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Haftet die Vermieterin für die Kaffeekanne? – Eine juristische Analyse

Die schönste Zeit des Jahres endete für eine Familie aus Norddeutschland in einem Albtraum: Ein Unfall in einer Ferienwohnung führte zu schweren Verletzungen bei der sechsjährigen Tochter. Der Fall, der schließlich vor dem Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg verhandelt wurde, bietet zahlreiche rechtliche Ansatzpunkte – von der verschuldensunabhängigen Haftung über die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) bis hin zum Schutz Dritter im Mietrecht.


Der Sachverhalt

Während ihres Aufenthalts in einer Ferienwohnung auf Wangerooge kam es zu einem folgenschweren Unfall: Der Henkel einer Kaffeekanne löste sich, wodurch heißer Kaffee auf die Tochter der Familie überlief. Die Klägerin, vertreten durch ihre Eltern, machte Schmerzensgeld und Schadenersatz geltend und führte an, dass die Kanne bereits vor Vertragsschluss defekt und unfachmännisch repariert gewesen sei. Das Landgericht Oldenburg wies die Klage ab. Das OLG Oldenburg hingegen sah die rechtliche Lage differenzierter, wies aber die Schadensersatzklage letztlich ebenfalls zurück.


Entscheidung des OLG Oldenburg

1. Wer ist Vertragspartei?

Zunächst stellte das OLG fest, dass die Eigentümerin der Ferienwohnung Vertragspartei des Mietvertrags war – nicht die Vermittlungsagentur. Diese Auslegung erfolgte nach dem Grundsatz des objektiven Empfängerhorizonts (§§ 133, 157 BGB), da die Buchung ausdrücklich „im Namen des Eigentümers“ bestätigt wurde.


2. Schutzwirkung zugunsten Dritter

Die Tochter der Familie fiel als mitreisende Person in den Schutzbereich des Mietvertrags. Hier greift der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, ein bewährtes Mittel des deutschen Schuldrechts, um auch Personen außerhalb der unmittelbaren Vertragsparteien Ansprüche zu gewähren.


3. Haftungsausschluss durch AGB

Die Vermieterin hatte in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) die Haftung für einfache Fahrlässigkeit ausgeschlossen und die Schadenshöhe auf die vereinbarte Miethöhe begrenzt.

Das OLG erklärte die Klauseln für unwirksam:

  • § 309 Nr. 7 lit. a, b BGB verbietet Haftungsausschlüsse für Schäden an Leben, Körper und Gesundheit.
  • Auch die Deckelung der Haftung auf die Miethöhe ist unwirksam, da sie den Schadensersatzanspruch in unangemessener Weise einschränkt (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB).


4. Verschuldensunabhängige Haftung nach § 536a Abs. 1 BGB

Grundsätzlich haftet der Vermieter verschuldensunabhängig, wenn der Mangel der Mietsache bereits bei Vertragsschluss vorlag. Allerdings trägt der Anspruchsteller die Beweislast für das Vorliegen des Mangels zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Im vorliegenden Fall konnte die Klägerin nicht beweisen, dass die Kaffeekanne bereits bei Vertragsschluss defekt war. Ein Sachverständiger konnte keine Anhaltspunkte für eine mangelhafte Reparatur oder einen Produktmangel feststellen.


5. Verschuldensabhängige Haftung (§§ 536a Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB)

Das Gericht lehnte auch eine verschuldensabhängige Haftung ab, da nicht geklärt werden konnte, in welche Risikosphäre der Schaden fiel. Nach Ansicht des OLG trifft Vermieter:innen keine Pflicht, Mietgegenstände auf verdeckte Mängel hin zu untersuchen, wenn diese äußerlich intakt erscheinen.


Prüfungsrelevanz: Was können Jurastudierende lernen?

Dieser Fall verbindet Elemente des Schuldrechts, Mietrechts und Deliktsrechts – ideale Prüfungsfragen für Studierende und Referendar:innen:

1. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter:

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?

Wie erfolgt die Abgrenzung zu deliktischen Ansprüchen?

2. AGB-Kontrolle:

Wann sind Haftungsausschlüsse unzulässig?

Wie erfolgt die Prüfung nach §§ 305 ff. BGB?

3. Verschuldensunabhängige Haftung (§ 536a Abs. 1 BGB):

Warum knüpft die Norm an den Zeitpunkt des Vertragsschlusses und nicht der Übergabe an?

Wer trägt die Beweislast?

4. Beweislast im Zivilprozess:

Welche Anforderungen gelten für den Nachweis eines Mangels?

Wann kann auf ein Sachverständigengutachten verzichtet werden?

5. Schmerzensgeld und Schadenersatz:

Was sind die Grundlagen der Bemessung gemäß § 253 Abs. 2 BGB?

Wie hoch dürfen Ansprüche sein, wenn der Schaden nicht eindeutig beziffert werden kann?


Fazit

Das Urteil des OLG Oldenburg zeigt, wie wichtig eine sorgfältige Prüfung von Vertragsinhalten und Beweisfragen im Mietrecht ist. Für Vermieter:innen bedeutet dies, dass sie zwar für anfängliche Mängel verschuldensunabhängig haften können, jedoch nicht verpflichtet sind, Mietgegenstände ohne konkreten Anlass umfassend zu überprüfen. Für Mietende und betroffene Dritte bleibt die Beweislast bei der Geltendmachung von Ansprüchen eine zentrale Hürde.

Jurastudierende sollten diesen Fall nutzen, um ihr Verständnis für grundlegende Konzepte wie die verschuldensunabhängige Haftung, die Kontrolle von AGB und die Abgrenzung deliktischer von vertraglichen Ansprüchen zu vertiefen.


OLG Oldenburg, Urteil vom 01.08.2023, Az. 1 O 216/22

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