tipp: Beim Lesen von Falllösungen sollte nicht nur darauf geachtet werden, was geprüft wird, sondern auch darauf, was bewusst nicht ausgeführt wird. Dies kann helfen, ein besseres Gespür für die wesentlichen Punkte der Fallbearbeitung zu entwickeln.

14. Zivilrecht

Im Zivilrecht formulierst du den ersten Obersatz nach dem Muster „Wer will was von wem woraus?“. Dabei beginnst du mit dem Anspruchsteller, der etwas fordert, benennst danach den konkreten Anspruchsinhalt, also was genau gefordert wird, führst anschließend den Anspruchsgegner an, also die Person, von der etwas gefordert wird, und nennst zuletzt die Anspruchsgrundlage. Die Anspruchsgrundlage ist dabei besonders wichtig, weil sich aus ihr ergibt, ob der geltend gemachte Anspruch tatsächlich besteht. Ein typischer erster Obersatz könnte also lauten: „A könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung von 1000 Euro aus Kaufvertrag gemäß § 433 Abs. 2 BGB haben.

 

a. Wie finde ich Anspruchsgrundlagen?

Eine Anspruchsgrundlage ist eine Norm, die es dir ermöglicht, von einer anderen Person ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu verlangen. Um eine passende Anspruchsgrundlage für deinen Fall zu finden, musst du zuerst verstehen, was genau ein Anspruch überhaupt ist. Nach § 194 I BGB ist ein Anspruch das Recht, von jemand anderem ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Anspruchsgrundlagen erkennst du daran, dass sie eine konkrete Rechtsfolge festlegen, also was genau du verlangen kannst – zum Beispiel die Zahlung eines Kaufpreises. Ob dieser Anspruch tatsächlich durchsetzbar ist, hängt davon ab, ob auch alle Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Eine vollständige Anspruchsgrundlage besteht deshalb aus zwei wesentlichen Komponenten: dem Tatbestand (die Voraussetzungen) und der Rechtsfolge (dem Tun oder Unterlassen).

b. Wie finde ich die richtige Anspruchsgrundlage?

Die richtige Anspruchsgrundlage findest du, indem du darauf achtest, dass die Rechtsfolge der Norm genau das abdeckt, was der Anspruchsteller erreichen möchte. Das Ziel des Anspruchstellers und die Rechtsfolge der Norm müssen also identisch sein.

Wenn jemand beispielsweise verlangt, dass ihm ein zuvor gekaufter Mercedes geliefert wird, wäre die passende Anspruchsgrundlage hierfür § 433 I BGB, denn diese Norm hat genau die passende Rechtsfolge, nämlich die Übergabe und Übereignung der Kaufsache.

🔵 Merke: Anspruchsziel und Rechtsfolge der Norm müssen übereinstimmen, um die richtige Anspruchsgrundlage zu finden.

 

c. Ist ein Vertrag oder die Norm die Anspruchsgrundlage?

Bei der Formulierung des ersten Obersatzes im Zivilrecht ist es wichtig zu erkennen, ob sich die Anspruchsgrundlage aus einem Vertrag oder unmittelbar aus einer Norm ergibt. Grundsätzlich bildet meist eine gesetzliche Norm die Anspruchsgrundlage. Wenn jedoch ein Vertrag vorliegt, entsteht der Anspruch primär aus diesem Vertrag selbst. In diesem Fall empfiehlt es sich, im ersten Obersatz sowohl den Vertragstyp (z.B. Kaufvertrag, Mietvertrag oder Werkvertrag) als auch die konkrete Norm anzugeben. Dadurch wird klar, auf welcher rechtlichen Basis der Anspruch geprüft wird.

Ein Beispiel hierfür wäre: „V könnte gegen K einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung gem. § 433 II BGB aus einem Kaufvertrag haben.“

Oder: „Ein Anspruch des V gegen M auf Bezahlung des Mietwagens gem. § 535 II BGB könnte sich aus einem Mietvertrag ergeben.“

Diese präzise Vorgehensweise erleichtert nicht nur das Verständnis des Gutachtens, sondern sorgt auch für eine klare Struktur und Übersichtlichkeit.

 

d. Wie formuliere ich den Anspruchsinhalt?

Im Zivilrecht ist es entscheidend, den Anspruchsinhalt präzise zu formulieren. Dabei solltest du die gesetzliche Rechtsfolge der jeweiligen Norm wählen, auch wenn der Anspruchsteller eventuell unrealistische Vorstellungen hat. Das bedeutet, dass du dich nicht nur am Wunsch des Anspruchstellers orientierst, sondern insbesondere daran, was rechtlich tatsächlich erreicht werden kann. Die gesetzliche Rechtsfolge ist hier also maßgeblich.

