Einleitung
Die notarielle Beurkundungspflicht von Grundstückskaufverträgen nach § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine der wichtigsten formalen Anforderungen im deutschen Zivilrecht. Neben der Hauptverpflichtung, dem eigentlichen Kaufvertrag, können auch Nebenabreden der Formbedürftigkeit unterliegen. In einer aktuellen Entscheidung des BGH (Urt. v. 14.06.2024 – V ZR 8/23) wurde die Frage geklärt, ob die Nichtigkeit einer privatschriftlich vereinbarten Vorauszahlungsabrede zur Gesamtnichtigkeit des Grundstückskaufvertrages nach § 139 BGB führt. Diese Entscheidung verdeutlicht die Abgrenzung zwischen formbedürftigen und formfreien Vereinbarungen und zeigt, wie der Parteiwille über die Vermutung der Gesamtnichtigkeit hinaus Einfluss nehmen kann.
Sachverhalt
Ein Verkäufer (V) verkaufte einer GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger (K) war, mit notariell beurkundetem Vertrag eine hälftige Miteigentumshälfte an einem Grundstück. K überwies für die GmbH einen Betrag von 80.000 Euro an V und gab als Verwendungszweck den Kaufvertrag an. Ein Jahr später schlossen V und K einen notariell beurkundeten Kaufvertrag über die zweite Miteigentumshälfte. In einem privatschriftlichen Übergabeprotokoll erklärten beide, dass 40.000 Euro der geleisteten Summe als Vorschuss für den zweiten Kaufvertrag gelten sollten. Nachdem der zweite Kaufvertrag abgeschlossen war, forderte K von V die Übergabe und Übereignung der zweiten Miteigentumshälfte.
Rechtliche Kernfragen
Die zentrale Rechtsfrage betraf die Nichtigkeit der Vorauszahlungsabrede wegen Formmangels nach § 125 Satz 1 BGB und deren Auswirkungen auf den Kaufvertrag gemäß § 139 BGB. Der BGH hatte zu klären:
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Ist die privatschriftlich getroffene Vorauszahlungsabrede formbedürftig und damit nichtig?
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Führt diese Nichtigkeit zur Gesamtnichtigkeit des Grundstückskaufvertrags?
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Kann die Vermutung der Gesamtnichtigkeit durch den Parteiwillen widerlegt werden?
Entscheidung des BGH
1. Formbedürftigkeit der Vorauszahlungsabrede
Der BGH bejahte zunächst die Formbedürftigkeit der Vorauszahlungsabrede. Gemäß ständiger Rechtsprechung unterliegen Nebenabreden zum Kaufpreis dann der notariellen Beurkundungspflicht, wenn sie konstitutive rechtliche Bedeutung für das Hauptgeschäft haben. Dies ist der Fall, wenn eine Vorauszahlungsabrede über eine noch nicht entstandene Kaufpreisforderung getroffen wird, da sie die Zahlungsmodalitäten und damit die Erfüllung des Kaufpreises maßgeblich beeinflusst. Die privatschriftlich getroffene Vorauszahlungsabrede war daher formnichtig nach § 125 Satz 1 BGB.
2. Anwendung des § 139 BGB – Vermutung der Gesamtnichtigkeit
Nach § 139 BGB führt die Nichtigkeit eines Teils eines Rechtsgeschäfts zur Gesamtnichtigkeit, wenn nicht anzunehmen ist, dass das Geschäft auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre. Das bedeutet, dass der gesamte Grundstückskaufvertrag grundsätzlich nichtig wäre, sofern nicht ein abweichender Parteiwille nachgewiesen werden kann.
3. Widerlegung der Vermutung der Gesamtnichtigkeit
Der BGH stellte klar, dass die Vermutung der Gesamtnichtigkeit im vorliegenden Fall widerlegt sei. Entscheidend war der Nachweis, dass der Käufer auf eine noch nicht bestehende Schuld geleistet hat. Dieser Nachweis kann insbesondere durch eine Quittung oder eine eindeutige vertragliche Vereinbarung erfolgen. Im konkreten Fall stellte das Übergabeprotokoll eine klare Erklärung dar, dass die 40.000 Euro als Vorschuss für den späteren Kaufvertrag gezahlt wurden. Dies zeigte, dass die Parteien den Grundstückskaufvertrag unabhängig von der Vorauszahlungsabrede abschließen wollten. Die Nichtigkeit der Vorauszahlungsabrede hatte somit keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Hauptvertrags.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung des BGH verdeutlicht die Anforderungen an die Formbedürftigkeit von Nebenabreden im Grundstücksrecht und die Anwendung von § 139 BGB. Sie hat insbesondere folgende praxisrelevante Implikationen:
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Strikte Beurkundungspflicht für Vorauszahlungsabreden – Jegliche Vereinbarung über Vorauszahlungen bei Grundstücksgeschäften muss notariell beurkundet werden, um ihre Wirksamkeit zu gewährleisten.
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Gesamtnichtigkeit ist keine zwingende Folge – Auch wenn ein Teil des Rechtsgeschäfts nichtig ist, kann die Gesamtnichtigkeit vermieden werden, wenn der Parteiwille klar darauf hinweist, dass der Hauptvertrag auch ohne die nichtige Regelung Bestand haben sollte.
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Beweislast liegt beim Käufer – Wer sich auf die Wirksamkeit des Kaufvertrags beruft, muss nachweisen, dass er auf eine noch nicht bestehende Kaufpreisschuld geleistet hat. Klare Zahlungsnachweise oder schriftliche Erklärungen sind hier essenziell.
Prüfungsrelevanz und Examensrelevanz
Die Entscheidung des BGH eignet sich hervorragend als Prüfungsstoff in Klausuren zum Schuldrecht BT sowie zum allgemeinen Vertragsrecht. Sie kombiniert klassische Themen wie die Formbedürftigkeit von Rechtsgeschäften, die Auslegung des Parteiwillens und die Auswirkungen formnichtiger Nebenabreden. Gerade die Abwägung zwischen § 139 BGB und einem widerlegbaren Parteiwillen bietet Raum für argumentativen Spielraum in Prüfungen.
Fazit
Der BGH bleibt seiner Linie treu, dass die notarielle Beurkundungspflicht im Grundstücksrecht strikt anzuwenden ist. Dennoch zeigt die Entscheidung, dass nicht jede Formnichtigkeit automatisch zur Gesamtnichtigkeit des Vertrags führt. Vielmehr können klare Erklärungen der Parteien, die auf eine eigenständige Wirksamkeit des Hauptvertrags hinweisen, die Vermutung des § 139 BGB widerlegen. Für die Praxis bedeutet dies eine erhöhte Beweislast für Käufer, die auf Vorauszahlungen bestehen, sowie eine sorgfältige Gestaltung von Kaufverträgen, um unnötige Risiken zu vermeiden.