Überdurchschnittliche Leistungen durch 9 Qualitätsmerkmale

Überdurchschnittliche Leistungen durch 9 Qualitätsmerkmale

Überdurchschnittliche juristische Leistungen entstehen nicht zufällig, sondern beruhen auf einem klar identifizierbaren Qualitätsprofil. Dieses Profil lässt sich strukturell erfassen und bietet damit eine präzise Grundlage, um die eigenen Fähigkeiten gezielt zu schärfen. Klausuren und Hausarbeiten folgen dabei denselben Bewertungsmaßstäben. Diese neun Gruppen bestimmen die Qualität: Struktur, Stringenz, Strategie, Vollständigkeit, Genauigkeit, Wissen, Begründungstiefe, Differenzierung und Sprache. 

 

1. Struktur 

Struktur ist einer der zentralen Erfolgsfaktoren. Wer systematisch denkt, argumentiert und prüft, schafft es, komplexe Rechtsfragen klar zu ordnen und überzeugend darzustellen – eine Fähigkeit, die Prüfer:innen konsequent mit besseren Noten belohnen. Doch Struktur bedeutet weit mehr als das bloße Abarbeiten von Schemata. Struktur bedeutet die klare Ordnung juristischer Argumentation durch Oberbegriffe und untergeordnete Merkmale.

Im Strafrecht zeigt sich dies im Aufbau über objektiven und subjektiven Tatbestand, im öffentlichen Recht etwa im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mit seinen Elementen legitimer Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Mittel-Zweck-Relation. Solche Gliederungen bilden das Fundament jeder juristischen Prüfung, reichen jedoch für überdurchschnittliche Leistungen noch nicht aus. Eine wirklich tragfähige Struktur verlangt Ausdifferenzierung und präzise Wertungsarbeit.

Die Mittel-Zweck-Relation verdeutlicht das. Häufig bleibt unklar, welche Zwecke verfolgt werden und welche Nachteile eine Maßnahme verursacht. Erst die Gegenüberstellung der mit der Maßnahme verfolgten Vorteile, der eintretenden Nachteile und ihrer jeweiligen Wahrscheinlichkeit erlaubt eine belastbare Wertung. Entscheidend ist, ob die Nachteile wesentlich überwiegen. Das bekannte Spatzenbeispiel im Strafrecht beschreibt dies anschaulich: Nicht der Wert des Spatzes ist entscheidend, sondern die dahinterstehenden Rechtsgüter und die Schwere ihrer Beeinträchtigung. Nur ein deutliches Überwiegen der negativen Folgen macht eine Maßnahme unverhältnismäßig.

Struktur setzt sich in der Fallbearbeitung fort. Grobe Skizzen mit einem bloßen (+) oder (–) führen zu oberflächlichen Ausführungen. Eine differenzierte Skizze zwingt zum Denken. Das Beispiel der Erforderlichkeit im Rahmen des § 32 StGB zeigt, dass Alternativen geprüft, ihre Eingriffsintensität bewertet und ihre Effektivität verglichen werden müssen. Erst diese Vorarbeit ermöglicht eine überzeugende Bewertung. Mit wachsender Übung verkürzt sich die Skizze, ohne an Tiefe zu verlieren.

Struktur betrifft nicht nur den äußeren Aufbau, sondern das Denken selbst. Ergebnisorientiertes Schreiben verfälscht Wertungen. Strukturen müssen fortlaufend hinterfragt und an Rechtsprechung und Gesetzeslagen angepasst werden, um Fehlerquellen und unreflektierte Vereinfachungen zu vermeiden. Struktur bedeutet somit analytische Haltung, präzise Einordnung und konsequente Wertung.

Tipps für mehr Struktur

  • Fachaufsätze sollten stets daraufhin gelesen werden, welche Wertungsmuster darin dargestellt und analysiert werden.
  • Wenn ein erster Aufsatz unklar bleibt, sollte bewusst ein zweiter herangezogen werden, um den Zugang zum Thema zu vertiefen.
  • Zu zentralen Entscheidungen sollten mindestens zwei Urteilsbesprechungen gelesen werden, um verschiedene juristische Blickwinkel zu erfassen.
  • Eigene Prüfungsfolgen für Standardprobleme sollten auswendig gelernt und kontinuierlich verfeinert werden.
  • Auch in vertrauten Rechtsgebieten sollten bestehende Strukturen regelmäßig überprüft und weiter präzisiert werden.
  • Schreibe Musterlösungen zu Klausuren, die du bereits bearbeitet hast, und analysiere dabei jeden Prüfungsschritt bewusst, um Denkfehler, unsaubere Wertungen und argumentative Lücken klar zu erkennen.

 

2. Stringenz

Überdurchschnittliche Leistungen entstehen nur, wenn eine juristische Arbeit nicht nur strukturiert, sondern auch stringent ist. Stringenz bedeutet, dass alle Argumente logisch aufeinander aufbauen, keine Brüche entstehen und die dogmatische Reihenfolge eingehalten wird. Der Begriff wird teils mit „Schlüssigkeit“ übersetzt, im juristischen Kontext ist dieser Ausdruck jedoch missverständlich, weil „Schlüssigkeit“ im Prozessrecht ein eigener Fachbegriff ist. Gemeint ist hier eine durchgehend folgerichtige Gedankenführung ohne Widersprüche.

Unstringente Arbeiten entstehen oft dort, wo Prüfungsabläufe vermischt oder dogmatische Reihenfolgen ignoriert werden. Typisches Beispiel aus dem Zweiten Staatsexamen: In vielen Anwaltsklausuren wird sofort eine Beweisprognose vorgenommen, ohne vorher festzustellen, ob eine Tatsache überhaupt streitig ist und wer die Beweislast trägt. Unstreitige Tatsachen werden anschließend dennoch mit einem Beweisantritt versehen. Das ist nicht nur unnötig, sondern widerspricht der inneren Logik des Gutachtens.

