Die Anwaltsklausur im Zivilrecht richtig schreiben – Leitfaden für das 1. und 2. Examen

Klausur Anwaltsklausur Jura wie studium examen recht

Die zivilrechtliche Anwaltsklausur ist ein zunehmend wichtiger Bestandteil sowohl des ersten als auch des zweiten Staatsexamens. Während sie im zweiten Examen traditionell verankert ist, gewinnt sie auch im Assessorexamen des ersten Examens an Bedeutung – sei es in Klausuren mit anwaltlicher Perspektive oder in kombinierten Aufgabenformaten. Dabei stellt sie angehende Jurist:innen vor ganz eigene Herausforderungen. Auch wenn sie strukturell den klassischen Gutachtenklausuren ähnelt, verlangt sie ein deutlich praxisorientierteres Vorgehen und ein erweitertes Rollenverständnis. Ziel ist nicht mehr allein die korrekte Subsumtion, sondern auch eine an der Mandantenperspektive ausgerichtete, strategisch kluge rechtliche Beurteilung und Umsetzung. Dieser Beitrag führt umfassend in die Anforderungen, den Aufbau und die Besonderheiten der zivilrechtlichen Anwaltsklausur ein – für beide Examina.

A. Grundlagen und Zielsetzung der Anwaltsklausur

Die Fallbearbeitung aus Anwaltssicht steht nicht nur im Zivilverfahren mittlerweile gleichberechtigt neben der Urteilsklausur. Trotzdem bereitet sie vielen Referendaren größere Schwierigkeiten als die Urteilsklausur. Dies liegt häufig daran, dass in der Zivilstation das Abfassen von Urteilen intensiver geübt wird als das Schreiben anwaltlicher Schriftsätze, was in der Anwaltsstation oft zu kurz kommt. Das sollte jedoch nicht abschrecken: Mit der richtigen Vorbereitung – insbesondere durch das Schreiben von Übungsklausuren unter realistischen Bedingungen – lässt sich auch die Anwaltsklausur gezielt trainieren.

Die Besonderheit liegt darin, dass du freier in der Fallbearbeitung bist. Die inhaltliche Tiefe deiner Lösungsskizze und deines Gutachtens wird besonders gewichtet. Anders als bei der Urteilsklausur kommt es in der Anwaltsklausur nicht nur auf die Subsumtion an, sondern auch auf deine Fähigkeit, das Mandantenbegehren zu erfassen, prozessuale Wege zu bewerten und sinnvolle Empfehlungen zu formulieren. Es geht also um eine Verbindung aus materiell-rechtlicher Prüfung und anwaltlicher Strategie.

B. Aufbau und Ablauf der Anwaltsklausur

Die Anwaltsklausur bildet typische Situationen aus dem anwaltlichen Berufsalltag ab. Die Rolle des Rechtsanwalts verlangt eine schlüssige Herleitung der Erfolgsaussichten sowie eine taktisch kluge Umsetzung. Diese Elemente sind im Aufbau der Klausur direkt wiederzufinden:

  1. Mandant schildert den Fall – Du liest den Aktenauszug und den Bearbeitervermerk

  2. Mandant äußert ein konkretes Begehren – Du formulierst das Mandantenbegehren

  3. Anwalt prüft die Rechtslage – Du erstellst ein materiell-rechtliches Gutachten

  4. Anwalt bewertet das prozessuale Vorgehen – Du formulierst Zweckmäßigkeitserwägungen

  5. Anwalt verfasst Schriftsatz oder Mandantenschreiben – Du fertigst den praktischen Teil

Die gängigsten Klausurtypen sind:

  • Klageentwurf (Klägerklausur)

  • Klageerwiderung (Beklagtensicht)

  • Einspruch gegen ein Versäumnisurteil

  • Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz

C. Herangehensweise und Klausurtaktik

I. Aktenauszug und Bearbeitervermerk lesen

Lies den Sachverhalt mehrfach sorgfältig und strukturiere deine Gedanken systematisch: Nutze getrennte Blätter oder Notizen für materielles Gutachten, prozessuales Vorgehen und Schriftsatz. Achte besonders auf den Bearbeitervermerk: Er sagt dir genau, was du tun und was du nicht tun sollst.

