Der Zivilprozess steht vor einem digitalen Umbruch, der nationale Grenzen überschreitet. Mit der neuen EU-Verordnung 2023/2844 wird der Zugang zur Justiz durch digitale Mittel erleichtert, insbesondere durch den Einsatz von Videokonferenztechnologie. Doch während die Europäische Union mit dieser Verordnung einen wichtigen Schritt Richtung Digitalisierung geht, sticht Deutschland mit einer vorzeitigen Umsetzung als Vorreiter heraus.
Die Neuerungen der EU-Verordnung 2023/2844
Die im Dezember 2023 erlassene Verordnung (EU) 2023/2844 zielt darauf ab, die justizielle Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten zu digitalisieren und den Zugang zur Justiz zu verbessern. Ein zentraler Punkt ist die Regelung in Artikel 5, die es ermöglicht, dass Prozessparteien oder ihre Vertreter aus anderen Mitgliedstaaten per Videokonferenz an Verhandlungen teilnehmen können – ohne die bislang notwendige Genehmigung des Aufenthaltsstaates.
Flexibilität für Gerichte und Parteien
Die Teilnahme via Videokonferenz ist jedoch nicht zwingend vorgeschrieben. Sie liegt weiterhin im Ermessen des Gerichts, das dabei folgende Aspekte berücksichtigen muss:
• Technische Verfügbarkeit der Videokonferenzsysteme,
• Meinungen der Parteien zur Nutzung dieser Technologie,
• Angemessenheit des Einsatzes im jeweiligen Einzelfall.
Dieses Ermessen spiegelt eine Balance zwischen der gerichtlichen Verfahrensleitung und der Verfahrensherrschaft der Parteien wider – ein Thema, das in Deutschland bereits bei der Reform des § 128a ZPO intensiv diskutiert wurde.
Einschränkungen bleiben bestehen
Nicht alle Verfahrenshandlungen können jedoch ohne Einschränkungen digital durchgeführt werden. Für die Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen, die sich in einem anderen Mitgliedstaat befinden, bleibt ein Rechtshilfeersuchen nach der EuBVO erforderlich. Dies liegt daran, dass solche Vernehmungen als Ausübung von Hoheitsgewalt gelten, die die Souveränität des Aufenthaltsstaates berührt. Dieses Hindernis wird auch durch die neue Verordnung nicht beseitigt.
Deutschland als digitaler Vorreiter
Besonders hervorzuheben ist Deutschlands Rolle in der Umsetzung der neuen Verordnung. Während die EU-weite verpflichtende Anwendbarkeit der Verordnung erst ab dem 1. Mai 2025 vorgesehen ist, hat Deutschland die Regelung des Artikels 5 bereits ab dem 1. Oktober 2024 in Kraft gesetzt. Damit ermöglicht Deutschland als erstes EU-Land die Teilnahme von Prozessbeteiligten aus anderen Mitgliedstaaten per Videokonferenz – ein bedeutender Fortschritt für grenzüberschreitende Verfahren.
Vorteile für den Zivilprozess
Die frühzeitige Umsetzung bringt zahlreiche Vorteile mit sich. Beispielsweise können Prozessvertreter aus anderen Mitgliedstaaten wirksam Anträge stellen, ohne dass zuvor ein Rechtshilfeersuchen eingereicht werden muss. Dies spart Zeit, reduziert Kosten und fördert eine schnellere Abwicklung grenzüberschreitender Verfahren.
Fazit: Ein Schritt in die richtige Richtung
Deutschland zeigt mit der vorzeitigen Einführung von Artikel 5 der Verordnung, dass es sich auf der “digitalen Überholspur” befindet. Auch wenn Einschränkungen wie das Rechtshilfeersuchen für Zeugenvernehmungen bestehen bleiben, markiert diese Entwicklung einen wichtigen Schritt hin zu einer digitaleren, effizienteren Justiz. Es bleibt abzuwarten, wie häufig diese neuen Möglichkeiten tatsächlich genutzt werden – die Weichen für eine modernere Justiz sind jedenfalls gestellt.