Auch in der Fallbearbeitung zeigt sich mangelnde Stringenz durch falsche Reihenfolgen. Im Spatzenbeispiel wäre eine Prüfung der Mittel-Zweck-Relation nicht mehr stringent, wenn zuvor bereits feststeht, dass das Mittel nicht geeignet ist. Geeignetheit ist zwingend vor der Mittel-Zweck-Relation zu prüfen. Der alte Lehrsatz „Alles, was überflüssig ist, ist falsch“ weist genau darauf hin: Wer unnötige Schritte einbaut oder dogmatische Strukturen verdoppelt, erzeugt Brüche im Gedankengang.

Ein weiteres Beispiel für fehlende Stringenz ist die unnötige Inzidentprüfung. Im Zivilrecht muss die unerlaubte Handlung des Verrichtungsgehilfen nicht im Rahmen des § 831 Abs. 1 BGB erneut geprüft werden, wenn ohnehin Ansprüche unmittelbar gegen den Gehilfen untersucht werden. Zwar ist eine doppelte Prüfung kein schwerer formaler Fehler, aber sie verkompliziert den Aufbau unnötig und wirkt unsauber.

Stringenz bedeutet zudem, Unnötiges wegzulassen. Ausführungen ohne Wertungsfunktion stören den Fluss. Historische Hintergründe einer Norm sind regelmäßig nicht prüfungsrelevant und sollten nicht dargestellt werden, es sei denn, sie spielen im Rahmen einer historischen oder teleologischen Auslegung eine konkrete Rolle. Entscheidend ist damit, dass jede Überlegung eine wertungsleitende Funktion erfüllt. Alles andere hemmt die Klarheit der Argumentation.

Kleine Stringenzmängel schwächen eine Arbeit nicht immer unmittelbar, doch in der Summe verhindern sie, dass eine Klausur als überdurchschnittlich bewertet wird. Größere Stringenzfehler – etwa echte Widersprüche, massive Aufbaufehler oder eine falsche Prüfungsreihenfolge – können eine grundsätzlich gute Arbeit sogar vollständig entwerten. Stringenz entscheidet daher maßgeblich darüber, ob eine juristische Leistung überdurchschnittlich wahrgenommen wird oder nicht.

Tipps für einen stringenten Aufbau

  • Stelle dir bei jedem Gutachten die Frage, ob der Aufbau logisch, folgerichtig und ohne Brüche ist.
  • Erstelle stets eine Lösungsskizze; je detaillierter sie ist, desto eher entdeckst du Unstimmigkeiten, bevor du zu schreiben beginnst.
  • Suche für jede Problematik eine klare Struktur oder Prüfungsfolge; existiert keine, entwickle eine eigene und wende sie konsequent an.
  • Nutze deinen gesunden Menschenverstand und überprüfe, ob deine Argumente nachvollziehbar, logisch aufgebaut und vollständig sind.
  • Lies jeden Text kritisch gegen und streiche alles, was keine Funktion hat oder die Wertung nicht voranbringt.

 

3. Strategie 

Strategie bedeutet im Prüfungskontext nicht, ein gewünschtes Ergebnis durchzusetzen. Gemeint ist die Fähigkeit, eine konstruierte Klausur so anzugehen, dass Ressourcen optimal genutzt und Inhalte unter Zeitdruck präzise dargestellt werden. Examensklausuren bilden nie die Realität ab, auch nicht im Zweiten Staatsexamen. Selbst dort werden reale Fälle gezielt so modifiziert, dass typische Probleme eingebaut oder erweitert werden. Deshalb muss jede erkannte Problematik stets kritisch geprüft werden: Ist es wirklich das bekannte Standardproblem – oder eine Abwandlung?

Strategisches Vorgehen bedeutet auch, Zeitdruck realistisch einzuplanen. Wenn der Fall verschiedene Aufbauvarianten zulässt, sollten die Abschnitte mit den relevanten Problemen vorgezogen werden. Viele Klausuren scheitern daran, dass Prüflinge zunächst unwichtige Teile ausführlich bearbeiten und die entscheidenden Punkte erst am Ende – unter Zeitdruck – nur oberflächlich oder gar nicht mehr ausführen.

Strategie unterscheidet sich zudem klar von prozesstaktischem Vorgehen aus der anwaltlichen Perspektive des Zweiten Staatsexamens. Gemeint ist hier vielmehr ein Perspektivwechsel auf den Blick der Korrektor:innen. Es geht nicht darum, gefällig zu schreiben, sondern darum, keine Ungenauigkeiten entstehen zu lassen. Fehler, die in der Praxis später korrigiert werden könnten, bleiben in der Klausur bestehen und wirken sich unmittelbar negativ aus. Ein strategisches Denken erfordert daher die Fähigkeit, Wesentliches zu erkennen und konsequent in den Mittelpunkt zu stellen.

Auch in der Praxis spielt dieser strategische Blick eine entscheidende Rolle. Schriftsätze sollten nicht mit dem Ziel formuliert werden, Mandanten zu beeindrucken, sondern so, dass die richterliche Leserschaft strukturiert, klar und präzise abgeholt wird. Sachlichkeit und Ordnung sind strategische Mittel. Schon das bewusste Schaffen einer geordneten Darstellung ist ein strategisches Element.

Eine einfache Übung zur Schärfung dieses strategischen Denkens besteht darin, bei jeder Klausur selbstkritisch zu benennen, warum gerade dieser Fall gestellt wurde.

Welche Schwerpunktproblematik wurde eingebaut? Ist es ein Standardproblem oder liegt eine Modifikation vor? Gerade während der Corona-Pandemie zeigte sich etwa, wie § 313 BGB – Wegfall der Geschäftsgrundlage – plötzlich in neuem Kontext relevant wurde. 