Beispielsweise wäre es falsch zu sagen: „V könnte gegen K einen Anspruch auf Lieferung des Autos aus einem Kaufvertrag gem. § 433 I BGB haben.“

Richtig formuliert wäre stattdessen: „V könnte gegen K einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Autos aus einem Kaufvertrag gem. § 433 I BGB haben.“ 

 

e. Der Obersatz im Zivilrecht

Im Zivilrecht besteht der erste Obersatz aus vier grundlegenden Punkten: Anspruchsteller („wer“), Anspruchsinhalt („will was“), Anspruchsgegner („von wem“) und Anspruchsgrundlage („woraus“). Beim Anspruchsinhalt hast du mehrere Möglichkeiten, wie du ihn ausdrücken kannst: Du kannst konkret nennen, was gefordert wird (Anspruchsinhalt), welches Ziel der Anspruch verfolgt (Anspruchsziel), oder um welchen Gegenstand es sich handelt (Anspruchsgegenstand). Die Anspruchsgrundlage schließlich benennt die rechtliche Basis des Anspruchs, beispielsweise einen Paragrafen aus dem BGB oder einer anderen Norm.

 

f. Wie formuliere ich die anderen Obersätze im Zivilrecht?

Im Zivilrecht kommt es häufig vor, dass es gerade bei vertraglichen Konstellationen mehrere mögliche Ansatzpunkte für die Prüfung gibt. Wichtig dabei ist, stets genau zu formulieren, auf welche konkrete Handlung oder Erklärung man sich bezieht. Allgemeine oder unpräzise Formulierungen erschweren das Verständnis und führen häufig zu Fehlern bei der Prüfung.

Beispielsweise wäre es unpräzise zu formulieren: „In dem Anruf könnte ein Angebot liegen.“ Klarer und somit besser wäre die Formulierung: „In der Erklärung des K, er nehme den Füller für 150 €, könnte ein Angebot liegen.“

Weiterhin ist darauf zu achten, dass bei der Formulierung der Norm-Obersätze im Zivilrecht stets die Rechtsfolge benannt wird. Nur wenn man die Rechtsfolge klar benennt, wird deutlich, weshalb genau diese Norm für die Falllösung relevant ist und weshalb man sie im Gutachten prüft.

So wäre beispielsweise der Satz „A könnte gem. § 389 BGB aufgerechnet haben.“ weniger präzise als die klarere Variante: „Der Anspruch des A könnte allerdings durch eine Aufrechnung gem. § 389 BGB untergegangen sein.“

 

g. Wie lautet der Aufbau einer Anspruchsprüfung?

Um zu prüfen, ob ein zivilrechtlicher Anspruch besteht, gehst du in drei Stufen vor. Zuerst prüfst du, ob der Anspruch überhaupt entstanden ist. Hier untersuchst du, ob alle Voraussetzungen einer Anspruchsgrundlage erfüllt sind. In der zweiten Stufe prüfst du, ob der Anspruch möglicherweise untergegangen ist. Ein Anspruch kann z.B. durch Erfüllung, Aufrechnung oder Anfechtung wieder erlöschen. In der letzten Stufe geht es darum, ob der Anspruch durchsetzbar ist. Hier wird insbesondere geprüft, ob eventuell Einreden (wie Verjährung oder Zurückbehaltungsrechte) bestehen, die dem Anspruch entgegengehalten werden können.

🔵 Merke: Anspruchsprüfung erfolgt immer dreistufig: Anspruch entstanden – Anspruch untergegangen – Anspruch durchsetzbar.

Dieses Schema ist logisch aufgebaut: Ein Anspruch, der nicht entstanden ist, kann nicht untergehen, und ein Anspruch, der bereits untergegangen ist, braucht nicht mehr auf seine Durchsetzbarkeit geprüft zu werden.

🔵 Eselsbrücke: Erst entsteht ein Schiff, dann geht es unter und wird von Algen durchsetzt.

💡 Tipp: Mit Eselsbrücken kannst du dir Informationen länger und leichter im Gedächtnis behalten.

 

h. Wie baue ich das gesamte zivilrechtliche Gutachten auf?

Ein vollständiges zivilrechtliches Gutachten baust du systematisch nach einem festen Schema auf. Dieses Schema besteht aus drei Prüfungsschritten: Anspruch entstanden, Anspruch untergegangen und Anspruch durchsetzbar. Du wendest dieses dreistufige Schema nacheinander auf alle fünf Anspruchsebenen an:

Zuerst prüfst du alle vertraglichen Ansprüche, dann alle vertragsähnlichen Ansprüche, anschließend alle dinglichen Ansprüche, danach alle deliktischen Ansprüche und abschließend die Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung. Dabei gehst du jeden einzelnen Anspruch in der oben genannten Reihenfolge vollständig durch, bevor du zur nächsten Anspruchsebene übergehst.

Dieses strukturierte Vorgehen hilft dir dabei, dein Gutachten klar, vollständig und logisch nachvollziehbar aufzubauen.

