Gefangene haben keinen Anspruch auf vegane Vollverpflegung im Strafvollzug

Gefangene haben keinen Anspruch auf vegane Vollverpflegung im Strafvollzug

BayObLG (Beschl. v. 04.09.2025, Az. 203 StObWs 239/25)


Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) stellt klar: Gefangene haben keinen Anspruch auf vegane Vollverpflegung im Strafvollzug. Die Entscheidung sorgt für Aufmerksamkeit, weil vegan lebende Menschen ihre Ernährungsweise nicht als bloße Präferenz, sondern als ethische Grundhaltung verstehen. Der Fall zeigt die Grenzen staatlicher Versorgungspflichten im Gefängnis und die Reichweite der Grundrechte im Vollzug.

Sachverhalt
Der Fall betrifft einen Inhaftierten, der sich moralisch-ethisch dem Veganismus verpflichtet fühlte und daher vegane Mahlzeiten beantragte. Die Justizvollzugsanstalt (JVA) bot jedoch nur vegetarische und laktosefreie Kost an. Ergänzend verwies sie darauf, dass der Gefangene vegane Lebensmittel auf eigene Kosten erwerben könne.

Der Gefangene berief sich auf Art. 4 Abs. 1 GG. Seine Überzeugung, keine Tierprodukte zu konsumieren, sah er als von der Glaubens- und Gewissensfreiheit geschützt an. Die JVA akzeptierte diese Haltung und stellte sie einer religiösen Überzeugung gleich. Dennoch blieb sein Antrag erfolglos.

Rechtliche Grundlage ist § 23 BayStVollzG. Danach müssen Gefangenen Speisevorschriften ihrer Religionsgemeinschaft ermöglicht werden. Entscheidend ist jedoch, dass die Vorschrift keine Pflicht zur umfassenden Umsetzung aller Ernährungsgrundsätze begründet. Der Staat muss keine vollständige Sonderverpflegung organisieren, wenn organisatorische, wirtschaftliche oder logistische Grenzen bestehen.

Das BayObLG betont zwei Aspekte:

  1. Es besteht keine Verpflichtung, jede weltanschauliche Ernährungsform vollständig zu bedienen.
    Die Anstalt darf auf Alternativen und Selbstbeschaffung verweisen, solange der Grundrechtsschutz nicht vollständig leerläuft.

  2. Vegetarische Kost und die Möglichkeit, vegane Lebensmittel zu kaufen, genügen zur Wahrung der Grundrechte.
    Eine Verletzung der Glaubens- oder Gewissensfreiheit liege nicht vor, da die ethische Überzeugung des Gefangenen weiterhin gelebt werden könne – wenn auch nur teilweise im Rahmen des Anstaltsessens.

Im Ergebnis bewertet das Gericht die Entscheidung der JVA als ermessensfehlerfrei. Es sieht weder medizinische noch zwingende religiöse Gründe, die eine vegane Vollversorgung notwendig machen würden.

Fazit
Die Entscheidung zeigt, dass Grundrechte im Strafvollzug weiterhin geschützt sind, jedoch im Rahmen der praktischen Erfordernisse des Vollzuges Einschränkungen erfahren. Veganismus wird zwar als ernst zu nehmende weltanschauliche Überzeugung anerkannt, doch daraus folgt kein umfassender Anspruch auf staatlich organisierte vegane Vollverpflegung. Die Grenze verläuft dort, wo die JVA den Betroffenen nicht daran hindert, seine Überzeugung zumindest teilweise umzusetzen – etwa durch Einkaufsmöglichkeiten.

Kritik an der Entscheidung: 

  1. Erwerbsmöglichkeiten im Strafvollzug
    Strafgefangene haben nur eingeschränkte Möglichkeiten, eigenes Geld zu verdienen. Sie sind auf die im Vollzug angebotenen Arbeiten angewiesen. Ein Anspruch auf eine bestimmte Tätigkeit oder auf angemessen vergütete Arbeit besteht nicht. Das entspricht der gesetzlichen Lage nach §§ 37 ff. StVollzG und den Landesstrafvollzugsgesetzen.
  2. Höhe der Löhne
    Die Entlohnung liegt bundesweit extrem niedrig. Realistisch verdienen Gefangene – je nach Bundesland und Arbeitsstufe – oft zwischen 1 und 3 Euro pro Stunde bzw. 300–400 Euro pro Monat bei Vollzeitarbeit.
    Dies ist öffentlich belegt, wird seit Jahren kritisiert und wurde u.a. auch vom Bundesverfassungsgericht und dem EGMR in verschiedenen Zusammenhängen angesprochen.
  3. Marktpreise veganer Lebensmittel
    Veganer Ersatzprodukte (z. B. Hülsenfrüchte, pflanzliche Drinks, Aufstriche) sind gegenüber Basislebensmitteln zwar nicht zwingend teurer, aber deutlich teurer als die kostenlose Grundversorgung.
    Gerichte berücksichtigen in der Regel nicht die Preis-/Lohnrelation, sondern nur, ob der Zugang theoretisch besteht.
  4. Rechtlicher Punkt
    Das BayObLG knüpft an § 23 BayStVollzG an, der nur ermöglicht, Speisevorschriften zu verfolgen – nicht aber garantiert, dass dies finanziell realisierbar ist. Das Gericht hat die reale wirtschaftliche Situation nicht vertieft, sondern lediglich abstrakt auf „Erwerbsmöglichkeiten“ verwiesen.

Prüfungsrelevanz
Für Studium und Referendariat bietet der Fall eine klassische Konstellation: Grundrechte im Strafvollzug, Auslegung von Art. 4 GG, Verhältnis von Religions- und Weltanschauungsfreiheit zu den organisatorischen Grenzen staatlichen Handelns. Zentral ist zudem die Abgrenzung zwischen Ermöglichungspflicht und Vollverpflegungsanspruch nach Landesstrafvollzugsgesetzen.

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