Tipps für bessere Strategien

  • Analysiere bei jeder Prüfungsaufgabe bewusst, warum gerade diese Fallkonstellation gestellt wurde und welches Kernproblem darin verborgen ist.
  • Ordne den erkannten Problemfeldern eine klare Wertigkeit zu und arbeite die besonders gewichtigen Bereiche entsprechend detailliert aus.
  • Bearbeite Schwerpunkte nicht schematisch, sondern entwickle eigene, individuell durchdachte Argumente statt nur das wiederzugeben, was vermeintlich erwartet wird.

 

4. Vollständigkeit

Vollständigkeit bedeutet, dass alle rechtlich relevanten Aspekte einer Prüfungsaufgabe erkannt, angesprochen und in die Prüfung eingeordnet werden. Dazu reicht es nicht aus, lediglich die im Gesetz genannten Merkmale wiederzugeben. Überdurchschnittliche Leistungen setzen voraus, dass du auch jene Elemente einbeziehst, die Rechtsprechung und Literatur ergänzend entwickelt haben.

Das Beispiel der psychisch vermittelten Kausalität zeigt, wie Vollständigkeit praktisch funktioniert. In diesen Fällen löst nicht die Handlung des Schädigers unmittelbar die Rechtsgutverletzung aus, sondern eine eigene Entscheidung des Geschädigten, etwa eines Polizisten, der sich bei der Verfolgung eines Flüchtenden verletzt. Obwohl viele sofort auf das Merkmal der „Herausforderung“ springen, wäre das unvollständig. Zunächst müssen immer die allgemeinen Zurechnungsschritte abgeprüft werden: Äquivalenz, Adäquanz und die Frage, ob das eigenverantwortliche Dazwischentreten den Zurechnungszusammenhang unterbricht. Erst danach dürfen die besonderen Herausforderungsgrundsätze der Rechtsprechung herangezogen werden.

Vollständig ist die Prüfung erst, wenn alle erforderlichen Zwischenschritte aufgezeigt sind: Kausalität des Ausgangsverhaltens, Adäquanz, grundsätzliche Zurechnungsunterbrechung durch Selbstgefährdung und schließlich die Ausnahmekriterien des Schutzzwecks der Norm, wie objektive Herausforderung, Verfolgungsrisiko, Rechtmäßigkeit der Handlung des Geschädigten und eine abschließende wertende Abwägung der Risiken und Vorteile. Vollständigkeit bedeutet daher, nichts zu überspringen, was dogmatisch zwingend dazugehört.

Vollständigkeit verlangt nicht nur das Benennen aller relevanten Prüfungsschritte, sondern auch deren wertende Einordnung. Bei komplexen Zurechnungsfragen – wie der psychisch vermittelten Kausalität – genügt es nicht, nur die Prüfungsschritte zu nennen. Erst die Information, dass die Zurechnung dogmatisch auf dem Schutzzweck der Norm beruht und dass die Rechtsprechung zusätzliche Wertungselemente entwickelt hat, macht die Prüfung vollständig.

Viele Prüflinge bleiben hinter ihren Möglichkeiten zurück, weil sie sich auf verkürzte Darstellungen in Kommentaren verlassen. Kommentare sind jedoch kein Ersatz für voll ausgebildete Prüfungsstrukturen. Sie bieten lediglich Orientierung und Einstiegspunkte, nicht aber die Tiefe, die für eine überdurchschnittliche Klausur notwendig ist. Wer sich ausschließlich auf diese kompakten Angaben stützt, übersieht wesentliche Wertungsebenen.

Vollständigkeit bedeutet außerdem, die eigenen Prüfungsfolgen vollständig auswendig zu beherrschen. „Vorrätiges Wissen“ spart Zeit – ein zentraler Faktor im Examen. Je mehr Prüfungsschritte, Wertungen und Ausnahmen du abrufbar parat hast, desto souveräner und vollständiger kannst du argumentieren.

Erfahrene Jurist:innen erweitern ihre Schemata stetig. Bei jeder neuen Fallkonstellation fügen sie Details hinzu, die ihnen bislang unklar waren oder deren Bedeutung sie neu erkannt haben. Häufig geschieht dies aufgrund praktischer Erfahrungen – etwa durch Prozessverluste, die Unvollständigkeiten in der juristischen Argumentation aufdecken.

Neue gesetzliche Entwicklungen und gefestigte Rechtsprechung integrieren sich ebenfalls in diese Prüfungsstrukturen. Beispiele sind die „Neue Formel“ des BVerfG zu Art. 3 GG oder der subjektiv-objektive Fehlerbegriff des § 434 BGB. Viele Prüflinge übersehen diesen trotz seiner zentralen Rolle noch im zweiten Staatsexamen und prüfen vorschnell die „übliche Beschaffenheit“, ohne zuvor Beschaffenheitsvereinbarung oder subjektiven Verwendungszweck auszuschließen. Schon ein kurzer Satz hätte die Prüfung vollständig gemacht – fehlt er, bricht die gesamte Argumentation weg.

So banal „Vollständigkeit“ klingt: Sie ist einer der häufigsten Gründe, warum juristische Leistungen hinter dem möglichen Niveau bleiben.

Tipps für eine vollständige Prüfung

  • Erstelle für jedes Gutachten eine Lösungsskizze mit klaren Gliederungsebenen, damit kein Prüfungspunkt übersehen wird.
  • Überfliege vor der Bearbeitung die Überschriften im maßgeblichen Kommentar, um sicherzustellen, dass alle relevanten Aspekte einer Norm einbezogen werden.
  • Lerne typische Prüfungsfolgen vollständig auswendig und wiederhole sie regelmäßig, bis sie sicher abrufbar sind.
  • Achte konsequent auf Ergänzungen und Modifikationen in neuer Rechtsprechung oder Gesetzesänderungen und aktualisiere deine erlernten Prüfungsstrukturen entsprechend.

