Kettenanstiftung
Von einer Kettenanstiftung spricht man, wenn ein Täter einen anderen dazu veranlasst, seinerseits einen Dritten zu einer Straftat anzustiften. Der ursprünglich Anstiftende wird in diesem Fall wegen Anstiftung zur Haupttat bestraft. Mit den Voraussetzungen der Kettenanstiftung hat sich der BGH in der nachfolgend besprochenen Entscheidung befasst.
A. Sachverhalt
Der Geschädigte Ac war Inhaber einer Kfz-Werkstatt und hielt, um angelieferte Waren direkt bezahlen zu können, stets eine größere Menge Bargeld in seinem Betrieb vor. Dieser Umstand war S, der als angestellter Kurierdienstfahrer für Ac tätig war, bekannt. Als eine größere Warenlieferung anstand, informierte S den A über die für die Bezahlung vorgehaltene Bargeldmenge. Dabei ging S davon aus, dass A die Informationen an Dritte weitergeben werde, damit diese gegebenenfalls auch unter Anwendung von Gewalt in den Besitz des Bargeldes gelangen könnten. Weder A noch S verfolgten ein eigenes Interesse am Taterfolg. In der Folge kam es zu einem Überfall auf den Geschädigten, der jedoch letztlich nicht erfolgreich war. Bei der Tatbegehung war zufällig auch S anwesend, der jedoch trotz seiner Informationen in diesem Augenblick nicht mit der Tat rechnete.
Das Landgericht Heilbronn verurteilte S wegen Beihilfe zur versuchten räuberischen Erpressung. Die dagegen eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft war erfolgreich.
B. Entscheidung
Die Staatsanwaltschaft rügte eine Verletzung der richterlichen Kognitionspflicht. Eine solche liegt vor, wenn der zutreffend festgestellte Sachverhalt rechtlich nicht erschöpfend gewürdigt wurde. Die Staatsanwaltschaft vertrat die Auffassung, dass S wegen Anstiftung zur Anstiftung und damit wegen Anstiftung zur Haupttat hätte verurteilt werden müssen. Der BGH (Urt. v. 12.06.2024 – 1 StR 463/23) schloss sich dieser Auffassung an.
Warum das Landgericht in der Weitergabe der Informationen letztlich nur eine Beihilfe zur Haupttatsah, lässt sich dem Urteil des BGH nicht entnehmen.
Bei kumulierten Beteiligungshandlungen richtet sich die Strafbarkeit des Täters grundsätzlich nach dem „schwächsten Glied in der Kette“. Ist also eine der Beteiligungshandlungen nur eine Beihilfe, kommt nur eine Strafbarkeit gemäß § 27 StGB in Betracht.
Eine mögliche Erklärung für die Entscheidung des Landgerichts könnte darin liegen, dass die Weitergabe der Informationen durch A an die Haupttäter lediglich als Beihilfe zu werten war. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn die Haupttäter bereits auf andere Weise von den besonderen Umständen beim Geschädigten Kenntnis erlangt hätten. Sie könnten dann bereits zur Tat entschlossen gewesen sein. Die Anstiftung eines sog. omnimodo facturus ist nicht möglich. Es bleibt jedoch Raum für eine psychische Beihilfe, die allerdings nur dann in Betracht kommt, wenn ein bereits vorhandener Tatentschluss noch verstärkt werden kann.
Ebenso ist denkbar, dass A, der die Informationen weiterleitete, bereits zur Anstiftung entschlossen war, sodass das Handeln des S seinen Entschluss nur noch bestärkte und daher eine Beihilfe darstellte.
Grundsätze:
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Eine Anstiftung zur Anstiftung wird als Anstiftung zur Haupttat gewertet.
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Eine Beihilfe zur Beihilfe stellt stets eine Beihilfe zur Haupttat dar.
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Eine Anstiftung zur Beihilfe oder eine Beihilfe zur Anstiftung ist stets nur als Beihilfe zur Haupttat zu qualifizieren.
Der BGH legte zunächst die Voraussetzungen der Anstiftung dar:
„Als Anstifter macht sich gemäß § 26 StGB derjenige strafbar, der einen anderen vorsätzlich zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt und dabei die vorsätzliche Begehung der Haupttat durch den Haupttäter und das Hervorrufen des Tatentschlusses des Haupttäters durch ihn selbst zumindest für möglich hält (kognitives Element) und billigend in Kauf nimmt (voluntatives Element). … Anstifter kann auch sein, wer kein ideelles oder materielles Interesse am Taterfolg hat. Auf seine Motivation kommt es grundsätzlich nicht an. … Die Anstiftung zur Anstiftung wird als Anstiftung zur Haupttat bestraft.“
Gemessen an diesen Voraussetzungen kommt für den BGH eine Anstiftung zur Anstiftung zur Haupttat in Betracht. Er führt Folgendes aus:
„Nach den Urteilsgründen ist davon auszugehen, dass der Angeklagte S durch die Information über eine erneute Bestellung des Geschädigten Ac den Angeklagten A zumindest bedingt vorsätzlich dazu veranlasste, seinerseits bei den Mitangeklagten den Tatentschluss hervorzurufen. Dabei wussten beide Angeklagten auch um die wesentlichen Einzelheiten der Haupttat und nahmen diese billigend in Kauf. Unerheblich ist, dass der Angeklagte S die Haupttäter nicht kannte und es dem Angeklagten A überließ, diese auszuwählen. … Der Annahme von Anstiftung stünde auch das Erfordernis der Kausalität der jeweiligen Anstiftungshandlungen nicht entgegen, da sich der Angeklagte A sowie die Mitangeklagten jeweils erst nach Erhalt des Hinweises zu der konkreten Tat entschlossen. … Eine allgemeine Tatbereitschaft der Haupttäter steht demnach – anders als bei einem zu einer konkreten Tat fest Entschlossenen (sog. omnimodo facturus) – einer Anstiftung durch einen ‚Tippgeber‘ nicht entgegen.“
Für eine erneute Verhandlung nach Aufhebung des Urteils vor dem Landgericht hat der BGH der dann entscheidenden Kammer noch mit auf den Weg gegeben, dass eine gegebenenfalls noch mitverwirklichte Beihilfe subsidiär als weniger schwere Beteiligungsform hinter der Anstiftung zurückträte.
C. Prüfungsrelevanz
In einer Klausur ist die Kettenanstiftung wie eine reguläre Anstiftung zu prüfen. Beim Prüfungspunkt „Hervorrufen des Tatentschlusses“ im objektiven Tatbestand führt man aus, dass der Täter einen anderen angestiftet hat, wiederum einen Dritten anzustiften, mithin also eine Kettenanstiftung vorliegt.
Sofern nach der Strafbarkeit aller Beteiligten gefragt ist, sollte im vorliegenden Fall mit der Strafbarkeit des A begonnen werden. Die Prüfung beginnt stets mit der Anstiftung, da diese im Gegensatz zur Beihilfe keine strafmildernde Wirkung entfaltet. Verneint man eine Anstiftung, weil der unmittelbar Ausführende bereits zur Tat entschlossen ist, prüft man nachfolgend eine (psychische) Beihilfe.
(BGH Urt. v. 12.06.2024 – 1 StR 463/23)