Großkanzleien gelten als Sinnbild von Prestige, Macht und hohen Gehältern. Doch eine aktuelle Studie der London School of Economics (LSE) in Zusammenarbeit mit dem Juve-Verlag legt offen, dass der Zugang zu diesen Top-Arbeitgebern vor allem einer sozialen Elite vorbehalten bleibt. Die Untersuchung von über 3.500 Anwältinnen und Anwälten zeigt: Wer es in die oberen Ränge der Großkanzleien schafft, kommt fast ausschließlich aus privilegierten Familien. Damit bestätigt sich der Eindruck, dass Großkanzleien in Deutschland nach wie vor ein elitärer Club sind.
Ergebnisse der Studie
Die Datenlage ist eindeutig: 85 Prozent der Befragten stammen aus Familien der sogenannten „oberen Gesellschaftsschicht“. Diese wird von den Forschern als „Dienstklasse“ definiert und umfasst Berufe wie Ärzte, Juristen, Ingenieure, Professoren, Geschäftsführer, Lehrer, Beamte und IT-Fachkräfte. Demgegenüber stehen nur 8 Prozent aus der Mittelschicht und 7 Prozent aus der Arbeiterklasse. Zum Vergleich: In der gesamten deutschen Erwerbsbevölkerung liegt der Anteil der Oberschicht bei lediglich 24 Prozent, während 59 Prozent der Bevölkerung der Mittelschicht angehören.
Noch deutlicher wird das Ungleichgewicht bei einem Blick auf die Karriereleiter innerhalb der Kanzleien. Auf Partnerebene, also dort, wo die entscheidenden Weichen für Macht, Einfluss und Einkommen gestellt werden, ist die soziale Herkunft noch exklusiver geprägt als bei Associates oder Counsel.
Vergleich mit anderen Eliteberufen
Besonders brisant ist die Erkenntnis, dass das soziale Gefälle in Großkanzleien selbst im Vergleich mit anderen Eliteberufen wie Ärzten, Top-Managern oder hohen Beamten auffällt. Während in diesen Bereichen immerhin rund 46 Prozent der Beschäftigten aus der Mittelschicht stammen, bleibt der Anteil in Großkanzleien drastisch niedrig.
Neue Erwartungen der jungen Juristengeneration
Neben den statistischen Auswertungen wurden auch qualitative Interviews geführt. Dabei zeigte sich, dass die kommende Juristengeneration andere Erwartungen an Arbeitgeber stellt. Der sogenannte „War for Talent“ entscheidet sich längst nicht mehr allein über Gehalt und Prestige. Junge Juristinnen und Juristen erwarten soziale Offenheit, Diversität und moderne Führungsansätze. Wer ausschließlich auf Herkunft und alte Netzwerke setzt, läuft Gefahr, wertvolle Talente zu verlieren.
Ansätze für Veränderung
Einige Kanzleien haben die Problematik erkannt und kooperieren mit Initiativen, die Studierende aus Nichtakademikerfamilien unterstützen. So engagieren sich beispielsweise A&O Shearman, Linklaters und Kapellmann gemeinsam mit der EBS Universität für Wirtschaft und Recht bei der Organisation Arbeiterkind.de. Ziel ist es, Schülern und Studierenden aus weniger privilegierten Verhältnissen den Zugang zum Studium und zu Top-Arbeitgebern zu erleichtern.
Fazit
Die Studie von LSE und Juve legt schonungslos offen, dass deutsche Großkanzleien noch immer ein elitärer Club sind. Während sich die Gesellschaft insgesamt diverser zusammensetzt, bleibt die soziale Herkunft in Kanzleien ein entscheidender Karrierefaktor. Doch der Nachwuchs fordert Veränderung – und Kanzleien, die im Wettbewerb um die besten Talente bestehen wollen, müssen darauf reagieren. Mehr Chancengleichheit, soziale Durchlässigkeit und ein breiteres Recruiting sind nicht nur gesellschaftlich geboten, sondern auch wirtschaftlich notwendig.
Relevanz
Für Jurastudierende und Referendarinnen ist die Thematik gleich in mehrfacher Hinsicht relevant: Zum einen verdeutlicht sie die Bedeutung von sozialem Kapital und Netzwerken im juristischen Berufsleben. Zum anderen schärft sie den Blick für aktuelle Diskussionen rund um Chancengleichheit, Diversität und Zugang zu Eliteberufen. Wer in Bewerbungsgesprächen oder mündlichen Prüfungen auf die sozialen Rahmenbedingungen der Anwaltschaft eingehen kann, zeigt nicht nur juristisches Wissen, sondern auch gesellschaftspolitisches Bewusstsein.