Ein Arbeitgeber muss 15.000 Euro Entschädigung zahlen, weil er einen Mitarbeiter 22 Monate lang dauerhaft per Video überwachte

Ein Arbeitgeber muss 15.000 Euro Entschädigung zahlen, weil er einen Mitarbeiter 22 Monate lang dauerhaft per Video überwachte

LAG Hamm, Urteil vom 28.05.2025 – 18 SLa 959/24

 

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hat einem ehemaligen Mitarbeiter eines Stahlverarbeitungsbetriebs eine Geldentschädigung in Höhe von 15.000 Euro zugesprochen. Über einen Zeitraum von fast zwei Jahren war er trotz ausdrücklichen Widerspruchs nahezu lückenlos von 34 HD-Kameras überwacht worden. Die Richter stuften dies als besonders schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein.


Der Sachverhalt

In einer 15.000 m² großen Produktionshalle sowie in angrenzenden Lagern und Büros hatte der Arbeitgeber 34 Kameras installiert, die rund um die Uhr aufzeichneten – auch den Arbeitsplatz des Klägers.

Mit Hilfe der Kameras konnte nicht nur nachvollzogen werden, wann sich der Arbeitnehmer auf den Weg ins Büro, zum Pausenraum oder auf die Toilette machte. Durch die Zoomfunktion waren zudem Gesichter und Mimik deutlich erkennbar. Trotz mehrfachen Widerspruchs des Mitarbeiters setzte die Arbeitgeberin die Überwachung fort.

Bereits zuvor hatte es hierzu einen Rechtsstreit gegeben, der mit einem Vergleich endete. Dieser verpflichtete den Betrieb zur Auskunft über Betriebszeiten, Anzahl und Speicherdauer der Kameras. Da diese Angaben nach Ansicht des Arbeitnehmers unvollständig und fehlerhaft waren, klagte er auf Unterlassung, Auskunft und Schmerzensgeld. Das Arbeitsgericht Dortmund gab ihm recht und sprach 15.000 Euro Geldentschädigung zu.

 

Die Entscheidung des LAG Hamm

Das LAG Hamm bestätigte die Verurteilung. Die Richter stellten klar, dass die Videoüberwachung weder auf § 26 BDSG noch auf Art. 6 DSGVO gestützt werden konnte. Eine wirksame Einwilligung des Arbeitnehmers lag nicht vor: Die im Arbeitsvertrag enthaltene pauschale Zustimmung zur Datenverarbeitung sei mangels Freiwilligkeit und Transparenz unwirksam (Art. 7 DSGVO).

Auch ein „berechtigtes Interesse“ des Arbeitgebers – etwa zur Diebstahlsprävention oder Unfallaufklärung – rechtfertige keine flächendeckende Dauerüberwachung sämtlicher Arbeitsplätze. Mildere Maßnahmen, wie eine gezielte Überwachung von Ein- und Ausgängen, hätten völlig ausgereicht.

Besonders ins Gewicht fiel nach Auffassung des Gerichts die Kombination aus Dauer (22 Monate), Reichweite (gesamte Halle einschließlich Arbeitsplätze) und Auswertungsmöglichkeiten (HD-Qualität mit Zoom- und Livezugriff). Dies habe beim Arbeitnehmer einen „extrem hohen Anpassungsdruck“ erzeugt, der den Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht als besonders schwerwiegend erscheinen ließ.

Die Kammer stellte zudem vorsätzliches Handeln der Arbeitgeberin fest. Der Unterlassungsanspruch entfiel zwar mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die Geldentschädigung nach §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB sei aber „angemessen und erforderlich“.


Fazit

Das Urteil verdeutlicht die engen Grenzen der Videoüberwachung im Arbeitsverhältnis. Flächendeckende Dauerüberwachung am Arbeitsplatz ist ohne tragfähige Rechtsgrundlage unzulässig und stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar. Arbeitgeber riskieren nicht nur die Unwirksamkeit solcher Maßnahmen, sondern auch erhebliche Schadensersatzforderungen.


Prüfungsrelevanz

Für Studium und Referendariat ist die Entscheidung besonders relevant im Schnittbereich von Arbeitsrecht und Datenschutzrecht:

  • Reichweite von § 26 BDSG und Art. 6, 7 DSGVO,

  • Anforderungen an eine wirksame Einwilligung,

  • Abgrenzung von berechtigtem Interesse und unverhältnismäßiger Überwachung,

  • Anspruch auf Geldentschädigung aus §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB.

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