BGH zum Alternativvorsatz
Kann ein Täter nach den Regeln des dolus alternativus bestraft werden, wenn er zur Erlangung des Gewahrsams alternativ entweder einen Diebstahl oder aber einen Betrug begehen möchte?
Mit dieser Frage hat sich der BGH auseinandergesetzt.
A. Sachverhalt
Der unter einer falschen Identität auftretende A überzeugte den Geschädigten G, ein Geldtauschgeschäft mit ihm einzugehen. G sollte in einer Tasche einen Betrag in Höhe von 100.000 Euro „in kleinen Scheinen“ mitbringen. Gegen eine fünfstellige Provision sollte dieser Betrag in gleicher Höhe getauscht werden, jedoch in einer Stückelung von 500-Euro-Scheinen. Als G mit dem Geld wie verabredet im Hotel auftauchte, veranlasste A ihn dazu, mit ihm zusammen zu einem draußen wartenden Fahrzeug zu gehen, in welchem abfahrbereit sein Mittäter J saß, den G bereits kannte. A setzte sich auf den Beifahrersitz und rief G zur Abwicklung des Geschäfts zu sich. Nachdem G an die Beifahrertüre herangetreten war, gelangte die Tasche mit den 100.000 Euro zu A, woraufhin der Fahrer des Wagens Gas gab, um wegzufahren.
G, der sich kurz zuvor mit seinem Oberkörper in das Fahrzeug hinein gebeugt hatte, versuchte noch, sich festzuhalten. Aufgrund der rasanten Fahrt rutschte er jedoch ab, geriet unter das Fahrzeug und erlitt erhebliche Verletzungen. Von dem erbeuteten Geld erhielt A später einen Anteil in Höhe von 30.000 Euro.
Der Tatplan von A und J war vorrangig darauf gerichtet, dass G ihnen das Geld täuschungsbedingt freiwillig überlassen sollte; das Geld hätten sie gegebenenfalls jedoch auch dadurch in ihren Besitz bringen wollen, dass „man einen Überraschungsmoment ausnutzt“ und mit dem Auto und dem Geld davonfährt.
B. Entscheidung
Das Landgericht Köln hat die Tat als Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB) in Tateinheit mit versuchtem Betrug (§ 263 Abs. 1 und 2, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB) gewertet. Ein vollendeter Betrug liege nicht vor, weil es zu einer Wegnahme des Geldes erst durch das überraschende Wegfahren des Mittäters gekommen sei, das sich der Angeklagte gemäß § 25 Abs. 2 StGB zurechnen lassen müsse. Durch die vorangegangene täuschungsbedingte Aushändigung des Bargeldes sei nur eine Gewahrsamslockerung eingetreten, weil der Geschädigte seinen fortbestehenden Mitgewahrsam erst nach Abschluss des Tauschgeschäfts aufgeben wollte.
Der BGH (Beschl. v. 14.03.2024 – 2 StR 436/23) hat lediglich die Verurteilung wegen vollendetem Diebstahl bestätigt. Eine Verurteilung aus vollendetem Diebstahl und versuchtem Betrug auf Grundlage des Alternativvorsatzes hat er verneint.
Dass eine solche Verurteilung aus vollendetem Delikt in Tateinheit mit versuchtem Delikt grundsätzlich möglich ist, hat er erstmals 2021 dargelegt (Urt. v. 14. Januar 2021 – 4 StR 95/20).
Welche rechtlichen Konsequenzen der Alternativvorsatz hat, ist in der Literatur umstritten (vgl. Anm. Eidam zur BGH-Entscheidung, NStZ 2024, 735). Zu beachten ist, dass der Täter beim Alternativvorsatz nur einen tatbestandlichen Erfolg herbeiführen möchte, weswegen eine Verurteilung aus Vollendung und Versuch als nicht schuldangemessen erscheint. Anders ist die Situation beim Kumulativvorsatz zu beurteilen. Hier ist der Vorsatz zumeist in Gestalt des dolus eventualis auf die Verletzung mehrerer Rechtsgüter gerichtet, wobei nur eine Verletzung eintritt.
Der BGH löst dieses Problem auf der Ebene der Strafzumessung, hält aber grundsätzlich eine Bestrafung aus Vollendung und Versuch für möglich. Lediglich im vorliegenden Fall hat er den Alternativvorsatz abgelehnt. Er hat dazu auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts Bezug genommen, denen er sich vollumfänglich angeschlossen hat:
"Tateinheit [ist] zwischen dem vollendeten und dem versuchten Delikt etwa dann anzunehmen, wenn sich der Alternativvorsatz eines Täters auf die höchstpersönlichen Rechtsgüter verschiedener Rechtsgutsträger richtet … Dasselbe würde gelten, wenn er mit der Tat zwei sich gegenseitig ausschließende Erfolge – etwa den Tod oder die schwere Körperverletzung des Opfers – anstrebt …. Hier kam es dem Angeklagten jedoch darauf an, durch eine gegen denselben Rechtsgutsträger gerichtete Tat einen identischen Taterfolg – nämlich die Erlangung von 100.000 Euro Bargeld – herbeizuführen. Sein Alternativvorsatz bezog sich somit allein auf die zur Erreichung dieses Erfolgs erforderlichen, sich gegenseitig ausschließenden Tathandlungen."
C. Prüfungsrelevanz
In Anbetracht des Exklusivitätsverhältnisses zwischen Diebstahl und Betrug überrascht die Lösung des Landgerichts Köln, die der BGH zu Recht aufgehoben hat.
Zur Vertiefung sollte die Entscheidung des BGH aus 2021 herangezogen werden, die sich mit einem ähnlichen Problem beschäftigte. Ihr lag folgender Sachverhalt zugrunde:
A schlägt mit einem Hammer in Richtung des X und des unmittelbar dahinter stehenden Y. Er hält es für möglich und nimmt es billigend in Kauf, dass der Hammer eine der beiden Personen treffen und verletzen könnte, wobei er jedoch tatsächlich nur einmal den tatbestandlichen Erfolg herbeiführen möchte. Der Hammer trifft Y am Arm, X bleibt unverletzt. Hier hat der BGH die Bestrafung aus vollendeter gefährlicher Körperverletzung an Y und versuchter gefährlicher Körperverletzung an X bestätigt.
(BGH Beschl. v. 14.03.2024 – 2 StR 436/23)