Wer Sozialleistungen beantragt, ist verpflichtet, seine Einkommensverhältnisse vollständig und wahrheitsgemäß anzugeben. Dass ein Verstoß gegen diese Pflicht erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen kann, zeigt eine aktuelle Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen. Eine Frau, die jahrelang als Küchenhilfe arbeitete und gleichzeitig Grundsicherungsleistungen bezog, muss über 18.000 Euro zurückzahlen. Die Richter erkannten in ihrem Verhalten eine rechtswidrige Erschleichung von Leistungen – und bestätigten die Rücknahme der Bewilligungsbescheide.
Sachverhalt
Die Klägerin war über mehrere Jahre hinweg in einem Fischrestaurant in Ostfriesland als Küchenhilfe beschäftigt. Bei der Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB II gab sie monatliche Einkünfte von lediglich 100 Euro an. In späteren Folgeanträgen machte sie zum Teil gar keine Angaben oder verneinte ausdrücklich das Vorliegen von Einkommen.
Erst nachdem die Klägerin im Rahmen eines Zeitungsartikels über das Restaurant bildlich hervorgehoben wurde, kam Bewegung in die Sache: Die Behörde forderte eine erneute Einkommensbescheinigung an – wieder wurden nur 100 Euro angegeben. Doch eine Durchsuchung der Betriebsräume durch den Zoll brachte neue Erkenntnisse ans Licht: Handschriftliche Lohnlisten belegen wiederkehrende, nicht deklarierte Barlohnzahlungen, deutlich über der angegebenen Höhe.
Verfahrensverlauf
Das Sozialgericht Aurich hatte der Klage gegen den Rückforderungsbescheid zunächst stattgegeben. Das LSG Niedersachsen-Bremen hob dieses Urteil nun auf und entschied zugunsten der Behörde. Nach Überzeugung des Gerichts sprechen die Gesamtumstände – einschließlich der Aussagen der Arbeitgeberin und von Zeugen – dafür, dass die Klägerin in größerem Umfang tätig und entsprechend entlohnt worden war. Die offiziell angegebenen 100 Euro seien angesichts der tatsächlichen Arbeitsleistung nicht plausibel.
Da das Einkommen im Nachhinein nicht exakt beziffert werden konnte, wurde die Klägerin so behandelt, als habe sie während des gesamten Bezugszeitraums nicht hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 9 Abs. 1 SGB II gewesen.
Rechtslage
Die Rückforderung erfolgte auf Grundlage des § 45 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II und § 330 Abs. 2 SGB III. Danach ist ein begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn er rechtswidrig ist und sich der Begünstigte nicht auf Vertrauensschutz berufen kann. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Bewilligung auf falschen Angaben beruht – so wie hier.
Für den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ist das Bestehen von Hilfebedürftigkeit zentrale Voraussetzung. Diese entfällt, wenn der Lebensunterhalt durch eigenes Einkommen oder Vermögen gesichert werden kann. Einkommen in diesem Sinne umfasst sämtliche Geldzuflüsse, unabhängig davon, ob sie ordnungsgemäß versteuert oder gemeldet wurden (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II).
Ergebnis
Die Frau muss die zu Unrecht bezogenen Leistungen in Höhe von rund 18.000 Euro zurückzahlen. Die Tatsache, dass das Einkommen nicht auf den Cent genau nachgewiesen werden konnte, steht dem nicht entgegen. Entscheidend war, dass nach der Überzeugung des Gerichts von einer durchgehenden Erwerbstätigkeit mit einem Einkommen oberhalb der Hilfebedürftigkeit auszugehen war.
Die Revision wurde vom LSG nicht zugelassen.
Prüfungsrelevanz
Der Fall eignet sich hervorragend zur Vertiefung folgender prüfungsrelevanter Themen:
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Voraussetzungen der Hilfebedürftigkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 SGB II
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Einkommensbegriff des § 11 Abs. 1 SGB II
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Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 SGB X
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Vertrauensschutz im Sozialverwaltungsrecht
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Anforderungen an die Plausibilitätsprüfung von Einkommensangaben im Leistungsbezug
Auch für mündliche Prüfungen bietet sich der Fall an, da hier öffentlich-rechtliche Fragen mit sozial- und verfahrensrechtlichen Problemstellungen kombiniert werden.