Billigung einer Straftat gemäß § 140 StGB oder Satire? – AG Tiergarten, Urteil vom 23.07.2025 – Az. 235 Ds 57/25

Billigung einer Straftat gemäß § 140 StGB oder Satire? – AG Tiergarten, Urteil vom 23.07.2025 – Az. 235 Ds 57/25

Darf Satire alles? Diese Frage wird nicht nur in Talkshows diskutiert, sondern auch in Gerichtssälen verhandelt. Jüngstes Beispiel: Der Berliner Satiriker Sebastian Hotz alias „El Hotzo“ musste sich wegen eines geschmacklich fragwürdigen, aber pointierten Tweets über das gescheiterte Attentat auf Donald Trump vor dem Amtsgericht (AG) Tiergarten verantworten. Der Vorwurf: Billigung einer Straftat gemäß § 140 StGB. Das Gericht sprach ihn frei – und begründete, warum Satire auch in digitalen Formaten wie X (ehemals Twitter) straflos möglich ist.

 

Hintergrund: Der „leider knapp verpasst“-Tweet

Am Morgen nach dem gescheiterten Attentat auf den damaligen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump veröffentlichte Hotz zwei provokante Posts auf X. In einem davon beantwortete er die (mit Emoji dargestellte) Frage, was Trump mit „dem letzten Bus“ gemeinsam habe: „leider knapp verpasst“. Kurz darauf folgte: „Ich finde es absolut fantastisch, wenn Faschisten sterben.“

Die Tweets sorgten für Empörung – unter anderem beim Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki – und führten zu zahlreichen Strafanzeigen. Der RBB beendete daraufhin die Zusammenarbeit mit Hotz. Die Staatsanwaltschaft klagte ihn wegen Billigung von Straftaten (§ 140 StGB) an. Doch das AG Tiergarten urteilte am 23.07.2025 eindeutig: Freispruch.

 

Rechtlicher Rahmen: § 140 StGB und seine Grenzen

Die Vorschrift des § 140 Nr. 2 StGB stellt unter Strafe, wer öffentlich eine schwere Straftat – etwa einen Mord oder versuchten Mord – in einer Weise billigt, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Unbestritten war, dass der versuchte Mord an Trump eine taugliche Anlasstat im Sinne dieser Norm darstellt.


Kritisch waren jedoch zwei Fragen:

  1. Hat Hotz durch seinen Tweet die Tat wirklich „gebilligt“?

  2. War die Äußerung geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören?

 

Richterin Andrea Wilms verneinte beides mit überzeugender Begründung – unter Einbeziehung der grundrechtlich geschützten Meinungs- und Satirefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG).

 

Satire bleibt Satire – auch außerhalb von Fernsehsendungen

Das Gericht sah in Hotz’ Äußerung eine geschmacklose, aber als solche erkennbare Satire. Maßgeblich war dabei der Kontext: Der X-Account “@elhotzo” sei nicht als rein privates Profil zu werten, sondern als satirisches Gesamtwerk – mit klar erkennbarer stilistischer Überzeichnung, Ironie und satirischem Duktus. Die Formulierung „leider knapp verpasst“ erinnere an ein alltägliches Ärgernis (den Bus verpassen) und sei damit bewusst banalisierend überzogen.

Der Vergleich eines Präsidentschaftskandidaten mit einem Verkehrsmittel zeige laut Gericht exemplarisch die typische Übertreibung, wie sie für Satire kennzeichnend sei. Auch die Tatsache, dass Hotz den Tweet nach kurzer Zeit löschte, lasse nicht den Schluss zu, er distanziere sich inhaltlich – vielmehr sei er der Social-Media-Dynamik geschuldet gewesen.

 

Abgrenzung zur strafbaren Billigung

Auch wenn die Anlasstat eindeutig sei, reiche das nicht aus. Es müsse eine aktive, befürwortende Haltung zum Ausdruck kommen – und zwar so, dass sie den öffentlichen Frieden tatsächlich gefährdet. Daran fehlte es hier. Weder sei der Tweet eine Aufforderung zur Gewalt, noch sei aus der Sicht eines verständigen Publikums erkennbar, dass Hotz ernsthaft den Tod Trumps wünsche. Zudem sei die Reaktion der Öffentlichkeit – auch laut Aussage der ermittelnden Polizeibeamtin – überwiegend sachlich gewesen, von politisch motivierter Ablehnung geprägt, nicht von echter Störung des öffentlichen Friedens.

 

Ein Plädoyer für die Satirefreiheit

Die Entscheidung ist ein klares Bekenntnis zum Schutz der Kunst- und Meinungsfreiheit. Zwar sei der Tweet ohne Zweifel „geschmacklos“, wie es die Richterin formulierte – doch Geschmack ist keine juristische Kategorie. Entscheidend sei allein, ob eine strafrechtlich relevante Grenze überschritten wurde. Und das sei hier nicht der Fall.

Auch der Hinweis, dass Satire nicht nur in Fernsehsendungen, sondern auch in sozialen Medien stattfinden darf, ist juristisch wie gesellschaftlich von Bedeutung. Wer Satire auf Bühnen beschränkt, entzieht ihr einen zentralen Wirkungsraum im digitalen Diskurs.

 

Fazit: Grenzen der Strafbarkeit – und der Geschmacklosigkeit

Der Fall „El Hotzo“ zeigt: Strafrecht darf kein Instrument zur Sanktionierung unbequemer oder geschmackloser Meinungsäußerungen sein. Satire lebt von Überzeichnung, Provokation und Grenzverschiebung – und bleibt auch dann geschützt, wenn sie schlechte Witze macht. Die Entscheidung des AG Tiergarten ist nicht nur juristisch korrekt, sondern auch ein wichtiges Signal für die Freiheit des Wortes in digitalen Räumen.

Ob das letzte Wort gesprochen ist, bleibt abzuwarten – die Staatsanwaltschaft kann noch Berufung einlegen. Die schriftlichen Urteilsgründe dürften auch in höherer Instanz genau geprüft werden.

 

Prüfungsrelevanz

Dieser Fall ist ein Paradebeispiel für examensrelevante Fragestellungen in Strafrecht AT und Meinungsäußerungsrecht:

 

  • § 140 StGB (Billigung von Straftaten)

  • Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit)

  • Verhältnis von Äußerungsdelikten zu grundrechtlichem Schutz

  • Auslegung subjektiver und objektiver Tatbestandsmerkmale bei § 140 StGB

  • Satire als Rechtfertigungs- oder Ausschlussgrund

 

Ideal geeignet für mündliche Prüfungen, kurze Gutachten oder Klausuren mit Schwerpunkt im Medien-, Straf- und Verfassungsrecht.

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