Kein Anspruch auf Rückkehr in die Wohnung, wenn diese nach der Sanierung anderweitig verpachtet wurde.

Kein Anspruch auf Rückkehr in die Wohnung, wenn diese nach der Sanierung anderweitig verpachtet wurde.

LG Berlin, Urt. v. 05.03.2025 – 64 S 199/24

Das Mietrecht ist ein Dauerbrenner in Studium, Referendariat und Praxis. Besonders spannend wird es, wenn allgemeines Schuldrecht und besonderes Schuldrecht ineinandergreifen. Eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts Berlin zeigt dies eindrücklich: Was passiert, wenn eine Mietwohnung nach Sanierungsarbeiten nicht mehr an den Mieter zurückgegeben, sondern anderweitig verpachtet wird? Stehen dem Mieter dann Herausgabeansprüche zu oder bleibt nur ein Anspruch auf Auskunft über die erzielten Einnahmen?

 

Der Fall

Die Klägerin hatte seit 2009 eine Wohnung gemietet. Während umfangreicher Sanierungsarbeiten zog sie – nach entsprechender Vereinbarung – vorübergehend in eine Ersatzwohnung. Doch noch während der Arbeiten verpachtete die Vermieterin das gesamte Gebäude an ein Unternehmen, das dort eine Seniorenwohnanlage eröffnete. Die Rückkehr der Mieterin in ihre ursprüngliche Wohnung wurde von der Pächterin abgelehnt: Sie passe nicht in das Konzept.

Die Mieterin verlangte von der Vermieterin die Herausgabe der Wohnung. Hilfsweise forderte sie die Auszahlung von fiktiven Mieterträgen der Pächterin oder zumindest Auskunft über die Höhe der von der Vermieterin erzielten Pachteinnahmen.

Das Amtsgericht Charlottenburg wies die Klage zunächst vollständig ab. Das LG Berlin korrigierte das Urteil teilweise.


Die Entscheidung des LG Berlin

1. Hauptantrag: Herausgabe der Wohnung

Das Gericht stellte klar, dass die Vermieterin wegen des abgeschlossenen Pachtvertrags rechtlich nicht mehr in der Lage war, die Wohnung zurückzugeben (§ 275 Abs. 1 BGB). Der Anspruch auf Gebrauchsüberlassung war damit unmöglich geworden. Der Hauptantrag scheiterte.


2. Hilfsantrag: Fiktive Mieteinnahmen der Pächterin

Auch die Forderung auf Auszahlung hypothetischer Mieterträge blieb ohne Erfolg. Diese stellten keinen Schaden der Mieterin dar (§ 536a Abs. 1 BGB) und auch kein Surrogat im Sinne von § 285 BGB. Die Erträge hätten allein der Pächterin zugestanden – sie traten nicht an die Stelle der geschuldeten Gebrauchsüberlassung.


3. Hilfsantrag: Auskunft über Pachteinnahmen

Anders bewertete das Gericht den Anspruch auf Auskunft: Die Vermieterin musste offenlegen, welche Einnahmen sie aus der Verpachtung erzielt hat (§§ 285, 242 BGB). Die Pachteinnahmen seien funktional an die Stelle der geschuldeten Gebrauchsüberlassung getreten. Die Surrogatseigenschaft sei auch dann gegeben, wenn die Pacht weitergehende Nutzungsrechte einräume als die Miete. Damit bestehe zumindest ein Auskunftsanspruch, um mögliche Zahlungsansprüche vorbereiten zu können.

 

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung hat erhebliche Relevanz:

  • § 275 BGB zeigt, dass der Herausgabeanspruch durch rechtliche Unmöglichkeit erlöschen kann.

  • § 285 BGB eröffnet in solchen Fällen einen Ausgleich über Surrogate.

  • § 242 BGB dient als Grundlage für Auskunftsansprüche, wenn der Gläubiger über die Höhe seines möglichen Anspruchs im Unklaren ist.

Besonders bemerkenswert: Das LG Berlin widerspricht mit seiner Auslegung teilweise der älteren BGH-Rechtsprechung, die Surrogatseigenschaft bei weitergehenden Rechten des Dritten verneinte.

 

Fazit

Die Mieterin konnte ihre ursprüngliche Wohnung nicht zurückerhalten, erhielt aber einen Auskunftsanspruch über die Pachteinnahmen der Vermieterin. Die Entscheidung zeigt, wie eng allgemeines und besonderes Schuldrecht miteinander verzahnt sind – und wie wichtig die saubere Prüfung der Anspruchsgrundlagen in solchen Konstellationen ist.

 

Prüfungsrelevanz

  • § 275 BGB (Unmöglichkeit) und seine Auswirkungen auf vertragliche Herausgabeansprüche.

  • § 285 BGB (Surrogatsherausgabe) als Ausgleich für unmöglich gewordene Leistungen.

  • § 242 BGB (Treu und Glauben) als Grundlage für Auskunftsansprüche.

  • Abweichung von der BGH-Rechtsprechung – examensrelevanter Meinungsstreit!

 

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