15. Öffentliches Recht

Im öffentlich-rechtlichen Gutachten begegnest du besonderen Anforderungen an Aufbau, Formulierung und Prüfungsreihenfolge. Es gilt, von Beginn an klar zwischen Zulässigkeit und Begründetheit zu unterscheiden. Dabei ist entscheidend, wie du den ersten Obersatz formulierst, welche Formulierungen du vermeiden solltest und weshalb der Begriff „Aussicht auf Erfolg“ nicht optimal ist. Außerdem lernst du, in welcher Reihenfolge du verfassungsmäßige und rechtmäßige Aspekte prüfen musst, wie du die richtige Verfahrensart auswählst und welche Schwerpunkte in der Zulässigkeit, Begründetheit und Verhältnismäßigkeit zu setzen sind. Schließlich wirst du erfahren, wie du dies alles in der Klausur praxisnah umsetzt und welche Varianten zur Verfügung stehen.

 

a. Aufbau eines öffentlich-rechtlichen Gutachtens

Im öffentlichen Recht prüfst du, ob das Verhalten des Staates gegenüber einem Bürger oder einem anderen Staatsorgan rechtmäßig ist. Dabei kann es sich um staatliches Handeln in Form eines Gesetzes, einer Verordnung, eines Verbots oder einer Erlaubnis handeln.

b. Wie formuliere ich den ersten Obersatz im öffentlich-rechtlichen Gutachten?

Dein Obersatz sollte sowohl Form- als auch Inhaltsaspekte enthalten. Diese Kombination zeigt deutlich den Prüfungsaufbau deines Gutachtens. Je nachdem, welche Fallfrage gestellt ist, gibt es unterschiedliche Formulierungen.

Wird gefragt, ob ein Rechtsbehelf Aussicht auf Erfolg hat, formulierst du: „Der Rechtsbehelf hat Erfolg, soweit er zulässig und begründet ist.“

Wird hingegen gefragt, ob staatliches Verhalten rechtmäßig ist, lautet dein erster Satz: „Das staatliche Verhalten ist rechtmäßig, wenn es formell und materiell rechtmäßig ist.“

💡 Erster Obersatz im Öffentlichen Recht = Form + Inhalt + Sachverhalt

Besonders wichtig ist außerdem, dass du im Obersatz den konkreten Sachverhalt aufnimmst und klar benennst, welches staatliche Verhalten (Gesetz, Verbot, Erlaubnis etc.) du prüfst. Verzichte darauf, direkt mit dem Begriff “Rechtsbehelf” zu beginnen. Der erste Obersatz unterscheidet sich im öffentlichen Recht dadurch von anderen Rechtsgebieten, dass er keine konkrete Norm benennt und außerdem keinen Konjunktiv II verwendet.

 

c. Verwendung von „soweit“ oder „wenn“ im ersten Obersatz

Im ersten Obersatz ist es besser, das Wort „soweit“ statt „wenn“ zu verwenden. Der Grund dafür ist, dass „wenn“ nur das vollständige Begehren des Antragstellers prüft und keine teilweise Erfüllung vorsieht. Mit „soweit“ hingegen kannst du ausdrücken, dass das Anliegen des Antragstellers auch teilweise Erfolg haben kann. Dadurch ermöglichst du eine differenzierte Betrachtung seines Begehrens.

 

d. Warum du nicht schreiben solltest, die Klage habe „Aussicht“ auf Erfolg

Im juristischen Kontext hat eine Klage entweder Erfolg oder nicht, aber sie hat keine bloße „Aussicht“ auf Erfolg. Ein Vergleich könnte hier mit einem Lottogewinn gezogen werden: Hast du sechs Richtige im Lotto, hast du nicht nur die Aussicht, möglicherweise Geld zu bekommen – du bekommst es tatsächlich. Ähnlich ist es auch bei einer zulässigen und begründeten Klage: Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, ist der Erfolg der Klage sicher, nicht bloß möglich. Indem du formulierst, dass die Klage Erfolg hat, entscheidest du eindeutig anstelle des Gerichts.

Beispiel: „Die Anfechtungsklage des X hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.“

 

e. Wann du Zulässigkeit und Begründetheit prüfst

Immer dann, wenn in deinem Fall ein Gericht über einen Rechtsbehelf entscheiden würde, prüfst du eigenständig die Zulässigkeit und Begründetheit. Dies machst du, weil du in der juristischen Bearbeitung die Rolle des Gerichts einnimmst. Ein Rechtsbehelf kann etwa ein Widerspruch, eine Verfassungsbeschwerde oder eine bestimmte Klageart sein.

Beispiel: „Der Widerspruch / die Verfassungsbeschwerde / die Klage (z.B. Anfechtungsklage) hat Erfolg, soweit er/sie zulässig und begründet ist.“

 

f. Darfst du „verfassungsmäßig“ und „rechtmäßig“ austauschen?

„Rechtmäßig“ und „verfassungsmäßig“ bedeuten nicht genau dasselbe und sollten daher nicht beliebig ausgetauscht werden.

