Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 4. Oktober 2023 (6 StR 258/23) erneut die rechtlichen Grenzen des Eingehungsbetrugs ausgelotet. Der Fokus lag dabei auf einem Fall der sogenannten „Lastschriftreiterei“. Diese Entscheidung ist von besonderer Bedeutung für das Verständnis des § 263 StGB und liefert wertvolle Erkenntnisse für Studierende und Referendar:innen.
Hintergrund des Falls
Im zugrunde liegenden Fall nutzte der Angeklagte (A), Geschäftsführer einer GmbH mit dem ausschließlichen Geschäftszweck der Ausübung von Straftaten, einen Vertrag mit einem Zahlungsdienstleister (P) für betrügerische Zwecke. Über ein POS-Terminal, das auch elektronische Lastschriftverfahren mit Clearing-Service ermöglichte, führte A zahlreiche Transaktionen aus, obwohl er wusste, dass die Konten nicht gedeckt waren. Dadurch entstand der P ein Schaden von insgesamt 346.987,34 Euro. Das Landgericht Stade verurteilte A wegen Betrugs in Tateinheit. Der BGH bestätigte die Verurteilung, präzisierte jedoch den Schuldspruch, insbesondere hinsichtlich der Anzahl der Straftaten.
Kernaussagen des Urteils
Die Entscheidung des BGH bietet eine fundierte Auseinandersetzung mit den wesentlichen Tatbestandsmerkmalen des Betrugs gemäß § 263 StGB:
I. Objektiver Tatbestand des § 263 StGB
1. Täuschungshandlung
A hat den Zahlungsdienstleister bei Vertragsabschluss konkludent über seine Vertragstreue getäuscht. Diese Täuschung ist vergleichbar mit Konstellationen aus den Bereichen Wettbetrug oder Versicherungsbetrug. Der BGH stellte klar, dass durch die Täuschung eine fehlerhafte Risikoeinschätzung beim Vertragspartner hervorgerufen wurde.
2. Irrtum
Die Täuschung führte bei P zu einem Irrtum über die Einhaltung der vertraglich zugesicherten Nutzung des POS-Terminals.
3. Vermögensverfügung
Der Abschluss des Vertrags wurde als Vermögensverfügung gewertet, da er eine schadensgleiche Vermögensgefährdung bei P verursachte. Der BGH verglich diese Situation mit dem Kontoeröffnungsbetrug: Sobald der Täter Zugriff auf das Vermögen hat, liegt eine Vermögensgefährdung vor.
4. Vermögensschaden
Die Vermögensgefährdung begründet den Schaden bereits beim Vertragsschluss. Der Clearing-Service führte zu einer erheblichen finanziellen Belastung, da P das Ausfallrisiko der Lastschriften übernahm. Die Höhe des Schadens wurde in diesem Fall anhand der tatsächlich ausgezahlten Beträge von 346.987,34 Euro bestimmt.
II. Subjektiver Tatbestand des § 263 StGB
A handelte vorsätzlich, mit Bereicherungsabsicht und in der Absicht, sich rechtswidrig zu bereichern. Die Stoffgleichheit zwischen Schaden und Bereicherung war ebenfalls gegeben, da der finanzielle Vorteil des Täters direkt mit dem Verlust von P korrelierte.
III. Besondere Problemfelder: Eingehungsbetrug und Schadensbestimmung
Der BGH bestätigte, dass der Eingehungsbetrug bereits mit Vertragsschluss vollendet war. Die späteren Lastschriftvorgänge stellten lediglich die Umsetzung des Täuschungsplans dar.
Besonders relevant ist die Schadensbestimmung:
- Eingehungsbetrug: Der Schaden liegt in der Verpflichtung zur Erbringung einer Leistung, die durch die Täuschung des Täters ein erhöhtes Ausfallrisiko beinhaltet.
- Erfüllungsbetrug: Der endgültige Schaden tritt erst in der Erfüllungsphase ein, hier durch die unberechtigten Abbuchungen und die Auszahlung an den Täter.
IV. Einheitliche Tat bei Eingehungs- und Erfüllungsbetrug
Der BGH hob hervor, dass Eingehungs- und Erfüllungsbetrug eine einheitliche Betrugstat darstellen können, wenn die Täuschungshandlung in die Erfüllungsphase hineinwirkt. Dies ist besonders bei Dauerschuldverhältnissen relevant, wie im vorliegenden Fall des POS-Terminal-Vertrags.
Praktische Relevanz und Prüfungsbedeutung
Die Entscheidung verdeutlicht die Bedeutung des Eingehungsbetrugs als eigenständiges Konzept im Betrugsstrafrecht. Klausurschreibende sollten den Eingehungsbetrug bei der Prüfung nicht übersehen. Dabei ist insbesondere die Schadensbestimmung ein potenzielles Problemfeld, das präzise und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung aufgelöst werden muss.
Fazit
Mit dem Urteil hat der BGH klargestellt, dass der Eingehungsbetrug und die anschließende Vermögensverfügung eine einheitliche Betrugstat bilden können, wenn die Täuschung den gesamten Vorgang prägt. Diese Rechtsprechung bietet wichtige Ansatzpunkte für die Prüfung von Betrugskonstellationen und unterstreicht die Bedeutung der präzisen Abgrenzung zwischen Vermögensgefährdung und Vermögensschaden.
Für Jurastudierende und Referendar:innen ist dieses Urteil eine wertvolle Grundlage, um das Zusammenspiel von Eingehungs- und Erfüllungsbetrug besser zu verstehen und in Klausuren sicher anzuwenden.
BGH, Urteil vom 04.10.2023 – 6 StR 258/23