Klausurlehre
Im Jurastudium wird neben tiefgreifenden Rechtskenntnissen auch eine präzise Arbeitstechnik zur Lösung der Klausuren im Gutachtenstil erwartet. Die Klausurenlehre ist jedoch an fast jeder Universität nur Nebensache. Der Aufbau, die Herleitung, die richtige Schwerpunktsetzung und ein gutes Zeitmanagement sind genau so entscheidend für eine gute Benotung, wie gute Rechtskenntnisse. Auf dieser Seite geht es nur um die Arbeitstechnik in der juristischen Gutachtenklausur.
Die hier aufgelisteten Tipps kannst du für dich anwenden, so wie du es brauchst. Für konstruktive Kritik sind wir immer offen. Schreibe uns gerne unter info@lawschoolgermany.de. 🚀
Dieser Beitrag ist unsere Wissensdatenbank über das Thema "Wie schreibt man eine Jura-Klausur?". Dieser wird ständig angepasst. Abonniere unseren Newsletter und verpasse keine Aktualisierung unserer Beiträge.
1. Einführung in die Klausurtechnik
In diesem Beitrag befassen wir uns mit den Standartproblemen der Klausurtechnik. Falls folgende 3 Punkte auf dich zutreffen, dann kann dir dieser Beitrag weiterhelfen:
1. Problem: Du gibst 100% und erreichst nicht die gewünschte Punktezahl.
2. Problem: Obwohl du den Stoff verstehst und die Hinweise der Korrektoren wahrnimmst, wirst du einfach nicht besser?
3. Problem: Du bist frustriert, weil du viele Klausuren geschrieben hast, aber kein Fortschritt merkst.
Lösungsmöglichkeit: Es könnte an deiner Arbeits- und Klausurtechnik liegen.
Schwerpunkt von diesem Beitrag ist es, durch die Vermeidung von Standardfehlern Schritt für Schritt zu besseren Noten zu gelangen.
🚨 Wie kommt es dazu, dass in etwa 65% nicht besser als "Befriedigend" bewertet werden?
- Es wird nicht ab Studienbeginn systematisch und strukturiert gelernt
- Lernstoff wird nicht systematisch und strukturiert zusammengefasst und erweitert.
- Zu wenige Klausuren auf Prüfungsniveau und unter Prüfungsbedingungen
- Es wird an den Problemen in der Klausur vorbeigeschrieben
- Keine ausreichende Argumentation an problematischen Stellen
- Probleme beim Zeitmanagement
Bemerkung zu Klausuranalyse: Eine individuelle und auf datenbasierte Analyse zur Verbesserung deiner Klausuren können wir dir nur anbieten, wenn du entweder einen interaktiven Lernplan oder das digitale Klausurtagebuch erworben hast.
Bemerkung zu strukturiertes Lernen: Eine detaillierte Übersicht wie man eine Wissensdatenbank zum Lernen und Wiederholen aufbaut findest du hier.
1.1 An wen richten sich dieser Beitrag?
Diese Informationen richtet sich an Studierende ab dem ersten Semester und an
Examenskandidierende, die im Studium wenig bis gar keine Berührungspunkte mit der richtigen Klausurtechnik hatten.
Für Studierende am dem ersten Semester ist noch zu bemerken, dass dieser Beitrag mit den Grundlagen beginnt und schrittweise vertieft wird.
Für Studierende in der Examensvorbereitung ist zu bemerken, dass mit dem Beitrag schrittweise die Grundlagen beigebracht wird und auf die Standardfehler aufmerksam gemacht wird. Es ist zu empfehlen den ganzen Beitrag zu lesen und notfalls zu überfliegen, sollte ein Problem gar nicht au einem zutreffen. Versuche durch diesen Beitrag Lücken zu schließen und diese schrittweise in deiner Klausuren anzuwenden.
1.2 Wie soll ich diesen Beitrag lesen?
Übung 1: Nimm dir ein Blatt und ein Stift zur Seite. Stelle den Timer auf 3 Minuten und schreibe in Stichworten alles, was du über das Klausurschreiben weist. Mach dir also Gedanken, was du bisher schon über das Schreiben von Klausuren gelernt hast und woher dieses Wissen herkommt. Dann überlegst du dir, wie du bessere Klausuren schreiben kannst. Solltest du nicht weiterkommen, dann schreibe nur die Frage auf.
Fallbeispiele: In diesem Beitrag gibt es Fallbeispiele. Die Fallbeispiele beginnen mit leichtem und enden mit erhöhten Schwierigkeitsgrad. Versuche diese ganz alleine für dich zu lösen. Solltest du keine Idee haben, wie man diese lösen kann, dann mache ganz einfach ein Vorschlag, wie man es sinnvoll lösen könnte. Oder schreibe ganz einfach auf, dass du kein Lösungsvorschlag für diese Aufgabe hast.
1.3 Wie soll ich die erlernten Klausurtechniken einsetzen?
Techniken: Die Klausurtechniken solltest du dir aufschreiben und schrittweise, jedoch maximal 3 Techniken, in der Klausur anwenden.
Textbausteine: Die in diesem Beitrag veröffentlichen Textbausteine kannst du aufschreiben und auswendigen lernen. In der Klausur solltest du für diese Textbausteine keine Zeit und Energie aufwenden müssen, sodass du dich auf das Wesentliche konzentrieren kannst.
1.4 Speziell für Examensklausuren
Deine wertvolle Lebenszeit, die du zum Schreiben einer (Probe-)Klausur investiert hast sollte entsprechend gewürdigt werden. Dafür haben wir die interaktive Lernpläne und digitale Klausurtagebücher konzipiert, damit du deine Klausuren an einem Ort erfassen kannst. Damit kannst du deinen Lernerfolg schrittweise in jedem Gebiet verfolgen und mit deinen Fragen dich an einen unserer Klausurexperten wenden. Sie sind für die Auswertung dieser Grafiken geschult und können dir konkrete Tipps und Tricks für deine nächsten Klausuren an die Hand geben.
