LG Magdeburg, Beschl. v. 10.04.2025 – 21 Qs 18/25
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist eine tragende Säule des Strafprozessrechts – auch, wenn es um Betäubungsmitteldelikte geht. Das Landgericht (LG) Magdeburg erklärte nun eine Hausdurchsuchung für rechtswidrig, die ganze zweieinhalb Jahre nach kleineren Drogenbestellungen im Darknet angeordnet worden war. Die Entscheidung mahnt Ermittlungsbehörden, zwischen berechtigtem Anfangsverdacht und bloßem Generalverdacht zu unterscheiden.
Der Fall: Alte Drogenbestellungen, neue Ermittlungsmaßnahmen
Der Beschuldigte hatte im Mai und Juni 2022 drei Mal geringe Mengen Drogen im Darknet bestellt: insgesamt einige Gramm Methamphetamin und Marihuana. Die Bestellungen waren durch Datenfunde auf einem Laptop belegt.
Trotz des erheblichen Zeitablaufs beantragte die Staatsanwaltschaft im Oktober 2024 einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des Mannes. Begründung: Aufgrund der damaligen Bestellungen sei davon auszugehen, dass er auch aktuell Betäubungsmittel besitze oder konsumiere. Das Amtsgericht gab dem Antrag statt – und ordnete die Durchsuchung an.
Die Maßnahme wurde vollzogen. Der Verteidiger rügte daraufhin den Beschluss als unverhältnismäßig und rechtswidrig, da keinerlei Hinweise auf aktuelle Verstöße vorgelegen hätten.
Die Entscheidung: Kein aktueller Verdacht, keine Verhältnismäßigkeit
Das LG Magdeburg folgte dieser Argumentation und erklärte die Maßnahme für rechtswidrig (Beschl. v. 10.04.2025 – 21 Qs 18/25).
Das Gericht äußerte bereits Zweifel am Vorliegen eines Anfangsverdachts (§ 152 Abs. 2 StPO):
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Die Drogenkäufe lagen mehr als zweieinhalb Jahre zurück,
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sie betrafen geringe Mengen,
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und fanden innerhalb eines kurzen Zeitraums statt.
Ein solcher Sachverhalt rechtfertige nicht den Schluss auf einen aktuellen Betäubungsmittelbesitz oder -erwerb.
Selbst wenn ein Anfangsverdacht vorgelegen hätte, sei die Durchsuchung unverhältnismäßig gewesen. Ein schwerwiegender Eingriff in die Wohnungsgrundrechte (Art. 13 GG) könne nicht auf bloße Vermutungen gestützt werden – insbesondere nicht, wenn der Betroffene nicht vorbestraft und keine neuen Hinweise auf strafbares Verhalten ersichtlich seien.
Rechtliche Einordnung: Grenzen des Anfangsverdachts und der Verhältnismäßigkeit
Eine Durchsuchung darf nur angeordnet werden, wenn ein konkreter, gegenwärtiger und auf Tatsachen beruhender Anfangsverdacht besteht (§ 102 StPO). Dabei gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Die Schwere des Eingriffs muss im Verhältnis zur mutmaßlichen Tat und zum Verdachtsgrad stehen.
Das LG Magdeburg bekräftigt damit die ständige Rechtsprechung, wonach alte, geringfügige Verstöße keine neuen Durchsuchungsmaßnahmen rechtfertigen.
Zudem erinnert der Beschluss daran, dass Zeitablauf und fehlende Aktualität zwingend in die Abwägung einzubeziehen sind. Ermittlungen „auf Verdacht ins Blaue hinein“ verletzen das verfassungsrechtlich geschützte Wohnungsgrundrecht und sind daher unzulässig.
Fazit: Alte Sünden rechtfertigen keine neuen Eingriffe
Mit seiner Entscheidung setzt das LG Magdeburg ein wichtiges Signal gegen übermäßige Ermittlungsmaßnahmen:
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Ein einmaliger oder kurzfristiger Drogenkonsum begründet keinen dauerhaften Anfangsverdacht,
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der Zeitfaktor spielt bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eine zentrale Rolle,
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und Hausdurchsuchungen müssen auf aktuelle Tatsachen gestützt sein – nicht auf bloße Annahmen.
Damit stärkt das Urteil nicht nur den Schutz der Privatsphäre, sondern auch das Vertrauen in die rechtsstaatliche Kontrolle von Ermittlungsbefugnissen.
Prüfungsrelevanz für das Jurastudium und Referendariat
Der Fall ist examensrelevant im Bereich des Strafprozessrechts (§§ 102 ff. StPO) sowie des Verfassungsrechts (Art. 13 GG). Er illustriert anschaulich die Abgrenzung zwischen Anfangsverdacht und bloßer Mutmaßung und zeigt, wie Gerichte die Verhältnismäßigkeit von Ermittlungsmaßnahmen prüfen müssen.
Ideal geeignet für Prüfungsfragen zu Themen wie: Wohnungsdurchsuchung, Anfangsverdacht, richterlicher Beschluss, Zeitablauf, Grundrechtseingriffe.

