Verletzt ein Betreuer während einer kommunalen Ferienfreizeit seine Aufsichtspflicht, haftet die Gemeinde nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG für die daraus resultierende Verletzung des Kindes.

Verletzt ein Betreuer während einer kommunalen Ferienfreizeit seine Aufsichtspflicht, haftet die Gemeinde nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG für die daraus resultierende Verletzung des Kindes.

OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 27.06.2025 – 3 U 131/23

Ein Sommerspiel im Wald endete mit einer schweren Augenverletzung – und mit einer Haftungsklage gegen die veranstaltende Gemeinde. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main stellte klar: Bei einer kommunalen Ferienfreizeit trifft die Gemeinde eine Amtshaftung, wenn ihre Betreuerinnen und Betreuer ihre Aufsichtspflicht verletzen. Selbst eine leichte Fahrlässigkeit genügt, um die Gemeinde nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG haften zu lassen.

 

Der Fall: „Feuer, Wasser, Blitz“ mit tragischem Ausgang

Ein siebenjähriger Junge nahm 2012 an einer von einer Gemeinde organisierten Ferienfreizeit teil. Rund 40 Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren wurden von mehreren Betreuungspersonen beaufsichtigt, jeweils zwei pro Gruppe.

Beim Bewegungsspiel „Feuer, Wasser, Blitz“, das Reaktionsgeschwindigkeit verlangt, hielt eines der Kinder einen etwa 40 cm langen Stock in der Hand. Auf das Kommando „Wasser“ sprangen die Kinder auf einen Baumstamm. Dabei rutschte der siebenjährige Junge ab, der Stock des anderen Kindes geriet in sein Auge, und der Junge musste per Rettungshubschrauber in eine Augenklinik gebracht werden.

 

Die rechtliche Einordnung: Amtshaftung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG

Das OLG Frankfurt a.M. qualifizierte die Betreuung der Kinder als hoheitliche Tätigkeit. Die Ferienfreizeit sei Teil der kommunalen Jugendarbeit und damit eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Folglich seien die Betreuerinnen und Betreuer im haftungsrechtlichen Sinn als „Beamte“ zu behandeln, sodass die Gemeinde für Pflichtverletzungen einzustehen habe.

Inhalt und Umfang der Aufsichtspflicht richten sich nach Alter und Charakter der Kinder, dem Umfeld und der Vorhersehbarkeit von Gefahren. Gerade bei einem Spiel mit erhöhtem Bewegungstempo – wie „Feuer, Wasser, Blitz“ – seien erhöhte Anforderungen zu stellen.

 

Aufsichtspflichtverletzung: Allgemeine Belehrung genügt nicht

Die Betreuerinnen und Betreuer hatten die Kinder zwar zu Beginn der Freizeit belehrt, nicht mit Stöcken zu werfen oder herumzufuchteln. Doch nach Auffassung des Gerichts reichte diese allgemeine Belehrung nicht aus.

Vor einem Spiel, bei dem Kinder rennen, springen und reagieren müssen, hätten die Aufsichtspersonen konkret prüfen müssen, ob noch jemand einen Stock in der Hand hält.

Das Unterlassen dieser Kontrolle wertete das Gericht als leichte Fahrlässigkeit – ausreichend für eine Haftung der Gemeinde. Die Richter betonten, dass gerade bei jüngeren Kindern (ab sechs Jahren) eine konkrete und situationsbezogene Aufsicht erforderlich sei.

 

Kein Haftungsausschluss zugunsten der Gemeinde

Weder das Sozialgesetzbuch VII noch die Teilnahmebedingungen der Ferienfreizeit konnten die Gemeinde entlasten:

  • Die gesetzliche Unfallversicherung (§§ 104, 106 SGB VII) greife nicht, da Ferienfreizeiten keine „ortsfesten Tageseinrichtungen“ nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 SGB VII seien.

  • Der Hinweis in den Teilnahmebedingungen, dass „keine Ansprüche gegenüber der Gemeinde bestehen“, sei unwirksam nach § 309 Nr. 7 a) BGB, weil Haftung für Personenschäden nicht vertraglich ausgeschlossen werden darf.

Somit hafte die Gemeinde für die fahrlässige Pflichtverletzung ihrer Betreuerinnen und Betreuer.

 

Keine Haftung des mitspielenden Kindes

Das Kind, das den Stock hielt, haftet hingegen nicht. Zwar war es fast neun Jahre alt und damit grundsätzlich einsichtsfähig (§ 828 BGB), doch das Gericht stellte fest: In der dynamischen Spielsituation überlagert der Spieleifer die Fähigkeit zur Risikobewertung.

Kinder könnten in solch emotional aufgeladenen Situationen das Gefahrenpotenzial eines Gegenstands nicht realistisch einschätzen. Es fehle daher am subjektiven Verschulden i.S.d. § 276 BGB.

 

Fazit

Das OLG Frankfurt a.M. betont die hohe Verantwortung von Betreuungspersonen bei kommunalen Ferienfreizeiten. Eine allgemeine Belehrung genügt nicht, wenn konkrete Risiken – wie das Mitführen von Stöcken bei Bewegungsspielen – vorhersehbar sind.

Die Entscheidung stärkt den Kinderschutz und verdeutlicht zugleich, dass Gemeinden für Fehler ihrer Betreuer öffentlich-rechtlich haften.

Das Verfahren wurde zur Bestimmung der Schadenshöhe an das LG Limburg zurückverwiesen.

 

Prüfungsrelevanz für Jurastudium und Referendariat

Dieser Fall ist ein Paradebeispiel für die Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) und die Aufsichtspflichtverletzung (§ 832 BGB) im öffentlichen Kontext.

Wichtige Klausurthemen:

  • Abgrenzung zwischen hoheitlichem und privatrechtlichem Handeln

  • Umfang der Aufsichtspflicht bei Minderjährigen

  • Beweislastregel des § 832 Abs. 1 S. 2 BGB

  • Verhältnis von Amtshaftung zu SGB VII (Ausschlussgründe)

  • Unwirksamkeit von Haftungsausschlussklauseln nach § 309 Nr. 7 a) BGB

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