2. Erwartungshorizont einer Klausur
Hast du dir schon mal überlegt, welche Erwartung der Klausurenersteller und der Korrektor an deine Klausur hat?
Bei der Lösung einer Juraklausur im Gutachtenstil wird der Klausurbearbeiter mit vielen Fragen konfrontiert. Es ist weder Möglich jede Fallkonstellation auswendig zu lernen noch wird es erwartet. Eine überzeugende Begründung und ausführliche Beschreibung der Gedankenwege ist viel bedeutsamer als das Rechtsergebnis. Aus den Prüfungsordnungen der Bundesländer ist zu entnehmen, dass bis zum 1. juristischen Staatsexamen der Korrektor sehen möchte, dass der Sachbearbeiter sinnvolle Argumente nennen und abwägen kann.
2.1 Welche Ziele verfolgt man mit der Prüfung des 1. juristischen Staatsexamen?
Mit der Prüfung des 1. juristischen Staatsexamen möchte das Prüfungsamt prüfen, ob der Sachbearbeiter würdig ist das Referendariat anzutreten. Dies umfasst folgende drei Punkte:
- Sachverhaltsverständnis
- Gesetzesanwendung
- Rechtskenntnisse
Die Prüfungsschwerpunkte liegt damit an der strukturierten Denk- und Herangehensweise. Um das Prüfungsamt von deiner Würde zu überzeugen, solltest du in deiner Klausur die Rechtsfragen mit einer strukturierten Rechtslösung anhand des deutschen Rechtssystems anbieten.
2.2 Woran erkenne ich ein Rechtsproblem?
Um ein Rechtsproblem zu erkennen ist es sinnvoll in Interessen zu denken. Es treffen zwei Interessen gegenüber und nur einer kann ein Vorteil daraus ziehen. Damit es nicht zum Selbstjustiz kommt, haben wir ein Rechtssystem der i.d.R. alle Interessenkonflikte löst. Wenn sich die Parteien also nicht einigen können, muss anhand des Rechtssystems geklärt werden, wie die Rechtslage in der konkreten Situation ist. Wenn du da Rechtsproblem erkannt hast, musst du als nächstes zu diesem Problem in der Lösung hinführen. D.h. du musst das Problem im Gutachten richtig einbetten.
2.3 Wie bette ich ein Rechtsproblem richtig im Gutachten?
Um ein Rechtsproblem im Gutachten richtig einzubetten ist es sinnvoll kleinschnittig von einem Prüfungspunkt zum nächsten zu gehen. Im Gutachten öffnen sich Fragen die man kurz oder schnell abhacken kann. Dabei geht man vom allgemeinen zum konkreten Rechtsfrage. Jeder Prüfungspunkt muss argumentativ gut begründet werden.
2.4 Was zeichnet eine gute Klausur aus?
Eine gute Rechtsklausur zeichnet sich durch Struktur, Argumente und Vermeidung von schweren Fehlern aus. Diese drei Faktoren unterscheiden schlussendlich eine gute von einer weniger guten Klausurbearbeitung. Auch wenn in beiden Fällen alle Themen in der Musterlösung angesprochen wurden, ist es wichtig die strukturelle Gesetzesanwendung und argumentative Begründung schriftlich nachzuweisen.
2.4.1 Struktur einer guten Klausur
Die Struktur einer guten Klausur zeichnet sich dadurch aus, ob
- alle Rechtsprobleme erkannt und geprüft wurden
- alle relevanten Normen geprüft wurden,
- mit dem Gesetz und nah am Gesetz gearbeitet wurde
- die Rechtsprobleme an die richtige Stelle im Gutachten verortet wurde,
- eine logische Reihenfolge verfolgt wurde,
- die Normen richtig verstanden wurden,
- die Normen richtig subsumiert wurden.
2.4.2 Argumentation einer guten Klausur
Eine gute Argumentation in einer guten Klausur zeichnet sich dadurch aus, ob
- das Rechtsproblem mit eigenen statt auswendig gelernten Argumenten gelöst wurden.
- Hierbei ist jedoch anzumerken, dass man auf die Qualität der Argumente achten sollte. Es ist nicht unbedingt besser auf eigene Argumente zu setzen, wenn diese nicht aussagekräftiger sind als die Standardargumente.
- Weiterhin sind auswendig gelernte Argumente immer noch besser als gar keine Argumente.
- Ist das Argument an die richtige Stelle verortet worden?
2.4.3 Schwere Fehler in der Klausur
Schwer ist ein Fehler, wenn gegen Grundlagenfehler verstoßen wurde. Unter denen ist das Trennungs- und Abstraktionsprinzip oder die Annahme einer Analogie zu Lasten des Täters.
2.4.4 Welche Fähigkeiten werden in einer Klausur verlangt?
In einer juristischen Gutachtenklausur werden folgende Kriterien abverlangt:
- Normenkenntnis
- Strukturelle und systematische Denk- und Arbeitsweise
- Fähigkeit jedes Interessenproblem rechtlich bewerten zu können
- Textverständnis
- Argumentationsvermögen
- Perfekter Umgang mit der Sprache
- Unterscheidung von Grundsätzen und Ausnahmen
- Unterscheidung von Allgemeinen und Speziellem
- Trennung von Voraussetzungen und Folgen
Diese Fähigkeiten lassen sich gebündelt in einem Rechtsgutachten im Gutachtenstil prüfen:
- Obersatzes: Im Obersatz stellt sich die Frage, ob eine bestimmte Rechtsfolge eintritt (Wer will was, von wem und woraus?).
- Definition: Die Definition von Begriffen öffnet ein Kontrollfenster und soll erklären welche Fälle von diesem Begriff umfasst sind.
