Der Brotschneidemaschinen-Fall

Der Brotschneidemaschinen-Fall

Sachverhalt

A kauft seit Jahren regelmäßig in „seinem“ Supermarkt S ein. Wie jede Woche möchte er dort ein frisches Brot erwerben. Er entnimmt ein Laib Brot aus dem offenen Brotfach und legt ihn in die vom Supermarkt bereitgestellte Brotschneidemaschine, um das Brot vor dem Kauf in Scheiben schneiden zu lassen.

Während des Schneidevorgangs stellt A fest, dass die Maschine offenbar defekt ist: Die Messer sind stumpf und beschädigen das Brot erheblich, sodass es zerdrückt und teilweise unbrauchbar wird. A ist verärgert über den Zustand der Maschine und fragt sich nun, ob er das beschädigte Brot trotzdem bezahlen muss.


Fallfrage:

Ist A verpflichtet, das durch die defekte Brotschneidemaschine beschädigte Brot zu bezahlen?


Abwandlung: 

Wie wäre es, wenn die Maschine das Brot richtig geschnitten hätte? Muss man das Brot dann kaufen?



Lösung:

 

A. Ansprüche im Originalfall

 

I. Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises aus § 433 II BGB

A könnte aus § 433 II BGB gegenüber S zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet sein.

 

1. Anspruch entstanden

Dazu müsste der Anspruch zunächst entstanden sein. Dafür müsste ein wirksamer Kaufvertrag nach § 433 zwischen S und A geschlossen worden sein.

Ein Kaufvertrag setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen, namentlich Angebot und Annahme (§§ 145, 147 BGB), voraus.

 

a) Angebot des S durch Auslegen der Ware

Ein Angebot des S könnte darin gesehen werden, dass das Brot in dem Brotfach ausgelegt worden ist. Dazu müsste dieses Verhalten aus Sicht eines objektiven Empfängers (§§ 133, 157) bereits den Schluss zulassen, dass S einen Rechtsbindungswillen für ein Geschäft mit einer bisher unbekannten Person hatte (offerta ad incertas personas). Kein Angebot liegt hingegen vor, wenn es sich lediglich um eine Einladung an den Kunden handelte, selbst ein Angebot abzugeben (invitatio ad offerendum).

Ob das Aufstellen von Ware in einem Selbstbedienungsladen bereits ein Angebot darstellt, ist umstritten. Für die Annahme des Rechtsbindungswillen kann argumentiert werden, dass in dieser Situation nicht die Gefahr besteht, dass mehr Kaufverträge geschlossen werden, als Ware vorhanden ist, was zu Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Verkäufer führen würde. Gegen das Vorliegen eines Rechtsbindungswillen spricht hingegen die Vertragsabschlussfreiheit bzw. Privatautonomie des Verkäufers, der ein berechtigtes Interesse daran haben kann, sich die Wahl des Vertragspartners (z.B. hinsichtlich der Bonität) bis zum Kassenvorgang offenzuhalten. Dazu kommt, dass es nicht im Interesse des Käufers läge, bei einer falschen Preisauszeichnung anfechten zu müssen.

Es sprechen daher die besseren Gründe dafür, noch kein Angebot anzunehmen.


b) Angebot des A durch Entnehmen des Brotes

A könnte jedoch ein Angebot gemacht haben, indem er das Brot aus dem Brotfach entnahm. Die Inbesitznahme der Ware im Selbstbedienungsladen stellt allerdings noch kein Angebot dar, schließlich hat der Kunde ein erkennbares Interesse daran, die Ware bis zum Bezahlvorgang wieder zurücklegen zu können. 


c) Angebot des A durch Einlegen des Brotes in die Brotschneidemaschine

Zuletzt könnte das Einlegen des Brotes in die Brotschneidemaschine ein Angebot von A sein. Auch durch diesen Akt tritt allerdings nicht eindeutig der Wille nach außen, einen Kaufvertrag abzuschließen. Mangels Rechtsbindungswille handelt es sich nicht um ein Angebot.


d) Ergebnis

Damit wurde noch kein Kaufvertrag geschlossen. Ein Anspruch aus § 433 II BGB ist nicht entstanden. 


Anmerkung: An diesem Ergebnis ändert es auch nichts, wenn der Supermarkt ein Schild mit der Aufschrift “das Berühren der Ware verpflichtet zum Kauf” aufstellt. Solche Klauseln sind unwirksam (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.12.2000 - I-6 U 45/00).


