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Erfolgsfaktoren in der Ersten Juristischen Staatsprüfung – Eine empirische Analyse

Die Erste Juristische Staatsprüfung stellt in Deutschland das entscheidende Leistungsmaß für Jurastudierende dar und ist maßgeblich für deren weitere berufliche Laufbahn. Sie bildet die Grundlage für das anschließende Rechtsreferendariat und ist somit eine zentrale Hürde auf dem Weg zum Volljuristen. Trotz der enormen Bedeutung dieser Prüfung gibt es bislang nur wenige belastbare empirische Erkenntnisse darüber, welche Faktoren den Erfolg im staatlichen Teil des Examens tatsächlich beeinflussen.

Während die Landesjustizprüfungsämter jährlich allgemeine Statistiken zu den Examensdurchschnittsnoten veröffentlichen, fehlen umfassendere Analysen zu den individuellen Faktoren, die für ein gutes oder weniger erfolgreiches Abschneiden relevant sind. Dies ist insbesondere überraschend, da die Staatsexamina seit Jahrzehnten nach einem einheitlichen System ablaufen, jährlich von Tausenden Kandidatinnen und Kandidaten abgelegt werden und eine immense Relevanz für deren spätere berufliche Entwicklung haben. Zudem hat sich mit den privaten Repetitorien eine ganze Industrie entwickelt, die sich der Vorbereitung auf diese Prüfungen widmet, ohne dass es empirisch fundierte Erkenntnisse darüber gibt, welche Lernmethoden tatsächlich zum Erfolg führen.

Diese Untersuchung basiert auf einer umfassenden Datenauswertung aus dem Examensklausurenkurs der Universität Münster sowie den Examensergebnissen des Oberlandesgerichts Hamm. Ziel ist es, durch die Analyse dieser Datensätze belastbare Erkenntnisse über Erfolgsfaktoren im Examen zu gewinnen. Insbesondere sollen dabei zentrale Fragen zur Erfolgswahrscheinlichkeit im Examen beantwortet werden: Sind Kandidatinnen und Kandidaten mit einer guten Abiturnote auch im Staatsexamen erfolgreicher? Inwiefern beeinflusst das Schreiben von Probeklausuren die Examensleistung? Lassen sich Unterschiede zwischen den juristischen Fakultäten feststellen? Gibt es systematische Unterschiede in der Bewertung von männlichen und weiblichen Kandidaten? Und schließlich: Haben Studierende mit Migrationshintergrund schlechtere Erfolgsaussichten?

Durch die Kombination verschiedener Datensätze ergibt sich die Möglichkeit, nicht nur allgemeine Trends zu erkennen, sondern auch individuelle akademische Biografien nachzuverfolgen und Zusammenhänge zwischen Vorbereitung, Prüfungsleistung und Abschlussnote systematisch zu untersuchen. Die folgenden Analysen liefern wertvolle Einsichten darüber, welche Faktoren tatsächlich zum Erfolg im Examen beitragen und welche strukturellen Herausforderungen in der juristischen Ausbildung möglicherweise bestehen.


Datengrundlage und Methodik

Die Analyse basiert auf drei zentralen Datensätzen. Der erste Datensatz umfasst sämtliche Examenskandidaten, die zwischen September 2007 und Dezember 2010 am Oberlandesgericht Hamm geprüft wurden. Diese Daten enthalten Informationen über das Geschlecht, Geburtsdatum, den Hochschulort, die Abiturnote sowie die einzelnen Noten der schriftlichen Klausuren, des Kurzvortrags und des mündlichen Prüfungsgesprächs. Zudem wurde erfasst, ob die Kandidaten das Examen „abgeschichtet“ haben, also ob sie die Prüfung in getrennten Teilen abgelegt haben.

Der zweite Datensatz stammt aus dem Examensklausurenkurs der Universität Münster. Er enthält anonymisierte Klausurergebnisse von 2.979 Studierenden, die zwischen 1999 und 2008 mindestens zehn Klausuren im Examensklausurenkurs geschrieben haben. Neben den Noten sind auch weitere Merkmale wie Geschlecht, Fachsemester und die Reihenfolge der geschriebenen Klausuren erfasst.

Der dritte Datensatz umfasst 2.119 Klausurergebnisse von 150 Studierenden, die zwischen 2005 und 2009 eine Klausur im Examensklausurenkurs geschrieben haben. Diese Daten wurden mit den Examensergebnissen verknüpft, um individuelle akademische Entwicklungen nachzuvollziehen.