Rechtmäßig“ ist der Oberbegriff und meint die Vereinbarkeit eines staatlichen Handelns mit der gesamten Rechtsordnung. Prüfst du Verwaltungsakte, Satzungen oder Verordnungen, sprichst du von „rechtmäßig“.

Verfassungsmäßig“ bezieht sich dagegen ausschließlich auf die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz.

In deinem Gutachten verwendest du deshalb „verfassungsmäßig“, wenn du beispielsweise prüfst, ob ein Bundesgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist. 

 

g. Wie findest du die richtige Verfahrensart?

Die richtige Verfahrensart ergibt sich daraus, was dein Antragsteller erreichen möchte. Es kommt dabei darauf an, dass die Rechtsfolge des gewählten Verfahrens genau zu dem passt, was dein Antragsteller begehrt. Um die passende Verfahrensart zu finden, vergleichst du den Sachverhalt mit den möglichen Rechtsfolgen der unterschiedlichen Verfahren.

 

h. Was mache ich in der Zulässigkeit?

Die Zulässigkeit hat Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede in den verschiedenen Verfahrensarten. Grundsätzlich geht es in diesem Abschnitt darum, ob der Antragsteller überhaupt berechtigt war, das Verfahren einzuleiten, und ob dabei bestimmte Formen und Fristen eingehalten wurden.

Dabei kannst du in der Zulässigkeit häufiger etwas knapper prüfen als etwa in der Begründetheit oder in anderen Rechtsgebieten. Einige Voraussetzungen, zum Beispiel die Form des Rechtsbehelfs, sind oft unproblematisch und können daher kurz behandelt werden.

 

h. Was mache ich in der Begründetheit?

In der Begründetheit überprüfst du, ob das staatliche Handeln rechtmäßig war. Dabei steht vor allem die materielle, also inhaltliche Prüfung im Vordergrund, weniger die formelle. Wer die klassische Herangehensweise wählt, prüft zunächst die Zulässigkeit und gelangt erst am Ende der Klausur zur Begründetheit – dem entscheidenden Teil, wenn die Konzentration oft nachlässt. Um dieser Problematik entgegenzuwirken, gibt es zwei alternative Vorgehensweisen.

aa. Die „halbklassische“ Variante

Bei dieser Methode erfolgt zuerst eine strukturierte Erfassung der Argumente aus dem Sachverhalt. Bereits beim ersten Lesen des Sachverhalts wird eine Pro- und Contra-Tabelle erstellt, um Argumente zu sammeln. Es empfiehlt sich, auch Umkehrschlüsse einzubeziehen, also Argumente aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Im Anschluss wird die Zulässigkeit kurz ausgeführt. Dieser Schritt hat einen zusätzlichen Vorteil: Da man sich bereits gedanklich mit dem Sachverhalt befasst hat, können weitere Argumente erkannt und ergänzt werden.

In der Begründetheit werden die Argumente gewichtet. Das stärkste Argument sollte am Schluss der Argumentation stehen. Für die Reihenfolge der übrigen Argumente gibt es zwei Methoden:

Entweder werden Pro- und Contra-Argumente blockweise dargestellt

oder sie wechseln sich in einem Ping-Pong-System ab, wobei jedes Argument auf das vorherige Bezug nimmt.

Abschließend erfolgt die detaillierte Ausformulierung der Argumente, wobei jedes Argument strukturiert dargestellt wird.

Ein häufiges Problem ist eine zu knappe Argumentation. Die bloße Behauptung, dass eine Norm oder eine staatliche Maßnahme gegen ein bestimmtes Prinzip verstoße, reicht nicht aus. Eine vollständige Begründung sollte die konkreten Auswirkungen der Maßnahme erläutern und argumentativ untermauern.

 

bb. Umkehrvariante

Diese Methode beginnt – anders als die klassische oder halbklassische Variante – mit der Begründetheitsprüfung. Der Vorteil dieser Herangehensweise liegt darin, dass man mit voller Konzentration direkt in die inhaltlich wichtigste Prüfung einsteigt. Der Nachteil besteht allerdings darin, dass möglicherweise weniger Zeit bleibt, um Argumente zu durchdenken.

Der Aufbau erfolgt in vier Schritten:

1. Erstellen einer Pro- und Contra-Tabelle, wie in der halbklassischen Variante.

2. Formulierung der Begründetheit als ersten inhaltlichen Prüfungspunkt.

3. Anschließende Formulierung der Zulässigkeit, die nach der Begründetheitsprüfung ergänzt wird.

4. Abschließendes Sortieren der Blätter, sodass die Klausur in der Reihenfolge Zulässigkeit – Begründetheit abgegeben wird.

Diese Methode eignet sich für Personen, die ihre stärkste Konzentrationsphase für den wichtigsten Teil der Klausur nutzen möchten. Ob die Umkehrvariante oder eine andere Methode besser ist, hängt vom individuellen Schreibstil ab.

 

g. Wie prüfe ich die Verhältnismäßigkeit?

