Einleitung
Fitnessstudioverträge sind in der juristischen Praxis und Prüfungen ein häufiges Thema. Sie werfen zahlreiche Fragen zu Vertragslaufzeiten, Kündigungsrechten und Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) auf. Eine besondere Konstellation betrifft die außerordentliche Kündigung aus gesundheitlichen Gründen – insbesondere während einer Risikoschwangerschaft.
Das Landgericht Freiburg (Urt. v. 06.02.2025 – 3 S 124/23) entschied, dass eine werdende Mutter, die aufgrund einer ärztlich attestierten Risikoschwangerschaft kein Sport treiben darf, ihren Fitnessstudiovertrag außerordentlich kündigen kann. Dies steht im Widerspruch zur Praxis vieler Fitnessstudiobetreiber, die stattdessen nur eine Vertragsaussetzung mit anschließender Verlängerung anbieten.
Die Entscheidung des Gerichts stärkt den Verbraucherschutz und zeigt, wie gesetzliche Kündigungsrechte mit grundrechtlichen Wertungen verbunden werden können.
Sachverhalt: Fitnessstudio verweigert Kündigung trotz Sportverbots
Die Klägerin (A) schloss mit der Fitnessstudiobetreiberin (B) einen Fitnessstudiovertrag mit einer Laufzeit von 12 Monaten ab. Der Vertrag verlängerte sich automatisch um weitere 12 Monate, wenn er nicht fristgerecht gekündigt wurde.
Die AGB der B enthielten folgende Regelung:
„Die Mitgliedschaft kann – im gegenseitigen Einverständnis – bei nachgewiesener Krankheit, Schwangerschaft oder Bundeswehr für einen im Voraus zu bestimmenden Zeitraum ausgesetzt werden. In diesem Fall verlängert sich die ursprünglich vereinbarte Mitgliedschaft um die Zeitspanne, in welcher sie geruht hat. Ein außerordentliches Kündigungsrecht bleibt hiervon unberührt.“
Während der Vertragslaufzeit wurde A schwanger. Aufgrund gesundheitlicher Komplikationen stellte ihr Arzt fest, dass es sich um eine Risikoschwangerschaft handelt und untersagte ihr jegliche sportliche Betätigung. A kündigte daraufhin außerordentlich und bat um eine Bestätigung der Kündigung.
Die Betreiberin des Fitnessstudios wies die Kündigung zurück. Sie bot der A lediglich eine vertragliche Aussetzung der Mitgliedschaft an, wodurch sich der Vertrag nach der Schwangerschaft entsprechend verlängert hätte. Die A stellte die Zahlung ein, woraufhin das Fitnessstudio auf Zahlung der weiteren Mitgliedsbeiträge klagte.
Rechtliche Kernfrage: Besteht ein außerordentliches Kündigungsrecht?
Die zentrale Frage des Falls lautete: Kann eine Schwangere mit Sportverbot ihren Fitnessstudiovertrag außerordentlich kündigen, oder muss sie sich auf eine Vertragsaussetzung einlassen?
Das Landgericht Freiburg prüfte dies anhand von § 314 BGB, der die außerordentliche Kündigung von Dauerschuldverhältnissen bei Vorliegen eines wichtigen Grundes regelt.
Entscheidung des Gerichts
Das Landgericht entschied zugunsten der Klägerin und wies die Klage des Fitnessstudios ab. Es stellte fest, dass ein außerordentliches Kündigungsrecht bestand und die A den Vertrag wirksam nach § 314 BGB beendet hatte.
Begründung des Gerichts:
1. Anwendbarkeit von § 314 BGB auf Fitnessstudioverträge
Ein Fitnessstudiovertrag ist ein Dauerschuldverhältnis. Nach der Rechtsprechung handelt es sich um einen typengemischten Vertrag, der sowohl dienst- als auch mietvertragliche Elemente enthalten kann. Da im vorliegenden Fall keine spezielle Kündigungsregelung für Fitnessstudioverträge existiert, kommt § 314 BGB als allgemeine Regelung für die außerordentliche Kündigung von Dauerschuldverhältnissen zur Anwendung.
Nach § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB kann ein Dauerschuldverhältnis aus wichtigem Grund beendet werden, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zumutbar ist.
2. Besteht ein „wichtiger Grund“ für die Kündigung?
Das Gericht prüfte in zwei Schritten:
1. Liegt ein Grund vor, der die außerordentliche Kündigung grundsätzlich rechtfertigt?
2. Überwiegt bei einer Abwägung der Interessen die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für A?