II. Mandantenbegehren ermitteln

Ermittle das Ziel des Mandanten und formuliere es sauber und verständlich. Auch wenn das Begehren nur implizit im Sachverhalt enthalten ist, musst du es als Ausgangspunkt deiner gesamten Klausur analysieren.

III. Lösungsskizze erstellen

Die Lösungsskizze in der Anwaltsklausur muss nicht so detailliert sein wie in der Urteilsklausur. Wichtig ist, dass du Zusammenhänge und relevante Anspruchsgrundlagen erkennst. Visualisiere den Sachverhalt, analysiere Rechtsbeziehungen und entwickle eine strukturierte Herangehensweise.

D. Niederschrift – Materielles und Prozessuales Gutachten

I. Allgemeine Hinweise

Verwende den Gutachtenstil bei streitigen oder unklaren Punkten, den Urteilsstil bei unproblematischen. Formuliere präzise und klar, nutze Obersätze und eine logische Gliederung. Denk daran, du vertrittst durchgängig die Interessen deines Mandanten – dies muss auch sprachlich sichtbar sein.

II. Materielles Gutachten

Untersuche alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen (vertraglich, deliktisch, bereicherungsrechtlich), prüfe Einwendungen und berücksichtige Zinsansprüche. Achte besonders auf die Beweislast und nutze das Schema "SAPuz" zur Beurteilung der Beweismittel.

III. Zweckmäßigkeitserwägungen

Bewerte prozesstaktisch die beste Vorgehensweise: Welche Klageart ist geeignet? Ist Eilrechtsschutz sinnvoll? Gibt es ein Kostenrisiko nach § 93 ZPO? Prüfe außerdem die sachliche und örtliche Zuständigkeit. Orientiere dich an der Rechtsprechung des BGH zur anwaltlichen Beratungspflicht: Der sicherste und effektivste Weg für den Mandanten ist zu wählen.

E. Praktischer Teil – Schriftsatz oder Mandantenschreiben

I. Schriftsatz an das Gericht

Beachte die Formvorgaben des § 130 ZPO: Rubrum, Anträge, Begründung, Unterschrift. Argumentiere im Urteilsstil und füge Verweise auf das Gutachten sprachlich korrekt ein. Der Schriftsatz schließt mit dem Namen des Anwalts in Druckbuchstaben.

II. Schriftsatz an den Gegner oder Mandanten

Ein Schreiben an den Gegner enthält die Forderung und deren Begründung. Ein Schreiben an den Mandanten kommt zum Einsatz, wenn ein prozessuales Vorgehen aussichtslos ist. Dieses Schreiben muss besonders klar und verständlich sein.

 

F. Aufbau einer Klausur

I. Ermittlung der Sachziele des Mandanten

Für den Mandanten ist die rechtliche Gestaltung kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um wirtschaftliche oder soziale Ziele zu erreichen. Der Anwalt muss diese Ziele stets als Leitlinie seiner Vertragsgestaltung im Blick behalten. Die Sachziele sollten möglichst ohne juristische Fachbegriffe und in Alltagssprache formuliert werden.

 

II. Ermittlung der Rechtsziele des Mandanten

Die Sachziele müssen sodann in rechtliche Ziele überführt werden, da rechtliche Gestaltung nur auf rechtliche Ziele gerichtet sein kann. Gegenüber rechtlichen Zielvorstellungen, die vom Mandanten selbst formuliert werden, ist eine gewisse Zurückhaltung geboten. Es ist Aufgabe des Anwalts, die rechtlichen Ziele zu identifizieren, die der Mandant sinnvollerweise ansteuern sollte, um seine Sachziele zu erreichen.