Ein besonderer Schwerpunkt liegt oft bei der Verhältnismäßigkeit. Dabei vergleichst du die Argumente für und gegen das staatliche Handeln. Sind die Argumente für das staatliche Handeln stärker, dann ist es rechtmäßig, und der Rechtsbehelf ist unbegründet. Sind hingegen die Argumente des Antragstellers überzeugender, war das staatliche Handeln rechtswidrig, und dein Verfahren ist begründet.

💡 staatliches Verhalten verfassungswidrig → Verfahren begründet

💡 staatliches Verhalten verfassungsmäßig → Verfahren unbegründet

Ein wesentliches Element der Prüfung bildet die Strukturierung der Angemessenheitsprüfung, die mit einem Obersatz beginnt. In der Definitionsebene wird die grundsätzliche Abwägung zwischen öffentlichem Interesse und den Rechten des Antragstellers erläutert. Die Subsumtion erfolgt anschließend durch eine konkrete Betrachtung der widerstreitenden Interessen anhand des Sachverhalts. Dabei kommt die Methode des “Wiegens” zur Anwendung, indem Vor- und Nachteile systematisch erfasst und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Die Reihenfolge der Argumente kann entweder nach der Ping-Pong-Methode oder einer anderen logischen Anordnung erfolgen. In der abschließenden Bewertung wird konkretisiert, welche Seite überwiegt und ob die Maßnahme als verhältnismäßig einzustufen ist.


Zur Strukturierung empfiehlt sich folgende Vorgehensweise:

1. Obersatz: Formulierung des zentralen Prüfungsthemas.

2. Definition: Darstellung der maßgeblichen Abwägungsmaßstäbe.

3. Subsumtion: Gegenüberstellung der widerstreitenden Interessen und systematische Analyse.

4. Argumentation: Geordnete Darstellung und Bewertung der relevanten Argumente.

5. Ergebnis: Feststellung, ob die Maßnahme als verhältnismäßig zu bewerten ist.

16. Strafrecht

Ein strafrechtliches Gutachten folgt bestimmten Regeln, die sich von anderen Rechtsgebieten unterscheiden. In diesem Kapitel wird erläutert, wie der erste Obersatz formuliert wird, wie die Handlung sprachlich eingebunden und der Erfolg im Obersatz dargestellt wird. Zudem wird auf die richtige Zeitform, die Fallfrage und die Abgrenzung zwischen Strafbarkeit und Schuld eingegangen. Darüber hinaus wird behandelt, wann keine Delikte geprüft werden müssen, wann es sinnvoll ist, ein Gutachten in Handlungskomplexe zu unterteilen und wie innerhalb eines Handlungskomplexes die Delikte geordnet werden. Abschließend geht es darum, wie ein strafrechtliches Gutachten effizient in einer Klausur geschrieben werden kann.

 

a. Wie formuliere ich den ersten Obersatz im Strafrecht?

Der erste Obersatz in einem strafrechtlichen Gutachten dient dazu, die Prüfung strukturiert einzuleiten. Es gibt keinen festen Merksatz, jedoch hat sich eine bestimmte Struktur bewährt. Der Obersatz beantwortet die Frage:

Wer hat was mit wem wonach gemacht?

Dafür werden vier wesentliche Punkte genannt:

Wer? → Täter

Was gemacht? → Sachverhalts-Handlung

Mit wem? → Opfer (falls relevant)

Wonach? → Strafnorm (Delikt und Nummer)

In manchen Fällen wird zusätzlich der Erfolg erwähnt, allerdings ist das nicht zwingend erforderlich. Dies hängt davon ab, ob der Erfolg bereits im Obersatz angesprochen werden soll oder ob dies erst im weiteren Verlauf der Prüfung geschieht.

Beispiel: R könnte sich wegen Mordes an X gemäß §§ 212 I, 211 StGB strafbar gemacht haben, indem er den Brandsatz warf und X im Feuer umkam.

 

b. Wie formuliere ich die Handlung im ersten Obersatz?

Im Strafrecht gibt es zwei relevante Handlungen: die Tatbestands­handlung und die Handlung im Sachverhalt. Der Obersatz dient dazu, zu klären, ob die Handlung des Täters tatsächlich eine Tatbestands­handlung erfüllt.

Es ist daher wichtig, die Handlung nicht direkt aus dem Gesetz zu übernehmen, sondern möglichst neutral aus dem Sachverhalt zu entnehmen. Andernfalls würde man bereits eine Wertung vornehmen, bevor die Prüfung überhaupt begonnen hat.

Am besten wird die Handlung so sachverhaltsnah wie möglich formuliert. Falls im Sachverhalt eine präzise Formulierung enthalten ist, kann diese direkt übernommen werden.

Beispiel für eine unpassende Formulierung:

T könnte sich wegen eines Diebstahls gem. § 242 I StGB strafbar gemacht haben, indem er das Shampoo wegnahm.

