AG Steinfurt, Urt. v. 15.08.2025 – 32 C 16/25
Wer online einen Flug bucht, ist an die Buchung grundsätzlich gebunden – auch wenn ein Fehler passiert. Doch was gilt, wenn sich der Buchende schlicht „verklickt“ und den falschen Monat auswählt? Liegt ein bloßer Motivirrtum vor, oder handelt es sich um einen anfechtbaren Erklärungsirrtum nach § 119 I Alt. 2 BGB? Mit dieser praxisnahen Frage befasste sich das Amtsgericht Steinfurt.
Sachverhalt
Ein Reisender buchte für seine Freundesgruppe Flüge nach Mallorca. Eigentlich war Ende Oktober geplant, gebucht wurde aber versehentlich Ende September. Der Fehler fiel sofort auf. Noch am selben Tag erklärte der Buchende per E-Mail die Anfechtung wegen Irrtums und verlangte die Rückzahlung des Ticketpreises (2.285,73 €).
Die Airline verweigerte eine Auszahlung und bot lediglich einen Gutschein an. Außerdem machte sie geltend, es handele sich nicht um einen Anfechtungsgrund; hilfsweise verlangte sie Schadensersatz nach § 122 BGB.
Entscheidung des Amtsgerichts
Das AG Steinfurt gab dem Kläger Recht:
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Wirksame Anfechtung: Der Buchende habe unverzüglich angefochten (§ 121 BGB). Das „Verklicken“ sei ein Erklärungsirrtum nach § 119 I Alt. 2 BGB, nicht lediglich ein Motivirrtum. Der innere Wille (Oktoberbuchung) habe nicht dem äußeren Erklärungstatbestand (Septemberbuchung) entsprochen.
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Rückabwicklung: Der Beförderungsvertrag sei durch die Anfechtung ex tunc nichtig (§ 142 I BGB). Damit fehle es an einem Rechtsgrund für die Zahlung (§ 812 I 1 Alt. 1 BGB).
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Kein Gutschein: Ein Gutschein erfülle den Rückzahlungsanspruch nicht (§ 362 I BGB), da ausdrücklich Geld verlangt wurde.
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Kein ersatzfähiger Vertrauensschaden (§ 122 BGB): Die Airline konnte nicht substantiiert darlegen, dass ihr durch die Stornierung der volle Ticketpreis verloren gegangen sei. Zudem hätte sie die Tickets weiterverkaufen können.
Bedeutung für die Praxis
Der Fall verdeutlicht:
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Ein „Verklicken“ bei der Online-Buchung kann ein beachtlicher Erklärungsirrtum sein.
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Schnelles Handeln ist entscheidend: Die Anfechtung muss unverzüglich erklärt werden.
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Ein Gutschein ersetzt keine Rückzahlung, wenn ausdrücklich Geld verlangt wird.
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Bei § 122 BGB müssen Gerichte genau prüfen, ob und in welcher Höhe tatsächlich ein Vertrauensschaden entstanden ist – bloße Behauptungen des Vertragspartners reichen nicht.
Fazit
Das AG Steinfurt bestätigt die Linie der Rechtsprechung: Auch im digitalen Zeitalter gelten die Grundsätze der Irrtumsanfechtung. Wer sich verklickt, ist nicht schutzlos – sofern er schnell reagiert und den Irrtum klar benennt. Für Airlines und Online-Portale bedeutet das, dass sie Verträge nicht blind durchsetzen können, wenn ein eindeutiger Erklärungsirrtum vorliegt.
Prüfungsrelevanz
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§§ 119 ff. BGB: Anfechtung wegen Erklärungsirrtums.
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§ 812 BGB: Rückabwicklung nach Nichtigkeit des Vertrags.
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§ 122 BGB: Vertrauensschaden – Umfang und Beweislast.
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§ 286 ZPO: Beweiswürdigung bei der Glaubhaftmachung des Irrtums.
Ein klassischer Klausurfall, der gleich mehrere Standardprobleme des BGB abdeckt und sich hervorragend zur Übung eignet.