 

5. Genauigkeit

Genauigkeit bedeutet, juristische Details nicht zu übergehen und Terminologie präzise zu verwenden. Definitionen müssen nicht wortwörtlich auswendig gelernt werden, doch ihr wesentlicher Gehalt muss korrekt und vollständig wiedergegeben werden. Oft ist es notwendig, bekannte Definitionen gedanklich auszubauen, um wertungsrelevante Feinheiten zu erfassen. Ungenauigkeiten – insbesondere bei zentralen Begriffen – wirken schnell wie Kompetenzmängel, selbst wenn eigentlich nur die Konzentration fehlt.

Eine weitere typische Ungenauigkeit betrifft die Vermischung von Tatbestandsmerkmalen und Rechtsfolgen, besonders im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB. Statt sauber zwischen der Rechtsgutsverletzung, der Kausalität, der Rechtswidrigkeit und dem Verschulden zu trennen, wird häufig bereits in der Prüfung des Tatbestandes mit Argumenten gearbeitet, die eigentlich erst im haftungsausfüllenden Tatbestand oder bei der Schadensberechnung relevant sind.

So wird etwa im Rahmen der Kausalität ausgeführt, der Schaden hätte vermieden werden können, wenn der Geschädigte anders gehandelt hätte – ein Argument, das in Wahrheit in die Sphäre des Mitverschuldens (§ 254 BGB) gehört. Oder es wird bereits bei der Frage der Rechtsgutsverletzung darauf abgestellt, dass letztlich „kein großer Vermögensschaden entstanden“ sei. Eine solche Argumentation vermengt die Prüfungsebenen unzulässig und führt regelmäßig zu Punktabzug, weil sie die dogmatische Struktur des Deliktsrechts aufbricht.

Gerade im § 823 Abs. 1 BGB ist Genauigkeit deshalb zentral, weil die Norm zweistufig aufgebaut ist:

  1. Haftungsbegründender Tatbestand (Rechtsgutsverletzung, Kausalität, Rechtswidrigkeit, Verschulden)

  2. Haftungsausfüllender Tatbestand (konkreter Schaden, Zurechnung des Schadens, Mitverschulden usw.)

Wer die Ebenen sauber trennt, zeigt dogmatische Souveränität. Wer sie durcheinanderbringt, erweckt schnell den Eindruck mangelnder Kompetenz – selbst wenn die Argumentation materiell vielleicht im Ergebnis richtig wäre.

Eine weitere verbreitete Ungenauigkeit entsteht, wenn die dogmatischen Ebenen „Anspruch entstanden – untergegangen – durchsetzbar“ nicht sauber getrennt werden. Gerade in examensrelevanten Konstellationen werden etwa Einwendungen und Einreden bereits innerhalb der Anspruchsentstehung diskutiert, obwohl sie erst später – im Stadium des Untergangs oder der Durchsetzbarkeit – relevant werden. Wird beispielsweise die Verjährung bereits bei der Anspruchsentstehung abgehandelt, signalisiert dies, dass grundlegende Strukturen des Zivilrechts nicht sicher beherrscht werden.

Auch im Bereicherungsrecht treten häufig Formulierungsungenauigkeiten auf. Ein klassisches Beispiel ist die Aussage, jemand habe „einen Bereicherungsanspruch aus § 812 BGB“, ohne klarzustellen, welcher Tatbestand einschlägig ist – Leistungskondiktion oder Nichtleistungskondiktion. Auch wird oft formuliert, der „Schaden“ sei durch eine Leistung entstanden oder „etwas sei weggenommen worden“, obwohl es bei § 812 BGB nicht um Schaden und Wegnahme geht, sondern um Erlangung und Entreicherung. Wer unpräzise Begriffe benutzt, setzt falsche gedankliche Anker und erschwert die eigene Argumentation.

Eine weitere typische Fehlerquelle betrifft die Vermischung von Normen in der Fallbearbeitung, insbesondere dann, wenn unterschiedliche Anspruchsgrundlagen gleichzeitig im Raum stehen. So wird etwa im Kaufrecht die Frage nach dem Eigentumserwerb nach § 929 S. 1 BGB bereits im Rahmen der Prüfung des § 433 Abs. 1 S. 1 BGB behandelt – obwohl es sich hierbei um zwei völlig verschiedene Ebenen handelt: das eine ist die schuldrechtliche Verpflichtung, das andere der dingliche Vollzug. Vermischt man beides, werden dogmatische Grundprinzipien wie das Abstraktions- und Trennungsprinzip verwischt.

Besonders häufig tritt auch eine Ungenauigkeit auf, wenn Rechtsfolgen aus Normen hergeleitet werden, die lediglich Voraussetzungen oder Tatbestände regeln. So wird etwa aus § 812 Abs. 1 BGB eine Herausgabepflicht „wegen Wegnahme“ abgeleitet, obwohl § 812 BGB nicht von Wegnahme spricht. Oder es wird im Rahmen der GoA bereits auf Bereicherungsrecht verwiesen, ohne die Struktur sauber zu trennen. Solche Ungenauigkeiten schwächen das Gutachten, weil sie den Eindruck erwecken, dass die Unterschiede zwischen Tatbestand und Rechtsfolge nicht sicher beherrscht werden.

Ebenso kritisch ist es, teleologische Argumente unsauber zu nutzen. Häufig wird eine Wertung vorgenommen („unbillig“, „nicht sachgerecht“), ohne zuvor klarzustellen, auf welcher dogmatischen Ebene die Wertung angesiedelt ist. Wertungen müssen immer in eine konkrete Prüfungsstufe eingebettet werden – sie dürfen nicht als „freischwebende Gerechtigkeitsargumente“ verwendet werden, sonst wirken sie subjektiv statt dogmatisch legitimiert.

All diese Beispiele zeigen: Genauigkeit ist kein Detailproblem, sondern ein zentraler Indikator juristischer Kompetenz. Sie betrifft die korrekte Verwendung von Begriffen, die saubere dogmatische Einordnung, das präzise Zitieren der Normen und die klare Trennung von Prüfungsebenen. Ungenauigkeiten hingegen erzeugen den Eindruck, dass das Fundament unsicher ist – auch dann, wenn der Stoff in Wahrheit verstanden wurde.