-
Subsumtion: Durch die Subsumtion sollst du überprüfen, ob der konkrete Fall von der Norm durch die Begriffe umfasst ist oder nicht. Ist die Subsumtion nicht eindeutig, dann kannst du einen eigenen Lösungsweg vorschlagen. Rechtlich gut begründete Argumente bringen in solchen Fällen hohe Punkte.
2.4.5 Zum Vergleich einer guten Ausführung
Damit du siehst, worin der Unterschied zwischen einer schlechten und einer guten Ausführung liegt haben wir zwei Beispiele für dich:
Eine schlechte Ausführung: „Laut BGH liegt ein Erklärungsirrtum vor, wenn sich der Erklärende verspricht, verschreibt oder vergreift."
Eine bessere Ausführung: „Fraglich ist, was unter dem auslegungsbedürftigen Begriff des Erklärungsirrtums zu verstehen ist. Der Wortlaut des § 119 I BGB besagt, dass es um Fälle geht, in denen der Erklärende eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte. Dies schließt bereits Motivirrtümer aus, da sich hier der Irrtum nicht auf Ebene der Erklärungshandlung bewegt. Sinn und Zweck der Irrtumsanfechtung ist zudem der Schutz der Willensbildung. Somit kann es nur um Fehler bei den Erklärungszeichen gehen. Da der Irrtum systematisch vom Inhaltsirrtum abzugrenzen ist, kann er nicht die Bedeutung des Erklärungszeichens betreffen. Übrig bleibt ein fehlerhaft durchgeführtes Erklärungszeichen, also ein Vergreifen, Verschreiben oder Versprechen."
Quellen:
Irrtum: Baetge in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, § 119 BGB Rn. 1.
Erklärungsirrtum: Baetge in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, § 119 BGB Rn. 29.
2.5 Was muss der Korrektor als richtig bewerten?
Da es in Jura nur darauf ankommt, eine nachvollziehbare und eine am Gesetz sich orientierte Lösung zu präsentieren, gibt es selten ein Richtig oder Falsch. Falsch kann eine Lösung nur sein, wenn es eindeutig gegen das Gesetz verstößt. Obwohl der Korrektor entscheidet, welche Meinung oder Lösung vertretbar ist, muss er sich an das Prüfungsrecht halten. Als Faustregel gilt dabei: Eine Meinung ist vertretbar, wenn diese Meinung in der Fachliteratur auch vertreten wird. So auch die Meinung vom Bundesverfassungsgericht zum Prüfungsrecht:
„Die Erste und Zweite Juristische Staatsprüfung sollen denjenigen Bewerbern den Zugang zum angestrebten Beruf verwehren, die fachlichen Mindestanforderungen nicht genügen. Dieser Zweck ist nicht nur für den Umfang der Qualifikationsnachweise, sondern auch für deren Bewertung maßgebend […]. Daraus folgt, daß zutreffende Antworten und brauchbare Lösungen im Prinzip nicht als falsch bewertet werden und zum Nichtbestehen führen dürfen. […] Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darf nicht als falsch gewertet werden. Dies ist ein allgemeiner Bewertungsgrundsatz, der bei berufsbezogenen Prüfungen aus Art. 12 Abs. 1 GG folgt.“ (BVerfGE 84, 34, 54).
Der Korrektor muss also die durch das Rechtssystem begründeten Lösungssätze als richtig bewerten. Hat der Korrektor eine in der Fachliteratur genannten Meinung als falsch gewertet, so hat eine Nachkorrektor Aussicht auf Erfolg.
2.5.1 Wann liegt ein eindeutiger Gesetzesverstoß vor?
Ein Gesetzesverstoß liegt vor, wenn der Sachverhalt nicht komplett rechtlich gewürdigt wird, ein Gesetz nicht oder nicht richtig angewendet wird. Letzteres liegt vor, wenn man eine Norm nicht beachtet, die zum Prüfungsgegenstand gehört. Hierbei gliedert man die Klausur falsch und gelangt damit zu einem nicht mehr vertretbaren Ergebnis.
Achtung: Solltest du dich in diesem Fehlerbereich befinden, so liegt das Problem in der Klausurvorbereitung und dein Lernstrategie muss überdenkt werden. Hierbei können unsere Experten dir weiterhelfen. 👉 Hier gehts zur Lernanalyse und Lernoptimierung
In den höheren Semester werden diese Fehler strenger bewertet als in den Anfangssemestern. Damit sollst du besser auf das Examen vorbereitet werden.
Eine eindeutig falsche Lösung liegt aber insbesondere dann vor, wenn du an den Klausurfragen vorbei geschrieben wird.
Beispiele zu falschen Ergebnissen:
- Unbegründetes Ergebnis
- Klausurbearbeiter verstößt gegen das Trennungs- und Abstraktionsprinzip im Zivilrecht.
- Dieser Fehler führt zum Nichtbestehen einer Klausur, da das gesamte BGB auf diesem Prinzip aufbaut. Alle Rechtsgeschäfte müssen getrennt betrachtet werden.
- Es gibt Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte. Beim Verpflichtungsgeschäft verpflichtet man sich zu einer Handlung. Beim Verfügungsgeschäft nimmt man eine dingliche Rechtsänderung vor.
- Zu diesem Fehler führt es häufig, wenn der Klausurbearbeiter sich in einem Gebiet befindet, bei dem er sich nicht auskennt. Außerdem kommt es auch häufig zu diesem Verstoß wenn die Verträge oder Vertragsarten nicht richtig auseinander gehalten werden.
- Klausurbearbeiter behauptet, dass ein minderjähriges Kind voll geschäftsfähig ist.
- Klausurbearbeiter missachtet unbegründet eine Frist.
- Klausurbearbeiter nimmt eine Analogie zu Lasten des Täters im Strafrecht an.
- Klausurbearbeiter hat Sachverhalt nicht richtig verstanden
3. Wie entsteht eine Klausur?
Um bessere Klausuren zu schreiben ist es sinnvoll zu wissen, wie Klausuren entstehen. Es gibt jedoch keine festgelegte Herangehensweise. In der Regel überlegt man sich ein Thema für die Klausur aus (Staatsorganisationsrecht, Grundrechte, Verwaltungsrecht; Einwendungen, Kreditsicherungsrecht und Erbrecht; Heimtückischer Mord nach einem sexual Delikt).
