Wann greift der Verkehrs-Rechtsschutz? Streit um Diesel-Kauf landet vor dem BGH.

Wann greift der Verkehrs-Rechtsschutz? Streit um Diesel-Kauf landet vor dem BGH.

BGH, Az. IV ZR 86/24


Darf ein Versicherungsnehmer seine Verkehrs-Rechtsschutzversicherung schon in Anspruch nehmen, wenn der Streit aus dem Kauf eines Fahrzeugs entsteht – oder erst, wenn das Auto tatsächlich auf ihn zugelassen ist?

Über diese für Millionen Versicherte entscheidende Frage verhandelt derzeit der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH). Anlass ist ein Streit zwischen einer Kundin der ADAC Versicherung AG und deren Schadenabwicklungsunternehmen. Der Fall betrifft nicht nur den Diesel-Skandal, sondern das Grundverständnis, wann der Versicherungsschutz in der Verkehrs-Rechtsschutzversicherung beginnt.

 

Der Fall: Diesel-Streit und verweigerte Deckungszusage

Die Klägerin unterhält seit 1997 eine Verkehrs-Rechtsschutzversicherung nach den VRB 1994. Im Jahr 2017 kaufte sie einen Diesel-Pkw, der wenige Tage später auf sie zugelassen wurde. Nachdem sie den Hersteller wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verklagen wollte, beantragte sie Deckungsschutz bei ihrem Versicherer.

Die ADAC RSR GmbH lehnte zunächst mit der Begründung ab, die Klage habe keine Erfolgsaussicht. Erst später, nach einem für die Kundin positiven Stichentscheid, brachte die Versicherung ein neues Argument: Zum Zeitpunkt des Kaufvertrags habe noch kein Versicherungsschutz bestanden, da das Fahrzeug noch nicht auf die Kundin zugelassen gewesen sei.

Während das LG Itzehoe den Versicherungsschutz bejahte, verneinte ihn das OLG Schleswig mit Verweis auf § 21 VRB 1994: Verkehrs-Rechtsschutz greife nur für bereits zugelassene Fahrzeuge.

 

Die rechtliche Kernfrage: Wann beginnt der Verkehrs-Rechtsschutz?

Der BGH muss nun klären, ob die Klausel in § 21 VRB (bzw. § 25 VRB 2014) eng oder weit auszulegen ist.

Die Auslegung ist alles andere als akademisch: Beim ADAC bestehen rund 1,8 Millionen Verkehrs-Rechtsschutzpolicen, und die Entscheidung dürfte weitreichende Folgen für die gesamte Branche haben.

  • Enge Auslegung (OLG Schleswig):

    Versicherungsschutz besteht nur, wenn das Fahrzeug bereits zugelassen ist.

    Der Verkehrs-Rechtsschutz diene dem Schutz vor Gefahren des Straßenverkehrs, nicht allgemeinen Vertragsrisiken wie dem Kauf.

    Streitigkeiten über den Erwerb eines (noch nicht zugelassenen) Fahrzeugs seien daher nicht versichert.

  • Weite Auslegung (LG Itzehoe und viele andere Landgerichte):

    Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer verstehe „zugelassen“ nicht als zeitliche Grenze, sondern als Zuordnungsmerkmal.

    Erwerb und Zulassung bildeten einen einheitlichen Vorgang – wer ein Auto kauft, tue das regelmäßig zur baldigen Zulassung.

Zudem verweisen viele Gerichte auf die Musterbedingungen des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft (GDV) aus dem Jahr 2012. Dort heißt es ausdrücklich, der Versicherungsschutz gelte auch für Verträge über den Erwerb von Fahrzeugen, selbst wenn diese später nicht auf den Versicherungsnehmer zugelassen werden.

 

Treu und Glauben: Dürfen Versicherer ihre Praxis einfach ändern?

Ein weiterer zentraler Aspekt betrifft das Verhalten der Versicherer selbst.

Über viele Jahre hatten diese die Klausel weit ausgelegt und Deckungszusagen auch dann erteilt, wenn der Kauf vor der Zulassung lag – solange zwischen beiden Ereignissen nur wenige Tage lagen.

Erst nachdem einige Oberlandesgerichte, insbesondere das OLG Hamm, ein restriktiveres Verständnis anwandten, änderten viele Versicherer ihre Regulierungspraxis.

Mehrere Gerichte – etwa das LG Stuttgart, LG Dresden und AG Auerbach – haben diese Kehrtwende als treuwidrig (§ 242 BGB) bewertet.

Wer jahrelang ein bestimmtes Verständnis seiner Versicherungsbedingungen praktiziert und so Vertrauen geschaffen habe, könne nicht plötzlich auf eine enge Auslegung umschwenken.

Der BGH wird sich daher auch mit der Frage befassen müssen, ob ein Versicherer neue Ablehnungsgründe nachträglich nachschieben darf, wenn er zuvor andere Gründe genannt oder Vertrauen auf Deckungsschutz geweckt hat.

 

Bedeutung über den Diesel-Fall hinaus

Das Verfahren hat eine Tragweite, die weit über Dieselklagen hinausgeht.

Die Auslegung der VRB-Klauseln betrifft praktisch alle Verkehrs-Rechtsschutzversicherungen, die den Schutzzeitpunkt an die „Zulassung“ knüpfen.

Bestätigt der BGH die enge Linie des OLG Schleswig, verlieren viele Versicherte den Schutz für Streitigkeiten, die ihren Ursprung bereits beim Kauf haben.

Folgt er dagegen der weiten Auslegung, dürfte dies hunderttausenden Versicherten zugutekommen und die Regulierungspraxis vieler Versicherer neu ordnen.

 

Fazit

Der Diesel-Streit vor dem BGH ist weit mehr als ein Einzelfall – er betrifft die Grundfrage der Rechtsschutzdeckung beim Autokauf.

Die Entscheidung wird darüber bestimmen, wann der Verkehrs-Rechtsschutz beginnt und wie weit Versicherer ihre Vertragsbedingungen auslegen dürfen.

Für Verbraucher bedeutet dies: Wer künftig ein Fahrzeug erwirbt und auf Rechtsschutz angewiesen ist, sollte genau prüfen, ab welchem Zeitpunkt die Police greift – und ob sich der Versicherer an sein bisheriges Regulierungsverhalten hält.

Für Versicherer geht es um Vertrauen und Planbarkeit: Wer seine Bedingungen zu eng auslegt, riskiert nicht nur gerichtliche Niederlagen, sondern auch den Verlust der Kundentreue.

 

Prüfungsrelevanz für Jurastudium und Referendariat

Der Fall ist examensrelevant im Versicherungsvertragsrecht (§§ 1 ff. VVG) sowie im allgemeinen Vertragsrecht (§ 242 BGB – Grundsatz von Treu und Glauben).

Zentrale Punkte:

  • Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen (§§ 305c, 306 BGB)

  • Transparenzgebot (§ 307 BGB)

  • Nachschieben neuer Ablehnungsgründe und Vertrauensschutz (§ 242 BGB)

  • Systematik des Versicherungsschutzes im Verkehrsbereich (§§ 21, 25 VRB)

 

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