Nicht jede Ungenauigkeit führt automatisch dazu, dass eine juristische Ausarbeitung falsch ist. Gerade in der Praxis – in anwaltlichen Schriftsätzen, Urteilen oder Verwaltungsakten – kann es unschädlich sein, wenn Normenketten unvollständig sind oder Absätze nicht exakt genannt werden. Viele Praktiker:innen arbeiten unter erheblichem Zeitdruck und priorisieren Effizienz. Solange die wesentlichen Wertungen stimmen, gilt die Arbeit als solide. Nach diesem Maßstab erscheint es manchen sogar sinnvoll, auf Detailgenauigkeit zugunsten höherer Produktivität zu verzichten.

Daraus entsteht häufig der Vorwurf, dass besonders gut examinierte Berufsanfänger zwar fachlich beeindruckend seien, aber „zu langsam“ und zu akademisch arbeiten würden. Ihre Texte seien zu detailliert, zu tiefgehend und für Mandant:innen schwer zugänglich. Für Mandantenorientierung und wirtschaftlich optimierte Abläufe mögen diese Kritikpunkte in Teilen zutreffen. Für das Studium und die Staatsexamina gilt das Gegenteil: Wer überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen will, muss in der Lage sein, genau und fundiert zu argumentieren. Die Absolvent:innen mit sehr hohen Examina zeigen schließlich durch ihre Ergebnisse, dass gerade dieses präzise Arbeiten zum Erfolg führt.

Hinzu kommt ein wesentlicher didaktischer Punkt:
Wer bereits ein hohes Maß an Genauigkeit etabliert hat, kann sich mühelos auf ein effizienteres Niveau herunterschalten, ohne dogmatische Qualität einzubüßen. Umgekehrt ist es kaum möglich, von einem locker-effizienten Arbeitsstil spontan auf ein hochpräzises Niveau umzuschalten. Die dafür notwendigen Details werden im Alltag nicht automatisch „mitgelernt“; sie müssen bewusst erarbeitet, verstanden und wiederholt werden.

Genau hierin liegt der entscheidende Vorteil von Prädikatsjurist:innen:
Sie können flexibel zwischen einem Qualitätsmodus (vollständige, tiefgehende Analyse) und einem Effizienzmodus (zeitoptimiertes Arbeiten mit präzisen Abkürzungen) wechseln. Effizienz ist somit möglich, aber nur auf Grundlage bereits beherrschter Genauigkeit.

In Prüfungen hingegen darf Effizienz niemals durch Ungenauigkeiten erkauft werden. Wer glaubt, Korrektor:innen würden kleinere Ungenauigkeiten „schon durchgehen lassen“, verkennt die Realität. Gerade in einem hochkompetitiven Umfeld wie dem Staatsexamen entscheidet oft die Qualität der dogmatischen Präzision darüber, ob die Leistung als „durchschnittlich“ oder „überdurchschnittlich“ eingeordnet wird.

Tipps für eine bessere Genauigkeit

  • Genauigkeit entsteht, wenn du bereit bist, dich wirklich mit den Details auseinanderzusetzen. Verlasse dich nicht nur auf Skripte oder Kurzlehrbücher, sondern arbeite regelmäßig auch mit ausführlichen Lehrbüchern, Kommentaren und Festschriften. Verschiedene Quellen zeigen dir unterschiedliche Denkansätze – genau das schärft deinen Blick für Nuancen.

     

  • Trainiere bewusst das genaue Hinsehen: Erlaube dir, bei juristischen Fragen auch einmal „kleinlich“ zu sein und dich von einem Detail zum nächsten vorzuarbeiten. Du kannst jederzeit wieder einen Gang zurückschalten, aber diese Übung schult deine Präzision.

     

  • Setze dir außerdem eine praktische Aufgabe: Formuliere einen juristischen Sorgfaltsmaßstab für Alltagssituationen jeweils in drei Varianten – einmal in 3 Zeilen, dann in 7 Zeilen, und schließlich in 14 Zeilen. So lernst du, präzise zu sein, ohne den Überblick zu verlieren, und entwickelst ein Gefühl dafür, wie viel Detailtiefe in welcher Situation angemessen ist.

 

6. Wissen

Wissen ist im Jurastudium selbstverständlich unverzichtbar. Trotzdem scheitern viele Studierende daran, dieses Wissen in überdurchschnittliche Leistungen umzusetzen. Das Problem liegt selten im Fehlen von Informationen – sondern in der Art und Weise, wie dieses Wissen abgespeichert ist.

Reines „totes Wissen“ – also isolierte Informationen ohne Zusammenhang – hilft in der Klausur kaum weiter. Entscheidend ist, dass dein Wissen vernetzt, strukturiert und beweglich ist. Du brauchst ein Wissensgefüge, in dem juristische Aspekte miteinander verbunden sind. So kannst du Bezüge herstellen, Normen einordnen, Argumente ableiten und Prüfungsstrukturen flexibel anwenden.

Dieses dynamische Wissen ähnelt einem Algorithmus: Es besteht nicht nur aus Daten (Normen, Definitionen, Streitständen), sondern auch aus einer „Handlungsanweisung“ – wie du damit im Fall arbeitest.

Ein Beispiel ist das Vorsatzwissen im Strafrecht. Die Grunddefinition kennen fast alle: „Vorsatz ist Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung.“ Aber überdurchschnittlich wird eine Arbeit erst dann, wenn du dieses Wissen weiterdenkst: verschiedene Vorsatzformen, ihre Voraussetzungen, Abgrenzungen und typische Problemfelder. Genau dieses vernetzte Wissen erlaubt dir, im Fall strukturiert zu argumentieren, statt nur Formeln aufzuschreiben.