Hier wurde das Wort „wegnahm“ aus der gesetzlichen Definition übernommen. Damit wäre der Diebstahl bereits im Obersatz bejaht, bevor er geprüft wurde.

 

Bessere Formulierung:

T könnte sich wegen eines Diebstahls gem. § 242 I StGB strafbar gemacht haben, indem er das Shampoo in seinen Rucksack steckte.

Hier wird die Handlung aus dem Sachverhalt übernommen, ohne sie juristisch zu bewerten.

 

c. Wie binde ich die Handlung sprachlich ein?

Im Strafrecht wird der erste Obersatz häufig mit der Formulierung „indem“ gebildet. Eine ständige Wiederholung dieser Wendung kann jedoch monoton wirken. Deshalb gibt es zwei weitere Möglichkeiten, um die Handlung stilistisch abwechslungsreicher einzubinden:

1. „dadurch, dass“

2. „durch“

Diese Alternativen ermöglichen es, den Satzfluss flüssiger zu gestalten, ohne den inhaltlichen Aufbau zu verändern.

Beispiel mit „indem“ (häufig verwendet):

T könnte sich wegen eines Diebstahls gem. § 242 I StGB strafbar gemacht haben, indem er das Shampoo in seinen Rucksack steckte.

Alternative mit „dadurch, dass“: T könnte sich dadurch, dass er das Shampoo in seinen Rucksack steckte, wegen eines Diebstahls gem. § 242 I StGB strafbar gemacht haben.

Alternative mit „durch“: T könnte sich durch das Einstecken des Shampoos in seinen Rucksack wegen eines Diebstahls gem. § 242 I StGB strafbar gemacht haben.

Alle drei Varianten sind grammatikalisch und juristisch korrekt – die Wahl hängt von der stilistischen Präferenz und dem gewünschten Satzrhythmus ab.

 

d. Wann führe ich den Erfolg im ersten Obersatz auf?

Ob der Erfolg im ersten Obersatz erwähnt wird, hängt davon ab, ob es sich um ein Tätigkeits- oder ein Erfolgsdelikt handelt. Bei einem Tätigkeitsdelikt, wie etwa der Volksverhetzung nach § 130 StGB, gibt es keinen konkreten Erfolg, sodass dieser nicht aufgeführt werden muss. Die meisten Delikte, die im Gutachten geprüft werden, sind jedoch Erfolgsdelikte. Bei diesen ist es sinnvoll, den Erfolg im ersten Obersatz mit aufzunehmen, um die Vollständigkeit zu gewährleisten.

Gerade bei Erfolgsdelikten kann es hilfreich sein, den Erfolg sachverhaltsnah zu umschreiben, anstatt direkt die tatbestandliche Bezeichnung zu verwenden. Dies sorgt für eine präzisere Darstellung und verhindert Missverständnisse. Falls die Norm den Erfolg bereits deutlich umschreibt, sollte eine sprachlich saubere Lösung gewählt werden.

Ein Beispiel für eine unklare Formulierung wäre: “R könnte sich wegen Mordes an X gem. §§ 212 I, 211 StGB strafbar gemacht haben, indem er den Brandsatz warf.”

Diese Formulierung ist problematisch, weil sie den Erfolg nicht klar herausstellt. Eine bessere Formulierung wäre:

“R könnte sich wegen Mordes an X gem. §§ 212 I, 211 StGB strafbar gemacht haben, indem er den Brandsatz warf und X im Feuer umkam.”

Unschöne Formulierungen, die Erfolg und Handlung vermischen, sollten vermieden werden. Beispielsweise: “A könnte sich gem. § 212 I StGB wegen Totschlags strafbar gemacht haben, indem er auf B schoss und dieser starb.”

Besser wäre: “A könnte sich gem. § 212 I StGB wegen Totschlags strafbar gemacht haben, indem er B erschoss.”

Diese Technik kann auch bei der Prüfung von Körperverletzungs- oder versuchten Tötungsdelikten genutzt werden, indem Verben wie „angeschossen“ verwendet werden, um den Sachverhalt prägnant darzustellen.

 

e. Welche Zeit verwende ich im ersten Obersatz?

Da die Handlungen des Täters in der Vergangenheit liegen, stehen grundsätzlich zwei Zeitformen zur Verfügung: das Perfekt („hat geschossen“) und das Imperfekt („schoss“). In juristischen Gutachten ist es üblich, das Imperfekt zu verwenden. Diese Zeitform wird bevorzugt, da sie zwar Vergangenes beschreibt, aber dennoch die Möglichkeit offenlässt, dass die Handlung noch Auswirkungen in der Gegenwart hat.

Beim Gutachtenstil wird der Sachverhalt zunächst im Imperfekt wiedergegeben, während die Prüfung der rechtlichen Fragen im Präsens erfolgt. Das bedeutet, dass der Täter in der Vergangenheit gehandelt hat („schoss“), aber die Tat nun in der Gegenwart untersucht wird.

