BGH, Beschluss vom 12.11.2024 – 3 StR 301/24
BGH zur rechtlichen Bewertung der Gewahrsamsverhältnisse bei Bargeldabhebungen
Der Bundesgerichtshof hatte sich erneut mit der Frage der Gewahrsamsverhältnisse bei Bargeldabhebungen am Geldautomaten auseinanderzusetzen. Im Kern ging es darum, ob der Täter lediglich eine räuberische Erpressung begeht oder ob er durch das Entnehmen der Geldscheine den Gewahrsam bricht und damit den Tatbestand des Raubes verwirklicht.
Sachverhalt
Der Angeklagte schlug auf den Geschädigten ein und zwang ihn, am Geldautomaten seine Bankkarte einzuschieben und den PIN einzugeben. Anschließend gab der Täter selbst den höchstmöglichen Auszahlungsbetrag ein, entnahm 140 Euro aus dem Ausgabefach und flüchtete. Das Landgericht Koblenz verurteilte ihn wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung.
Streitpunkt war, ob der Angeklagte den Gewahrsam der Bank oder des Opfers brach oder ob er durch das Ausgabeverfahren lediglich von einem Einverständnis profitierte.
Entscheidung des BGH
Der 3. Strafsenat änderte den Schuldspruch und bejahte einen Raub mit Körperverletzung gemäß § 249 StGB. Nach seiner Auffassung lag ein Gewahrsamsbruch vor, da das Einverständnis der Bank mit der Geldausgabe nicht allgemein, sondern nur auf den legitimierten Karteninhaber gerichtet ist. Zudem stellte das Gericht klar, dass auch das Opfer, welches den Auszahlungsvorgang durch Karte und PIN ausgelöst hatte, einen Mitgewahrsam an den im Ausgabefach liegenden Scheinen erlangte. In diesen Herrschaftsbereich griff der Täter ein und brach dadurch den Gewahrsam.
Der Täter brach sowohl den Gewahrsam der Bank als auch den Mitgewahrsam des Opfers – entscheidend war somit Raub, nicht Erpressung.
Rechtliche Einordnung
Die Entscheidung ist Teil einer längeren Debatte innerhalb der Rechtsprechung. Der 2. Senat hatte 2017 noch angenommen, dass der Gewahrsam durch das ordnungsgemäße Bedienen des Automaten auch auf den Täter übergehe, sodass lediglich eine räuberische Erpressung vorliege. Der 3. Senat hatte sich bereits 2019 dagegen gestellt und das Einverständnis der Bank auf den legitimierten Kontoinhaber beschränkt. Der 4. Senat entwickelte 2021 wiederum die Figur des Mitgewahrsams des Karteninhabers. Mit dem aktuellen Beschluss bekräftigt der 3. Senat seine Linie und stützt sich zugleich auf die Argumentation des 4. Senats.
Heute spricht vieles für die Annahme von Mitgewahrsam beim Kontoinhaber, sodass ein Gewahrsamsbruch und damit Raub vorliegt.
Prüfungsrelevanz
Für das Studium und die Examensvorbereitung ist dieser Fall besonders lehrreich. Zunächst ist stets zu klären, ob die Geldscheine „fremd“ sind – was zu bejahen ist, da die Bank das Eigentum nur an den legitimierten Kunden übertragen will. Anschließend liegt der Schwerpunkt in der Frage des Gewahrsamsbruchs. In einer Klausur ist es ratsam, die unterschiedlichen Auffassungen darzustellen und sich für die Annahme eines Mitgewahrsams des Opfers zu entscheiden. Damit folgt man sowohl dem 3. als auch dem 4. Senat und kommt zu einem sicheren Ergebnis: Raub.
Für Examensklausuren gilt: Bargeld im Ausgabefach ist fremd, der Kontoinhaber hat Mitgewahrsam, Entnahme durch Täter = Raub.
Fazit
Der BGH hat mit dieser Entscheidung klargestellt, dass das gewaltsame Erzwingen einer Bargeldabhebung am Automaten nicht nur eine räuberische Erpressung darstellt, sondern als Raub zu qualifizieren ist. Das Opfer, das Karte und PIN eingegeben hat, wird Mitgewahrsamsinhaber, sodass der Täter durch die Wegnahme den Gewahrsam bricht. Damit hat der 3. Senat seine bisherige Linie bestätigt und zugleich an die Argumentation des 4. Senats angeknüpft.
Zwingt der Täter das Opfer zur Eingabe von Karte und PIN am Geldautomaten und entnimmt anschließend selbst das ausgegebene Bargeld, so bricht er den Gewahrsam des Opfers und verwirklicht den Tatbestand des Raubes gemäß § 249 StGB.