Ich erinnere mich gut an das Wintersemester 23/24, als ich als Tutor in der O-Woche gefragt wurde, ob Jura-Professoren fair bewerten. Die Frage war nachvollziehbar – viele fangen ihr Studium mit dem Wunsch nach klaren Regeln und nachvollziehbaren Bewertungen an. Aber meine ehrliche Antwort war: nicht immer.
Ein besonders eindrückliches Beispiel stammt aus dem Wintersemester 22/23, genauer gesagt aus der Hausarbeit in Strafrecht I. Eine Kommilitonin hatte mich damals kurz vor Abgabe nach meiner eigenen Hausarbeit gefragt – als „Vorlage“, wie sie sagte. Tatsächlich reichte sie meine Arbeit fast wortwörtlich als ihre eigene ein. Ein Plagiat also, das aber nie entdeckt wurde. Der Zufall wollte es, dass unsere Arbeiten bei zwei verschiedenen Korrektoren landeten. Ich selbst bekam 8 Punkte – bestanden. Sie fiel mit 3 oder sogar nur 2 Punkten durch.
Diese Geschichte steht exemplarisch für ein größeres Problem: Die Bewertung hängt oft nicht von der Leistung allein ab, sondern auch davon, bei wem die Arbeit landet. Manche Korrektor:innen legen viel Wert auf Literaturarbeit, andere fast gar nicht. Ich kenne Fälle, in denen eine solide, gut strukturierte Hausarbeit mit nur einer halben Seite Literaturangaben durchgefallen ist – während andere, mit weniger juristischem Tiefgang, wegen umfangreicherer Quellenverzeichnisse bestanden haben.
Mir selbst ist Ähnliches passiert: Ein Freund und ich haben für die Hausarbeit in BGB II dieselbe Lösungsskizze verwendet, dieselben BGH-Urteile zitiert. Ich bekam 11 Punkte, er 8.
Auch bei Klausuren wird nicht immer mit gleichem Maß gemessen. In einigen Fällen, wie bei einer Wiederholungsklausur in Staatsrecht I oder einer regulären Klausur in BGB II, wurde exakt die gleiche Altklausur verwendet wie in den Jahren davor, lediglich der erste von 2 Teilen wurde leicht abgewandelt. Wer den Erwartungshorizont kannte, konnte praktisch nicht mehr durchfallen. Und wer diese Information nicht hatte – hatte Pech.
Die Unterschiede zwischen den Unis machen es nicht besser: In Niedersachsen braucht man für die Zwischenprüfung zwei Klausuren pro Hauptfach (BGB, ÖffR, StrafR), zwei in Grundlagenfächern und zwei Hausarbeiten. In Hessen reicht eine Klausur pro Hauptfach, keine in Grundlagen, dafür drei Hausarbeiten. Manche Unis geben ein ganzes zusätzliches Semester, wenn man wegen Krankheit eine Prüfung verpasst – andere nicht.
Kurzum: Es gibt im Jurastudium viele Stellschrauben, die mit Leistung nichts zu tun haben. Wer bei einem strengen Korrektor landet, eine Klausur verpasst oder an einer Uni mit härteren Regelungen studiert, ist im Nachteil. Gerecht fühlt sich das oft nicht an – und das zieht sich für viele leider bis ins Staatsexamen.