Vom Ordnungssinn zum Datenschutzproblem – Warum ein Falschparker-Foto 727 Euro kosten kann

Vom Ordnungssinn zum Datenschutzproblem – Warum ein Falschparker-Foto 727 Euro kosten kann

OLG Dresden, Beschl. v. 9.9.2025 – 4 U 464/25

Wer dachte, ein falsch geparktes Fahrzeug zu melden, sei ein kleiner Beitrag zur Verkehrsmoral, sollte nach einer aktuellen Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden genau hinschauen – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn ein Mann, der einen Parkverstoß fotografierte und dabei auch den Beifahrer im Auto erfasste, wurde selbst zum Datenschutz-Sünder und muss nun nicht nur 100 Euro Schadensersatz, sondern zusätzlich über 600 Euro Anwaltskosten tragen.

Der Fall zeigt eindrucksvoll, wie schnell aus einem gut gemeinten Hinweis an die Behörden eine teure juristische Auseinandersetzung werden kann.

 

Der Fall: Ein Foto, eine App – und ein DSGVO-Verstoß

Der betroffene Mann wollte über die App „weg.li“ einen Falschparker melden. Diese Plattform ermöglicht es Bürgern, Verkehrsverstöße zu melden – ganz ohne finanzielle Belohnung, aber mit öffentlicher Liste der „aktivsten Melder“.

Das Problem: Auf seinem Foto war nicht nur das falsch abgestellte Fahrzeug zu sehen, sondern auch ein klar erkennbarer Beifahrer. Gesicht, Umgebung, Metadaten – alles war drauf. Der Beifahrer klagte – und bekam Recht.

 


Warum das Foto rechtswidrig war

Das OLG Dresden stellte fest:

  • Das hochgeladene Foto stellt eine automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten dar (Art. 4 DSGVO).

  • Da der Mann als Privatperson handelte und nicht journalistisch tätig war, greift das nationale Kunsturhebergesetz (KUG) nicht.

  • Auch die „Ausnahme für private Zwecke“ greift nicht – denn das Weiterleiten über eine Melde-App ist keine private Nutzung mehr.

  • Es bestand kein berechtigtes Interesse an der Datenverarbeitung, weil die Rechte des abgebildeten Beifahrers überwiegen.

Besonders relevant: Der Parkplatzverstoß war ausschließlich vom Fahrer begangen worden – der Beifahrer hatte damit rein gar nichts zu tun.


Datenschutzrechtliche Konsequenzen

Das Gericht sprach dem Beifahrer zu:

✔ Löschung des Fotos

Der Beklagte war verpflichtet, das angefertigte Foto vollständig zu löschen – und zwar auf allen Geräten, in allen Ordnerstrukturen und in sämtlichen Backups. Die bloße Behauptung, das Bild sei „wahrscheinlich“ gelöscht, genügt für Art. 17 Abs. 1 DSGVO nicht. Wer personenbezogene Daten verarbeitet, trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine Löschung tatsächlich erfolgt ist. Das OLG stellte klar, dass eine Löschung erst dann vorliegt, wenn kein technischer Zugriff mehr besteht. Gerade bei digitalen Dateien, die sich in Cloud-Systeme, automatische Backups und Synchronisationsdienste verteilt haben können, verlangt die DSGVO einen nachweisbaren Löschvorgang. Da der Melder diesen Nachweis nicht erbringen konnte, war der Löschungsanspruch begründet.

✔ 100 Euro immateriellen Schadensersatz

Art. 82 DSGVO schützt nicht nur vor konkreten Datenmissbräuchen, sondern bereits vor dem Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten. Der Kläger hatte über einen Zeitraum von rund eineinhalb Jahren keine Möglichkeit mehr, selbst zu bestimmen, wer Zugriff auf sein Bild hat, wie es gespeichert wird und ob es weitergegeben wird. Dieser Kontrollverlust reicht nach Auffassung des Gerichts aus, um einen immateriellen Schaden zu bejahen. Der zugesprochene Betrag von 100 Euro bewegt sich im unteren Bereich, erfüllt aber den Zweck der DSGVO: die effektive Durchsetzung des Datenschutzes und die spürbare Sanktion eines unzulässigen Eingriffs in die Privatsphäre.

✔ Erstattung der Anwaltskosten (627,13 Euro)

Da der Löschungsanspruch erfolgreich war, kann der Kläger gemäß §§ 823 Abs. 1, 249 BGB i.V.m. Art. 82 DSGVO auch die notwendigen vorgerichtlichen Anwaltskosten ersetzt verlangen. Diese wurden anhand eines Gegenstandswerts von 5.100 Euro berechnet. Der Gegenstandswert entspricht gängigen Bemessungen bei datenschutzrechtlichen Löschungsansprüchen, die sowohl das Gewicht des Eingriffs als auch den grundrechtlichen Schutzgehalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung widerspiegeln. Die Zahlungspflicht des Beklagten beläuft sich auf 627,13 Euro – ein Betrag, der die erheblichen finanziellen Risiken verdeutlicht, die mit datenschutzwidrigen Aufnahmen einhergehen.

In Summe: 727,13 Euro für ein Falschparker-Foto.


Die Lehre aus dem Urteil: Genau hinschauen

Das Urteil zeigt vor allem eins:

👉 Auch beim „Melden im öffentlichen Interesse“ gilt die DSGVO.
👉 Personen dürfen ohne Not nicht mitfotografiert werden.

Hätte der Mann das Auto aus einem anderen Winkel fotografiert – etwa von hinten, ohne sichtbare Personen –, wäre die Sache vermutlich nie vor Gericht gelandet. Das Gericht betonte ausdrücklich den Grundsatz der Datenminimierung (Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO): Nur so viele personenbezogene Daten wie nötig.


Fazit

Bürgerhinweise zu Verkehrsverstößen sind grundsätzlich erlaubt – aber sie dürfen nicht zu einem Eingriff in die Privatsphäre Unbeteiligter führen. Das OLG Dresden setzt hier ein klares Zeichen: Ordnungssinn hat Grenzen – und diese werden durch die DSGVO gezogen.

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