OLG München, Beschl. v. 26.09.2025 – 19 U 2796/24 e
Dass Richter Ruhe und Souveränität ausstrahlen sollen, ist selbstverständlich. Doch wie weit darf ein Richter gehen, wenn eine Partei oder ihr Anwalt das Verfahren immer wieder aus dem Ruder laufen lassen? Das Oberlandesgericht (OLG) München hat hierzu eine klare Antwort gefunden: Nicht jedes deutliche Wort und schon gar nicht jede spontane Emotion begründet den Verdacht der Befangenheit. Im Gegenteil – wer das Verfahren provoziert, darf sich über ein kräftiges „Auf-den-Tisch-Hauen“ nicht wundern.
Der Fall: „Unbeherrschte Emotionen“ oder schlicht Konsequenz?
In einem Zivilprozess um die Rückzahlung eines Darlehens war die Stimmung im Gerichtssaal angespannt. Der Vorsitzende Richter hatte während der Verhandlung mit der flachen Hand auf den Tisch geschlagen und die Beklagtenseite mit Nachdruck aufgefordert, ihre Wahrheitspflichten nach § 138 ZPO einzuhalten. Die Beklagtenanwälte empfanden das als „unbeherrschte Emotionen“ und warfen dem Richter sowie der Berichterstatterin Befangenheit vor (§ 42 Abs. 2, § 44 ZPO).
Ihre Begründung: Der Richter habe durch Gestik und Tonfall seine Neutralität verloren, während die Berichterstatterin mit Äußerungen wie „Lassen Sie diese Spielchen“ die Glaubwürdigkeit der Beklagtenseite infrage gestellt habe.
Das OLG München wies die Ablehnungsgesuche jedoch zurück – mit bemerkenswerter Deutlichkeit.
Die Entscheidung: Deutliche Worte sind erlaubt
Das Gericht stellte zunächst klar, dass es für die Annahme der Befangenheit nicht darauf ankommt, ob ein Richter tatsächlich voreingenommen ist, sondern darauf, ob aus Sicht einer vernünftigen Partei der „böse Schein“ einer Parteilichkeit entstehen könnte.
Unsachliche oder beleidigende Äußerungen können selbstverständlich eine Ablehnung rechtfertigen. Doch, so das OLG, „persönliche Spannungen“ oder „lebhafte Wortwechsel“ seien im Zivilprozess nichts Ungewöhnliches – Streit sei schließlich „Wesenskern des kontradiktorischen Verfahrens“.
Ein Richter dürfe „lebhaft sein, auch laut und deutlich sprechen und seiner Pflicht mit Eifer und Leidenschaft nachgehen“, solange sich seine Äußerungen auf die Sachebene beziehen. „Bloße Unmutsäußerungen“ oder verständliche emotionale Reaktionen auf provozierendes Verhalten einer Partei seien kein Grund für eine Befangenheitsbesorgnis.
Richter müssten nicht „Engelsgeduld“ zeigen – sie dürften vielmehr „Nachdruck verleihen, um die Ordnung des Verfahrens zu sichern“.
Hintergrund: Was bedeutet Befangenheit nach § 42 ZPO?
Nach § 42 Abs. 2 ZPO kann ein Richter abgelehnt werden, wenn ein Beteiligter objektiv Anlass hat, an seiner Unparteilichkeit zu zweifeln. Entscheidend ist der Eindruck eines vernünftigen Prozessbeteiligten.
Eine Ablehnung ist also kein „Sympathietest“, sondern eine juristisch eng gefasste Ausnahme – sie soll nur greifen, wenn der Richter den Anschein erweckt, dass er nicht mehr in der Lage ist, „vollkommen gerecht und von jeder falschen Rücksicht frei“ zu entscheiden.
Das OLG München betonte, dass Richter nicht zum Schweigen oder zur Passivität verpflichtet sind. Ein klar geführtes Verfahren, auch mit deutlichen Worten, sei gerade Ausdruck richterlicher Autorität und keine Parteilichkeit.
Anwendung im konkreten Fall
Im entschiedenen Fall war für das Gericht ausschlaggebend, dass die Beklagtenseite wiederholt Verfahrenspflichten missachtet hatte – etwa Zustellungen ignorierte und Schriftsätze nicht entgegennahm.
Vor diesem Hintergrund sei der „Tischschlag“ des Vorsitzenden nichts anderes gewesen als eine zulässige Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Verhandlungsdisziplin.
Auch die Bemerkung „Lassen Sie diese Spielchen“ sei im Zusammenhang zu sehen: Die Partei habe wiederholt falsche Angaben zu Zustellungen gemacht, sodass eine scharfe Reaktion nachvollziehbar und noch im Rahmen sachlicher Kritik geblieben sei.
Das Fazit des OLG fiel entsprechend deutlich aus: Der behauptete „klare Verstoß gegen die Neutralitätspflicht“ sei schlicht „abwegig“.
Fazit
Richter dürfen und müssen Verfahren mit Nachdruck leiten – auch wenn das gelegentlich laut oder emotional wird. Befangenheit liegt erst dann vor, wenn sich ein Richter persönlich herabsetzend, parteiisch oder beleidigend äußert.
Das OLG München erinnert damit an ein wichtiges Gleichgewicht: Richter sind keine Maschinen, sondern Menschen – mit Verantwortung, Haltung und Emotionen.
Wer das Verfahren durch unkooperatives Verhalten provoziert, kann sich am Ende nicht auf die eigene Provokation berufen.
Prüfungsrelevanz für das Jurastudium und Referendariat
Der Beschluss ist examensrelevant, weil er das Zusammenspiel von §§ 42, 44 ZPO (Ablehnung wegen Befangenheit)und den Pflichten aus § 138 ZPO (Wahrheitspflicht) illustriert. Besonders wichtig ist das Verständnis des objektiven Befangenheitsmaßstabs („böser Schein“) und der Abgrenzung zwischen sachlicher Strenge und unzulässiger Parteilichkeit.
In mündlichen Prüfungen kann die Frage auftauchen, wann eine deutliche oder emotionale Reaktion eines Richtersnoch zulässig ist – hier liefert das OLG München eine praxisnahe und examensnahe Antwort.

