LAG Köln, Urteil vom 09.07.2025 – 4 SLa 97/25
Das Landesarbeitsgericht Köln hatte über einen besonders drastischen Fall von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu entscheiden. Eine 32-jährige Arbeitnehmerin war viereinhalb Jahre in einem Unternehmen tätig, in dem ihr Gehalt im Laufe der Zeit von 4.500 Euro auf zuletzt 7.744,75 Euro brutto anstieg. Was als vermeintlich „familiäres Betriebsklima“ begann, entwickelte sich zu einer massiven Belastung, die für die Frau in einer posttraumatischen Belastungsstörung endete.
Der Geschäftsführer hatte der Mitarbeiterin über Monate hinweg anzügliche Nachrichten geschickt und sie mehrfach beleidigt sowie mit Repressalien bedroht. In einer der WhatsApp-Nachrichten hieß es wörtlich: „Gaaaaaaaanz wichtig: Nichts unter dem Rock anziehen.“ Die Klägerin reagierte zwar zunächst scherzhaft mit Emojis, lehnte die Aufforderungen jedoch ab. Daraufhin entzog der Geschäftsführer ihr den Zugang zu Meetings, degradierte sie verbal und stellte ihre Loyalität infrage. Schließlich forderte er sie auf, Geschenke, Tankkarte und den Dienstwagen zurückzugeben, und drohte mit Gehaltskürzungen. Auch ein Blumenstrauß mit der Einladung zu einem Thermenbesuch änderte nichts an der Situation. Als sie dieses Ansinnen ablehnte, folgte die Kündigung.
Die Arbeitnehmerin klagte auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung sowie auf Ausstellung eines qualifizierten Zeugnisses. Schon das Arbeitsgericht Bonn hatte ihr Recht gegeben (Urt. v. 14.11.2024 – 1 Ca 456/24). Das Landesarbeitsgericht Köln bestätigte diese Entscheidung und stellte fest, dass die Kündigung rechtswidrig gewesen sei. Dennoch sei der Klägerin eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten (§ 9 KSchG). Grund seien die massiven Beleidigungen, die Drohungen mit Repressalien und die fortgesetzte Herabwürdigung ihrer Person. Auch die Übergabe eines Blumenstraußes ändere daran nichts, da die nachfolgende Kündigung die mangelnde Nachhaltigkeit einer Entschuldigung verdeutliche.
Bemerkenswert war die Höhe der zugesprochenen Abfindung. Üblicherweise bewegt sich diese bei einem Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr (§ 10 KSchG). Das LAG Köln ging jedoch darüber hinaus und sprach der Klägerin fast 70.000 Euro zu. Zur Begründung führte es aus, dass hier nicht nur ein finanzieller Ausgleich für den Arbeitsplatzverlust geboten sei, sondern die Abfindung auch eine Genugtuungsfunktion ähnlich einem Schmerzensgeld habe. Sie diene zugleich als Sanktion, um Arbeitgeber von grob sozialwidrigen Kündigungen abzuschrecken. Die Richter setzten den Berechnungsfaktor auf zwei Monatsgehälter pro Beschäftigungsjahr fest. Grundlage war das zuletzt bezogene Bruttogehalt der Klägerin in Höhe von 7.744,75 Euro.
Das Gericht stellte zudem klar, dass die Nutzung des Dienstwagens durch die Arbeitnehmerin rechtlich als Sachbezug und damit als Vergütungsbestandteil zu werten sei, auch wenn dies nicht ausdrücklich im Arbeitsvertrag vereinbart war. Die Rückforderung durch den Arbeitgeber war daher unzulässig. Argumente des Arbeitgebers, die Klägerin habe selbst Pflichtverletzungen begangen, ließen die Richter unberücksichtigt, da diese weder substantiiert noch durch Abmahnungen belegt waren.
Schließlich wies das LAG Köln darauf hin, dass die Geltendmachung eines Weiterbeschäftigungsanspruchs neben dem Antrag auf Auflösung nicht als widersprüchlich zu werten sei. Es handele sich um eine zulässige prozessuale Verknüpfung, die von Rechtsanwälten routinemäßig vorgenommen werde und keinen Einfluss auf die materielle Rechtslage habe.
Die Entscheidung verdeutlicht, dass sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz nicht nur disziplinarische Folgen haben können, sondern auch gravierende finanzielle Konsequenzen für den Arbeitgeber. Durch die Kombination aus Genugtuungsfunktion und Abschreckungswirkung setzt das Urteil ein klares Signal, dass Missbrauch von Machtpositionen und unzumutbares Verhalten im Arbeitsverhältnis nicht hingenommen werden. Eine Revision ließ das Gericht aufgrund der Einzelfallentscheidung nicht zu.
Fazit
Das Urteil zeigt mit Deutlichkeit:
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Sexuelle Belästigungen im Arbeitsverhältnis können eine Unzumutbarkeit im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes begründen.
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Abfindungen können in gravierenden Fällen deutlich über das arbeitsrechtlich Übliche hinausgehen.
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Arbeitgeber riskieren nicht nur Schadensersatz- und Strafansprüche, sondern auch empfindliche finanzielle Sanktionen im Arbeitsrecht.
Prüfungsrelevanz
Für das Examen ist der Fall in mehrfacher Hinsicht spannend:
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Kündigungsschutzrecht (§§ 9, 10 KSchG): gerichtliche Auflösung und Berechnung der Abfindung.
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Abgrenzung sozialwidrige Kündigung / Unzumutbarkeit.
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Prozessuale Fragen: Kein treuwidriges Verhalten durch gleichzeitigen Antrag auf Weiterbeschäftigung.
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Persönlichkeitsrecht und Arbeitsrecht: Verknüpfung mit psychischen Belastungen und Genugtuungsfunktion.

