Direkt zum Inhalt

Winkelschleifer-Fall – Die Abgrenzung von Diebstahl und Betrug in Selbstbedienungsläden

A. Sachverhalt

Am 08.04.1986 befand sich der Angeklagte in der Werkzeugabteilung eines Verkaufsmarktes, um einen Winkelschleifer zu kaufen. Nach Auswahl eines Geräts öffnete er den Karton und stellte fest, dass keine Trennscheiben enthalten waren. Da er auf diese nicht verzichten, sie aber auch nicht zusätzlich bezahlen wollte, legte er vier Trennscheiben im Wert von je 3 DM in den Karton des Winkelschleifers und verschloss diesen.

Der für die Abteilung zuständige Verkäufer C beobachtete diese Manipulation und informierte den Hausdetektiv. Der Angeklagte begab sich zur Kasse, legte den verschlossenen Karton aufs Kassenband, zahlte den Kaufpreis für den Winkelschleifer und verließ den Kassenbereich. Anschließend ging er zum Informationsstand, um sich den Kauf quittieren zu lassen. Dort wurde er von dem Hausdetektiv gestellt.

 

B. Rechtliche Problematik

Die zentrale Frage des Falles ist, ob sich der Angeklagte wegen Diebstahls gem. § 242 StGB oder wegen Betrugs gem. § 263 StGB strafbar gemacht hat. Dabei geht es um die dogmatische Abgrenzung zwischen diesen beiden Delikten, insbesondere um das Kriterium der "Wegnahme" einerseits und der "Vermögensverfügung" andererseits.

  • Der Diebstahlstatbestand setzt eine Wegnahme voraus, also einen Bruch fremden Gewahrsams gegen oder ohne den Willen des Berechtigten.

  • Der Betrugstatbestand erfordert hingegen eine Vermögensverfügung, die durch eine Täuschung herbeigeführt wurde und die zu einer freiwilligen Gewahrsamsaufgabe durch den Getäuschten führt.

Im Exklusivitätsverhältnis zwischen beiden Delikten bedeutet dies: Wegnahme und bewusste Weggabe schließen sich gegenseitig aus. Wenn eine Vermögensverfügung vorliegt, kann kein Diebstahl vorliegen und umgekehrt.

 

C. Entscheidung des OLG Düsseldorf

Das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 19.6.1987 – 5 Ss 166/87 – 131/87 I) verurteilte den Angeklagten wegen Betrugs gem. § 263 StGB und änderte die vorherige Entscheidung des Berufungsgerichts, das ihn wegen Diebstahls verurteilt hatte.

  • Das Gericht stellte fest, dass der Angeklagte keinen Diebstahl begangen hatte, weil der Gewahrsamsverlust des Ladeninhabers nicht durch "Bruch", sondern durch eine konkludente Verfügung der Kassiererin erfolgte.

  • Die Kassiererin wurde getäuscht, indem der Angeklagte den Karton mit dem Winkelschleifer vorlegte, was die konkludente Erklärung beinhaltete, dass sich darin keine weiteren Gegenstände befanden.

  • Das Gericht bejahte ein Verfügungsbewusstsein der Kassiererin über den gesamten Kartoninhalt, auch wenn sie die verborgenen Trennscheiben nicht gesehen hatte.

  • Damit sei eine Vermögensverfügung gegeben, was zu einer Verurteilung wegen Betrugs führe.

 

D. Kritische Würdigung

Die Entscheidung des OLG wirft mehrere dogmatische Fragen auf:

  1. Problem des Verfügungsbewusstseins

    • Nach der h.M. setzt Betrug ein bewusstes Verfügungsbewusstsein des Getäuschten voraus. Die Annahme, dass die Kassiererin "generell" über alles im Karton befindliche bewusst verfügt habe, erscheint fraglich. Tatsächlich wusste sie nichts von den Trennscheiben und konnte darüber nicht bewusst verfügen.

  2. Täuschung durch Unterlassen?

    • Das Gericht geht von einer aktiven Täuschung aus, weil der Angeklagte den Karton vorlegte. Tatsächlich könnte man aber argumentieren, dass er lediglich über eine Tatsache geschwiegen hat (das Vorhandensein der Trennscheiben). Eine Täuschung durch Unterlassen ist aber nur strafbar, wenn eine Garantenstellung gem. § 13 StGB besteht, was hier fraglich ist.

  3. Abgrenzung zum Diebstahl

    • Die Entscheidung könnte auch dazu führen, dass viele Fälle von Diebstahl in Selbstbedienungsläden als Betrug behandelt werden, was dogmatisch problematisch wäre. Denn letztlich nimmt der Täter unberechtigt Ware an sich.

  4. Relevanz für die Praxis

    • Die Abgrenzung ist nicht bloße Theorie, sondern hat erhebliche Konsequenzen: Während auf Betrug eine Strafe von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe steht, kann eine Tat als Diebstahl in besonders schweren Fällen zu zehn Jahren Freiheitsstrafe führen. Noch gravierender ist, dass es keinen "räuberischen Betrug" gibt, wohl aber einen räuberischen Diebstahl nach § 252 StGB, der eine Mindeststrafe von einem Jahr vorsieht.

E. Fazit

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf zeigt, dass die Abgrenzung zwischen Diebstahl und Betrug eine komplexe dogmatische Herausforderung darstellt. Während das Gericht argumentiert, dass eine bewusste Vermögensverfügung vorliegt, könnte man kritisch hinterfragen, ob dies tatsächlich mit der Kassenrealität übereinstimmt.

Alternativ könnte eine differenzierte Betrachtung sinnvoll sein, die für das Vorlegen des Kartons ohne weitere Überprüfung durch die Kassiererin keinen eindeutigen Betrug, sondern einen Fall von Diebstahl durch Gewahrsamsbruch nahelegt.

Diese Entscheidung hat Auswirkungen auf die gesamte Strafrechtsdogmatik und zeigt einmal mehr, dass die feinen Nuancen des objektiven und subjektiven Tatbestands erhebliche Konsequenzen für die juristische Einordnung einer Tat haben.

Hinterlasse einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Warenkorb 0

Dein Warenkorb ist leer

Beginn mit dem Einkauf