Wie die juristische Ausbildung weibliche Talente verliert

Wie die juristische Ausbildung weibliche Talente verliert

Die juristische Ausbildung in Deutschland wird nach wie vor von einer bemerkenswerten Diskrepanz zwischen dem hohen Anteil weiblicher Studierender und dem geringen Anteil weiblicher Führungskräfte geprägt. Während zu Beginn des Jurastudiums Frauen mit einem Anteil von über 60 Prozent deutlich in der Überzahl sind, kehrt sich dieses Bild in den Führungsetagen der großen Wirtschaftskanzleien nahezu vollständig um. Diese Entwicklung wirft Fragen zur Chancengleichheit, strukturellen Hindernissen und den Rahmenbedingungen für beruflichen Aufstieg von Juristinnen auf.

Nach den aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes und des Centrums für Hochschulentwicklung liegt der Frauenanteil im rechtswissenschaftlichen Studium bei rund 59 Prozent. Im ersten Fachsemester beträgt der Anteil sogar beeindruckende 63,2 Prozent. Dieser Wert bleibt im Verlauf des Studiums und auch in den Staatsprüfungen nahezu stabil. So sind im Vorbereitungsdienst weiterhin knapp 58 Prozent der Referendare weiblich. Diese Kontinuität lässt zunächst auf eine stabile und nachhaltige Entwicklung hoffen.

Doch der Blick in die Anwaltschaft zeigt ein anderes Bild. Anfang 2024 lag der Anteil der Rechtsanwältinnen in Deutschland bei lediglich 37,1 Prozent. Zwar ist dies eine erhebliche Steigerung im Vergleich zu den frühen 1990er-Jahren, als der Frauenanteil bei lediglich 15 Prozent lag, dennoch besteht eine eklatante Lücke zwischen den Zahlen der Studienanfängerinnen und denjenigen, die später in der Praxis als Rechtsanwältinnen tätig sind.

Besonders drastisch wird dieses Missverhältnis in den Führungsetagen der großen Wirtschaftskanzleien deutlich. Dort liegt der Anteil weiblicher Equity-Partner bei gerade einmal 14 Prozent. Trotz gezielter Förderprogramme und interner Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils verharrt dieser Wert seit Jahren auf einem niedrigen Niveau. Zwar werden bei Beförderungen in Counsel- und Salary-Partner-Positionen mittlerweile rund 36 bis 37 Prozent Frauen berücksichtigt, doch der Sprung in die Vollpartnerschaft bleibt für viele Frauen eine kaum überwindbare Hürde.

Die Ursachen hierfür sind vielschichtig. Einerseits liegt es an strukturellen Hindernissen innerhalb der Kanzleien selbst. Die Anforderungen an Arbeitszeit und Verfügbarkeit sind weiterhin extrem hoch. Teilzeitmodelle oder flexible Karrierewege werden zwar zunehmend angeboten, sind jedoch oft mit Stigmata behaftet und führen selten zu einer späteren Vollpartnerschaft. Andererseits spielt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine entscheidende Rolle. Gerade in einer Lebensphase, in der der Schritt in die Partnerschaft erfolgt, entscheiden sich viele Juristinnen aufgrund familiärer Verpflichtungen gegen den nächsten Karriereschritt.

Hinzu kommt ein Mangel an Vorbildern und Mentoren. Während für männliche Kollegen häufig natürliche Netzwerke und Mentorship-Strukturen existieren, fehlen solche Angebote für Frauen oder sie sind noch nicht ausreichend etabliert. Viele Kanzleien erkennen diese Problematik inzwischen und setzen auf gezielte Förderprogramme, doch der kulturelle Wandel vollzieht sich nur langsam.

Der Verlust weiblicher Talente auf dem Weg in die Führungsetagen ist nicht nur ein individuelles Problem, sondern auch ein gesamtwirtschaftliches. Die Diversität in Kanzleien ist ein entscheidender Wettbewerbsfaktor, und Studien belegen, dass heterogen besetzte Teams erfolgreicher sind. Es liegt daher im ureigenen Interesse der Kanzleien, an nachhaltigen Lösungen zu arbeiten.

Abschließend lässt sich festhalten: Die juristische Ausbildung verliert den weiblichen Nachwuchs nicht an mangelnder fachlicher Eignung, sondern an strukturellen Barrieren und fehlenden Perspektiven. Nur durch tiefgreifende Veränderungen in der Kanzleikultur, eine flexible Ausgestaltung von Karrierewegen und eine konsequente Förderung weiblicher Talente wird es gelingen, die Parität auch in den Führungsetagen der Anwaltschaft zu verwirklichen.

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