💡 Merke: Verwende das Imperfekt („schoss“).

 

f. Was beachte ich bei der Fallfrage?

Im Strafrecht kann die Fallfrage auf unterschiedliche Weise formuliert sein. In den meisten Fällen wird die Strafbarkeit aller Beteiligten geprüft, seltener hingegen die Schuld einzelner Personen. Dies ist ein wichtiger Unterschied, da er beeinflusst, welche rechtlichen Aspekte im Gutachten betrachtet werden müssen.

Daraus ergeben sich zwei wesentliche Fragen:

Was ist der Unterschied zwischen Strafbarkeit und Schuld?

Wie gehe ich vor, wenn nicht explizit nach der Strafbarkeit aller Beteiligten gefragt wird?

Die genaue Formulierung der Fallfrage gibt also die Richtung vor, in welche die Prüfung gelenkt wird. Wer die Frage richtig versteht, kann sich besser auf die relevanten rechtlichen Punkte konzentrieren.

 

h. Was ist der Unterschied zwischen Strafbarkeit und Schuld?

Der Unterschied zwischen Strafbarkeit und Schuld besteht darin, dass die Strafbarkeit weitergehende Prüfungsschritte umfasst als die Schuld. Während sich die Schuld lediglich auf die persönliche Vorwerfbarkeit einer Tat bezieht, werden bei der Strafbarkeit auch Tatbestands- und Rechtswidrigkeitsprüfungen einbezogen. Darüber hinaus gibt es einen sprachlichen Unterschied: „strafbar“ wird mit der Präposition „wegen“ gebildet („wegen Körperverletzung strafbar“), während „schuldig“ ohne Präposition auskommt („der Körperverletzung schuldig“). Beide Begriffe werden jedoch mit dem Genitiv verwendet.

Ein Beispiel verdeutlicht den Unterschied:

A hat sich wegen einer Körperverletzung gemäß § 223 I StGB strafbar gemacht.

A hat sich einer Körperverletzung gemäß § 223 I StGB schuldig gemacht.

Das Prüfungsschema der Strafbarkeit ist umfangreicher als das der Schuld. Es umfasst neben Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld auch mögliche Strafausschließungs- oder -aufhebungsgründe, Strafzumessungsregeln sowie sonstige Voraussetzungen oder Hinderungsgründe der Strafbarkeit.

💡 Tipp: Handeln im Sachverhalt Angehörige, sollten auch die sonstigen Strafbarkeitsvoraussetzungen berücksichtigt werden.

 

i. Was prüfe ich, wenn nicht nach der Strafbarkeit aller Beteiligter gefragt ist?

Wenn in einer Aufgabe nicht nach der Strafbarkeit aller Beteiligten gefragt wird, erfolgt die Prüfung oft inzident, das heißt, sie wird innerhalb der Prüfung eines anderen Beteiligten berücksichtigt. Das bedeutet, dass die Strafbarkeit einer Person nicht isoliert geprüft wird, sondern nur in Bezug auf die Frage, die explizit gestellt wurde.

Ein Beispiel macht dies deutlich:

Sachverhalt: A stiftet T an, O zu töten.

Fragestellung: Wie hat sich A strafbar gemacht?

Da in der Frage nichts zur Strafbarkeit von T steht, wird T nicht eigenständig geprüft. Stattdessen wird inzident geprüft, ob A sich wegen Anstiftung strafbar gemacht hat. Damit A sich wegen Anstiftung strafbar gemacht haben kann, müsste eine vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat vorliegen – hier also der Totschlag durch T. Deshalb muss T’s Tat inzident geprüft werden, allerdings nur insoweit, wie es für die Strafbarkeit von A erforderlich ist.

Diese Vorgehensweise sorgt dafür, dass der Fokus auf der eigentlich gestellten Frage bleibt, während dennoch die notwendigen Vorfragen beantwortet werden.

 

j. Wie übersehe ich keine Delikte?

Um sicherzustellen, dass keine Delikte übersehen werden, hilft es, den Sachverhalt in Abschnitte zu unterteilen. Diese Abschnitte können beispielsweise nach Beteiligten, dem Strafmaß oder der zeitlichen Reihenfolge geordnet werden. Durch diese Struktur kann das Gutachten nachvollziehbarer gestaltet werden und es wird vermieden, wichtige Aspekte zu übersehen.

Ein weiterer Vorteil der Einteilung in Abschnitte besteht darin, dass bei jedem neuen Komplex die Gliederung erneut durchdacht wird. So stellt man sicher, dass alle relevanten strafrechtlichen Aspekte beachtet werden. Besonders wichtig ist es, den Sachverhalt genau zu lesen, denn oft steckt der Teufel im Detail.

💡 Beispiel: T präpariert eine Fahrkarte mit Wachs, um den Stempel später abzuwischen. In einem solchen Fall könnte eine Urkundenfälschung vorliegen, die bereits durch das Auftragen des Wachses, nicht erst durch das Stempeln oder spätere Abwischen, begangen wird.

