Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Beschluss vom 13. März 2025 (Az. 2 StR 232/24) entschieden, dass die zwangsweise Entsperrung eines biometrisch gesicherten Smartphones – etwa durch Auflegen des Fingers des Beschuldigten – auf eine Kombination aus § 81b Abs. 1 StPO und §§ 94 ff. StPO gestützt werden kann, wenn eine richterlich angeordnete Durchsuchung auch dem Auffinden des Geräts dient. Die Entscheidung stößt jedoch auf erhebliche verfassungsrechtliche und systematische Kritik, da sie den Anwendungsbereich von § 81b StPO erheblich ausweitet.
Sachverhalt
Im zugrunde liegenden Fall hatte ein Beschuldigter sein Smartphone biometrisch gesichert. Bei einer richterlich angeordneten Durchsuchung sollte das Gerät entsperrt werden. Der BGH sah § 81b StPO, der erkennungsdienstliche Maßnahmen wie Lichtbilder oder Fingerabdrücke erlaubt, als taugliche Grundlage, um den Finger des Beschuldigten zwangsweise auf den Sensor zu legen. Zur Absicherung zog er zusätzlich §§ 94 ff. StPO heran, die die Sicherstellung von Beweismitteln regeln.
Rechtliche Würdigung und Kritik
Kritiker – wie Dr. Felix Ruppert in einem Fachbeitrag bei LTO – sehen darin eine problematische Rechtsfortbildung. § 81b StPO diene nach seinem Wortlaut und systematischen Zusammenhang allein der Feststellung der körperlichen Beschaffenheit, nicht jedoch der Nutzung dieser Beschaffenheit zum Zugriff auf private Datenbestände. Die Heranziehung der Vorschrift zur Smartphone-Entsperrung dehne deren Anwendungsbereich zu einer quasi „Universalermächtigungsgrundlage“ aus, da nahezu jede Maßnahme im Strafverfahren der „Durchführung des Strafverfahrens“ dient.
Zudem sieht die Vorschrift keine spezifischen Schutzmechanismen für besonders eingriffsintensive Maßnahmen wie den Zugriff auf umfassende digitale Daten vor. Dies birgt nach Auffassung der Kritiker die Gefahr einer Verfassungswidrigkeit, da das IT-Grundrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) erheblich tangiert wird. Auch die Stellung der Norm im Abschnitt über sachverständige Feststellungen zeige, dass sie nicht für den Zugriff auf gespeicherte Daten gedacht sei.
Die vom BGH gebildete Normenkette mit §§ 94 ff. StPO beseitigt diese Bedenken nicht. Unklar bleibt, weshalb das Vorliegen der Voraussetzungen für eine spätere Maßnahme rückwirkend den Anwendungsbereich einer anderen Vorschrift erweitern soll.
Bedeutung für die Praxis
Für Ermittlungsbehörden bedeutet die Entscheidung, dass sie biometrisch gesicherte Smartphones künftig auch ohne Mitwirkung des Beschuldigten entsperren können – theoretisch auch durch Gesichtserkennung oder Iris-Scan. Für Verteidiger und Grundrechtsschützer hingegen wirft die Entscheidung erhebliche Fragen der Verhältnismäßigkeit, Bestimmtheit und Gesetzgebungskompetenz auf.
Fazit
Die Entscheidung des BGH öffnet der zwangsweisen Entsperrung von Smartphones neue Wege, bewegt sich dabei aber auf verfassungsrechtlich unsicherem Terrain. Kritiker fordern, dass der Gesetzgeber klare und grundrechtskonforme Regelungen schafft, um den Zugriff auf digitale Geräte rechtssicher zu gestalten. Bis dahin bleibt offen, ob das Bundesverfassungsgericht die Auslegung des BGH korrigieren wird.
Prüfungsrelevanz
Der Fall ist relevant für das Strafprozessrecht, insbesondere die Auslegung von § 81b StPO und dessen Verhältnis zu anderen Ermächtigungsgrundlagen wie §§ 94 ff. StPO. Er eignet sich zur Diskussion der Abgrenzung von Feststellung und Nutzung körperlicher Merkmale, der Anforderungen an Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit von Eingriffsermächtigungen sowie der Bedeutung des IT-Grundrechts.
(BGH, Beschluss vom 13. März 2025, Az. 2 StR 232/24)