Das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen ist ein zentraler Bestandteil des Verbraucherschutzrechts und spielt sowohl in der Praxis als auch in Examensklausuren eine erhebliche Rolle. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich in seiner Entscheidung vom 15. Oktober 2024 (XI ZR 39/24) mit der Frage zu befassen, ob eine Widerrufsbelehrung, die eine sogenannte „Kaskadenverweisung“ enthält, den Beginn der Widerrufsfrist hindert. Das Urteil stellt klar, dass nicht jede fehlerhafte oder unvollständige Widerrufsinformation dazu führt, dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt.
Sachverhalt
Der Kläger hatte vor drei Jahren ein gebrauchtes Fahrzeug für 32.000 Euro erworben. Zur Finanzierung des Kaufpreises nahm er bei der Beklagten ein Verbraucherdarlehen in Höhe von 21.000 Euro zu einem Zinssatz von 2,86 % pro Jahr auf, nachdem er zuvor eine Anzahlung von 11.000 Euro geleistet hatte. Der Darlehensvertrag enthielt eine Widerrufsinformation, die darauf hinwies, dass die Widerrufsfrist erst beginnt, wenn der Darlehensnehmer „alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB“ erhalten hat. Zudem war unter der Rubrik „Besonderheiten bei weiteren Verträgen“ fälschlicherweise angegeben, dass neben dem Kaufvertrag auch eine Anmeldung zu einer Restschuldversicherung („KSB/KSB Plus“) bestehe, obwohl der Kläger eine solche Versicherung gar nicht beantragt hatte.
Nach drei Jahren erklärte der Kläger den Widerruf des Darlehensvertrags und verlangte von der Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises von 32.000 Euro sowie die Erstattung von geleisteten Zinsen in Höhe von 1.000 Euro. Er argumentierte, dass die fehlerhafte Widerrufsinformation dazu geführt habe, dass die Widerrufsfrist nie zu laufen begonnen habe, sodass ihm auch nach drei Jahren noch ein Widerrufsrecht zustehe.
Entscheidung des Gerichts
Der Bundesgerichtshof wies die Klage ab und entschied, dass der Kläger den Darlehensvertrag nicht wirksam widerrufen habe, da die 14-tägige Widerrufsfrist längst abgelaufen war. Maßgeblich war, ob die Widerrufsfrist tatsächlich begonnen hatte oder ob sie aufgrund der fehlerhaften Belehrung gehemmt war.
Das Gericht stellte zunächst fest, dass dem Kläger nach § 495 Abs. 1 BGB grundsätzlich ein Widerrufsrecht zustand, da es sich um einen Verbraucherdarlehensvertrag handelte. Die zentrale Frage war jedoch, ob der Widerrufsfristbeginn durch die fehlerhafte Kaskadenverweisung in der Widerrufsinformation verhindert wurde.
Nach § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB beträgt die Widerrufsfrist 14 Tage. Sie beginnt nach § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB mit Vertragsschluss, es sei denn, es fehlen bestimmte Pflichtangaben. Ist dies der Fall, beginnt die Frist gemäß § 356b Abs. 2 Satz 1 BGB erst mit der Nachholung dieser Angaben. Allerdings sah der BGH in der Kaskadenverweisung keinen Grund, der den Beginn der Widerrufsfrist hindern würde.
Die fehlerhafte Belehrung war nach Ansicht des Gerichts nicht geeignet, den Verbraucher in die Irre zu führen oder ihn an der Wahrnehmung seines Widerrufsrechts zu hindern. Entscheidend sei, ob die Fehlerhaftigkeit der Widerrufsinformation dazu führen könne, dass der Verbraucher nicht in der Lage sei, seine Rechte korrekt einzuschätzen. Hier sah der BGH jedoch keine Irreführung.
Besonders wichtig war die Feststellung, dass eine unvollständige oder fehlerhafte Widerrufsinformation nur dann das Anlaufen der Frist hindert, wenn sie geeignet ist, den Verbraucher in Bezug auf seine Rechte und Pflichten zu verwirren oder ihm die Möglichkeit nimmt, seine Rechte unter denselben Bedingungen auszuüben, wie wenn die Information korrekt gewesen wäre. Dies war hier nicht der Fall.
Auch die fehlerhafte Erwähnung der nicht beantragten Restschuldversicherung „KSB/KSB Plus“ stellte nach Auffassung des Gerichts keinen relevanten Mangel dar. Ein verständiger Verbraucher hätte aus dem Darlehensvertrag selbst entnehmen können, dass er eine solche Versicherung gar nicht abgeschlossen hatte, sodass er sich nicht über seine Rechte getäuscht fühlen musste.
Da die Widerrufsfrist somit regulär mit dem Vertragsschluss begann, war sie nach 14 Tagen abgelaufen. Der Widerruf, den der Kläger drei Jahre später erklärte, kam somit zu spät.
Prüfungsrelevanz
Das Urteil des BGH ist von hoher Relevanz für Examensklausuren im Zivilrecht, insbesondere im Bereich des Verbraucherschutzes und des Darlehensrechts. Es verdeutlicht die Grundsätze zur Widerrufsfrist bei Verbraucherdarlehensverträgen und zeigt, dass nicht jede fehlerhafte Widerrufsinformation dazu führt, dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt.
Besonders prüfungsrelevant ist die Abgrenzung, wann eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung tatsächlich das Anlaufen der Frist hindert. Der Fall eignet sich zudem zur Diskussion der Gesetzlichkeitsfiktion nach Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB und der Anforderungen an eine wirksame Widerrufsbelehrung.
Auch prozessuale Fragen, insbesondere die Beweislast für den Beginn der Widerrufsfrist, könnten in einer Klausur relevant werden. Der Darlehensgeber muss nachweisen, dass er die erforderlichen Pflichtangaben ordnungsgemäß erteilt hat. In diesem Fall konnte die Bank nachweisen, dass der Darlehensnehmer über alle wesentlichen Informationen verfügte, sodass der Widerruf unwirksam war.
Fazit
Das Urteil des Bundesgerichtshofs bringt Klarheit in die Diskussion um die Kaskadenverweisung in Widerrufsinformationen. Es zeigt, dass nicht jede unklare oder unvollständige Belehrung den Fristbeginn hindert. Entscheidend ist, ob der Verbraucher durch die fehlerhafte Belehrung tatsächlich in seiner Entscheidung beeinträchtigt wurde. Eine rein formale Fehlerhaftigkeit, die für den Verbraucher erkennbar ist und ihn nicht daran hindert, seine Rechte wahrzunehmen, genügt nicht, um den Fristbeginn auszuschließen.
Für die Praxis bedeutet dies, dass Verbraucher nicht automatisch von einem „ewigen“ Widerrufsrecht ausgehen können, nur weil eine Widerrufsinformation nicht in allen Punkten korrekt ist. Banken und Kreditinstitute müssen jedoch weiterhin darauf achten, dass ihre Widerrufsbelehrungen den gesetzlichen Anforderungen entsprechen, um Rechtsunsicherheiten und potenzielle Widerrufsrisiken zu vermeiden.