Studie: Ein Drittel aller Tötungsdelikte an Frauen wird von Männern (99 %) verübt und ist geschlechtsspezifisch motiviert.

Studie: Ein Drittel aller Tötungsdelikte an Frauen wird von Männern (99 %) verübt und ist geschlechtsspezifisch motiviert.

LKA NRW, Studie 2025

Der Begriff „Femizid“ ist längst Teil der gesellschaftspolitischen Debatte, bleibt aber juristisch unscharf. Während Frauenhäuser, Beratungsstellen und NGOs seit Jahren auf die besondere Gewaltproblematik hinweisen, tat sich die Strafrechtswissenschaft bislang schwer mit einer präzisen Einordnung. Nun hat das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA NRW) im Auftrag des Innenministeriums erstmals eine umfassende Studie vorgelegt, die Tötungsdelikte an Frauen im Zeitraum 2014 bis 2023 systematisch untersucht. Das Ergebnis ist erschreckend: Rund ein Drittel aller Tötungen an Frauen sind als Femizide einzuordnen.

 

Die wesentlichen Ergebnisse der Studie

Laut LKA wurden in NRW zwischen 2014 und 2023 insgesamt 1.666 versuchte und vollendete Tötungsdelikte an Frauen erfasst. 908 Frauen verloren ihr Leben. In 522 Fällen – also etwa einem Drittel – wurde ein Femizid festgestellt, 235 dieser Taten endeten tödlich.


Kennzeichnend sind vor allem folgende Befunde:

  • Tatverdächtige: 99 % der Femizid-Täter sind Männer.

  • Tatkonstellationen: 87 % der Fälle sind Beziehungstaten, überwiegend durch (Ex-)Partner.

  • Motivlage: Trennung, Eifersucht und patriarchale Besitzansprüche stehen im Zentrum.

  • Herkunft der Täter: Überrepräsentiert sind Männer ohne deutsche Staatsangehörigkeit (26 %), wobei in absoluten Zahlen deutsche Staatsangehörige mit 1.369 Fällen dominieren.

  • Tatmittel: Femizid-Täter griffen häufiger auf Schusswaffen zurück als andere Tätergruppen.

Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach von einem „Menschenbild aus dem Mittelalter“, das sich in Kontrolle, Machtfantasien und Gewalt manifestiere. Gleichstellungsministerin Josefine Paul (Grüne) betonte die hohe Dunkelziffer und die Notwendigkeit, Schutzstrukturen zu stärken.

 

Juristische Einordnung: Femizid als Begriff ohne Strafnorm

Anders als in einigen lateinamerikanischen Staaten ist der Begriff „Femizid“ im deutschen Strafrecht bislang nicht als eigener Tatbestand verankert. Die Studie stützt sich daher auf internationale Definitionen, insbesondere der Istanbul-Konvention und der UN-Erklärungen. Danach liegt ein Femizid vor, wenn ein Mädchen oder eine Frau aufgrund ihres Geschlechts getötet wird oder das Geschlecht maßgeblich die Motivation bestimmt.

Rechtlich relevant sind diese Einordnungen für Deutschland bislang nur insoweit, als sie bei der Strafzumessung (§ 46 StGB) Berücksichtigung finden oder im Rahmen besonderer Strafschärfungen (z.B. Heimtücke, niedrige Beweggründe nach § 211 StGB) eine Rolle spielen. Ein eigenständiger Straftatbestand „Femizid“ existiert nicht.

Die Diskussion ist daher zweigeteilt: Einerseits steht die Forderung nach einer expliziten Norm im Raum, um das gesellschaftliche Unrecht sichtbar zu machen. Andererseits argumentiert die Gegenposition, dass die bestehenden Tatbestände von Mord und Totschlag ausreichend seien und der Begriff „Femizid“ mehr kriminalpolitische Symbolwirkung als dogmatische Relevanz besitze.


 

Gesellschaftspolitische Konsequenzen

Die LKA-Studie geht über reine Zahlen hinaus und enthält Handlungsempfehlungen. Besonders betont werden:

  • Frühzeitige Prävention durch gleichstellungsorientierte Erziehung, um starre Rollenbilder gar nicht erst zu verfestigen.

  • Technische Schutzmaßnahmen wie elektronische Fußfesseln zur Überwachung einschlägig vorbestrafter Täter.

  • Stärkung der Schutzinfrastruktur: NRW verfügt derzeit über 70 Frauenhäuser, 62 allgemeine Frauenberatungsstellen und 57 Fachberatungsstellen gegen sexualisierte Gewalt – nach Einschätzung von Experten reicht dies jedoch nicht aus.

 

Kritik am Begriff „Femizid“

Die kriminalpolitische Diskussion um den Terminus bleibt kontrovers. Kritiker bemängeln, dass er in Deutschland bislang unscharf verwendet werde und teils jede Tötung einer Frau – unabhängig vom Tatmotiv – als Femizid deklariert worden sei. Genau hier setzt die LKA-Studie an, indem sie eine differenzierte Betrachtung vornimmt und nur solche Fälle einordnet, bei denen geschlechtsspezifische Motive nachweisbar waren.

 

Fazit

Die Studie des LKA NRW liefert erstmals belastbare Daten, die die Dimension des Problems sichtbar machen: Femizide sind keine Randerscheinung, sondern betreffen ein Drittel aller Tötungsdelikte an Frauen. Die Herausforderung für Gesetzgebung und Gesellschaft liegt nun darin, wirksame Präventionsstrategien zu entwickeln und zugleich die rechtliche Einordnung weiter zu schärfen. Ob es künftig einen eigenständigen Straftatbestand geben wird, bleibt eine politische Frage. Unabhängig davon ist klar: Die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt erfordert ein konsequentes Zusammenspiel von Strafrecht, Opferschutz und gesellschaftlicher Aufklärung.


 

Prüfungsrelevanz für Studium und Referendariat

  • Strafrecht AT/BT: Abgrenzung Mord/Totschlag, Bedeutung von niedrigen Beweggründen (§ 211 Abs. 2 StGB).

  • Rechtssoziologie/Strafrechtspolitik: Diskussion um kriminalpolitische Kategorien („Femizid“ als eigener Tatbestand?).

  • Staatsrecht: Umsetzung internationaler Vorgaben, insbesondere der Istanbul-Konvention.

  • Prüfungsklausuren: Thematisch relevant für aktuelle Bezüge in Zusatzfragen oder Meinungsstreits.

Quelle: (LKA NRW, Studie 2025)

Hinterlasse einen Kommentar

Bitte beachte, dass Kommentare vor der Veröffentlichung freigegeben werden müssen.

Werde Gastautor:in

Wenn es dir Spaß bereitet, Artikel, Aufsätze und Geschichten zu schreiben, dann werde Gastautor:in bei LSG und sammele deine ersten Erfahrungen im Online Publishing! 

Themen
Reiche gerne jeden Beitrag ein, der einen Bezug zur Rechtswissenschaft aufweist. Wirf einen Blick auf unsere Blogkategorien und gib uns Bescheid, in welcher Kategorie dein Beitrag erscheinen soll
Themenkategorie
Justiz, Studium, Referendariat, Zivilrecht, Öffentliches Recht, Strafrecht, Digitalisierung, Rechtsgeschichte, Persönliche Geschichten, Literatur, Lernen, Mentale Stärke, Gesundheit während der Ausbildung, Finanzen, Karrieretipps