Besonders wertvoll für die Analyse war die Möglichkeit, die Examensdaten mit den Klausurenkursdaten zusammenzuführen und so akademische Biografien von Studierenden nachzuvollziehen. Darüber hinaus wurde eine Namenskodierung vorgenommen, um Migrationshintergründe zu identifizieren und deren Einfluss auf die Examensleistung zu analysieren.


Ergebnisse der Analyse

Lernen im Klausurenkurs – Wie wichtig sind Probeklausuren?

Eine zentrale Frage in der Examensvorbereitung ist, inwieweit das Schreiben von Probeklausuren einen Einfluss auf das spätere Abschneiden hat. Die Daten zeigen eindeutig, dass regelmäßiges Klausurentraining einen positiven Effekt auf die Examensleistung hat. Studierende, die zahlreiche Klausuren geschrieben haben, weisen im Durchschnitt bessere Noten auf als jene, die sich auf das reine Lernen beschränkt haben.

Die durchschnittliche Zahl geschriebener Klausuren lag bei 24 über einen Zeitraum von 43 Wochen. Bereits nach etwa 20 geschriebenen Klausuren stieg die Durchschnittsnote signifikant an und lag über 6,0 Punkten. Nach 30 Klausuren kletterte sie weiter auf 6,5 Punkte. Besonders interessant ist die Erkenntnis, dass die Lernkurve zunächst steil ansteigt, später jedoch abflacht. Dies deutet darauf hin, dass der größte Fortschritt in den ersten Klausuren gemacht wird und der Effekt mit zunehmender Übung geringer wird.

Zudem zeigen sich zwei verschiedene Lerneffekte: Ein allgemeiner Effekt, der unabhängig vom Fach ist, und ein fachspezifischer Effekt, der sich in den jeweiligen Rechtsgebieten stärker auswirkt. Studierende, die viele Klausuren im Zivilrecht schreiben, verbessern sich insbesondere in diesem Fach, profitieren aber auch in den anderen Prüfungsbereichen. Ein bemerkenswertes Phänomen ist der sogenannte „8-Wochen-Sturz“: Nach etwa acht Wochen intensiver Vorbereitung zeigt sich ein deutlicher Motivations- und Leistungsabfall. Dies könnte darauf hindeuten, dass eine Lernpause nach dieser Zeitspanne sinnvoll sein könnte, um Erschöpfung vorzubeugen.


Zusammenhang zwischen Abiturnote und Examenserfolg

Die Daten bestätigen eine signifikante Korrelation zwischen der Abiturnote und der Examensleistung. Kandidaten mit besseren Abiturnoten erzielen im Examen im Durchschnitt ebenfalls bessere Ergebnisse. Die Korrelation beträgt -0,45, was bedeutet, dass ein besseres Abitur mit einer höheren Examensnote verbunden ist. Allerdings variiert dieser Effekt zwischen den Universitäten. Während in Münster die Abiturnote 22 % der Varianz in den Examensnoten erklärt, sind es in Bochum nur 11 % und in Bielefeld 14 %. Dies könnte darauf hindeuten, dass an bestimmten Universitäten andere Faktoren stärker ins Gewicht fallen als die schulischen Vornoten.


Strategische Notenvergabe an Notenschwellen

Ein besonders interessanter Befund zeigt sich bei der Vergabe der mündlichen Prüfungsnoten. Die Daten deuten darauf hin, dass Prüfer ihre Noten gezielt so vergeben, dass Kandidaten wichtige Notenschwellen erreichen. So kommt es auffallend oft vor, dass Studierende genau die Punktzahl erreichen, die nötig ist, um beispielsweise von einem „befriedigend“ auf ein „vollbefriedigend“ gehoben zu werden. Hingegen sind Noten knapp unterhalb dieser Schwellen äußerst selten.

Interviews mit Prüfern bestätigen, dass diese Praxis bewusst eingesetzt wird, um Härtefälle zu vermeiden und die Wahrscheinlichkeit von Rechtsbehelfen zu reduzieren. Eine mögliche Reform könnte darin bestehen, den Prüfern nur die Notenstufe, nicht aber die genaue Punktzahl der schriftlichen Prüfung mitzuteilen, um strategische Beeinflussungen zu minimieren.