Wissen bleibt auch „tot“, wenn es nur über Beispiele abgespeichert wird – etwa indem man sich merkt, dass der aberratio ictus der Fall ist, in dem der Schütze den Hirsch treffen will, aber den Jäger trifft. Oder dass bedingter Vorsatz vorliegt, wenn jemand ein Schiff versenkt, um die Versicherung zu kassieren, und den Tod der Seeleute billigend in Kauf nimmt. Solche Beispiele können zwar als Gedächtnisstütze dienen, ersetzen aber nicht das eigentliche juristische Verständnis.

Für echte Rechtsanwendung braucht es nicht das Beispiel, sondern die dahinterstehenden abstrakten Wertungen: Was wird abgegrenzt? Welche Kriterien sind entscheidend? Wie ordnet sich das Problem dogmatisch ein? Das Beispiel ist nur der Einstieg – die Wertung ist der Kern.

Überdurchschnittliche juristische Arbeit setzt daher strukturiertes, vernetztes Wissen voraus. Dieses entsteht nicht durch einmaliges Lesen, sondern durch eine mehrschichtige Auseinandersetzung mit dem Stoff. Jede Wiederholung sollte das Wissen verfeinern: mehr Nuancen, klarere Abgrenzungen, präzisere algorithmische Abläufe der Subsumtion.

Paralleles Wiederholen über das gesamte Studium hinweg sorgt zudem dafür, dass neue Entwicklungen – etwa geänderte Rechtsprechung – automatisch in dieses Wissensgefüge integriert werden. Das gilt nicht nur für Studierende, sondern auch für Volljurist:innen mit Fortbildungspflicht.

Da die Stoffmenge enorm ist, muss priorisiert werden: Prüfungsordnungen zeigen klar, dass sich die Examina auf die zentralen Kernbereiche konzentrieren. Randgebiete erscheinen deutlich seltener. Wer effizient wiederholen möchte, richtet seine Lernintensität an dieser realen Examensrelevanz aus.

Wenn ein Prüfungsschwerpunkt ein Thema betrifft, das sowohl dir als auch den Korrektor:innen weitgehend unbekannt ist, ändern sich automatisch die Bewertungsmaßstäbe. In solchen Fällen zählt weniger Detailwissen – vielmehr kommt es darauf an, klassische juristische Wertungsmuster sicher anzuwenden. Dazu gehören insbesondere:

  • die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe,

  • das Erkennen von lex specialis-Verhältnissen,

  • und der sichere Umgang mit dem Gesetz, also die Fähigkeit, relevante Normen zu finden und ihren Anwendungsbereich strukturiert zu bestimmen.

Studierendenkommentare beschränken sich oft auf Standardwissen. Deshalb sind Fachzeitschriften und Urteilsreihen besonders wertvoll: Sie bereiten komplexe Themen gut auf, zeigen aktuelle Entwicklungen und helfen dir, zentrale Argumentationslinien zu verstehen. Hochschulen stellen zudem häufig thematisch sortierte Rechtsprechungsübersichten zur Verfügung.

Das Lesen von Urteilen allein schafft oft kein strukturiertes Wissen – sie sind zur Entscheidung des Einzelfalls geschrieben, nicht zur Lehre. Deutlich hilfreicher sind mehrere Urteilsbesprechungen, die die dahinterliegenden Wertungen hervorheben. Dabei sollte deine Leitfrage immer lauten:

Welche Auswirkungen hat diese Entscheidung auf andere Fälle? Welche Begriffe und Abgrenzungen sind für die weitere Fallbearbeitung relevant?

Nur das wiederholte, vertiefende Lesen führt zu einem echten Wissensaufbau. Wer ständig nur dasselbe Kurzlehrbuch liest, bleibt in derselben Perspektive – das Wissen wächst nicht. Entscheidend ist deshalb Diversität der Quellen: Lehrbücher, Besprechungen, Fachaufsätze, Rechtsprechungsübersichten.

Der Erwerb und die Pflege eines vernetzten Wissens über Dogmatik, Normstrukturen und Wertungsmuster ist unverzichtbar, wenn du überdurchschnittlich arbeiten möchtest. Viele juristische Probleme lassen sich nicht „logisch ableiten“, sondern müssen bekannt sein – sie bilden die Bausteine, mit denen juristische Intelligenz arbeitet.

Über die Zeit wird dadurch der Blick immer klarer: Der Stoff aus dem 1. Semester wirkt im 4. Semester anders, im Referendariat nochmals deutlich differenzierter. Je früher du dein Wissen verdichtest und regelmäßig wiederholst, desto souveräner wirst du später mit unbekannten wie bekannten Problemen umgehen.

Lerntipps zum umsetzen

  • Aktives Wissen verbesserst du vor allem durch konsequente Wiederholung. Je öfter du den Stoff durchgehst, desto stabiler verankert er sich. Besonders effektiv ist es, Inhalte in der Lerngruppe zu erklären und sich von anderen korrigieren zu lassen – das vertieft das Verständnis enorm.
  • Nimm dir ein Beispiel an Sokrates: Geh mit der Haltung hinein, dass du jederzeit dazulernen kannst. Diese Offenheit sorgt dafür, dass du Wissen aufnimmst statt abblockst.
  • Und lass dich nicht entmutigen: Seit Jahrzehnten glauben Studierende, man könne den gesamten Stoff nicht beherrschen – trotzdem erreichen jedes Jahr 10–15 % ein Prädikat. Das zeigt: Jeder kann genügend Wissen aufbauen, um hervorragend abzuschneiden.

 

7. Begründungstiefe

Mangelnde Begründungstiefe ist einer der Hauptgründe dafür, dass juristische Leistungen nur mittelmäßig ausfallen. Besonders entscheidend sind die Punkte einer Klausur, an denen echte Wertungsfragen hängen. Sobald du ein solches zentrales Merkmal identifiziert hast, reicht eine schnelle, knappe Bewertung nicht aus. Auch ein „vertretbares Ergebnis“ ist wertlos, wenn der Weg dorthin nicht überzeugend dargelegt wird.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Stolpe-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Oft wird sie extrem verkürzt wiedergegeben – etwa durch die Aussage, dass bei mehrdeutigen Äußerungen je nach Anspruch die verletzende oder die nicht-verletzende Deutungsvariante zugrunde zu legen sei. Das stimmt zwar grob, ist aber viel zu kurz und lässt wichtige Wertungsfragen offen. Solche oberflächlichen Beschreibungen wirken bestenfalls durchschnittlich und lassen keinen echten juristischen Tiefgang erkennen.