Anschließend wir dein Im Korrekturleitfaden für den Korrektor am Anfang auf den Schwerpunkt hingewiesen und damit die Erwartungshaltung vermittelt. Es wird dann erwartet, dass der Klausurbearbeiter den Schwerpunkt erkennt und entsprechend bewertet wird. "Die Klausur hat folgende Themen zum Gegenstand.
Der Bearbeiter soll in deiner Bearbeitung verdeutlichen, dass diese Thematik in prozessualer und materiell-rechtlicher Hinsicht verstanden hat und rechtlich korrekt bewerten kann."
Es ist daher zu empfehlen, vor der Bearbeitung der Klausur sich über den Schwerpunkt der Klausur ausreichend Gedanken zu machen.
Steht das Thema einmal fest, überlegt sich der Klausurersteller welche Rechtsnormen und Einzelprobleme in die Klausur aufgenommen werden muss. Hierbei lassen sich Klausurensteller oft von veröffentlichte Urteile inspirieren. Sie fügen dann aus der Rechtssprechung einzelne Probleme in die Bearbeitung ein. Dabei notieren Sie sich Sachverhaltskonstellationen aus der Entscheidung und die im Urteil vertretenen Lösungsansätze. Dadurch ersparen sie sich die Mühe, sich eigene Fälle ausdenken zu müssen. Bei der Erstellung der Klausur bezieht man auch die unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade der Probleme mit ein und kennzeichnet diese in der Lösungsskizze.
🚨 Achtung: Es wird jedoch nicht erwartet, dass der Bearbeiter die Klausur wie im Urteil löst.
Im Leitfaden gibt der Klausurersteller auch an, welche Probleme besonders leistungsstarke Bearbeiter erkennen sollte und welche Grenze zum Bestehen der Klausur überschritten werden muss.
Nachdem der Ersteller ausreichende Rechtsprobleme ausgesucht und den Schwierigkeitsgrad sowie den Bewertungsmaßstab festgelegt hat, muss er die unterschiedlichen Probleme zu einem Sachverhalt zusammenfassen. Diese Prüfungsklausur wird i.d.R. von Testkandidaten geschrieben, um Inhalt und Quantität zu überprüfen.
Für dich als Klausurbearbeiter bedeutet das, dass (i.d.R.) die Klausur keine Fehler enthält und der Sachverhalt bewusst so formuliert wurde. Andererseits musst du herausfinden, welche Themen und Rechtsprobleme der Klausurensteller in der Klausur eingebracht hat.
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5. Sachverhaltsskizze erstellen
Um die Informationen aus dem Sachverhalt für deine Gliederung und dann dein juristisches Gutachten zu filtern und zu sortieren, gibt es die Möglichkeit eine Sachverhaltsskizze anzufertigen.
Diese Methode beinhaltet alle Tipps und Tricks, die dich schrittweise zu besseren Klausuren verhelfen. Gehe dabei den Sachverhalt Satz für Satz durch und versuche die Informationen in dieses Muster einzutragen.
Schritt 1: Nachdem du dein Sachverhalt einmal gelesen hast, teile den Sachverhalt in kleine Abschnitte und trage links die Abschnittsnummern ein. Diese Nummerierung hilft dir später zum Sachverhalt zu finden.
Schritt 2: Schreibe oben die Fallfrage umgewandelt in einen Aussagesatz um.
Im Zivilrecht: Wer will was von wem? - Das Woraus muss man dann nach Schritt 5 erarbeiten.
Im Öffentliches Recht: Prüfung der Klage des A.
Im Strafrecht: Strafbarkeit des A.
Schritt 3: Vom linken Rand ziehst du einen Strich von oben nach unten. Dies ist einZeitstrahl in chronologischer Weise von oben nach unten sortiert. Diese Methoden hat den Vorteil, dass du links vom Zeitstrahl die Zeitangabe und rechts davon die Handlungs- oder Geschehensangaben aufschreibst.
Schritt 4: Rechts oben vom Blatt, aber unter der Fallfrage, zeichnest du die rechtlichen Beziehungsverhältnisse auf. Versuche alle Verhältnisse in § zu übersetzen. Durch diese Rechtsbeziehungen kannst du den Fall besser durchdenken und dich in den Fall hineinarbeiten.
Beispiel aus Zivilrecht
Beispiel 1: A kauft von B ein Fahrrad. - § 433 I 1 BGB.
Beispiel 2: B übereigne und übergibt A das Fahrrad. § 929 S. 1. BGB.
Beispiel 3: Kurz darauf ficht A den Kaufvertrag an. - §§ 142, 119, ... BGB
Beispiel aus Öffentlichem Recht
Beispiel: A klagt gegen das Land X. § 42 I VwGO
Beispiel aus Strafrecht
Beispiel: A schlägt B nieder. §§ 223, 224 StGB
Schritt 5: Nachdem du alle Zeitangaben und alle Verbindungen der Personen aufgezeichnet hast, kannst du dich fragen, wo genau liegt hier das Problem? Schreibe dir dann unten rechts auf, wo genau die Probleme liegen. Es können auch Folgeprobleme oder kleinere Probleme aufgeschrieben werden. In den meisten Fällen erscheinen dadurch nebenbei Rechtsfragen, die nicht unmittelbar in der Lösung auftauchen.
Wenn du mit der Skizze fertig bist, sollte deine Skizze alle Informationen aus dem Sachverhalt enthalten. Nun hast du einen Überblick über den Verlauf der Geschehnisse, Rechtsverhältnisse und Rechtsprobleme. Dies kann am Anfang etwas mühsam sein. Doch mit etwas Übung filterst du schon beim Lesen die Information und kannst diese Information leicht in das Muster eintragen. Nun kannst du übergehen zur Lösungsskizze.
