Kein Schadensersatz für abgebrochenen Zahn durch Pflaumenkern im Früchte-Müsli

Kein Schadensersatz für abgebrochenen Zahn durch Pflaumenkern im Früchte-Müsli

LG Lübeck, Urt. v. 30.06.2025 – 14 S 97/24

 

Wer zum Frühstück ein Früchte-Müsli isst, erwartet Genuss – nicht den Zahnarzt. Doch was passiert, wenn sich in einem industriell hergestellten Müsli ein Pflaumenkern befindet, auf den der Verbraucher beißt und sich dabei einen Zahn abbricht? Muss der Hersteller für den Schaden haften? Mit dieser Frage befasste sich das Landgericht Lübeck und stellte klar: Nicht jeder natürliche Bestandteil einer Frucht ist zugleich ein Produktfehler im Sinne des Produkthaftungsgesetzes.

 

Sachverhalt

Ein Verbraucher verzehrte im Dezember 2023 ein Früchte-Müsli mit einem Fruchtanteil von 32 %. Auf der Verpackung war der Hinweis angebracht: „Kann Kern-, Stein- und Schalenteile enthalten.“

Beim Essen biss er auf einen rund zwei Zentimeter großen Pflaumenkern, wodurch ein Zahn brach. Er klagte auf Schmerzensgeld sowie Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden. Anspruchsgrundlagen waren § 1 ProdHaftG sowie hilfsweise § 823 Abs. 1 BGB.

Der Hersteller verwies auf internationale Produktionsstandards, umfassende Kontrollen und die technische Unmöglichkeit, Kerne zuverlässig auszusortieren.


Entscheidung des LG Lübeck

Das Landgericht – wie zuvor schon das Amtsgericht Lübeck – wies die Klage ab.

  • Kein Produktfehler (§ 3 Abs. 1 ProdHaftG): Ein Produkt ist nur dann fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die ein durchschnittlicher Verbraucher berechtigterweise erwarten darf.

    • Verbraucher müssen bei Produkten mit Steinobst grundsätzlich mit dem Vorhandensein von Kernen oder Kernteilen rechnen.

    • Eine absolute „Kernfreiheit“ sei technisch kaum erreichbar und wirtschaftlich unverhältnismäßig.

     

  • Hinweis auf der Verpackung: Der Aufdruck „Kann Kern-, Stein- und Schalenteile enthalten“ war eindeutig und erfasste auch ganze Kerne. Der Verbraucher konnte also nicht erwarten, dass sämtliche Kerne entfernt worden waren.

  • Größe des Kerns: Auch die Größe von zwei Zentimetern begründete keinen Fehler. Pflaumenkerne erreichen typischerweise genau diese Dimension.

  • Abgrenzung zu Fremdkörpern: Glas- oder Metallteile in Lebensmitteln wären stets unzulässig und stellten einen Produktfehler dar. Ein Pflaumenkern hingegen ist ein natürlicher Bestandteil des Produkts.

  • Keine Produzentenhaftung (§ 823 BGB): Da es bereits am Produktfehler fehlte, kam auch eine verschuldensabhängige Haftung nicht in Betracht.

 

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung verdeutlicht:

  • Die Erwartung des Verbrauchers bildet den zentralen Maßstab bei der Produkthaftung.

  • Natürliche Bestandteile eines Produkts (wie Obstkerne) sind von echten Fremdkörpern (z. B. Glas) zu unterscheiden.

  • Verpackungshinweise können die Verbrauchererwartung entscheidend prägen.

Für Verbraucher heißt das: Wer Produkte mit Steinobstanteil kauft, muss auch bei industrieller Fertigung mit einzelnen Kernen rechnen. Für Hersteller bedeutet das Urteil eine Entlastung – klare Hinweise auf der Verpackung sind entscheidend, um Haftungsrisiken zu vermeiden.

 

Fazit

Das LG Lübeck stellte klar: Ein Pflaumenkern im Früchte-Müsli ist kein Produktfehler. Der Hersteller haftet daher nicht für den abgebrochenen Zahn. Verbraucher müssen bei Naturprodukten auch bei industrieller Herstellung gewisse Restrisiken hinnehmen.

 

Prüfungsrelevanz

  • §§ 1, 3 ProdHaftG – Fehlerbegriff und Haftung ohne Verschulden.

  • Unterscheidung Naturprodukt vs. Fremdkörper.

  • Verbrauchererwartung als unbestimmter Rechtsbegriff – Prüfungsstoff für Subsumtion.

  • Abgrenzung Produkthaftung – Produzentenhaftung (§ 823 BGB).

Ein idealer Klausurfall für das Zivilrecht, der die Besonderheiten der Produkthaftung in Kombination mit deliktischen Anspruchsgrundlagen aufzeigt.

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