Wer im Homeoffice arbeitet und aus dem Fenster springt, um sich vor einer Akku-Explosion zu retten, erleidet keinen Arbeitsunfall.

LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.10.2025 – L 21 U 47/23

LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.10.2025 – L 21 U 47/23

Ein spektakulärer Fall aus dem Homeoffice: Ein Softwareentwickler springt während einer Telefonkonferenz aus dem Fenster, um sich vor einer Akku-Explosion zu retten – und verletzt sich dabei schwer. Trotzdem erkennt das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg den Vorfall nicht als Arbeitsunfall an.

Warum? Weil es um das Motiv ging – und nicht um die Arbeit.


Der Fall: E-Roller-Akkus explodieren im Homeoffice

Der Kläger arbeitete als Softwareentwickler im Homeoffice in Berlin. Während einer Telefonkonferenz bemerkte er Rauch in der Wohnung. Als er nach der Ursache sehen wollte, explodierten zwei E-Roller-Akkus, die im Flur standen. Es kam zu einer Stichflamme und dichter Rauchentwicklung. Weil die Wohnungstür unpassierbar war, sprang der Mann aus dem Fenster im ersten Stock, um sein Leben zu retten. Dabei brach er sich beide Füße.

Er beantragte die Anerkennung als Arbeitsunfall – schließlich habe sich der Unfall während der beruflichen Tätigkeit ereignet. Doch die Berufsgenossenschaft lehnte ab. Auch vor dem Sozialgericht blieb der Mann erfolglos.


Die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg

Das Landessozialgericht bestätigte: Der Fenstersprung war kein Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII.

Zwar habe sich der Vorfall zeitlich während der Arbeit ereignet, doch entscheidend sei, aus welchem Motiv der Versicherte gehandelt habe. Das Gericht führte aus, der Sprung habe allein dem Zweck gedient, das eigene Leben zu retten – ein „überragend wichtiges privates Motiv“. Dass der Kläger dadurch gleichzeitig seine Arbeitskraft erhalten habe, sei „vollkommen nachrangig“.

Damit fehlte die erforderliche sachliche Verbindung zwischen der versicherten Tätigkeit (Telefonkonferenz) und dem Ereignis (Fenstersprung).


Kein Versicherungsschutz trotz Homeoffice

Das LSG berief sich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Unfallversicherung im Homeoffice. Zwar hatte das BSG 2024 entschieden, dass von privaten Gegenständen ausgehende Gefahren im Homeoffice versichert sein können – wenn sie der beruflichen Tätigkeit dienen.
Doch die Akkus des E-Rollers seien kein Arbeitsmittel gewesen. Sie standen zufällig in der Wohnung und dienten nicht der Durchführung der Telefonkonferenz.

Somit lag keine betriebsbezogene Gefahr vor, sondern eine rein private Gefahrensituation, die außerhalb des Versicherungsschutzes fällt.


Bedeutung der Entscheidung

Das Urteil zeigt eindrücklich die Grenzen des Unfallversicherungsschutzes im Homeoffice. Nicht jede Verletzung, die während der Arbeit zu Hause passiert, ist automatisch ein Arbeitsunfall. Entscheidend bleibt stets, ob der Vorfall objektiv mit der beruflichen Tätigkeit verknüpft ist.

Das LSG macht damit klar: Selbst Lebensgefahr begründet keinen Versicherungsschutz,
wenn das Motiv für die Handlung privat und nicht betriebsbedingt war.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig; die Revision wurde nicht zugelassen.


Fazit

Auch wenn der Fall tragisch klingt, folgt das Gericht der gefestigten sozialrechtlichen Linie: Die gesetzliche Unfallversicherung schützt nur berufliche Risiken, nicht jedoch private Rettungshandlungen. Für Jurastudierende bietet der Fall ein spannendes Beispiel dafür, wie Motivlagen und Kausalzusammenhänge in der sozialrechtlichen Prüfung eine entscheidende Rolle spielen.


Prüfungsrelevanz für Studium und Referendariat

In Klausuren zum Sozialrecht oder Arbeitsrecht kann der Fall prüfungsrelevant sein – insbesondere im Kontext des § 8 SGB VII:

  • Abgrenzung zwischen privaten und betrieblichen Tätigkeiten

  • Begriff der „sachlichen Verbindung“ zur versicherten Tätigkeit

  • Bedeutung des Rettungsmotivs und inneren Zusammenhangs

  • Homeoffice-Rechtsprechung des BSG (2024) als Bezugspunkt

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