Obszöne Gesten, sexistische Zurufe oder abfällige Bemerkungen im öffentlichen Raum – all dies wird unter dem Begriff Catcalling zusammengefasst. Was viele Betroffene als massiven Eingriff in ihre persönliche Freiheit empfinden, ist in Deutschland bislang strafrechtlich nur schwer zu fassen. Die SPD will dies nun ändern und Catcalling ausdrücklich unter Strafe stellen. Doch ist ein solcher Schritt sinnvoll, notwendig – und vor allem rechtlich umsetzbar?
Der aktuelle Rechtsrahmen in Deutschland
Nach geltendem Recht können sexuell gefärbte Zurufe und Gesten nur in Ausnahmefällen strafbar sein. Zwar kommen Tatbestände wie die Beleidigung (§ 185 StGB) oder die sexuelle Belästigung (§ 184i StGB) in Betracht, doch greifen sie nicht in allen Konstellationen. Der BGH hat 2017 festgestellt, dass eine echte Gesetzeslücke besteht: Verbale sexuelle Belästigungen, die nicht die Schwelle einer „Beleidigung“ überschreiten oder keine körperliche Berührung enthalten, bleiben straflos. Damit fehlt es an einer klaren Handhabe, Täter zur Verantwortung zu ziehen.
Die politische Initiative der SPD
Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Sonja Eichwede, fordert nun, diese Lücke zu schließen. Catcalling sei „erniedrigend, angsteinjagend und entehrend“ und habe gravierende Folgen für die Opfer: Viele Frauen und Mädchen änderten aus Angst ihr Verhalten, mieden bestimmte Orte oder zogen sich aus dem öffentlichen Leben zurück. Nicht die Opfer, sondern die Täter müssten ihr Verhalten ändern. Geplant sind zunächst Geldstrafen, über die konkrete Ausgestaltung soll jedoch im Gesetzgebungsverfahren entschieden werden.
Ein Blick ins Ausland
Andere europäische Länder sind hier bereits weiter.
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Niederlande: Seit Juli 2024 ist sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum strafbar, Catcalling eingeschlossen. Erst kürzlich wurde ein Mann in Rotterdam zu einer Geldstrafe verurteilt, nachdem er eine Frau durch Zurufe bedrängt und körperlich festgehalten hatte.
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Frankreich und Portugal: Catcalling wird mit Geldbußen sanktioniert.
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Spanien: Dort können im Einzelfall sogar Haftstrafen verhängt werden.
Deutschland wäre also nicht das erste Land, das Catcalling explizit unter Strafe stellt – der europäische Trend geht klar in Richtung einer Verschärfung.
Rechtspolitische Bewertung
Eine Kriminalisierung des Catcallings wirft jedoch Fragen auf:
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Bestimmtheitsgebot: Der Straftatbestand müsste klar definieren, welches Verhalten strafbar ist, um Willkür zu vermeiden.
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Verhältnismäßigkeit: Reichen Geldbußen oder sollten Freiheitsstrafen vorgesehen werden?
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Effektivität: Lässt sich Catcalling überhaupt wirksam verfolgen, wenn es meist keine Zeugen gibt?
Gleichzeitig steht außer Frage, dass die bisherige Rechtslage unbefriedigend ist. Wer Catcalling erlebt, fühlt sich häufig ausgeliefert – eine Rechtsordnung, die sich den Schutz der Menschenwürde auf die Fahnen schreibt (Art. 1 GG), kann solches Verhalten schwerlich dauerhaft tolerieren.
Fazit
Catcalling bewegt sich bislang in einer rechtlichen Grauzone. Die Initiative der SPD zielt darauf, die Schutzlücke zu schließen und den Opfern zu signalisieren: Ihr seid nicht allein, das Recht steht an eurer Seite. Ein neuer Straftatbestand könnte dabei helfen, ein deutliches gesellschaftliches Signal zu setzen. Gleichzeitig muss die Gesetzgebung sorgfältig abwägen, um einen praktikablen, verhältnismäßigen und verfassungsgemäßen Weg zu finden.
Prüfungsrelevanz:
Das Thema ist für das Jurastudium und das Referendariat höchst examensrelevant: Es betrifft Grundfragen des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 II GG), des Strafrechts (insbesondere §§ 185 ff. StGB, § 184i StGB) sowie des Verfassungsrechts (Art. 1, 2 GG – Schutz der Würde und allgemeinen Handlungsfreiheit). Auch im Bereich der Rechtsvergleichung (Rechtslage in Nachbarstaaten) kann es als Zusatzwissen in mündlichen Prüfungen punkten.