👉 Ärztlich attestiertes Sportverbot als wichtiger Grund
Das Gericht erkannte die Risikoschwangerschaft mit Sportverbot als ausreichend schweren Grund an, um eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.
Entscheidende Argumente:
• Aufgrund des ärztlich festgestellten Sportverbots konnte A das Angebot des Fitnessstudios über einen erheblichen Zeitraum nicht nutzen.
• Auch nach einer komplikationslosen Geburt sei nicht damit zu rechnen, dass A das Training sofort wieder aufnehmen könne.
• Es wäre A unzumutbar, den vollen Mitgliedsbeitrag weiter zu zahlen, während sie das Angebot über Monate hinweg nicht nutzen kann.
• Die Schwangerschaft ist ein von der Kundin nicht beeinflussbares Ereignis, das nicht ihrem eigenen Risiko zuzuordnen ist.
Das Gericht betonte, dass das Risiko einer schwerwiegenden gesundheitlichen Einschränkung nicht vom Mitglied allein getragen werden muss.
3. Abwägung der Interessen
Das Gericht nahm eine umfassende Interessenabwägung zwischen A und B vor.
✅ Interessen der A:
• Gesundheitliche Gründe machen eine Nutzung des Studios unmöglich.
• Sie soll nicht gezwungen werden, Beiträge zu zahlen, obwohl sie das Angebot nicht nutzen kann.
• Der Grund für die Kündigung liegt außerhalb ihres Einflussbereichs.
🚫 Interessen der B:
• B hat ein Interesse an finanzieller Planungssicherheit.
• Das Fitnessstudio bietet eine vertragliche Aussetzung der Mitgliedschaft an.
Das Gericht entschied, dass die Interessen der A überwiegen.
Besonders wichtig war die Wertung des Art. 6 Abs. 4 GG: „Dem dort normierten Schutzauftrag für Mütter ist auch bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Gesetzesrechts Rechnung zu tragen.“
Die Grundrechte haben hier eine mittelbare Drittwirkung und sind bei der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen wie „wichtiger Grund“ heranzuziehen.
4. Reicht eine Vertragsaussetzung als milderes Mittel?
Die AGB des Fitnessstudios sahen eine Vertragsaussetzung bei Schwangerschaft vor, allerdings nur „im gegenseitigen Einverständnis“.
Das Gericht lehnte dies als milderes Mittel ab:
• Die Vertragsaussetzung sei keine gleichwertige Alternative, da sie nicht automatisch bestehe, sondern vom Fitnessstudio gewährt werden musste.
• Die verlängerte Vertragsdauer stelle für A eine unzumutbare Belastung dar.
• Eine Verlängerung um mehrere Monate sei keine „kurze und überschaubare Zeit“, wie es die Rechtsprechung fordert.
Da die Vertragsaussetzung somit keine verpflichtende Alternative darstellte, blieb nur die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung.
Praktische Relevanz der Entscheidung
✅ Verbraucherschutz gestärkt: Das Urteil schützt Verbraucher vor langfristigen finanziellen Verpflichtungen, wenn gesundheitliche Gründe eine Nutzung unmöglich machen.
✅ Fitnessstudios müssen ihre Vertragsgestaltung überdenken: Vertragsklauseln, die nur eine Aussetzung, aber keine Kündigung ermöglichen, könnten unwirksam sein.
✅ Grundrechte wirken auch im Privatrecht: Art. 6 Abs. 4 GG spielt eine Rolle bei der Interessenabwägung.
✅ Klarstellung zur Vertragsaussetzung: Eine Vertragsaussetzung ist nur dann zumutbar, wenn sie eine überschaubare Dauer hat und dem Kunden nicht einseitig aufgezwungen wird.
Fazit
Das Landgericht Freiburg entschied zu Recht, dass A ihren Fitnessstudiovertrag außerordentlich kündigen durfte. Die Schwangerschaft und das ärztlich attestierte Sportverbot machten eine Nutzung des Studios unmöglich, weshalb das Festhalten am Vertrag für sie unzumutbar war.
Das Urteil zeigt, dass gesundheitliche Einschränkungen ein wichtiger Grund für eine Kündigung sein können – insbesondere, wenn eine Vertragsaussetzung keine gleichwertige Alternative darstellt.