Widerstand durch Selbstverklebung bei Klima-Protest erfüllt den Straftatbestand des § 113 StGB – Beschluss des KG Berlin vom 10.07.2024 (3 ORs 30/24 – 161 SRs 26/24)

Widerstand durch Selbstverklebung bei Klima-Protest erfüllt den Straftatbestand des § 113 StGB – Beschluss des KG Berlin vom 10.07.2024 (3 ORs 30/24 – 161 SRs 26/24)

Klimaproteste und Straßenblockaden sorgen regelmäßig nicht nur für politische Debatten, sondern auch für juristische Auseinandersetzungen. Immer häufiger stehen dabei Aktivist:innen wegen Nötigung gem. § 240 StGB vor Gericht. Doch wie ist es zu bewerten, wenn sich Demonstrierende auf der Fahrbahn festkleben, um ein Eingreifen der Polizei zu erschweren? Das Kammergericht (KG) Berlin hat sich mit dieser Frage ausführlich befasst und entschieden: Auch eine Strafbarkeit nach § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) kommt in Betracht – und zwar selbst dann, wenn die eigentliche Maßnahme der Polizei noch nicht begonnen hat.

 

Der Fall: Klimaaktivismus mit Sekundenkleber

Im Mittelpunkt der Entscheidung (Beschl. v. 10.07.2024 – 3 ORs 30/24) steht eine Aktivistin der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“, die sich im Berliner Berufsverkehr auf einer Fahrbahn der B 111 mit der Hand festklebte. Die Polizei war bereits vor Ort, eine offizielle Auflösungsverfügung wurde jedoch erst kurz darauf erteilt. Um sie von der Straße zu lösen, benötigte ein Beamter 26 Minuten – nur unter Einsatz eines Lösungsmittels war eine verletzungsfreie Ablösung möglich.

Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte die Angeklagte wegen Nötigung (§ 240 StGB) und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB), das KG bestätigte diesen Schuldspruch in der Berufung.

 

Juristische Bewertung

I. Nötigung gem. § 240 StGB

Die Strafbarkeit wegen Nötigung ist bei Straßenblockaden mittlerweile ständige Rechtsprechung. Insbesondere die sog. „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des BGH (Urt. v. 20.07.1995 – 1 StR 126/95) kommt hier zur Anwendung. Wer einen Stau provoziert, übt mittelbar Gewalt auf nachfolgende Autofahrende aus. Auch das Selbstfestkleben kann als gewaltsame Einwirkung gewertet werden, da eine physisch behindernde Wirkung auf Dritte ausgeht.

Für die Rechtswidrigkeit nach § 240 Abs. 2 StGB ist eine Abwägung mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geboten. Hier fehlt es jedoch regelmäßig an der Erforderlichkeit der Handlung im Sinne von § 34 StGB – insbesondere wenn es alternative Protestformen gegeben hätte. So auch im vorliegenden Fall.


II. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 StGB

Weitaus spannender ist die Bejahung des § 113 StGB durch das KG Berlin.


1. Gewaltbegriff konkretisiert

Das KG definiert Widerstand mit Gewalt als eine „aktive, gegen die Person des Vollstreckenden gerichtete Tätigkeit“, die auf Erschwerung der Diensthandlung abzielt. Wesentlich sei dabei eine spürbare physische Kraftentfaltung, die mehr als nur unerheblich sei.

Diese Voraussetzungen sah das Gericht beim Selbstverklebten erfüllt: Der Beamte konnte die Aktivistin nicht einfach wegtragen – nur ein schonender Lösungseinsatz unter erheblichem Zeitaufwand war möglich. Damit liege eine „körperlich spürbare Kraftentfaltung gegen den Beamten“ vor, vergleichbar mit dem Anketten.


2. Zeitpunkt der Widerstandshandlung

Besonders bemerkenswert: Das Ankleben erfolgte vor der eigentlichen polizeilichen Maßnahme. Doch auch das wertete das Gericht als unbeachtlich – es genüge, wenn die Handlung auf die zu erwartende Vollstreckung abzielt, um den Tatbestand zu erfüllen.


3. Subjektiver Tatbestand

Die Aktivistin handelte mit Wissen und Wollen – insbesondere mit dem Ziel, eine Räumung zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Auch dieser Aspekt wurde bejaht.

 

Fazit: Deutliche Erweiterung der Strafbarkeit

Das Kammergericht Berlin hat mit dieser Entscheidung klargestellt: Wer sich bei Protesten selbst an öffentlichen Einrichtungen oder Straßen fixiert, um eine polizeiliche Maßnahme zu erschweren, riskiert nicht nur eine Verurteilung wegen Nötigung – sondern auch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Entscheidend ist nicht die Intensität der unmittelbaren körperlichen Auseinandersetzung, sondern die durch körperliche Selbstbindung bewirkte Erschwernis für den Amtsträger.

Die Entscheidung stärkt damit den polizeilichen Handlungsspielraum, wirft jedoch auch Fragen hinsichtlich der Grenzen legitimer Protestformen auf.

 

 

Prüfungsrelevanz

Diese Entscheidung ist höchst examensrelevant. Besonders zu beachten ist die Übertragung des Gewaltbegriffs auf mittelbare physische Hindernisse. Klausursteller:innen greifen solche Konstellationen gern auf – mit aktuellem Bezug, klarer Abgrenzung und starkem Meinungsstreit.


Wichtig für:

  • Jurastudierende in der Examensvorbereitung (Schwerpunkt Strafrecht)

  • Referendar:innen mit Station in Strafverteidigung oder bei der Staatsanwaltschaft

  • Strafverteidiger:innen, die Klima-Prozesse begleiten oder medienwirksam vertreten

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