Klicke hier, um die Sachverhaltsskizze herunterzuladen.
6. Lösungsskizze erstellen
Bei der Lösungsskizze suchst du zunächst nach Rechtsnormen im Gesetz, die eine Rechtsfolge enthalten, welche das Anspruchsziel der Personen wiedergibt.
6.1 Den Fall gliedern
Hast du also den Fall ordentlich skizziert, kannst du anfangen nach den einschlägigen Rechtsnormen zu suchen. Sortiere diese und versuche die passenden Normen bereits hier schon innerhalb der Anspruchsgrundlagen zu prüfen. Markiere gerne große Probleme mit einem p und kleine Probleme mit einem q. So erkennst du, ob du später mehr oder weniger dazu schreiben sollst.
6.2. Wie viel Zeit soll an sich für die Lösungskizze nehmen?
6.2. Wie viel Zeit soll an sich für die Lösungskizze nehmen?
Wann man in einer Klausur anfangen sollte zu schreiben ist sehr individuell. Es kommt dabei nicht nur darauf an, ob du schnell oder eher langsam denkst, sondern auch in welchem Fach du wie schnell arbeiten kannst? - Weiterhin kann es auch sein, dass du schnell schreiben kannst. Durch das Schreiben von Probeklausuren und die richtige Analyse deiner Ergebnisse bekommst du ein gutes Gefühl, wann du anfangen sollst zu schreiben.
Bemerkung: Um eine detaillierte Analyse über deine Klausuren zu erhalten und deine Leistung systematisch erfassen kannst, haben wir für dich das Klausurtagebuch entwickelt. Dies ist ein Tool, um jede deiner Klausuren systematisch und Kleinschritt zu überprüfen, so dass du von Klausur zu Klausur erkennen kannst, wo deine Stärken und Schwächen liegen und an welchen Baustellen du arbeiten solltest.
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Achtung: Es kann jedoch auch passieren, dass du in einer Klausur gar keine Ahnung hast was du machen sollst. In solchen Fällen kann die Vorbereitung für das Gutachten länger dauern. Hierzu haben wir für dich einen Strategie für den Notfall erstellt.
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Bemerkung: Falls du ein Problem damit hast, sehr lange für die Lösungsskizze denken zu müssen, könnte es daran liegen, dass du beim Lernen und Wiederholen nicht in dem Lösungsskizzenmuster denkst. Wenn du täglich in diesem Muster denkst und damit arbeitest, fällt es dir nämlich auch in der Klausur sehr einfach schnell solche Lösungsskizzen zu erstellen. Unsere Experten können dir helfen, deine Lernunterlagen und Lernverhalten so auszurichten, dass du schon in diesem Schritt denkst, während du lernst.
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Weiterhin empfehlen wir dir das Buch "Schnelles Denken, langsames Denken" von Daniel Kahneman zu lesen.
6.3 Reihenfolge der Fragen
In welcher Reihenfolge du deine Klausuren beantworten sollst, hängt ganz davon ab, on welchen Fach du dich gerade befindest und in welchem Ausmaß die Fragen gestellt sind. In den meisten Klausuren gibt es große und kleine Fragen. Du kleinen Fragen solltest du schnell abhaken können und nicht allzu viel Zeit verlieren.
Um einen allgemeinen Tipp geben zu können, beschränken wir uns auf die systematischen Prüfungsreihenfolge in allen Fächern:
Schritt 1: Reihenfolge der Gesetze
Orientire dich erstmal am Gesetz und gehe dabei gedanklich alle Gesetzesmerkmale durch. Dies setzt natürlich voraus, dass du die wichtigsten Gesetze kennst und schon mal damit gearbeitet hast. In einer Klausur kannst du vereinzelt Gesetze erkunden und dir den Inhalt erarbeiten, in der Bearbeitungszeit ist es nicht jedoch nicht möglich jedes Gesetz neu kennenzulernen.
Schritt 2: Prozessualer Vorrang
Es gibt aber auch prozessuale Aspekte, die Vorrang haben.
- Im Zivilrecht wäre dies die Systematik der Anspruchgrundlagen.
- Im öffentlichem Recht wäre dies die Zulässigkeit vor der Begründetheit.
In manchen Klausuren wird jedoch erst nach den Ansprüchen gefragt, dann ob die Klage zulässig wäre. In solchen Fällen solltest du dich an die Reihenfolge der Fragen halten. Du kannst zwar die Fälle dann in einer anderen Reihenfolge ändern, solltest diese aber dann entsprechend sortieren. Bedenke, dass du dem Korrektor so wenig Arbeit wie möglich machen möchtest.
Schritt 3: logische Reihenfolge
Es gibt Fragen, die beantwortet werden müssen, bevor man die restlichen Fragen beantwortet. Im Zivilrecht solltest du daher zuerst vertragliche Ansprüche vor deiktischen Ansprüchen prüfen.
Schritt 4: Praktisch Reihenfolge
Es gibt Klausuren, die setzen ein bestimmtes Ergebnis der Vorfrage voraus.
Frage 1: Liegt eine Grundrechtsverletzung vor?
Frage 2: Wäre eine Klage zulässig?
In einem solchen Fall setzt die 2. Frage ein positives Ergebnis der ersten Frage voraus.
7. Klausuren richtig ausschreiben
Nun wenden wir uns dem formellen Teile einer Klausur zu. Wenn du einfache formelle Punkte beachtest, verdienst du dir Punkte und stehst im Verhältnis zu Anderen besser dar.
7.1 Sprache
Als erstes solltest du sicher gehen, dass du die deutsche Juristensprache in Wort und Schrift beherrschst. Dazu gehören auch Rechtschreibung und Grammatik.
