OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 26. Juni 2025 – 16 U 58/24
Beleidigungen in sozialen Netzwerken beschäftigen seit Jahren Gerichte und Gesetzgeber. Während es bislang üblich war, einzelne Posts oder Bilder zu löschen, geht das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main nun einen Schritt weiter: Bei massiven Persönlichkeitsrechtsverletzungen müsse Facebook ganze Nutzerprofile löschen. Damit begründet das Gericht einen bislang nicht anerkannten Anspruch auf Accountlöschung – mit weitreichenden Folgen für das Social-Media-Recht.
Der Sachverhalt
Eine Frau wurde über zwei Facebook-Profile massiv beleidigt. Der Mann hinter den Accounts postete u. a. Bezeichnungen wie „dumme Sau“, „frigide Schnepfe“ oder „Fresse halten“. Sogar der Nutzername eines zweiten Profils war allein dazu bestimmt, die Frau zu verhöhnen.
Die Frau meldete die Äußerungen mehrfach an Facebook. Das Unternehmen erklärte, die Profile seien bereits „offline“ genommen worden. Doch Screenshots belegten, dass sie zeitweise wieder online erschienen. Facebook hatte sie also nicht endgültig gelöscht.
Das Landgericht Frankfurt am Main (Urt. v. 21.03.2024, Az. 2-03 O 14/23) stellte zwar eine Persönlichkeitsrechtsverletzung fest, sah aber weder eine Pflichtverletzung von Facebook noch eine Wiederholungsgefahr. Das OLG Frankfurt entschied nun anders – und deutlich: Facebook muss ganze Profile löschen.
Die Entscheidung des OLG Frankfurt
Der 16. Zivilsenat bejahte einen Anspruch auf Löschung der Nutzerkonten gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG.
Zentrale Erwägungen:
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Offline ≠ löschen: Ein Profil „offline zu nehmen“ bedeutet nicht, es vollständig und unwiderruflich aus der Datenbank zu löschen. Genau das sei aber erforderlich.
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Kausalität und Effektivität: Die Einrichtung von Nutzerkonten ermöglicht erst die Rechtsverletzungen. Da die betreffenden Profile ausschließlich beleidigende Inhalte aufwiesen, sei die vollständige Löschung das effektivste Mittel, die Verletzungen zu beenden.
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Abwägung der Interessen: Zwar greift die Löschung in die unternehmerische Freiheit von Facebook ein. Doch im konkreten Fall überwog der Schutz des Persönlichkeitsrechts, da die Profile ausschließlich zur Diffamierung dienten.
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Mittelbare Störerhaftung: Facebook ist als Hostprovider passivlegitimiert. Der Senat verwies auf BGH-Rechtsprechung zur mittelbaren Störerhaftung von Plattformbetreibern.
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Pflichtverletzung: Facebook habe seine Prüfungspflichten verletzt, weil es trotz Hinweisen der Frau die Profile nicht endgültig entfernt habe.
Damit stellte das Gericht klar: Persönlichkeitsrechtsverletzungen können einen Anspruch auf Accountlöschung begründen – nicht nur auf Löschung einzelner Posts.
Juristische Bewertung
Das Urteil ist ein Paukenschlag im Social-Media-Recht. Denn bislang war in Rechtsprechung und Literatur ein solcher Anspruch nicht anerkannt. Politisch wurde lediglich über gesetzliche Grundlagen für Accountsperren diskutiert, nicht aber für Löschungen. Das OLG Frankfurt geht hier weiter – und schafft einen Präzedenzfall.
Besonders bemerkenswert ist, dass die Entscheidung trotz der grundlegenden Bedeutung keine Revision zugelassen hat. Zwar kann Facebook noch Nichtzulassungsbeschwerde einlegen, doch sollte der BGH den Fall prüfen, könnte er eine Leitentscheidung schaffen.
Juristisch spannend ist vor allem die Erweiterung des Unterlassungsanspruchs: Das Gericht nimmt eine Analogie zu § 1004 BGB vor und dehnt diese auf die Accountlöschung aus. Die Begründung überzeugt im Ergebnis, weil der Persönlichkeitsschutz im Netz ansonsten ins Leere liefe – beleidigende Profile könnten schlicht weiterbestehen, auch wenn einzelne Posts gelöscht würden.
Fazit
Das OLG Frankfurt stärkt mit seiner Entscheidung den Persönlichkeitsschutz im Internet erheblich. Für Betroffene eröffnet sich erstmals die Möglichkeit, nicht nur einzelne Inhalte, sondern auch ganze Accounts löschen zu lassen, wenn diese ausschließlich der Diffamierung dienen.
Für Plattformbetreiber bedeutet dies eine erhebliche Verschärfung ihrer Pflichten: Wer Hinweise auf Rechtsverletzungen erhält, muss prüfen, ob nicht auch die Löschung des gesamten Profils geboten ist. Ob diese Rechtsprechung Bestand hat, wird letztlich der BGH entscheiden müssen.
Prüfungsrelevanz für Studium und Referendariat
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Zivilrecht AT/Deliktsrecht: Anspruchsgrundlagen §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog.
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Grundrechte im Zivilrecht: Schutz der Persönlichkeit (Art. 1, 2 GG) vs. Unternehmerfreiheit (Art. 12, 14 GG).
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Medien- und IT-Recht: Störerhaftung von Plattformbetreibern, Digital Services Act (Art. 8 DSA).
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Examenshinweis: Hochaktuell für Zusatzfragen in Deliktsklausuren oder im Schwerpunkt Medienrecht.