Negative Google-Bewertung über Kanzlei ist von der Meinungsfreiheit gedeckt

Negative Google-Bewertung über Kanzlei ist von der Meinungsfreiheit gedeckt

OLG Stuttgart, Urt. v. 29.09.2025 – 4 U 191/25


Darf ein enttäuschter Mandant eine Anwaltskanzlei im Internet mit scharfen Worten kritisieren – oder überschreitet er damit die Grenze zur unzulässigen Schmähung? Das Oberlandesgericht Stuttgart hat entschieden: Auch harte, subjektiv empfundene Kritik ist zulässig, solange sie als Meinungsäußerung erkennbar bleibt. Das Urteil stärkt die Meinungsfreiheit im digitalen Raum und setzt klare Grenzen für den Schutz des Unternehmenspersönlichkeitsrechts.

 

 

Der Fall: Unzufriedener Mandant und deutliche Worte

Ein Mann hatte im Jahr 2023 eine mittelständische Kanzlei mit einer arbeitsrechtlichen Angelegenheit beauftragt. Nach wenigen Wochen kündigte er das Mandat – enttäuscht von der Zusammenarbeit. Anschließend veröffentlichte er auf Google eine negative Bewertung, in der er unter anderem schrieb, sein Anwalt sei „konsequent unvorbereitet“ gewesen, habe „keine wirklichen Nachforschungen angestellt“, und er habe die Kanzlei mehrfach an „wichtige Termine und Fristen erinnern“ müssen.

Die Kanzlei sah darin eine rufschädigende Tatsachenbehauptung und klagte auf Unterlassung. Das Landgericht Tübingen gab der Kanzlei zunächst teilweise recht. Doch der Mandant legte Berufung ein – mit Erfolg.

 

Die Entscheidung des OLG Stuttgart

Das OLG Stuttgart hob das Urteil des Landgerichts auf und erklärte die gesamte Bewertung für zulässig.

Begründung: Die beanstandeten Äußerungen seien Meinungsäußerungen, keine überprüfbaren Tatsachenbehauptungen.

Der Satz, der Mandant sei „im Unklaren gelassen“ worden, sei eine subjektive Bewertung seines Kommunikationsgefühls – kein objektiv überprüfbarer Vorgang.

Auch die Aussagen über „fehlende Vorbereitung“ oder „falsche Ratschläge“ seien Werturteile. Selbst der Hinweis, er habe „an Fristen erinnern“ müssen, enthalte zwar ein Tatsachenelement, werde aber im Gesamtkontext als kritische Meinungverstanden.

Damit greife der Mandant zwar in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Kanzlei ein, doch dieser Eingriff sei von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt.

 

Meinungsfreiheit versus Unternehmenspersönlichkeitsrecht

In der gebotenen Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Mandanten und dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Kanzlei gab das Gericht der freien Meinungsäußerung den Vorrang.


Das OLG betonte:

„Kritik an beruflicher Leistung ist grundsätzlich zulässig – auch wenn sie scharf, überzogen oder emotional formuliert ist.“


Solange keine Schmähkritik oder bewusst unwahre Tatsachen vorliegen, dürfe ein Mandant seine negative Erfahrung öffentlich teilen.

Hier lag eine Auseinandersetzung in der Sozialsphäre der Kanzlei vor – also im beruflichen Kontext –, in dem Kritik regelmäßig hinzunehmen sei.

Besonders relevant: Das Gericht sah tatsächliche Anhaltspunkte für die geschilderten Erlebnisse – etwa verspätete Rückmeldungen oder Unklarheiten im Verfahren. Das reiche, um die Kritik als sachbezogen und nicht als reine Diffamierung zu werten.

 

Bedeutung für Kanzleien und Mandanten

Das Urteil verdeutlicht, dass Google-Bewertungen keine Schönwetter-Kommentare sein müssen. Mandanten dürfen auch deutliche Kritik äußern, solange sie erkennbar subjektiv bleibt und auf einem realen Erlebnishintergrund beruht.


Für Kanzleien und andere Dienstleister bedeutet das:

  • Sie müssen auch scharfe öffentliche Kritik aushalten, sofern sie nicht bewusst unwahr oder beleidigend ist.

  • Nur bei ehrverletzenden oder falschen Tatsachenbehauptungen können Unterlassungsansprüche bestehen.

  • Wer gegen negative Bewertungen vorgeht, sollte sorgfältig prüfen, ob tatsächlich eine Rechtsverletzung oder lediglich eine unbequeme, aber erlaubte Meinung vorliegt.

Für Verbraucher schafft das Urteil mehr Rechtssicherheit: Sie dürfen ihre Erfahrungen in Bewertungen klar und emotional formulieren – solange die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten wird.

 

Fazit

Das OLG Stuttgart stärkt mit seiner Entscheidung die Meinungsfreiheit im Online-Bewertungswesen. Selbst überspitzte oder harsche Formulierungen sind hinzunehmen, wenn sie erkennbar subjektive Kritik an der erbrachten Leistung ausdrücken.

Kanzleien und Unternehmen müssen sich bewusst sein: Wer am Markt tätig ist, muss auch kritische Stimmen aushalten. Nur nachweislich falsche Behauptungen können entfernt werden.

 

Prüfungsrelevanz für Jurastudium und Referendariat

Dieser Fall ist examensrelevant im Medien-, Zivil- und Verfassungsrecht, insbesondere:

  • Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung (§ 1004 BGB analog i.V.m. Art. 5 GG)

  • Abwägung zwischen Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und Unternehmenspersönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG)

  • Kriterien der Schmähkritik und des Sachbezugs bei Online-Bewertungen

Gerade für mündliche Prüfungen ist die Entscheidung ein Klassiker zur Meinungsfreiheit in der digitalen Öffentlichkeit.

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