„In der Prüfung soll der Prüfling auch zeigen, daß er das Recht mit Verständnis erfassen und anwenden kann (…). Zur Rechtsanwendung gehört auch die Fähigkeit, sich bei Falllösungen (…) grammatikalisch korrekt, in verständlicher Sprache und in einem sachangemessenen Sprachstil in Wort und Schrift auszudrücken.“ - OVG Münster, Urteil vom 23. Januar 1995 - 22 A 1834/90 - Rn. 71.
Solltest du Sprachprobleme feststellen oder sollte der Korrektor mehrfach deinen Sprachstil bemängeln, dann empfiehlt es sich ein paar Leitfäden oder Bücher zu diesem Thema zu lesen.
👉 Literaturempfehlung zur Verbesserung deiner Sprache.
7.2 Handschrift
Bei der Handschrift ist es etwas anders: diese muss lediglich lesbar sein. Sie führt aber nicht zu einer Besseren Note (BVerwG, Beschluss vom 23. Februar 1984 - 7 B 24/84 - Leitsatz 1 und Rn. 3; BVerwG, Beschluss vom 19. August 1975 - VII B 24.75 -Rn. 5.)
Eine nichtlesbare Schrift jedoch verärgert der Korrektor und hinterlässt ihn schon beim ersten Eindruck einen negativen Eindruck. Achte bitte darauf, dass deine Schrift zumindest lesbar ist und du nicht schmierst.
7.3 Zitierweise in der Klausur
Es gibt keine Standardzitierweise, die von dir erwartet wird. Du kannst also selbst entscheiden, wie du zitieren möchtest. Wichtig ist, dass du bei einem Stil bleibst und nicht wechselst.
- § 433 I S. 1 BGB
- § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB
Die einzelnen Bezeichnungen brauchst du nicht mit einem Komme zu trennen. Ein Komme setzt du nur ein, wenn du Normenketten hast.
- §§ 929 S.1, 932 BGB
Abkürzungen
Es gibt einige Abkürzungen die in einer Klausur anerkannt sind:
- Abs. = Absatz
- S. = Satz
- Alt. = Alternative
- Var. = Variante
- Fall = Fall
- Nr. = Nummer
- Art. 93 I Nr. 1 GG
- lit.
- Literra
- § 34 IIIa 1 Nr. 1 lit. a) BauGB
- A. I. 1. a) aa) (1) (i)
- 1.1.1.1.1.1.1.
Ein gutes Gutachten kommt auch ohne Überschriften aus. Dein Gutachten sollte auch ohne Überschriften verständlich aufgebaut sein. Wie das aussehen kann siehst du hier:
A. A könnte gegen B einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 1000€ haben. Dazu müsste der Anspruch entstanden sein (I.), nicht erloschen (II.) und durchsetzbar (III.) sein.
I. Ein Anspruch setzt einen wirksamen Kaufvertrag gem. § 433 BGB voraus. Ein Vertrag entsteht dabei durch Angebot (§ 145 BGB) und Annahme (§ 147 BGB).
1. A könnte dem B ein Angebot unterbreitet haben, indem er die Ware auf den Kassenband legte.
a) Dies setzt ferner voraus, dass ....
Fallbeispiel: Anfechtung
A will für seine Frau ein schwarzes Klavier kaufen und bestellt auf der Website des B versehentlich ein weißes Klavier. Als er das weiße Klavier erklärt er gegenüber B wirksam die Anfechtung. Kann B von A den Kaufpreis verlangen?
Bearbeitervermerk: Widerruf und Kaufrecht sind nicht zu prüfen.
Halteverbot: Im Bearbeitervermerk ist der Hinweis, dass Widerruf und Kaufrecht nicht zu prüfen sind. Weiterhin ist die Anfechtung "wirksam" erklärt worden. Anfangen zu Invitation ad offerendum sind hier fernliegend. A bestellt online und erhält das Klavier, sodass Erfüllung eingetreten ist.
Stoppschilder: Es gibt eine Verwechslung beim Farbauswahl. Du sollst daher den Erklärungsirrtum prüfen.
False Friend: Angaben zum Versand werden gemacht, sind vorliegend aber nicht relevant für den Fall. Weiterhin verweist der Begriff "online" zu Fernabsatzverträge und Widerrufsrecht, diese sollen aber gem. Bearbeitervermerk nicht geprüft werden.
Lösungsvorschlag:
A. B könnte gegen A einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung gemäß § 433 II BGB haben.
I. Der Anspruch müsste entstanden sein. Dies ist der Fall, wenn sich A und B geeinigt haben. Gem. dem Sachverhalt machte A ein Angebot indem er auf der Website des B das Klavier bestellte. Legt man seine Erklärung anhand des objektiven Empfängerhorizonts (§§ 133, 157 BGB) aus, erklärte er, einen „Weißes“-Klavier zu wollen. Von einem Zugang ist auszugehen. Spätestens mit Aussonderung und Versendung des Klaviers nahm B dieses Angebot an. Im Internethandel hat sich die Verkehrssitte herausgebildet, dass eine Annahme durch konkludente Erklärung mittels Versendens der Ware nicht zuzugehen braucht. Der Zugang der Annahme ist folglich gemäß § 151 Satz 1 Var. 1 BGB nicht erforderlich. Eine Einigung liegt vor.