Geschlechts- und Herkunftseffekte

Die Untersuchung zeigt, dass Frauen im Durchschnitt schlechter abschneiden als Männer, obwohl sie bessere Abiturnoten haben. Dieser Effekt ist in der mündlichen Prüfung besonders stark ausgeprägt. Eine mögliche Erklärung könnte eine unterschiedliche Selbstwahrnehmung und Zurückhaltung im Prüfungsgespräch sein.

 

Herkunftsnachteil

Auch Kandidaten mit nicht-deutschen Namen schneiden im Examen schlechter ab. Besonders auffällig ist, dass Studierende mit einem Namen, der eine Herkunft aus dem Mittleren Osten vermuten lässt, in der mündlichen Prüfung signifikant schlechter bewertet werden (-1,25 Punkte). Dies legt nahe, dass unbewusste Vorurteile eine Rolle spielen könnten.

 

Fazit

Die Ergebnisse dieser Analyse verdeutlichen, dass gezieltes Klausurtraining eine messbare Leistungssteigerung bewirken kann. Wer regelmäßig Examensklausuren schreibt, trainiert nicht nur die juristische Argumentation und die Strukturierung von Lösungen, sondern entwickelt auch eine Routine, die im eigentlichen Examen von entscheidender Bedeutung ist. Besonders in den ersten zwanzig bis fünfundzwanzig Probeklausuren zeigt sich ein deutlicher Lerneffekt. Allerdings nimmt dieser mit steigender Klausuranzahl ab, insbesondere bei Studierenden, die bereits schwächere Leistungen aufweisen. Dies legt nahe, dass nicht allein die Anzahl der geschriebenen Klausuren entscheidend ist, sondern vielmehr eine gezielte Reflexion und Auswertung der eigenen Fehler.

Neben dem kontinuierlichen Klausurtraining spielen auch Erholung und Motivation eine zentrale Rolle in der Examensvorbereitung. Die Daten deuten darauf hin, dass regelmäßige Pausen von etwa acht Wochen sinnvoll sein können, um Motivationseinbrüche zu vermeiden und langfristig effizient zu lernen. Wer sich über Monate hinweg ohne ausreichende Erholung auf das Examen vorbereitet, riskiert nicht nur einen Leistungsabfall, sondern auch eine zunehmende Frustration. Ein durchdachtes Zeitmanagement, das intensive Lernphasen mit strategischen Erholungsphasen kombiniert, kann deshalb einen entscheidenden Vorteil bieten.

Ein weiterer kritischer Punkt betrifft die Bewertungspraxis im Examen. Die Analyse legt nahe, dass die schriftlichen Noten einen erheblichen Einfluss auf die mündliche Prüfung haben, was eine strategische Notenvergabe nahelegt. Wer in der schriftlichen Prüfung überdurchschnittlich abschneidet, hat in der mündlichen Prüfung oftmals einen Vorteil – unabhängig von der tatsächlichen Leistung im Gespräch. Dies wirft Fragen hinsichtlich der Objektivität des Prüfungsverfahrens auf und könnte eine Reform der Bewertungspraxis erforderlich machen. Darüber hinaus zeigen sich Hinweise auf eine Benachteiligung bestimmter Gruppen, insbesondere von Frauen und Studierenden mit Migrationshintergrund. Diese Aspekte sollten in zukünftigen Untersuchungen weiter analysiert werden, um eventuelle strukturelle Ungerechtigkeiten im Prüfungsverfahren besser zu verstehen und entgegenzuwirken.

Die Erste Juristische Staatsprüfung ist ein System, das einerseits stark leistungsorientiert ist, andererseits aber auch anfällig für strukturelle Verzerrungen sein kann. Wer sich gezielt mit den relevanten Erfolgsfaktoren auseinandersetzt, die eigene Vorbereitung strategisch plant und mögliche Fallstricke im Prüfungsprozess kennt, kann seine Chancen im Examen erheblich verbessern.

Die Analyse zeigt, dass der Erfolg im Staatsexamen von einer Vielzahl an Faktoren abhängt. Während eine gute Abiturnote und intensives Klausurentraining klare Vorteile bieten, existieren auch strukturelle Herausforderungen, die weiter untersucht werden sollten. Insbesondere die Benachteiligung von Frauen und Kandidaten mit Migrationshintergrund sowie die strategische Notenvergabe an Notenschwellen werfen kritische Fragen auf. Weitere Forschungen sind notwendig, um diese Mechanismen besser zu verstehen und die Chancengleichheit in der juristischen Ausbildung zu verbessern.

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