Vereinsverbot gegen COMPACT rechtswidrig – Pressefreiheit geht vor (Urteil vom 24.06.2025 – BVerwG 6 A 4.24)

Vereinsverbot gegen COMPACT rechtswidrig – Pressefreiheit geht vor (Urteil vom 24.06.2025 – BVerwG 6 A 4.24)

Das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) hatte im Juni 2024 ein aufsehenerregendes Vereinsverbot gegen das politisch rechtsgerichtete „COMPACT“-Magazin verhängt – gestützt auf das Vereinsgesetz wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Doch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat dem nun eine klare Absage erteilt: Das Verbot sei rechtswidrig und nicht mit der Meinungs- und Pressefreiheit des Grundgesetzes vereinbar.

Die Entscheidung wirft grundlegende verfassungsrechtliche Fragen auf: Wie weit reicht der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG? Wann ist ein Eingriff durch ein Vereinsverbot zulässig? Und wie wird zwischen journalistischer Tätigkeit und verfassungsfeindlicher Agitation unterschieden? Dieser Beitrag fasst die wesentlichen Erwägungen des Gerichts prägnant und examensrelevant zusammen.

 

Sachverhalt (vereinfacht)

Die COMPACT-Magazin GmbH produziert eine monatlich erscheinende Zeitschrift, betreibt eine Webseite, einen YouTube-Kanal und veranstaltet politische Kampagnen. Inhaltlich bezieht sie sich regelmäßig auf das sog. Remigrationskonzept und propagiert migrationsfeindliche sowie identitäre Positionen. Das BMI sah hierin eine gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtete Aktivität und verbot die Organisation per Verfügung nach § 3 Abs. 1 VereinsG.

COMPACT erhob Klage zum BVerwG – mit Erfolg.

 

Entscheidung des BVerwG

I. Ermächtigungsgrundlage: § 3 Abs. 1 i.V.m. § 17 Nr. 1 VereinsG

Das Vereinsgesetz findet auch auf juristische Personen wie GmbHs Anwendung, wenn diese – wie hier – als politisch motivierter Zusammenschluss organisiert sind. Entscheidend ist nicht die Rechtsform, sondern die tatsächliche Organisation und Zielrichtung.

Zwar handelt es sich bei COMPACT um ein Medienunternehmen – dennoch ist die Anwendung des VereinsG möglich. Denn das Verbot richtet sich nicht gegen die Publikationen, sondern gegen den dahinterstehenden organisatorischen Zusammenschluss, der – so das BMI – verfassungsfeindliche Ziele verfolge.

II. Materielle Voraussetzungen: „Richten gegen die verfassungsmäßige Ordnung“

Das Gericht legt § 3 Abs. 1 VereinsG im Lichte von Art. 9 Abs. 2 GG restriktiv aus. Ein Vereinsverbot ist nur zulässig, wenn der Zusammenschluss eine kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung einnimmt. Dazu gehören insbesondere:

  • die Menschenwürde,

  • das Demokratieprinzip und

  • das Rechtsstaatsprinzip.

Zwar sah das Gericht in einzelnen Inhalten des Magazins – insbesondere im Umgang mit deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund – eine mögliche Missachtung dieser Grundprinzipien. Das propagierte Remigrationskonzept stehe nicht im Einklang mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 3 GG und dem Menschenwürdeverständnis nach Art. 1 GG.

Aber: Diese Positionen allein genügen nicht für ein Vereinsverbot.

 

III. Verhältnismäßigkeit und „Prägung“ der Organisation

Entscheidend war, dass die problematischen Positionen nicht prägend für die gesamte Tätigkeit der Organisation sind. Die Presse- und Meinungsfreiheit genießen im freiheitlichen Verfassungsstaat einen sehr hohen Schutz. Auch polemische, überspitzte und provokante Inhalte sind grundsätzlich vom Schutzbereich des Art. 5 GG umfasst.


Das BVerwG betont: „Das Grundgesetz vertraut auf die Kraft der freien Meinungsbildung – auch gegenüber den Feinden der Freiheit.“

Deshalb ist ein Vereinsverbot nur dann verhältnismäßig, wenn sich die verfassungsfeindlichen Bestrebungen durchgängig und strukturell im Handeln des Zusammenschlusses widerspiegeln. Das sei bei COMPACT nicht der Fall gewesen. Die kritisierten Inhalte stellten nur einen Teil der medialen Arbeit dar – die Organisation insgesamt sei nicht als verfassungswidrig geprägt zu beurteilen.

 

Rechtsschutzmöglichkeiten

1. Hauptsacheverfahren

Streitgegenstand war ein Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG), sodass die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO statthaft war. Aufgrund der besonderen Zuständigkeit des Bundesministeriums ist nach § 50 Abs. 1 Nr. 2 VwGO das Bundesverwaltungsgericht in erster und letzter Instanz zuständig.

 

2. Eilverfahren

Parallel zum Hauptsacheverfahren konnte COMPACT bereits im August 2024 im einstweiligen Rechtsschutz (Beschl. v. 14.08.2024 – 6 VR 1.24) durchsetzen, dass die aufschiebende Wirkung ihrer Klage wiederhergestellt wurde (§ 80 Abs. 5 VwGO). Auch hier verwies das Gericht bereits auf die verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Meinungs- und Pressefreiheit.

 

Fazit

Die Entscheidung des BVerwG markiert eine klare verfassungsrechtliche Grenzziehung: Der Staat darf gegen verfassungsfeindliche Tendenzen vorgehen – aber nicht vorschnell mit der Keule des Vereinsverbots, wenn sich Äußerungen noch im Schutzbereich des Art. 5 GG bewegen.

Kritik an der Migrationspolitik, selbst in scharfer oder überzeichneter Form, darf in einer offenen Gesellschaft geäußert werden. Der Kampf gegen verfassungswidrige Ideologien muss im demokratischen Diskurs geführt werden – nicht durch vorschnelle Verbote von Presseorganen.

 

Prüfungsrelevanz

Diese Entscheidung ist ein Klausurklassiker in spe – sei es im Öffentlichen Recht AT, im Verfassungsrecht oder im Verwaltungsprozessrecht:

 

  • Abgrenzung Vereinsrecht ↔ Pressefreiheit

  • Bedeutung der Meinungsfreiheit für extreme Positionen

  • Voraussetzungen und Grenzen von Vereinsverboten

  • Prüfungsmaßstab: „Prägende Ausrichtung“ und Verhältnismäßigkeit

  • Rechtsschutz gegen sofort vollziehbare Verwaltungsakte (§ 80 V VwGO)

 


Jurastudierende sollten diesen Fall ebenso beherrschen wie Referendar:innen mit Station im Öffentlichen Recht. Die Entscheidung bietet hervorragenden Stoff für Klausuren, Hausarbeiten und mündliche Prüfungen.

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