2. Ergebnis

Damit hat S keinen Anspruch aus § 433 II BGB auf A auf Zahlung des Kaufpreises für das Brot.


II. Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB (c.i.c.)

Wenn A das von ihm aus der Auslage entnommene Brot nicht kauft, könnte das allerdings eine Haftung aus §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB (c.i.c.) begründen.


1. Vorvertragliches Schuldverhältnis

Ein vorvertragliches Schuldverhältnis entsteht bereits mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder ähnlichen geschäftlichen Kontakten (§ 311 Abs. 2 BGB).

Als A den Supermarkt mit Kaufabsicht betreten hat, haben S und A geschäftliche Kontakte aufgenommen. Es besteht somit ein vorvertragliches Schuldverhältnis.

Ein vorvertragliches Schuldverhältnis liegt vor.


2. Pflichtverletzung

Indem er das von ihm bereits aus der Auslage herausgenommene Brot nicht kauft, müsste A eine Pflicht aus diesem Schuldverhältnis verletzt haben. 

Das Schuldverhältnis begründet die Pflicht, auf die Rechtsgüter und Interessen der anderen Partei Rücksicht zu nehmen (Rücksichtnahmepflicht). Hierzu gehört die Pflicht zur pfleglichen Behandlung des potenziellen Kaufgegenstandes. 

Die Entnahme eines unverpackten Brotes bewirkt üblicherweise, dass andere Kunden es aus hygienischen Gründen nicht mehr kaufen wollen. Deswegen widerspricht es der Rücksichtnahmepflicht, ein Brot zunächst zu entnehmen und dann nicht zu kaufen.

Im konkreten Fall ist allerdings zu berücksichtigen, dass A das Brot nur deswegen nicht mehr kaufen möchte, da es durch die defekte Brotschneidemaschine des Supermarkts  zerdrückt und teilweise zerstört wird. Von A kann in diesem Fall nicht erwartet werden, das Brot trotzdem zu kaufen. 

Es liegt daher keine Pflichtverletzung vor.


3. Ergebnis 

S hat keinen Anspruch aus §§ 280 I, 311 II; 241 II BGB (c.i.c.) gegen A.


III. Gesamtergebnis zum Originalfall

S hat daher keine Ansprüche gegen A. 

 

B. Ansprüche in der Abwandlung

I. Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises aus § 433 II BGB

Auch wenn die Brotschneidemaschine das Brot ordnungsgemäß schneidet, ist kein Kaufvertrag zustande, weshalb kein Anspruch aus § 433 II BGB besteht.


II. Anspruch aus §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB (c.i.c.)

Wenn A das geschnittene Brot dennoch nicht kauft, könnte S jedoch einen Anspruch aus §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB (c.i.c.) gegen ihn haben.


1. Vorvertragliches Schuldverhältnis und Pflichtverletzung

Ein vorvertragliches Schuldverhältnis besteht (s.o.). Ein Brot zu entnehmen, zu schneiden und dennoch nicht zu kaufen, widerspricht der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 II BGB, weshalb eine Pflichtverletzung vorliegt.


2. Verschulden

Von einem Verschulden des A in Form von Vorsatz oder Fahrlässigkeit (§ 276 I BGB) ist auszugehen.


3. Schaden

Zuletzt müsste S ein kausaler, ersatzfähiger Schaden entstanden sein, § 249 ff. BGB

Das Brot ist unverkäuflich geworden. Wenn S beweisen kann, dass er das Brot ohne das Handeln des A verkauft hätte, kann er nach der Differenzhypothese den entgangenen Kaufpreis verlangen. Davon wird im Folgenden ausgegangen.


Anmerkung: In der Praxis dürfte dieser Beweis allerdings äußerst schwer sein.


4. Ergebnis

S hat einen Anspruch gegen A aus §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB (c.i.c.) in Höhe des Kaufpreises des Brots.


III. Gesamtergebnis zur Abwandlung

S hat zwar keinen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises aus § 433 II BGB gegen A, kann diesen jedoch de facto aus §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB (c.i.c.) verlangen, sofern er nachweisen kann, dass das Brot durch das Handeln des A unverkäuflich geworden ist und ansonsten verkauft worden wäre.

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