BGH, Urt. v. 09.10.2025 – III ZR 180/24
Wer sich im Rahmen der staatlichen Impfkampagne gegen das Coronavirus impfen ließ und später gesundheitliche Schäden geltend macht, kann nicht die impfende Ärztin oder den impfenden Arzt persönlich haftbar machen. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Impfärzte handeln bei der Durchführung der Corona-Schutzimpfungen in hoheitlicher Funktion. Damit haftet nach Art. 34 Satz 1 GG ausschließlich der Staat, nicht die behandelnde Person.
Mit dieser Grundsatzentscheidung ordnet der BGH die ärztliche Tätigkeit im Rahmen staatlicher Impfkampagnen eindeutig der öffentlichen Hand zu – mit weitreichenden Folgen für mögliche Amtshaftungsansprüche.
Der Fall: Nach der Booster-Impfung zur Klage
Ein Mann ließ sich im Dezember 2021 zum dritten Mal gegen das Coronavirus impfen. Etwa drei Wochen später wurde bei ihm eine Herzerkrankung diagnostiziert, die er als Folge der Impfung ansah.
Er machte geltend, die Impfung sei fehlerhaft durchgeführt worden, zudem sei er nicht ausreichend über Risiken aufgeklärt worden. Wegen der gesundheitlichen und psychischen Folgen verlangte er unter anderem Schmerzensgeld von mindestens 800.000 Euro von der impfenden Ärztin.
Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht wiesen die Klage ab. Der Kläger legte Revision ein – erfolglos.
Die Entscheidung des BGH: Ärztin handelte hoheitlich
Der III. Zivilsenat des BGH bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen. Die Ärztin habe die Impfung nicht als Privatperson, sondern in Ausübung eines öffentlichen Amts vorgenommen. Sie sei damit haftungsrechtlich wie eine Beamtin im funktionellen Sinne zu behandeln.
„Die behandelnde Ärztin handelte bei der Verabreichung der Impfung in hoheitlicher Funktion“, so der BGH.
Damit scheide eine persönliche Haftung aus. Nach Art. 34 Satz 1 GG gehe die Verantwortung auf den Staat über, der für etwaige Aufklärungs- oder Behandlungsfehler haftet.
Wann Private „hoheitlich handeln“
Der BGH stellte die Grundsätze für die sogenannte funktionale Amtsträgerstellung klar:
Eine Privatperson handelt hoheitlich, wenn
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zwischen ihrer Tätigkeit und einer staatlichen Aufgabe ein enger innerer Zusammenhang besteht und
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der Staat einen maßgeblichen Einfluss auf die Durchführung dieser Tätigkeit ausübt, sodass der Private „gleichsam als Werkzeug oder Erfüllungsgehilfe“ des Hoheitsträgers agiert.
Beides sei hier erfüllt gewesen: Die Impfärztin habe nicht nur individuelle Gesundheitsvorsorge, sondern zugleich eine staatliche Aufgabe im Rahmen der Corona-Impfkampagne erfüllt.
Impfkampagne als staatliche Aufgabe
Die Impfung sei Teil der staatlichen Pandemiebekämpfungsstrategie gewesen. Ziel der Impfkampagne sei nicht nur der Schutz Einzelner, sondern der Schutz der gesamten Bevölkerung und die Aufrechterhaltung zentraler staatlicher Funktionen (Gesundheitswesen, Daseinsfürsorge, öffentliche Sicherheit).
Der BGH betonte die „Nähe zur Eingriffsverwaltung“: Zwar habe es keine formale Impfpflicht gegeben, jedoch seien ungeimpfte Personen im Dezember 2021 mit bußgeldbewehrten Kontakt- und Zugangsbeschränkungen konfrontiert gewesen.
Damit sei die Impfkampagne in ein Regelungs- und Sanktionssystem des Staates eingebettet gewesen – ein weiteres Indiz für die hoheitliche Qualität der ärztlichen Tätigkeit.
Haftung des Staates nach Art. 34 GG
Da die Ärztin hoheitlich tätig war, kommt nur eine Amtshaftung des Staates in Betracht.
Rechtsgrundlage hierfür ist Art. 34 Satz 1 GG i.V.m. § 839 BGB.
Der Patient kann also Schadensersatz nur dann verlangen, wenn ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten der impfenden Person in Ausübung ihres öffentlichen Amts vorliegt – die Klage ist jedoch gegen den Staat, nicht gegen die Ärztin, zu richten.
Zur Frage, ob tatsächlich ein Kausalzusammenhang zwischen der Impfung und der Herzerkrankung besteht, äußerte sich der BGH nicht, da bereits die persönliche Haftung ausgeschlossen war.
Bedeutung der Entscheidung
Das Urteil hat weitreichende Konsequenzen:
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Impfärzte, die im Rahmen öffentlicher Impfkampagnen tätig sind, handeln nicht privatärztlich, sondern als Teil der staatlichen Gesundheitsverwaltung.
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Klagen wegen Impfschäden oder Aufklärungsfehlern müssen daher gegen den Staat (Bund oder Land) gerichtet werden, nicht gegen die einzelne Ärztin oder den Arzt.
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Für Betroffene bedeutet das: Ein Schadensersatzanspruch ist nur im Rahmen der Amtshaftung und unter den dort geltenden strengen Voraussetzungen denkbar.
Das Urteil stärkt zugleich die Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte, die in staatliche Gesundheitsprogramme eingebunden sind.
Fazit
Der BGH hat die Rolle der impfenden Ärztinnen und Ärzte in der Corona-Pandemie klar verortet:
Sie handelten nicht als Privatpersonen, sondern als Beauftragte des Staates. Damit sind sie von der persönlichen Haftung freigestellt.
Ansprüche wegen möglicher Impfschäden oder Aufklärungsfehler sind ausschließlich gegen den Staat im Wege der Amtshaftung zu richten.
Prüfungsrelevanz für das Jurastudium und Referendariat
Das Urteil ist hoch examensrelevant, insbesondere im Bereich des Staatshaftungsrechts und des öffentlichen Gesundheitsrechts.
Prüfungsrelevante Normen und Themen:
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Art. 34 GG, § 839 BGB (Amtshaftung)
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Abgrenzung privatärztlicher und hoheitlicher Tätigkeit
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Begriff des „Beamten im funktionellen Sinne“
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Staatliche Impfkampagnen und hoheitliches Handeln
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Verhältnis von Individualschutz und Allgemeininteresse in der Pandemiebekämpfung