Grundpfandrecht für ungezeugte Person zulässig, wenn Wirksamkeit erst mit Geburt eintritt. - (BGH, Beschl. v. 26.06.2025, Az. V ZB 48/24)

Grundpfandrecht für ungezeugte Person zulässig, wenn Wirksamkeit erst mit Geburt eintritt. - (BGH, Beschl. v. 26.06.2025, Az. V ZB 48/24)

Dürfen noch nicht einmal gezeugte Menschen Rechte an einem Grundstück erwerben? Was juristisch anmutet wie ein Gedankenexperiment, hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem aktuellen Beschluss beantwortet. Mit seiner Entscheidung vom 26. Juni 2025 (Az. V ZB 48/24) klärt der V. Zivilsenat einen jahrzehntelangen Meinungsstreit in Rechtsprechung und Literatur: Ja, eine noch nicht gezeugte Person kann Inhaberin eines Grundpfandrechts sein. Damit wird das Grundbuchrecht zukunftsfest interpretiert – mit weitreichenden Folgen für Erbrecht, Stiftungsrecht und Familienplanung.

Sachverhalt

Ausgangspunkt war ein Fall aus Düren: Eine 2003 verstorbene Frau hatte ihre Tochter als Vorerbin eingesetzt. Für die möglichen Enkel – also noch nicht gezeugte Nachkommen – sollte eine brieflose Grundschuld über 187.000 Euro ins Grundbuch eingetragen werden. Diese Eintragung erfolgte auch. Jahrzehnte später, mittlerweile kinderlos und über 60 Jahre alt, wollte die Tochter die Grundschuld löschen lassen. Amtsgericht und OLG lehnten das ab. Auch der BGH sieht keinen Anlass zur Löschung.

Die Rechtsfrage: Dürfen Ungezeugte Rechte erwerben?

Im Zentrum der Entscheidung steht die Frage, ob ein Grundpfandrecht zugunsten einer noch nicht existenten, ja noch nicht einmal gezeugten Person überhaupt wirksam bestellt werden kann. Die Gegenmeinung hatte dies mit Verweis auf § 1 BGB verneint: Nur rechtsfähige Personen können Träger von Rechten sein – und Rechtsfähigkeit beginnt mit der Geburt.

Der BGH schließt sich jedoch der herrschenden Auffassung an, wonach bestimmte Rechtspositionen für ungezeugte Personen unter Vorbehalt begründet werden können. Solche "subjektiv bedingten Rechtserwerbe" finden sich auch in anderen Normen des BGB – etwa:

  • § 331 Abs. 2 BGB (Vertrag zugunsten Dritter)

  • § 2101 BGB (Einsetzung als Nacherbe)

  • § 2162 BGB (Vermächtnis zugunsten ungeborener Personen)

Entscheidend ist laut BGH, dass solche Rechte unter der Bedingung stehen, dass die Person tatsächlich geboren wird. Bis dahin handelt es sich um einen "schwebenden Rechtszustand", der aber grundbücherlich absicherbar sein muss. Andernfalls wären testamentarische Gestaltungen oder Stiftungsanordnungen oft wertlos.


Grundbuchrechtliche Bewertung

Nach § 53 Abs. 1 Satz 2 GBO dürfen Eintragungen nur erfolgen, wenn sie nicht inhaltlich unzulässig sind. Der BGH verneint eine solche Unzulässigkeit: Eine Eintragung zugunsten noch nicht gezeugter Personen sei inhaltlich zulässig, sofern diese Personen ausreichend individualisiert und deren Erwerb hinreichend bestimmt ist.

Zudem beruft sich der BGH auf die Gesetzesmaterialien zum BGB. Bereits die historischen BGB-Motive (Bd. III, S. 641) ließen erkennen, dass der Gesetzgeber von einer grundbuchrechtlichen Absicherung solcher Rechte ausging.


Reproduktionsmedizin und Lebensrealität

Eine bemerkenswerte Pointe liefert der Beschluss zum Schluss: Die über 60-jährige Antragstellerin hatte argumentiert, dass sie mit Sicherheit keine Kinder mehr bekommen werde. Doch der BGH weist darauf hin, dass angesichts moderner Reproduktionsmedizin nicht mehr mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass auch im hohen Alter noch Nachkommen gezeugt werden.


Fazit

Der BGH bestätigt: Noch nicht gezeugte Personen können unter bestimmten Voraussetzungen Rechte an Grundstücken erwerben. Das schafft Rechtssicherheit für testierende Erblasser und stiftende Familien, auch über Generationen hinweg. Die Entscheidung überwindet ein formales Verständnis der Rechtsfähigkeit und passt das Grundbuchrecht an die Realität langfristiger Nachfolgeplanung an.


Prüfungsrelevanz

  • Erbrecht: Vorerbschaft, Nacherbschaft und Verfügungsbeschränkungen

  • Sachenrecht: Grundpfandrechte, Grundbuchrecht, § 53 GBO

  • Allgemeines Zivilrecht: Rechtsfähigkeit und subjektiv bedingter Rechtserwerb

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