Diese systematische Vorgehensweise hilft dabei, alle möglichen Delikte zu identifizieren und in der Prüfung vollständig zu berücksichtigen.

 

k. Wann teile ich ein Gutachten in Handlungskomplexe?

Wenn der Sachverhalt Zeitsprünge, mehrere Tatorte oder viele Beteiligte enthält, kann es hilfreich sein, das Gutachten in Handlungskomplexe zu unterteilen. Diese Unterteilung sorgt für mehr Übersichtlichkeit und verhindert, dass wichtige Delikte übersehen werden.

Für diese Komplexe gibt es verschiedene Bezeichnungen, etwa “Taktkomplex” oder “Handlungsabschnitt”. Am besten eignet sich jedoch der Begriff “Handlungskomplex”, da dieser weniger juristisch-technisch klingt als „Tat“ und sich besser auf die tatsächlichen Handlungen des Täters bezieht.


💡 Wie geht man vor?

Man zählt die Handlungskomplexe auf und gibt ihnen jeweils einen passenden Titel. Dieser sollte eine möglichst neutrale Beschreibung des Geschehens enthalten, ohne die rechtliche Würdigung vorwegzunehmen. Ein passender Titel sorgt dafür, dass man den Blick nicht zu früh verengt und keine relevanten Delikte übersieht.


Beispiele:

„falsches“ Beispiel: Handlungskomplex: Tötung des O

„richtiges“ Beispiel: Handlungskomplex: Die nächtliche Heimfahrt


Diese Formulierung lässt offen, welche strafrechtlichen Konsequenzen die Handlung hat, und ermöglicht eine objektive Prüfung aller möglichen Delikte innerhalb des Handlungskomplexes.

 

l. Wie sortiere ich die Delikte innerhalb des Handlungskomplexes?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um Delikte innerhalb eines Handlungskomplexes zu ordnen. Eine Möglichkeit ist die Sortierung nach dem zeitlichen Ablauf, das heißt, man beginnt mit der ersten Handlung des Täters und arbeitet sich chronologisch vor. Eine weitere Möglichkeit ist die Einordnung nach der Schwere der Tat. Hierbei wird die schwerste Tat zuerst geprüft, da sie meist den größten Einfluss auf die rechtliche Würdigung hat. Die dritte Methode ist die Sortierung nach Tätern oder Teilnehmern, wenn mehrere Personen an der Tat beteiligt waren.

In der Regel wird empfohlen, die Delikte nach ihrer Schwere zu sortieren, da in Klausuren oft zuerst die wichtigsten Punkte geprüft werden. Gerade bei komplexen Fällen, in denen mehrere schwere Delikte vorliegen, kann es jedoch sinnvoll sein, die Sortierung stattdessen nach dem zeitlichen Ablauf vorzunehmen, insbesondere wenn der Schwerpunkt der Falllösung auf der Rechtfertigungsebene liegt. Dies hat den Vorteil, dass unnötige Inzidentprüfungen vermieden werden.

Ein Beispiel: T schleicht nachts durch den Garten von O, bricht ein und entwendet einige Gegenstände. Plötzlich wird er von O überrascht und tötet ihn. Nach dem zeitlichen Ablauf könnte man mit dem Hausfriedensbruch beginnen, da dies die erste strafbare Handlung ist. Allerdings wäre dieser im Vergleich zum späteren Mord das unwichtigste Delikt in der Prüfung. Daher kann es sinnvoller sein, direkt mit dem schwersten Delikt zu starten.

💡 Tipp: Zeichne einen Zeitstrahl, um die Handlungsabschnitte übersichtlich darzustellen, wenn du deine Lösungsskizze erstellst.

 

m. Wie schaffe ich das strafrechtliche Gutachten in einer Klausur?

In einer Klausur im Strafrecht müssen häufig viele Delikte geprüft werden. Dabei ist das Zeitmanagement eine besondere Herausforderung, da die Zeitnot in diesem Fach besonders extrem ist. Um trotzdem alle relevanten Punkte zu erfassen, sollte das Gutachten an den richtigen Stellen gekürzt werden. Dies bedeutet, dass nicht jeder Prüfungspunkt ausführlich behandelt werden muss – stattdessen sollte man gezielt abkürzen, wo es möglich ist.

Eine effektive Strategie ist es, jeden Handlungskomplex so zügig wie möglich abzuschließen. Selbst wenn am Ende der Klausur die Zeit knapp wird, sollte zumindest eine kurze Prüfung erfolgen, damit kein relevanter Punkt vollständig fehlt. Die Faustregel lautet: Kürzer als in anderen Fächern, aber dennoch so ausführlich, dass die wichtigsten rechtlichen Probleme sauber dargestellt sind.

💡 Tipp: Kürze strategisch und priorisiere die zentralen strafrechtlichen Probleme. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, die Klausur erfolgreich zu bestehen.

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