II. Der Anspruch könnte gemäß § 142 I BGB erloschen sein.
1. Ausweislich des Sachverhalts liegt eine wirksame Anfechtungserklärung vor.
2. Es müsste ein Anfechtungsgrund gegeben sein. In Betracht kommt ein Erklärungsirrtum gemäß § 119 I Var. 2 BGB.
a) Ein Irrtum bezeichnet das Auseinanderfallen des Erklärten und des Gewollten. Hier wollte A subjektiv einen „Schwarzes“-Klavier erwerben. Er erklärte objektiv, einen „Weißes“-Klavier erwerben zu wollen. Folglich liegt ein Irrtum vor.
b) Bei diesem müsste es sich um einen „Erklärungsirrtums“ i.S.d. § 119 I Var. 2 BGB handeln. Fraglich ist, was darunter zu verstehen ist. Der Wortlaut des § 119 I BGB besagt, dass es um Fälle geht, in denen der Erklärende eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte. Dies schließt bereits Motivirrtümer aus, da sich hier der Irrtum nicht auf Ebene der Erklärungshandlung bewegt. Sinn und Zweck der Irrtumsanfechtung ist zudem Schutz der Willensbildung. Somit kann es nur um Fehler bei den Erklärungszeichen gehen. Da der Irrtum systematisch vom Inhaltsirrtum abzugrenzen ist, kann er nicht die Bedeutung des Erklärungszeichens betreffen. Übrig bleibt ein fehlerhaft durchgeführtes Erklärungszeichen, also ein Vergreifen, Verschreiben oder Versprechen. Es handelte sich dabei um ein Vertippen, also um einen Fehler der Erklärungshandlung. Daher ist ein Erklärungsirrtum gegeben, der zur Anfechtung berechtigt.
3. Der Anspruch ist gemäß § 142 I BGB erloschen.
III. Der Anspruch ist untergegangen.
B. B hat gegen A keinen Anspruch auf Kaufpreiszahlung gemäß § 433 II BGB.
8. Der juristische Gutachtenstil
(Fast) das gesamte Jurastudium bis zum 1. Staatsexamen bewegt sich im Rahmen des Gutachtenstils, ohne jedoch explizit auf diese Methode einzugehen. Viele Studierende haben daher nur eine vage Vorstellung davon, was der Gutachtenstil genau ist, obwohl er in Klausuren, Hausarbeiten und im Examen eine zentrale Rolle spielt. Nimm dir daher die Zeit, diese Methode intensiv kennenzulernen, um deinen juristischen Werkzeugkasten für die Examensvorbereitung optimal zu bestücken.
Fakt:
- Gutachtenstil begleitet dein gesamtes Jurastudium bis zum Examen
- Dennoch wird er selten systematisch erklärt
- Intensives Verständnis ist für Klausuren und Examenserfolg unerlässlich
Was ist der Gutachtenstil?
Der Gutachtenstil ist eine juristische Arbeitsmethode, mit der du systematisch und nachvollziehbar rechtliche Fragestellungen bearbeitest. Statt ein Urteil einfach vorzugeben, zeigst du Schritt für Schritt, wie du zum Ergebnis kommst. Der Gutachtenstil folgt hierbei einem festen Schema, das aus vier Schritten besteht: Obersatz, Definition, Subsumtion und Ergebnis. Durch diese Struktur gewährleistest du, dass deine Gedankengänge klar, logisch und für Dritte (insbesondere für Korrektor:innen) durchschaubar bleiben.
- Beispiel 1: Fraglich ist, ob die Täter:in sich wegen Diebstahls gemäß § 242 StGB strafbar gemacht hat.
- Beispiel 2: Fraglich ist, ob X gegen Y einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB hat.
Wie funktioniert der Gutachtenstil?
Der Gutachtenstil beginnt immer mit der Fragestellung, die du als Obersatz in einen Aussagesatz verwandelst. Anschließend suchst du passende Rechtsnormen, deren Rechtsfolgen deiner Fragestellung entsprechen. Nachdem du die einschlägigen Normen gefunden hast, definierst du deren Tatbestandsmerkmale, um diese dann im Rahmen der Subsumtion mit dem konkreten Sachverhalt abzugleichen. Erfüllst du alle Tatbestandsvoraussetzungen, tritt die Rechtsfolge ein. Falls nicht, musst du entweder andere Normen prüfen oder zum Ergebnis kommen, dass kein Anspruch bzw. keine Straftat vorliegt.
Beispiel 1 (Kaufvertrag, § 433 BGB):
-
Obersatz: „Fraglich ist, ob ein Anspruch der Verkäufer:in auf Kaufpreiszahlung gemäß § 433 Abs. 2 BGB besteht.“
-
Definition: „Ein Kaufvertrag erfordert zwei korrespondierende Willenserklärungen, Angebot und Annahme.“
-
Subsumtion: „Die Verkäufer:in bot der Käufer:in einen Laptop für 800 € an, die Käufer:in nahm das Angebot an.“
-
Ergebnis: „Damit besteht ein Anspruch auf Kaufpreiszahlung gemäß § 433 Abs. 2 BGB.“
Beispiel 2 (Schadensersatz, § 823 Abs. 1 BGB):
- Obersatz: „Fraglich ist, ob X gegen Y einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 1 BGB hat.“
- Definition: „§ 823 Abs. 1 BGB verlangt die Verletzung eines Rechtsguts (z.B. Eigentum) durch vorsätzliches oder fahrlässiges, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten.“
- Subsumtion: „Y hat das Eigentum von X (dessen Auto) vorsätzlich beschädigt.
- “Ergebnis: „X hat somit gegen Y einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB.“
Merke:
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Obersatz: Frage in Aussagesatz verwandeln
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Definition: Tatbestände aus Normen ableiten
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Subsumtion: Sachverhalt unter Tatbestandsmerkmale prüfen
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Ergebnis: Feststellung, ob Voraussetzungen erfüllt sind
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Beispiele: Kaufpreiszahlung (§ 433 BGB), Schadensersatz (§ 823 Abs. 1 BGB)
Verweisnormen
In der Fallbearbeitung stößt du immer wieder auf Verweisnormen, die direkt oder indirekt auf andere Vorschriften verweisen. Diese musst du im Rahmen deiner Prüfung mitberücksichtigen.
Direkter Verweis:
§ 254 Abs. 2 S. 2 BGB verweist direkt auf § 278 BGB. Bedeutet: Prüfst du Mitverschulden nach § 254 BGB, musst du auch die Grundsätze zu Erfüllungsgehilfen aus § 278 BGB miteinbeziehen.