Der eigentliche Leitsatz des BVerfG zeigt, wie differenziert die Entscheidung tatsächlich ist: Bei mehrdeutigen Meinungsäußerungen entfällt ein Unterlassungsanspruch nicht allein deshalb, weil es auch eine harmlose Deutungsmöglichkeit gibt – anders als etwa bei Schadensersatz-, Straf- oder Widerrufsentscheidungen, bei denen diese Differenzierung anders zu behandeln ist.

Das verdeutlicht: Wer komplexe Wertungen nur anreißt, zeigt mangelnde Tiefe. Erst die sorgfältige, differenzierte Darstellung macht juristische Argumentation überdurchschnittlich.

Bei mehrdeutigen Äußerungen reicht es in einer juristischen Darstellung nicht aus, nur auf den Leitsatz der Stolpe-Entscheidung zu verweisen. Zwar zeigt der Leitsatz, dass bei Unterlassungsansprüchen die verletzende Deutungsvariante zugrunde gelegt wird, während bei Schadensersatz- oder Strafansprüchen die nicht-verletzende Auslegung maßgeblich ist. Doch ohne eine vertiefende Erklärung bleibt unklar, warum diese Differenzierung besteht.

Für ein überdurchschnittliches juristisches Arbeiten muss die dahinterstehende Wertung offengelegt werden:

Das Bundesverfassungsgericht sieht die „schlechtere“ Behandlung des Unterlassungsschuldners darin begründet, dass ein Unterlassungsanspruch zukunftsgerichtet ist und weniger weitreichende Folgen hat. Der Schuldner kann die gegen ihn erhobene Kritik durch eine einfache Klarstellung ausräumen.

Bei repressiven Ansprüchen – wie Schadensersatz oder Strafverfolgung – ist das anders: Hier kann der Verletzer die Folgen nicht einfach rückgängig machen. Deshalb soll dort die mildere, also nicht-verletzende Deutungsvariante gelten.

Auch bei der Frage der Pflichtverletzung eines Anwalts nach § 280 Abs. 1 BGB reicht eine knappe Feststellung – etwa „Die verspätete Klageeinreichung ist eine Pflichtverletzung“ – nicht für eine überdurchschnittliche juristische Darstellung.

Die Bewertung muss die dahinterliegenden Wertungen offenlegen: Anwälte haben die Pflicht, mögliche Ansprüche des Mandanten zu prüfen und das erforderliche prozessuale Vorgehen rechtzeitig einzuleiten. Zwar erlischt ein Anspruch nicht durch Verjährung, und er könnte theoretisch noch tituliert werden. Dennoch ist praktisch immer damit zu rechnen, dass der Beklagte die Einrede der Verjährung erhebt. Dadurch sinkt die Durchsetzbarkeit des Anspruchs faktisch auf null.

Eine verspätete Klageeinreichung gefährdet die Erfolgsaussichten daher so gravierend, dass sie wertungsmäßig einem Verlust des Anspruchs gleichkommt. Der Anwalt muss deshalb die Verjährung kalendermäßig genau bestimmen und rechtzeitig handeln, sobald das Mandat übernommen wurde.

Diese Beispiele zur Begründungstiefe zeigen, wie juristische Argumente überzeugender entwickelt werden können. Entscheidend ist jedoch, Begründungstiefe gezielt und nicht flächendeckend einzusetzen. Nicht jedes Merkmal braucht eine ausführliche Erläuterung – nur die Aspekte, die für die Entscheidung wirklich bedeutsam sind.

Die Kunst besteht darin, „wichtige“ von „weniger wichtigen“ Punkten zu unterscheiden und die erkannten Schwerpunkte dann mit der angemessenen Tiefe zu behandeln.

Die beiden Beispiele zeigen diesen Unterschied deutlich: Die komplexe und dogmatisch überraschende Wertung des Bundesverfassungsgerichts verlangt mehr Erläuterung, insbesondere weil sie eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs korrigiert. Die anwaltliche Pflichtverletzung wegen verspäteter Klageerhebung ist dagegen inhaltlich naheliegend. Trotzdem braucht auch sie eine kurze, präzise Ergänzung, damit klar wird, warum die Pflichtverletzung praktisch einem Anspruchsverlust gleichkommt.

Eine mögliche komprimierte Formulierung lautet: Das Einreichen der Klage erst im Januar des Folgejahres stellt eine anwaltliche Pflichtverletzung dar, weil die Forderung mit Jahreswechsel verjährt und der Anspruch damit allein durch die Erhebung der Einrede der Verjährung abgewehrt werden kann.

Begründungstiefe sollte also immer an Komplexität und Gewicht des Problems angepasst werden.

 

8. Differenzierung 

„Differenzierung“ bedeutet, juristische Wertungen fein herauszuarbeiten und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Genau wie bei der Begründungstiefe müssen nicht alle Punkte gleich intensiv behandelt werden. Aspekte, die eindeutig sind – etwa die Sacheigenschaft einer Armbanduhr – brauchen keine langen Ausführungen. Andere Fragen, besonders solche mit größerem Wertungsspielraum, verlangen dagegen eine kleinteiligere Betrachtung.

