A. Einführung
Die juristische Aufarbeitung des Diesel-Abgasskandals zieht weiterhin weite Kreise. Neben Volkswagen sind auch andere Automobilhersteller mit Vorwürfen konfrontiert, in ihren Fahrzeugen unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut zu haben. Besonders im Fokus stehen sogenannte Thermofenster und andere Softwaresteuerungen, die die Abgaswerte im Prüfstandbetrieb optimieren, jedoch im realen Fahrbetrieb zu höheren Emissionen führen.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 7. Januar 2025 (Az. III ZR 284/20) eine neue Facette dieser Problematik behandelt. Der Fall betrifft die sogenannte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, die in einem Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4MATIC mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 zum Einsatz kam. Der Kläger machte geltend, dass es sich dabei um eine unzulässige Abschalteinrichtung handle, die dazu diene, die Abgaswerte auf dem Prüfstand künstlich zu verbessern.
Das Gericht stellte fest, dass die Vorinstanz die technische Einordnung der Softwaresteuerung nicht ausreichend geprüft habe und hob das Urteil des Oberlandesgerichts auf. Es betonte, dass ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB nur bestehen kann, wenn nachgewiesen wird, dass die Herstellerin vorsätzlich sittenwidrig gehandelt hat.
Mit dieser Entscheidung setzt der BGH neue Maßstäbe für Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit Softwaresteuerungen in Dieselfahrzeugen. Käufer müssen nun detaillierte Nachweise erbringen, dass die beanstandeten Systeme tatsächlich unzulässig sind und der Hersteller diese in sittenwidriger Weise eingesetzt hat.
B. Hintergrund und Sachverhalt
Der Kläger erwarb im September 2014 einen Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4MATIC mit einem OM 651 Dieselmotor. Dieses Fahrzeug war mit einer sogenannten Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung ausgestattet. Bei dieser Softwaresteuerung handelt es sich um eine technische Funktion, die die Betriebstemperatur des Motors beeinflusst. Ziel ist es, unter bestimmten Bedingungen die Emissionswerte zu senken, indem die Temperaturregelung so gesteuert wird, dass die Abgasreinigung im Prüfzyklus optimiert wird.
Im Juni 2019 ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung des Fahrzeugs an, weil die Behörde die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung als unzulässige Abschalteinrichtung einstufte. Die Mercedes-Benz Group legte gegen diese Anordnung Widerspruch ein.
Der Kläger argumentierte, dass diese Software dazu führe, dass das Fahrzeug im realen Fahrbetrieb höhere Stickoxid-Emissionen ausstoße als auf dem Prüfstand. Er machte deshalb einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertragsgeltend.
Das Landgericht wies die Klage in erster Instanz ab. Das Oberlandesgericht Naumburg hingegen gab der Berufung des Klägers teilweise statt und verurteilte die Mercedes-Benz Group zur Zahlung von 25.741,43 Euro, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs. Die Beklagte legte daraufhin Revision beim BGH ein.
C. Entscheidung des BGH und rechtliche Analyse
Der BGH hob das Urteil des Oberlandesgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück. Er stellte klar, dass das Berufungsgericht die technische Funktionsweise der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung nicht hinreichend gewürdigt habe.
Zentrale rechtliche Grundlage ist § 826 BGB, der einen Schadensersatzanspruch bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung vorsieht. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH muss für einen Anspruch nach § 826 BGB nachgewiesen werden, dass der Hersteller mit Täuschungsabsicht gehandelt hat und dass die Softwaresteuerung eine gezielte Manipulation zur Umgehung von Abgasvorschriften darstellt.
Das Oberlandesgericht hatte sich bei seiner Entscheidung darauf gestützt, dass das KBA die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung als unzulässig eingestuft hatte. Der BGH stellte jedoch klar, dass dies allein nicht ausreicht, um eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch die Herstellerin zu belegen. Es müsse zusätzlich festgestellt werden, ob das System tatsächlich in manipulativer Absicht entwickelt und eingesetzt wurde.
Ein weiterer zentraler Punkt des Urteils betrifft die technische Einordnung der Softwaresteuerung. Der BGH betonte, dass nicht jede Form der Motorsteuerung, die Abgaswerte beeinflusst, automatisch eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt. Es sei erforderlich, genau zu prüfen, inwieweit die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung einen legitimen technischen Zweck verfolgt oder ob sie in manipulativer Weise eingesetzt wurde.
Mit dieser Entscheidung hebt der BGH erneut hervor, dass Schadensersatzansprüche im Diesel-Skandal nicht pauschal zugesprochen werden können. Vielmehr ist eine detaillierte Prüfung der technischen Gegebenheiten erforderlich, bevor ein Gericht über mögliche Schadensersatzforderungen entscheiden kann.
D. Bedeutung der Entscheidung und praktische Konsequenzen
Die Entscheidung des BGH hat weitreichende Konsequenzen für Diesel-Klagen und den weiteren Verlauf des Abgasskandals. Für Fahrzeugkäufer bedeutet das Urteil, dass sie sich nicht allein auf behördliche Einstufungenverlassen können, um Schadensersatz zu erhalten. Sie müssen vielmehr nachweisen, dass eine tatsächlich unzulässige Manipulation vorliegt und dass die Herstellerin vorsätzlich sittenwidrig gehandelt hat.
Für die Automobilindustrie bedeutet das Urteil eine gewisse Erleichterung, da es die Anforderungen an die Beweisführung für geschädigte Käufer erhöht. Hersteller können sich nun verstärkt darauf berufen, dass ihre Softwarelösungen technische Zwecke erfüllen und nicht zwingend als unzulässige Abschalteinrichtungen einzustufen sind.
Für Gerichte stellt das Urteil eine Präzisierung der Prüfungsanforderungen dar. Sie müssen künftig genau analysieren, ob die beanstandete Software tatsächlich eine rechtlich unzulässige Manipulation darstellt oder ob es sich um eine zulässige Motorsteuerung handelt. Dies erfordert eine tiefgehende technische Beweisaufnahme und kann dazu führen, dass Verfahren in Diesel-Klagen noch komplexer werden.
Das Urteil könnte zudem Auswirkungen auf Sammelklagen und Musterfeststellungsklagen gegen die Automobilindustrie haben. Klägergemeinschaften müssen nun besonders darauf achten, dass ihre Argumentation nicht nur auf behördlichen Feststellungen basiert, sondern detaillierte technische Analysen enthält.
Fazit
Der BGH hat mit diesem Urteil die Anforderungen an Schadensersatzansprüche im Diesel-Skandal weiter konkretisiert. Eine behördliche Einstufung als unzulässige Abschalteinrichtung reicht allein nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB zu begründen. Vielmehr muss nachgewiesen werden, dass die Software in manipulativer Absicht eingesetzt wurde und eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Käufer vorliegt.
Dieses Urteil stärkt die rechtliche Position von Automobilherstellern und zeigt gleichzeitig auf, dass zukünftige Diesel-Klagen auf einer fundierten technischen und juristischen Grundlage aufgebaut sein müssen. Käufer von betroffenen Fahrzeugen sollten sich darauf einstellen, dass die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen künftig eine deutlich umfassendere Beweisführung erfordert.