Impliziter Verweis:
§ 823 Abs. 1 BGB spricht von der Verletzung des Eigentums. Um zu wissen, wer Eigentümer:in ist, musst du ins Sachenrecht schauen, insbesondere in § 903 BGB oder die Definition der Sache in § 90 BGB. So „verweist“ § 823 Abs. 1 BGB implizit auf das Sachenrecht, ohne es ausdrücklich zu nennen.
Merke:
- Verweisnormen: Normen, die auf andere Vorschriften verweisen
- Direkte Verweise: ausdrückliche Nennung anderer Normen
- Implizite Verweise: sachlogischer Rückgriff auf andere Rechtsbereiche
- Beispiel: § 254 BGB verweist auf § 278 BGB; § 823 Abs. 1 BGB verweist implizit auf Sachenrecht
Hilfsnormen
Hilfsnormen sind Normen, die keine eigenständige Rechtsfolge enthalten, aber zur Erklärung oder Ausfüllung anderer Normen herangezogen werden. Sie helfen dir dabei, bestimmte Begriffe oder Voraussetzungen konkret zu bestimmen.
- Beispiel 1: § 823 Abs. 1 BGB schützt das Eigentum. Was Eigentum ist, erfährst du aus den sachenrechtlichen Vorschriften. In § 90 BGB ist definiert, was als Sache gilt. Diese Norm ist eine Hilfsnorm, die den Begriff „Sache“ für die Prüfung des Eigentumsschutzes klarstellt.
- Beispiel 2: Willst du wissen, ob ein Kaufvertrag wirksam zustande gekommen ist, musst du bei den Willenserklärungen und deren Bestandteilen auf §§ 145 ff. BGB zurückgreifen, die als Hilfsnormen dienen, um die Voraussetzungen für Angebot und Annahme zu definieren, ohne selbst eine unmittelbare Rechtsfolge in Bezug auf den Kaufpreisanspruch zu haben.
Merke:
- Hilfsnormen: Normen ohne eigene Rechtsfolge, die Begriffe definieren oder Voraussetzungen klären
- Beispiel Eigentum aus § 90 BGB bei Prüfung von § 823 Abs. 1 BGB
- Beispiel Willenserklärungen (§§ 145 ff. BGB) zur Prüfung des Kaufvertrags nach § 433 BGB
Warum ist der Gutachtenstil so wichtig?
Der Gutachtenstil ist das zentrale Handwerkszeug in der juristischen Ausbildung. Mit ihm kannst du Rechtsfragen strukturiert, schrittweise und logisch prüfen. So erkennst du Denkfehler leichter, kannst Argumentationslücken schließen und überzeugst Korrektor:innen sowie Praktiker:innen von der Qualität deiner Ausführungen. Ohne den Gutachtenstil fehlt dir das methodische Gerüst, um komplizierte Fälle sauber zu lösen. Zudem ist er in Klausuren und im Examen unerlässlich, da dort Nachvollziehbarkeit und methodische Klarheit entscheidend sind.
Merke:
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Gutachtenstil als methodisches Grundgerüst juristischer Fallbearbeitung
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Erleichtert das Erkennen von Denkfehlern und Lücken
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Unverzichtbar für Klausuren und Examen
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Signalisiert methodische Klarheit und Nachvollziehbarkeit
Welche Denkschritte beinhaltet der Gutachtenstil?
Die Denkschritte sind immer gleich:
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Was ist gefragt? Stelle zunächst die konkrete Rechtsfrage, um die es geht.
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Welche Rechtsnormen passen zur gesuchten Rechtsfolge? Finde die Norm(en), deren Rechtsfolge deiner Fragestellung entspricht.
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Prüfe, ob der Sachverhalt alle Tatbestandsmerkmale erfüllt. Hier definiert und subsumierst du.
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Berücksichtige Verweis- und Hilfsnormen, um unklare Begriffe aufzulösen.
Merke:
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Identifiziere die Rechtsfrage
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Suche passende Normen
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Prüfe Tatbestandsmerkmale (Definition und Subsumtion)
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Ziehe Verweis- und Hilfsnormen heran, falls Begriffe unklar sind
Der Obersatz beim Gutachten
Der Obersatz ist gewissermaßen der „Haken“, an dem deine gesamte Argumentation hängt. Er legt fest, unter welcher Voraussetzung welche Rechtsfolge eintreten könnte. Ein gut formulierter Obersatz orientiert sich stets an der Rechtsfolge und bringt die maßgebliche Norm ins Spiel. Ist der Obersatz nicht passend, ist deine gesamte Prüfung potenziell fehleranfällig, da du von falschen Voraussetzungen ausgehst. „Näher am Gesetz“ oder „Gutachtenstil“ als Randbemerkung von Korrektor:innen deuten oft auf einen mangelhaften Obersatz hin. Ein sorgfältig formulierter Obersatz ist daher die Basis für eine erfolgreiche Fallbearbeitung.
Merke:
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Obersatz bildet die Grundlage der Prüfung
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Geht von der Rechtsfolge aus, nennt einschlägige Norm
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Ein unpassender Obersatz führt zu fehlerhafter Argumentation
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Korrektor:innen markieren oft mit „näher am Gesetz“ oder „Gutachtenstil“ bei unklaren Obersätzen
Fazit
Durch den regelmäßigen und bewussten Einsatz des Gutachtenstils gewinnst du an Sicherheit und Kompetenz im Umgang mit komplexen Rechtsfragen. Übung ist dabei der Schlüssel: Je häufiger du Fälle im Gutachtenstil löst, desto besser wirst du Definitionen, Subsumtion und Ergebnis miteinander verbinden. Halte dich auf dem Laufenden, da sich deine Skills laufend verbessern lassen. Diese Seite wird stetig aktualisiert – mit unserem Newsletter bleibst du immer auf dem neuesten Stand und kannst deine Examensvorbereitung zielgerichtet gestalten.
Merke:
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Stetige Übung im Gutachtenstil führt zu Sicherheit und Routine
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Klausuranalyse
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Examensbetreuung
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