LG Köln, Urteil vom 26.06.2025 – Az. 36 O 325/23
Unfälle im Ausland werfen oft komplizierte Rechtsfragen auf: Welches Recht gilt, wenn deutsche Staatsangehörige in einem anderen EU-Mitgliedstaat zusammenstoßen? Das Landgericht (LG) Köln hatte über einen Fall zu entscheiden, bei dem zwei Deutsche in Österreich kollidierten. Die Entscheidung verdeutlicht, wie die europäische Rom-II-Verordnung das Zusammenspiel von ausländischem Verkehrsrecht und deutschem Schadensersatzrecht bestimmt.
Der Sachverhalt
Im August 2023 kam es auf der B179 in Tirol (Österreich) zu einem Unfall. Ein deutscher Fahrer überholte mehrere Fahrzeuge, als eine deutsche Fahrerin mit gesetztem linken Blinker nach links abbiegen wollte. Es kam zur Kollision.
Der überholende Fahrer verlangte von der Versicherung der Fahrerin Schadensersatz nach deutschem Straßenverkehrsrecht (§§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG). Doch zunächst stellte sich die Frage: Welches Recht ist überhaupt anwendbar?
Anwendbares Recht nach der Rom-II-Verordnung
Das LG Köln verwies auf Art. 17 Rom-II-VO:
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Für die Haftungsbegründung ist das Recht des Unfallortes maßgeblich – hier also das österreichische Straßenverkehrsrecht.
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Für die Schadensabwicklung (Art und Umfang des Schadensersatzes) gilt grundsätzlich das Recht des Staates, in dem Schädiger und Geschädigter ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben – hier also deutsches Schadensrecht (Art. 4 Abs. 2 Rom-II-VO).
Damit war für die Frage, wer Schuld hat, österreichisches Verkehrsrecht heranzuziehen.
Die rechtliche Würdigung
Nach Beweisaufnahme stellte das LG Köln fest:
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Der Kläger hätte den gesetzten linken Blinker, die Geschwindigkeitsreduzierung und das Einordnen der Fahrerin erkennen müssen.
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Nach § 15 Abs. 2 lit. a) ÖStVO war er verpflichtet, die Abbiegerin nicht links, sondern rechts zu überholen. Zudem griff ein Überholverbot nach § 16 Abs. 1 lit. a) ÖStVO.
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Eine Pflichtverletzung der Fahrerin verneinte das Gericht: Während in Deutschland ein doppelter Schulterblick beim Linksabbiegen erforderlich ist (§ 9 Abs. 1 S. 4 StVO), kennt das österreichische Recht nur die einfache Rückschaupflicht (§ 12 Abs. 1 ÖStVO). Diese hatte die Fahrerin eingehalten.
Im Ergebnis trug der Kläger die volle Schuld am Unfall. Seine Klage gegen die Versicherung wurde abgewiesen.
Bedeutung der Entscheidung
Das Urteil zeigt anschaulich, wie komplex grenzüberschreitende Verkehrsunfälle rechtlich sein können:
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Haftungsbegründung: nach dem Recht des Unfallortes.
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Schadensersatzumfang: nach dem Recht des Wohnsitzstaates der Beteiligten.
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Unterschiede im Verkehrsrecht einzelner Staaten können den Ausgang entscheidend beeinflussen – hier die Pflicht zur doppelten Rückschau in Deutschland versus einfacher Rückschau in Österreich.
Fazit
Das LG Köln stellte klar: Bei einem Unfall deutscher Fahrer in Österreich gilt für die Schuldfrage österreichisches Verkehrsrecht, für den Schadensersatz deutsches Recht. Da der Kläger gegen zentrale Überholregeln der ÖStVO verstieß, blieb er auf seinen Schäden sitzen.
Prüfungsrelevanz
Für Studierende und Referendare ist der Fall gleich in mehrfacher Hinsicht wichtig:
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Internationales Privatrecht (IPR): Anwendung der Rom-II-Verordnung.
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Deliktsrecht & Straßenverkehrsrecht: Abgrenzung zwischen Haftungsgrund und Schadensabwicklung.
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Vergleichendes Recht: Unterschiede zwischen deutscher und österreichischer StVO.
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Klassischer Prüfungsfall zur Verknüpfung von Europarecht, Deliktsrecht und Straßenverkehrsrecht.