Gerade klassische Problemfelder wie die Verhältnismäßigkeit erfordern immer eine differenzierte Darstellung: verschiedene Ziele müssen klar benannt, deren Gewicht bestimmt und die Eintrittswahrscheinlichkeiten sowohl von Vorteilen als auch von Nachteilen bedacht werden. Ebenso wichtig ist der Umgang mit Gegenargumenten: Sie müssen ernst genommen, eingeordnet und gegebenenfalls widerlegt werden. Differenzierung bedeutet nicht, jeden Streitstand bis in die letzte Fußnote auszubreiten – das Effizienzgebot bleibt bestehen. Entscheidend ist, den Grad der Differenzierung an die Bedeutung des Problems anzupassen.

Überdurchschnittliche Leistungen entstehen vor allem dort, wo neue oder ungewöhnliche Sachverhaltskonstellationen erkannt und präzise bewertet werden. Wer nur reproduziert oder Aspekte ausblendet, weil sie die eigene Ansicht schwächen, verfehlt das Gebot der objektiven juristischen Analyse. Die neutrale, richterliche Perspektive führt dagegen zu einer ausgewogenen und belastbaren Argumentation.

Differenzierung zeigt sich außerdem darin, dass Argumente nicht pauschal als „falsch“ abgetan werden, sondern hinsichtlich ihrer Wertigkeit analysiert werden. Schon einfache Fälle – wie der Arzt, der eine falsche Todesdiagnose stellt und dadurch finanzielle Dispositionen des Patienten auslöst – lassen erkennen, dass schnelle Antworten selten differenziert sind. Der eigentliche juristische Wert liegt in der sorgfältigen Betrachtung alternativer Wertungen und Zurechnungsüberlegungen.

 

Tipps für eine bessere Begründungstiefe

  • Begründungstiefe entsteht, wenn du juristische Merkmale nicht mit einem einzigen Satz abhandelst, sondern ihre Bedeutung in mehreren klaren Aussagen herausarbeitest.
  • Statt dich mit dem erstbesten, naheliegenden Argument zufriedenzugeben, solltest du verschiedene Argumentationslinien prüfen und auch solche einbeziehen, die nicht sofort ins Auge fallen. Gute juristische Arbeit verlangt, dass du gedanklich „höher kletterst“: über einfache Standards hinaus, hin zu anspruchsvolleren Betrachtungen und Alternativen.
  • Trainiere außerdem, komplexe Wertungsmuster in deinen eigenen Worten auszudrücken. Reines Auswendiglernen führt selten zu Tiefe – entscheidend ist, dass du verstehst, warum ein Argument trägt und wie es in die juristische Struktur eingebettet ist. Genau dieses eigenständige Durchdringen erzeugt die Begründungstiefe, die Prüfer:innen als überdurchschnittlich erkennen.

 

9. Sprache

Ein starker sprachlicher Ausdruck ist ein wesentlicher Bestandteil überdurchschnittlicher juristischer Leistungen – wird aber im Studium kaum gezielt trainiert. Viele gehen fälschlicherweise davon aus, dass ihre sprachlichen Fähigkeiten mit dem Abitur ausreichend entwickelt sind und sich der Rest „schon von selbst“ ergibt. Tatsächlich erfordert juristische Exzellenz weit mehr als bloße Kommunikationsfähigkeit: Sie verlangt einen präzisen, klaren und bewussten Umgang mit Sprache und Fachsprache.

Der souveräne Umgang mit juristischen Formulierungen bedeutet nicht, möglichst viele Fachbegriffe zu verwenden, sondern Inhalte einfach, klar und präzise auszudrücken. Latein diente historisch weniger wegen der Begriffe selbst, sondern weil das Erlernen einer „toten“ Sprache ein hochgradig strukturiertes, analytisches Arbeiten erfordert – genau das, was auch im juristischen Denken nötig ist: Grammatik verstehen, Sätze aufschlüsseln, Struktur erkennen und präzise übertragen.

Juristische Ausbildung vermittelt jedoch kaum Feedback zur Sprache selbst. Deshalb muss jede:r aktiv daran arbeiten, die eigene Ausdrucksweise zu verfeinern. Präzise Sprache ist harte Arbeit: Es ist immer leichter, etwas kompliziert zu formulieren, als es einfach und auf den Punkt zu bringen. Gerade unter Stress führt das schnell zu unnötig verschwurbelten Sätzen, die Unsicherheit kaschieren statt Klarheit schaffen.

Fachsprache erleichtert zwar die Kommunikation zwischen Expert:innen, birgt aber die Gefahr des bloßen Nachplapperns: Urteile und Fachliteratur sind nicht darauf ausgelegt, Studierenden sprachlich Orientierung im Prüfungskontext zu geben. Wer unreflektiert Formulierungen übernimmt, übernimmt auch deren Ungenauigkeiten. Deshalb gilt: Orientierung ja – Kopieren nein.

Am Ende bleibt entscheidend, den eigenen sprachlichen Ausdruck regelmäßig zu reflektieren und bewusst weiterzuentwickeln. Niemand ist in diesem Bereich „fertig“, weder im Studium noch im Beruf. Sprachliche Präzision ist ein Dauerprozess – und zugleich ein direkter Weg zu besseren juristischen Leistungen.

 

Tipps für eine präzisere Sprache

  • Vereinfache zuerst konsequent deine Formulierungen. Schreib kurze, klare Sätze, bevor du wieder komplexere Strukturen zulässt. Gewöhn dir sprachliche Marotten ab – Wörter wie „verortet“, „vorliegend“ oder „zu prüfen ist“ klingen nicht automatisch juristisch, sondern oft einfach unnötig gestelzt.
  • Redigiere deine Texte nicht nur fachlich, sondern auch sprachlich. Sei kritisch mit deinen eigenen Formulierungen und arbeite bewusst an Klarheit und Verständlichkeit. Schreibe nach jeder Klausur eine eigene Musterlösung, um deinen Stil zu schärfen.
  • Übe außerdem regelmäßig, klassische Definitionen und bekannte Begriffe in eigenen Worten und in verschiedenen Varianten auszudrücken. Je öfter du das machst, desto sicherer, natürlicher und präziser wirst du in deiner juristischen Sprache.

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