BGH, Beschluss v. 12.08.2025 – 5 StR 688/24
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte über einen besonders grausamen Fall ehelicher Gewalt zu entscheiden. Ein Mann stach mit dutzenden Messerstichen auf seine Ehefrau ein, die schließlich in panischer Flucht auf die Autobahn lief und dort von einem LKW erfasst wurde. Der 5. Strafsenat stellte klar: Der tödliche Unfall stellt lediglich eine unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf dar. Die Tat ist daher als vollendeter Mord zu bewerten.
Der Sachverhalt
Der Angeklagte hatte seine Ehefrau über Jahre hinweg misshandelt. Nachdem sie in ein Frauenhaus geflohen war und das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder zugesprochen bekam, lockte er sie unter dem Vorwand einer Versöhnung zurück. Tatsächlich plante er ihren Tod und hatte zuvor bereits Werkzeuge zum Vergraben der Leiche besorgt.
Auf einem Parkplatz in Flensburg griff er sie mit einem Messer an und fügte ihr mindestens 40 Stiche zu. Um nicht entdeckt zu werden, fuhr er mit der schwer verletzten Frau auf die Autobahn A7, wo er die Angriffe auf dem Standstreifen fortsetzte. Die Frau flüchtete in Todesangst auf die Fahrbahn und wurde dort von einem LKW erfasst und tödlich verletzt. Der Angeklagte wurde am Tatort festgenommen.
Die Entscheidung des LG Flensburg
Das Landgericht Flensburg hatte den Angeklagten am 26.03.2024 wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Körperverletzung mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt (Az. I Ks 106 Js 27046/21). Es ging davon aus, dass der Tod der Frau durch den LKW nicht mehr dem unmittelbaren Tatplan des Angeklagten zuzurechnen sei.
Der Beschluss des BGH
Der BGH hob diese rechtliche Bewertung auf. Er sah in dem Geschehen keinen versuchten Mord, sondern vollendeten Mord. Nach Auffassung des Gerichts war der tödliche Ausgang durch den LKW keine wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf. Entscheidend war, dass der Angeklagte die Frau durch die massiven Messerangriffe in eine ausweglose Situation brachte. Ihre Flucht auf die Autobahn und der dortige Unfall waren eine naheliegende und vorhersehbare Reaktion auf die Lebensgefahr.
Damit haftet der Täter auch für den unmittelbar durch den LKW verursachten Tod. Ein Kausalzusammenhang wird nicht durch den Umstand unterbrochen, dass die Todesursache letztlich eine Fremdeinwirkung war.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung befasst sich mit der zentralen Frage der Zurechnung bei Abweichungen vom Kausalverlauf. Grundsätzlich gilt: Eine Handlung ist dem Täter auch dann zurechenbar, wenn sich die Gefahr, die er geschaffen hat, im Erfolg realisiert. Eine Zurechnung entfällt nur, wenn eine völlig atypische, vom Täter nicht beherrschbare Entwicklung zum Erfolg führt.
Der BGH ordnete den Unfalltod als typische Folge der Tatumstände ein: Die Frau befand sich durch die Messerangriffe in einer panischen Lage, in der eine Flucht auf die Straße nicht fernlag. Der Unfall war daher kein atypischer Geschehensablauf. Der Angeklagte verwirklichte somit das von ihm geschaffene Risiko, sodass der Mordtatbestand erfüllt war.
Prüfungsrelevanz
Für das Examen ist der Fall von hoher Bedeutung. Er illustriert, wie die Abgrenzung zwischen wesentlicher und unwesentlicher Abweichung vom Kausalverlauf vorzunehmen ist. Die Kernaussage lautet: Eine Abweichung ist nur dann erheblich, wenn sie außerhalb jeder Lebenserfahrung liegt. Reaktionen des Opfers, die durch die Tatausführung naheliegend provoziert werden, bleiben zurechenbar.
Studierende sollten sich merken: Der Täter haftet auch dann für den Tod des Opfers, wenn dieser durch eine Drittursache wie einen Unfall eintritt, solange diese Reaktion eine naheliegende Folge der Tat ist.
Fazit
Der BGH hat den Schuldspruch auf vollendeten Mord geändert und damit verdeutlicht: Der Tod eines Opfers bei einer durch den Täter provozierten Flucht stellt regelmäßig keine wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf dar. Damit bleibt der Täter auch für unvorhergesehene, aber naheliegende Folgen verantwortlich.