Was im Übergabeprotokoll steht, bindet Mieter und Vermieter gleichermaßen.

Was im Übergabeprotokoll steht, bindet Mieter und Vermieter gleichermaßen.

AG Hanau, Urt. v. 11.04.2025, Az. 32 C 37/24

Übergabeprotokolle sind ein alltägliches Instrument im Mietrecht. Doch wie stark binden sie die Vertragsparteien wirklich? Das Amtsgericht Hanau hat in einer aktuellen Entscheidung klargestellt: Ein unterschriebenes Protokoll entfaltet erhebliche Beweiskraft – und wirkt in beide Richtungen. Der Fall verdeutlicht anschaulich, welche Rechtsfolgen die Unterzeichnung eines Protokolls für Mieter und Vermieter haben kann.

 

Der Fall: Mietminderung, Rückstände und Laminat

Eine Mieterin zahlte über Jahre hinweg zu wenig Miete und minderte nach eigenem Ermessen die Betriebskostenvorauszahlungen. Zudem berief sie sich auf Mängel der Wohnung und machte eine Aufrechnung wegen selbst verlegten Laminatbodens geltend. Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis und klagte auf Räumung sowie auf Zahlung der Mietrückstände.

Nach Rückgabe der Wohnung unterzeichneten beide Parteien am 31. Juli 2024 ein Übergabeprotokoll, das keine Mängel auswies. Die ursprüngliche Räumungsklage erklärten beide Seiten für erledigt.


Streit bestand weiterhin über:

  • offene Mietrückstände,

  • Nachforderungen aus der Betriebskostenabrechnung 2023,

  • und die Aufrechnung der Mieterin wegen des Laminatbodens.

 

Die Entscheidung des AG Hanau

1. Mietminderung ausgeschlossen durch Übergabeprotokoll

Das Gericht verneinte Minderungsrechte. Maßgeblich sei das unterzeichnete Übergabeprotokoll: Da dort keine Mängel dokumentiert wurden, spreche eine erhebliche Vermutung dafür, dass solche nicht vorlagen. Wer das Gegenteil behauptet, muss konkrete Tatsachen für die Unrichtigkeit vortragen – pauschale Behauptungen genügen nicht.


Das Protokoll bindet beide Seiten:

  • Vermieter können keine Ansprüche wegen Mängeln geltend machen, die nicht protokolliert wurden.

  • Mieter können sich umgekehrt nicht auf angebliche Mängel berufen, die im Protokoll keinen Niederschlag gefunden haben.

 

2. Betriebskostenabrechnung teilweise unwirksam

Die Vermieterin konnte Nachforderungen grundsätzlich geltend machen. Allerdings war die Abrechnung in Teilen nicht prüffähig (§ 259 BGB). Der verwendete Verteilungsschlüssel „Anz.“ (für „Anzahl“) sei ohne nähere Erläuterung nicht nachvollziehbar. Damit war die Abrechnung insoweit formell fehlerhaft.

 

3. Kein Anspruch auf Laminatkosten

Die Aufrechnung der Mieterin mit 500 € für den eingebrachten Laminatboden blieb ohne Erfolg. Grundsätzlich muss der Mieter eigene Einrichtungen beim Auszug entfernen (§ 546 Abs. 1 BGB). Ersatzpflichten bestehen nur, wenn der Vermieter die Entfernung verweigert (§ 552 BGB). Eine solche Konstellation lag nicht vor. Auch ein Anspruch aus Bereicherungsrecht war ausgeschlossen, da die §§ 546, 552 BGB insoweit eine abschließende Regelung enthalten.

 

Juristische Bewertung

Das Urteil zeigt exemplarisch die Doppelfunktion von Übergabeprotokollen: Sie sind nicht nur Beweismittel, sondern haben auch bindende Wirkung, sofern sie von beiden Parteien freiwillig unterschrieben werden. Wer später von den Feststellungen abweichen will, trägt die volle Darlegungslast für die Unrichtigkeit.


Praktisch bedeutet dies:

  • Für Mieter: Vor Unterzeichnung genau prüfen, ob Mängel korrekt erfasst sind.

  • Für Vermieter: Im Gegenzug schützt das Protokoll auch vor nachträglichen Minderungsbehauptungen des Mieters.

 

Das Urteil unterstreicht zudem die Bedeutung einer formell ordnungsgemäßen Betriebskostenabrechnung und bestätigt die strenge Linie der Rechtsprechung zur Prüffähigkeit von Verteilungsschlüsseln.

 

Fazit

Das AG Hanau macht deutlich: Übergabeprotokolle sind mehr als Formalien – sie schaffen klare Verhältnisse. Wer unterschreibt, bindet sich und kann später nicht pauschal Abweichendes behaupten. Für beide Mietparteien ist es daher entscheidend, das Protokoll sorgfältig und vollständig auszufüllen.

 

Prüfungsrelevanz für Studium und Referendariat

  • Mietrecht (§§ 535 ff. BGB): Mietminderung, Betriebskosten, Rückbaupflichten.

  • Beweisrecht: Bindungs- und Indizwirkung von Übergabeprotokollen.

  • ZPO: Erledigungserklärung (§ 91a ZPO) und Klageänderung (§ 264 Nr. 2 ZPO).

  • Examenshinweis: Besonders relevant für Klausuren, da mehrere Standardprobleme (Minderung, Betriebskosten, Einrichtungen des Mieters, Beweislast) in einem Fall gebündelt werden.

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