Druck durch Belegschaft allein rechtfertigt keine Kündigung – LAG Niedersachsen, Urt. v. 13.05.2025 – 10 SLa 687/24

Druck durch Belegschaft allein rechtfertigt keine Kündigung – LAG Niedersachsen, Urt. v. 13.05.2025 – 10 SLa 687/24

Die sogenannte Druckkündigung ist ein arbeitsrechtliches Randphänomen, das jedoch in der betrieblichen Praxis immer wieder relevant wird – insbesondere bei langanhaltenden Konflikten im Kollegenkreis. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hat mit Urteil vom 13. Mai 2025 (Az. 10 SLa 687/24) klargestellt: Arbeitgeber dürfen dem Druck von Belegschaft oder Dritten nicht ohne Weiteres nachgeben. Kündigungen aus Angst vor Eskalation halten regelmäßig einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

 

Sachverhalt

Ein Arbeitnehmer (A) war seit über 15 Jahren bei seinem Arbeitgeber (B) beschäftigt. Über einen Zeitraum von rund zehn Jahren kam es im Betrieb zu wiederkehrenden Spannungen und einem insgesamt zerrütteten Betriebsklima, das insbesondere auf Konflikte zwischen A und seinen Kollegen zurückzuführen war. Schließlich forderten mehrere Mitarbeiter ultimativ die Entlassung des A – unter Androhung eigener Kündigungen.

Trotz mehrerer, jedoch oberflächlicher Vermittlungsversuche entschloss sich der Arbeitgeber zu einer fristlosen Kündigung. Parallel beantragte er hilfsweise die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung. A erhob Kündigungsschutzklage.

 

Die rechtliche Einordnung

Was ist eine Druckkündigung?

Bei einer Druckkündigung handelt es sich um eine Sonderform der personen- oder betriebsbedingten Kündigung, bei der nicht das Verhalten oder die Person des Arbeitnehmers, sondern der Druck Dritter zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt. Sie kann in zwei Fallgruppen unterteilt werden:

  • Unechte Druckkündigung: Das Verlangen zur Entlassung ist sachlich gerechtfertigt, z. B. wegen tatsächlicher Pflichtverletzungen.

  • Echte Druckkündigung: Es fehlt an einem objektiven Kündigungsgrund; der Arbeitgeber reagiert lediglich auf Drohungen von Belegschaft oder Kunden.

  • In beiden Fällen gilt: Die Kündigung ist nur zulässig, wenn der Arbeitgeber zuvor alles Zumutbare unternommen hat, um die Konfliktsituation anderweitig zu lösen – insbesondere durch Mediation, Umstrukturierungen oder Versetzungen.

 

Entscheidung des LAG

Das LAG Niedersachsen stellte klar, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine Druckkündigung nicht erfüllt waren. Die Kündigung wurde daher für unwirksam erklärt. Das Gericht führte insbesondere aus:

  • Der Arbeitgeber habe seine Fürsorgepflicht verletzt, indem er sich nicht ausreichend schützend vor den Arbeitnehmer stellte.

  • Die unternommenen Mediationsversuche seien verspätet und unzureichend gewesen.

  • Die fristlose Kündigung sei mangels vorheriger Abmahnung unverhältnismäßig.

  • Der hilfsweise gestellte Antrag auf gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 KSchG sei unzulässig, da er nur nach einer ordentlichen, nicht aber nach einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung möglich ist (§ 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG).

 

Fazit

Das Urteil verdeutlicht einmal mehr, dass sozial gerechtfertigte Kündigungen nach dem Kündigungsschutzgesetz nicht durch Gruppendruck ersetzt werden können. Arbeitgeber sind verpflichtet, Konflikte im Betrieb aktiv und verhältnismäßig zu deeskalieren, bevor sie zum Mittel der Kündigung greifen. Wer dies unterlässt, riskiert eine Niederlage vor dem Arbeitsgericht – mit erheblichen finanziellen Folgen.

 

Prüfungsrelevanz

Die Entscheidung eignet sich hervorragend zur Vertiefung des Kündigungsschutzrechts im Examensstoff. Besonders relevant ist die Abgrenzung zwischen echter und unechter Druckkündigung sowie die systematische Einordnung innerhalb von § 1 KSchG. Auch das Zusammenspiel mit § 9 KSchG (gerichtliche Auflösung) und § 13 KSchG (Rechtsfolgen bei außerordentlicher Kündigung) gehört zur Standardprüfung – insbesondere in mündlichen Examenssituationen oder arbeitsrechtlichen Hausarbeiten.

 

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