III. Ermittlung der bestehenden Rechtslage

Im nächsten Schritt ist zu prüfen, ob zur Erreichung der ermittelten Rechtsziele überhaupt eine rechtliche Gestaltung erforderlich ist. Es gilt also festzustellen, ob die bestehende Rechtslage die Ziele bereits verwirklicht. Diese Prüfung erfolgt im Stil der klassischen Gutachtentechnik.

 

IV. Ermittlung des rechtlichen Gestaltungsbedarfs

Ein Abgleich zwischen den Rechtszielen und der bestehenden Rechtslage zeigt, ob ein rechtlicher Gestaltungsbedarf besteht. Dieser Punkt erschöpft sich häufig in einer kurzen Feststellung („Gestaltungsbedarf besteht / besteht nicht“). Selbst wenn rechtlich kein zwingender Bedarf besteht, kann eine Gestaltung aus Gründen der Zweckmäßigkeit sinnvoll sein (z. B. zur Beweissicherung oder aufgrund psychologischer Wirkung eines schriftlichen Vertrags).

 

V. Ermittlung der Gestaltungsmöglichkeiten

a) Erfüllungsplanung: Erreichung der rechtlichen Ziele

Es wird nach rechtlichen Gestaltungsmitteln gesucht, die von ihrer Rechtsfolge her geeignet sind, das angestrebte Rechtsziel zu verwirklichen. Diese Mittel sind daraufhin zu überprüfen, welchen rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen sie unterliegen und ob diese Voraussetzungen geschaffen werden können. Insbesondere ist zu klären, ob die geplante Gestaltung rechtlich zulässig ist.

b) Gestaltungsoptimierung

Wurde eine geeignete Gestaltungsmöglichkeit gefunden, ist zu prüfen, welche Nebenwirkungen sie entfalten kann und ob sie mit den sonstigen Interessen des Mandanten vereinbar ist. Bei der Identifikation relevanter Gesichtspunkte helfen Checklisten und Formularhandbücher. Soweit sich zusätzliche Gestaltungsthemen ergeben, sollte das oben beschriebene Schema erneut durchlaufen werden – insbesondere unter Berücksichtigung der zu erwartenden Einwände der Gegenseite. Eine rechtliche Gestaltung ist nur dann erfolgreich, wenn sie auch die Interessen der anderen Vertragspartei angemessen berücksichtigt.


VI. Gesamtabwägung

Die in Betracht kommenden Gestaltungen sind abschließend unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Vor- und Nachteile abzuwägen. Dies sollte idealerweise gemeinsam mit dem Mandanten erfolgen. In den Fokus rücken hier Fragen der Wirtschaftlichkeit, Praktikabilität und Durchsetzbarkeit.

 

VII. Gestaltungsvorschlag

Auf Grundlage der vorangegangenen Analyse unterbreitet der Anwalt dem Mandanten einen konkreten Gestaltungsvorschlag. Dieser sollte klar, rechtssicher und unter Berücksichtigung aller Interessen formuliert sein.

 

G. Fazit

Die Anwaltsklausur verlangt eine praxisnahe, strategisch kluge Fallbearbeitung. Sie fordert das Zusammenspiel von Subsumtionsfähigkeit, mandantenorientiertem Denken und taktischem Geschick. Ob im ersten oder zweiten Staatsexamen: Wer frühzeitig beginnt, Übungsklausuren zu schreiben, regelmäßig Fallanalysen trainiert und sich mit dem prozessualen Handwerkszeug vertraut macht, wird in der Anwaltsklausur nicht nur bestehen, sondern glänzen.

Der Zweck eines kautelarjuristischen Prüfungsschemas besteht vor allem darin, die Überlegungen, die zu einem Gestaltungsvorschlag führen, für den Anwalt selbst und für Dritte nachvollziehbar zu machen.

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